Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Zu den möglichen Ursachen der Grundberührung eines Schiffes bei Begegnungen zwischen Berg- und Talfahrt, insbesondere zur Frage einer bei Passagen mit anderen Schiffen etwa erforderlichen Geschwindigkeitsbegrenzung zweckes Verhinderung der durch zu hohe Geschwindigkeit bewirkten Absenkung des Wasserspiegels.
Urteil des Oberlandesgerichts - Moselschiffahrtsobergerichts in Köln
vom 3. Oktober 1980
3 U 40/80
(Moselschiffahrtsgericht St. Goar)
Zum Tatbestand:
Bei dem Streit der Parteien handelt es sich um die Folgen einer Grundberührung, die das zu Berg fahrende, der Klägerin gehörende und vom Schiffsführer W. geführte MS W bei der Begegnung mit dem der Beklagten zu 1 gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte MS R in der Moselstauhaltung Enkirch bei km 118,2 hatte und dadurch Schäden von ca. 126000,- DM erlitt.
Sowohl das Moselschiffahrtsgericht als auch das Moselschiffahrtsobergericht hatten die Klage auf Schadensersatz in den Jahren 1976 und 1978 bereits abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hatte der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache durch Urteil vom 10. Dezember 1979 - II ZR 228/78 - an das Moselschiffahrtsobergericht zurückverwiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Moselschiffahrtsobergericht hat die Berufung - nach Ergänzung des Vorbringens durch die Prozeßparteien und nach weiterer Beweiserhebung, u. a. nach einer Versuchsfahrt mit dem MS B, einem Schwesterschiff des MS R - erneut zurückgewiesen.
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Die Klägerin hat nicht den ihr obliegenden Nachweis erbracht, daß der Beklagte zu 2.) als verantwortlicher Schiffsführer der MS R durch eine unzulässig hohe Geschwindigkeit seines Fahrzeugs andere Schiffe gefährdet hat und infolgedessen der Beweis des ersten Anscheins für ein schadensursächliches Verhalten des Beklagten zu 2. spricht, wie das der Bundesgerichtshof in seinem in dieser Sache ergangenen Revisionsurteil mit Bindungswirkung für den Senat aufgezeigt hat.
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Bei der Versuchsfahrt mit MS B hat der Senat mit Hilfe des Sachverständigen S. festgestellt, daß dieses Schiff bei 250 UpM seiner Maschinen eine Geschwindigkeit von 11,61 km/h im Unfallrevier erzielte. Davon haben sich beide Parteien auch überzeugt. Selbst der von der Klägerin herangezogene Privatsachverständige hat erklärt, seine Messungen stimmten mit den Messungen des Sachverständigen S. bis auf geringfügige Nuancen überein.
Da MS B ein Schwesterschiff des heute umgebauten MS R ist, können die vorgenommenen Messungen auf MS R übertragen werden. Hinzu kommt, daß MS B etwa so abgeladen war, wie MS R zur Unfallzeit. Schließlich herrscht zwischen den Parteien auch darüber Einigkeit, daß die Wasserführung der Mosel zur Unfallzeit der des Tages der Versuchsfahrt entsprach. Lagen mithin vergleichbare Verhältnisse vor, können die Ergebnisse der Versuchsfahrt als objektive Anhaltspunkte verwertet werden. Es muß deshalb davon ausgegangen werden, daß MS R ebenso wie MS B bei der Versuchsfahrt zur Unfallzeit bei 250 UpM mit 11,61 km/h zu Tal gefahren ist. Dabei wurde diese Geschwindigkeit durch die Strömungsgeschwindigkeit der Mosel mitbeeinflußt. Da aber die Verhältnisse einander entsprechen, war zur Unfallzeit keine höhere oder geringere Geschwindigkeit bei gleicher Maschinenleistung möglich.
