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Leitsätze:
1) Die zahlenmäßige Angabe der Reparaturtage durch Sachverständige in einer kontradiktorischen Taxe beinhaltet die verbindliche Festlegung dieser Tageszahl und wird insoweit nicht entwertet durch den Zusatz eines Experten, wie z. B.: „Ohne Präjudiz für eine Forderung auf Nutzungsverlust dem Grunde und der Höhe nach."
2) Nach § 319 BGB ist für die Geltendmachung der Unverbindlichkeit der in einer Taxe getroffenen Feststellungen Voraussetzung, daß es sich um eine für einen Sachverständigen offenbare Unrichtigkeit der Feststellungen handelt. Die Offenkundigkeit der Unrichtigkeit muß dargetan und nachgewiesen werden.
Urteil des Oberlandesgerichts - Schiffahrtsobergericht Karlsruhe
vom 7. Dezember 1971
3 U 41/70
(Schiffahrtsgericht Mainz)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin hat bei einem Schiffsunfall eines ihrer Kähne einen Schaden erlitten, für den die Beklagten gemäß einem rechtskräftigen Urteil haften. Die Parteien streiten nur noch über den Nutzungsverlust. In der kontradiktorischen Schadenstaxe hieß es dazu, wie folgt: „Dauer der Reparatur: 5 Arbeitstage." Der Experte der Beklagten hatte hier den Vermerk hinzugesetzt: „ .. jedoch ohne Präjudiz für eine evtl. Forderung auf Nutzungsverlust dem Grunde und der Höhe nach." Das Schiff befand sich zwecks Reparatur des Schadens 3 Tage auf der Werft.
Die Beklagten bestreiten gegenüber dem Anspruch des Klägers auf 5 Tage Nutzungsverlust u. a., daß das Schiff durch die Reparatur während 5 Tagen ausgefallen und die Angabe der Reparaturzeit in der Schadenstaxe infolge des Vorbehaltsstempels ihres Experten überhaupt verbindlich sei.
Das Schiffahrtsgericht hat der Klägerin Nutzungsverlust nur für 3 Tage zugesprochen. Ihrer Berufung gab das Schifffahrtsobergericht statt.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Schadenstaxe bindet die an der Abrede über ihre Erstellung Beteiligten an die festgestellten Tatsachen, soweit die Feststellungen kontradiktorisch erfolgt sind; des kontradiktorischen Charakters entbehrt die Taxe insoweit, als Vorbehalte gemacht sind (vgl. BGH VersR 65, 352; Rheinschiffahrtsobergericht Köln, ZfB 71, 116 = VersR 69, 1005; HansOLG aa0).
Es fragt sich deshalb im vorliegenden Fall zunächst, ob der Angabe der Reparaturzeit von 5 Tagen durch den von dem Experten des Schädigers beigefügten Vorbehalt „jedoch ohne Präjudiz für eine evtl. Forderung auf Nutzungsverlust dem Grunde und der Höhe nach" der kontradiktorische Charakter genommen ist. Das ist zu verneinen. Wenn beide Experten eine bestimmte Reparaturzeit übereinstimmend angeben, kann in der Beifügung eines Vorbehalts des oben angeführten Wortlauts nicht eine Einschränkung der Einigung über diese Reparaturzeit und somit deren kontradiktorischen Feststellung gesehen werden. Vorbehalten ist vielmehr damit lediglich, daß in der Feststellung der einvernehmlich für erforderlich gehaltenen Reparaturzeit nicht auch die Feststellung enthalten sein soll, ein Stilliegen des Schiffes während der angeführten Tagezahl werde auch einen Nutzungsverlust zur Folge haben, für den deshalb in einer bestimmten - etwa schiffahrtsüblichen - Höhe eine Forderung gerechtfertigt sei. Dieser Vorbehalt hat sehr wohl eine Bedeutung, ohne daß er auf die festgestellte Zahl der Liegetage bezogen werden müßte. Denn ohne den Vorbehalt wäre es zulässig, nach Schiffahrtsbrauch anzunehmen, daß der geschädigte Schiffseigner das Schiff während der Reparaturzeit nutzbringend hätte verwenden können; damit würde zugunsten des geschädigten Schiffseigners vermutet, daß die in § 252 Satz 2 BGB enthaltenen Voraussetzungen für den Anspruch auf entgangenen Gewinn vorliegen und es wäre Sache des Schädigers, den Beweis zu führen, daß diese Voraussetzungen nicht gegeben seien (BGH VersR 65, 353). Der Vorbehalt schließt also diese den Schädiger belastende Vermutung aus und gestattet ihm, vom Geschädigten noch den Beweis zu verlangen, daß er tatsächlich während der Reparaturzeit das Schiff hätte nutzbringend verwenden können. Ebenso kann wegen des Vorbehalts bezüglich der Höhe etwa noch bestritten werden, daß der Nutzungsverlust abstrakt nach dem Gewinnausfall zu errechnen sei, den ein Fahrzeug dieser Art und Größe nach den zur Unfallzeit üblichen Sätzen normalerweise gehabt haben würde. Andernfalls wäre nach Schiffahrtsbrauch diese abstrakte Berechnung zulässig (BGH aa0 S. 354).