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Weitergehende Schlüsse lassen sich aus diesen Beobachtungen nicht ziehen, insbesondere kann nicht sicher festgestellt werden, MS R sei in der für die Entscheidung wesentlichen Zeit mit einer höheren Umdrehungszahl seiner Maschinen als 250 UpM gefahren. Für seine Entscheidung konnte der Senat daher nur eine Geschwindigkeit des MS R von 11,61 km/h zugrundelegen. Die Geschwindigkeit kann weder als solche, noch nach den Umständen als unzulässig hohe Geschwindigkeit eingeschätzt werden.
Auf der Mosel bestehen grundsätzlich keine Geschwindigkeitsbeschränkungen. Die Schiffsführer von Schiffen auf der Mosel haben ihre Geschwindigkeit jedoch entsprechend der allgemeinen Sorgfaltspflicht (§ 1.04 MoselSchPVO) und der Pflicht zur Vermeidung von Wellenschlag und Sogwirkungen (§ 6.20 MoselSchPVO) einzurichten, damit Schäden auch an in Fahrt befindlichen Fahrzeugen vermieden werden. Darüber hinaus besteht keine allgemeine - weitere - Pflicht, die Geschwindigkeit vgr der Begegnung mit anderen Fahrzeugen herabzusetzen. Eine Pflicht zur Herabsetzung der Geschwindigkeit besteht nur in anderen, hier nicht interessierenden Fällen (§ 6.20 Nr. 1 lit. a.-e. MoselSchPVO).
Das Unfallrevier als solches nötigte nicht zu einer Herabsetzung der Geschwindigkeit unter das übliche Maß. Zwar ist das Fahrwasser in Höhe der Unfallstelle durch Bojen gekennzeichnet, was an sich darauf deutet, daß hier eine Gefahrenstelle besteht. Die Gefahr für die Schiffahrt ergibt sich aber aus der Lage der Fahrrinne in dem kanalisierten Fluß, der im Unfallrevier eine leichte Krümmung aufweist. Ohne Tonnen wäre unklar, ob die Fahrrinne nahe eines Ufers oder in Strommitte verläuft.
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Auch die bevorstehende Begegnung des MS R mit MS W zwang den Beklagten zu 2.) nicht dazu, seine Geschwindigkeit herabzusetzen. Denn die Begegnung erfolgte in einem Teil des Reviers, in dem normale Fahrwasserverhältnisse bestanden. Auch wenn die Schiffe bei der Begegnung einander dicht anhielten, brauchte hieraus auf keine Gefährdung geschlossen werden, weil die fahrbare Breite der Mosel im Unfallrevier mit 42 m recht gering ist, gleichwohl Begegnungen aber bei normaler Geschwindigkeit unbedenklich möglich sind, wie dem Senat aus eigenen Erfahrungen bei seinen Strombereisungen bekannt ist.
Schließlich gibt auch ein zu nahe an den Tonnen verlaufender Kurs des Entgegenkommers einem Schiffsführer keine Veranlassung, nun seinerseits abzustoppen, um den Entgegenkommer nach Möglichkeit keinen zusätzlichen Absenkungen im Zuge des Begegnungsmanövers auszusetzen, da die Pflicht zu einer solchen Rücksichtnahme die allgemeine Sorgfaltspflicht überspannen würde. Vielmehr ist jeder Schiffsführer für den Kurs seines Schiffes verantwortlich und ein Dritter kann annehmen, daß der Gegenfahrer einen Kurs steuert, der für das eigene Schiff unbedenklich ist.
Unter den geschilderten Umständen bleibt noch die Frage offen, ob bereits eine Geschwindigkeit von 11,61 km/h als eine unzulässig hohe Geschwindigkeit bezeichnet werden kann, selbst wenn keine weiteren Umstände hinzutreten.
Diese Frage mußte der Senat verneinen.
Bei seiner Versuchsfahrt mit MS B erschien dem Senat diese Geschwindigkeit keineswegs als übersetzt, sondern als normale Geschwindigkeit. Andere entgegenkommende Schiffe, - insgesamt wurden auf der Versuchsfahrt 4 Begegnungen durchgeführt, - hatten nach dem Augenschein eine etwa gleich hohe Geschwindigkeit.