Der Vorbehalt ist mithin nicht nur sinnvoll, wenn er auf die angegebene Zahl der Reparaturtage mit bezogen wird. Dagegen wäre in der bestimmten, einverständlichen Angabe der Reparaturzeit kein Sinn zu erkennen, wenn diese nicht kontradiktorisch festgestellt sein sollte (so auch Köln, ZfB und VersR aa0). Dafür, daß bei der zahlenmäßigen Angabe der Reparaturtage durch Sachverständige in einer kontradiktorischen Taxe die bindende Festlegung dieser Tageszahl gewollt ist, spricht auch § 3 des zwischen vier Versicherungsverbänden abgeschlossenen „Abkommens betreffend Nutzungsverlust" (DTV-Handbuch des Deutschen Transportversicherungsverbandes e. V., Hamburg 1970, S. 274).
Hier heißt es:
Die Vertragsunterzeichner weisen ihre Experten und Sachverständigenvereinigungen an, in der kontradiktorischen Schadenstaxe ausschließlich die Anzahl der für die Behebung der Havarie notwendigen Reparaturtage anzugeben.
Es kann deshalb kein Zweifel gelten, daß Experten, die übereinstimmend eine Anzahl von Reparaturtagen in eine Taxe aufnehmen, den Willen haben, diese Feststellung bindend zu treffen, auch wenn in anderer Beziehung bedeutsame Vorbehalte angefügt werden.
Die Feststellungen in der Schadenstaxe als einem Schiedsgutachten würden ihre Verbindlichkeit für die Parteien allerdings auch verlieren, soweit die Beklagten beweisen würden, daß die Feststellungen offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweichen, also offenbar unrichtig sind (vgl. RGZ 96, 62; HansOLG in Hans RGZ 31, 565; 33, 199; Köln Urteil vom 7. B. 1952). Nach herrschender Auffassung sind auf den Schiedsgutachtenvertrag die §§ 317 bis 319 BGB anzuwenden, wobei es im Ergebnis ohne entscheidende Bedeutung ist, ob dies nur entsprechend oder unmittelbar geschieht (Vgl. Palandt, aa0 zu dd; RGZ 96, 60/61; HansOLG aaO; BGH LM § 317 Nr. 7; RGZ 152, 204; BGHZ 6, 339; a. A. Wassermeyer, Kollisionsprozeß, 4. Aufl., S. 366).
Die Unverbindlichkeit einer Feststellung in einer kontradiktorischen Schadenstaxe ergibt sich jedoch nicht aus jeder Unrichtigkeit. Denn die Schadenstaxe ist nicht, wie es vom Schiffahrtsgericht angenommen wurde, lediglich ein Beweismittel für den Schadensumfang, dem gegenüber neue Tatsachen zum Beweise der Unrichtigkeit unbeschränkt vorgebracht werden dürften. Dies würde dem Sinn und Zweck der Vereinbarung eines Schiedsgutachtens widersprechen (vgl. RGZ 96, 61; HansOLG aa0 1931, 564). In Anwendung des § 319 BGB muß vielmehr der Nachweis einer offenbaren Unrichtigkeit gefordert werden. „Offenbar" aber i. S. dieser Vorschrift ist eine Unrichtigkeit der von Sachverständigen getroffenen Feststellungen nur dann, wenn sie aus sich selbst und so, wie sie angegeben ist, zur Zeit ihrer Vornahme als unrichtig erkennbar ist, diese ihre Eigenschaft offen zutage liegt, in die Augen springt. Es braucht allerdings nicht für jedermann offen zu liegen, es genügt, wenn es dem Sachkundigen gegenüber der Fall ist. Daraus folgt, daß eine Beweiserhebung über die Unrichtigkeit nur insoweit nachgelassen werden kann, als sie eben das Offenliegen mindestens für den Sachkundigen dartun will (RGZ 96, 62; HansOLG aa0 1931, 566). Inwiefern aber bei Erstellung der Taxe für die Gutachter offen zutage gelegen hätte, daß für die Reparatur nicht 5, sondern nur 3 Tage erforderlich sein würden, haben die Beklagten nicht dargetan und unter Beweis gestellt. Ihr Vorbringen mit Bestreiten der Reparaturzeit geht vielmehr nur darauf, die Feststellung der Reparaturtage in der Schadenstaxe als unrichtig zu bekämpfen, nicht die Offenkundigkeit dieser Unrichtigkeit zu erweisen. Dies widerspricht aber der hierüber eingegangenen Beschränkung und der Anerkennung der Maßgeblichkeit der von den bestellten Experten ordnungsgemäß aufgemachten Schadenstaxe und darf deshalb nach der Regelung des § 319 BGB nicht zugelassen werden. Die kontradiktorische Feststellung der Reparaturzeit bleibt deshalb für die Parteien verbindlich.