Auf Befragen hat der Sachverständige S. im übrigen auch die eigene Erfahrung des Senats bestätigt und angegeben, die Geschwindigkeit des MS R sei aus betrieblichen ebenso wie aus nautischen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden.
Die Richtigkeit der eigenen Erfahrungen des Senats gelegentlich von Strombereisungen der Mosel in Verbindung mit den eigenen Feststellungen über die zulässige Fahrgeschwindigkeit bei der Begegnung von Schiffen auf der Mosel werden auch durch die Überlegung bestätigt, daß die Mosel keine taugliche Schiffahrtsstraße wäre, wenn Motorgüterschiffe lediglich mit einer geringeren Umdrehung ihrer Maschinen als 250 UpM, also mit einer knapp über dem Leerlauf drehenden Maschine fahren dürften, zumal die Schiffe dann nur wenig Druck auf dem Ruder hätten und deshalb insbesondere bei Windeinfluß nur schwer auf Kurs zu halten wären.
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Die Heranziehung eines weiteren technischen Sachverständigen oder die Beauftragung eines Obergutachters ist auch nicht um deswillen erforderlich, weil der Sachverständige S. angegeben hat, auf der Mosel bestehe eine Absenkungsgefahr über 50 cm hinaus, wenn die Begegnungsgeschwindigkeit beider begegnender Schiffe addiert 18 km/h oder mehr betrage. Denn der Senat sieht durch das Ergebnis der Versuchsfahrt in diesem Rechtsstreit als bewiesen an, daß diese theoretisch ermittelte Annahme des Sachverständigen S. der Wirklichkeit nicht entspricht. Es kann dahingestellt bleiben, wann kritische Absenkungen von Binnenschiffen bei der Begegnung auf Flüssen mit geringem Querprofil zu erwarten sind. Jedenfalls aber sind nach den Erfahrungen des Senats Absenkungen von 50 cm und mehr nicht zu erwarten, wenn sich Binnenschiffe mit einem gemittelten Tiefgang bis zu 250 cm auf der Mosel bei normaler Geschwindigkeit, die unter 12 km/h liegt, begegnen. Das haben die anläßlich der Versuchsfahrt durchgeführten Begegnungen des MS B mit vier anderen Fahrzeugen, darunter mit einem Schubverband in einer jeden berechtigten Zweifel ausschließenden Weise ergeben.
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Im übrigen hat auch der Sachverständige S. bei seiner Anhörung gelegentlich der mündlichen Verhandlung vom 9. Juni 1980 im Zusammenhang mit den Bedenken gegen den in seinen Angaben liegenden Widerspruch, daß es einerseits seinen Angaben zufolge unbedenklich sei, wenn MS R mit 250 UpM gefahren sei, und andererseits eine Absenkungsgefahr über 50 cm hinaus bestehe, wenn die Begegnungsgeschwindigkeit 18 km/h und mehr betrage, die von ihm als kritisch bezeichnete Begegnungsgeschwindigkeit von 18 km/h relativiert. Er hat erklärt, durch das Hinzutreten dynamischer Kräfte wie abfließendes Schleusenwasser, zufließendes Schleusenwasser, die Heckform des Schiffstyps sowie die Fahrweise des Schiffes in dem jeweiligen Revier könnte die kritische Begegnungsgeschwindigkeit nach oben und auch nach unten relativiert werden. Auch diese Äußerungen des Sachverständigen zeigen, daß die kritische Begegnungsgeschwindigkeit nicht exakt bestimmbar ist und hier jedenfalls nicht erreicht worden ist, wie die Ergebnisse der Probefahrt gezeigt haben.
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Da die Klägerin den Anknüpfungstatbestand für einen Beweis des ersten Anscheins nicht erbracht hat, obliegt ihr der Nachweis für ein schadensursächliches Verschulden des Beklagten zu 2.). Diesen Nachweis hat die Klägerin durch das Ergebnis des Verklarungsverfahrens und die in der Berufungsinstanz durchgeführten Beweisaufnahmen nicht erbracht. ...“