Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Ist ein Ausweichmanöver für den Eintritt eines Schadens zwar ursächlich im Sinne einer conditio sine qua non, steht aber der Schadenseintritt nicht in einem inneren Zusammenhang mit dem Ausweichmanöver, weil er sich als reiner Zufallsschaden darstellt, kann er dem Verursacher „normativ" nicht zugerechnet werden.
Urteil des Oberlandesgerichts (Schiffahrtsobergerichts) Köln
vom 28.7. 1992
3 U 38/92
(Schiffahrtsgericht St. Goar)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Ersatz für Schäden, die an ihrem Koppelverband durch Grundberührung infolge eines Ausweichmanövers bei der Begegnung mit dem MTS der Beklagten im Frankfurter Osthafen entstanden sein sollen.
Das Schiffahrtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hatte Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte scheitern schon daran, daß die behaupteten Schäden dem Fehlverhalten der Besatzung des MTS jedenfalls normativ nicht zugerechnet werden können.
Hatte die Klägerin zunächst noch vorgetragen, daß ihr Koppelverband infolge des Ausweichmanövers nach Steuerbord verfallen sei und dabei Uferberührung erhalten habe, wodurch die Schäden am Propeller und am Ruder eingetreten sein sollen, so hat sie ihren Vortrag geändert, als der Schiffsführer ihres Koppelverbandes bei seiner Vernehmung das Ausweichmanöver in entgegengesetzter Richtung beschrieben hat.
Nach Darstellung des Schiffsführers ist der Koppelverband nach Backbord verfallen und hat dort keinerlei Uferberührung gehabt, er ist vielmehr - nach eigenem Bekunden des Schiffsführers - 20 m vom Ufer weggeblieben.
Hiernach scheidet eine Uferberührung als Ursache der behaupteten Schäden aus. Wie der Zeuge S. von MS „Peter" glaubhaft - und im übrigen von der Klägerin unwidersprochen - bekundet hat, befindet sich auf der Hafenseite nach der hin der Koppelverband sein Ausweichmanöver unternommen hat, eine Kaimauer, die senkrecht abfällt. Nicht weit von dem Ort des Ausweichmanövers entfernt lag im übrigen das 9,50 m breite MS „Peter" an der Kaimauer. Unter diesen Umständen kann eine Festfahrung an der Uferböschung nicht angenommen werden. Die evtl. Untiefe, die Ursache der Grundberührung des Koppelverbandes gewesen sein soll, hat im Gegenteil im allgemeinen Fahrbereich gelegen, den Schiffe zur Einfahrt in den Hafen und zum Verholen benutzen konnten. Der behauptete Schadenseintritt durch die Grundberührung stand damit nicht in einem irgendwie gearteten inneren Zusammenhang mit einer Annäherung an das Ufer. Die behauptete Beschädigung des Koppelverbandes hat aber auch nichts damit zu tun, daß dieser sich bei dem Ausweichmanöver dem Schrottverladeplatz genähert hat. Zwar hat das Schiffahrtsgericht noch angenommen, daß die Schäden durch Schrotteile verursacht worden seien und daß der Koppelverband gerade wegen der durch herumliegende Schrotteile drohenden Gefahren diesen Hafenbereich gemieden hätte, er nicht durch das Ausweichmanöver hierzu gezwungen worden. Dieses Risiko hat sich vorliegend jedoch nicht realisiert. Beide Parteien sind nämlich ausdrücklich darin einig, dass Schrotteile gerade nicht Ursache der Schäden gewesen sind. Hinzu kommt, daß den Ausführungen des sachverständigen Zeugen L. wegen Fehlens von Rost- sonstigen Kratzspuren Schrotteile als Verursacher der konkret festgestellten Schäden ausscheiden.
Ein innerer Zusammenhang zwischen Schadenseintritt und Ausweichmanöver ergibt sich auch nicht daraus, daß die Grundberührung beim Zurückschlagen der Maschine eingetreten sein soll. Abgesehen davon, daß das Zurückschlagen z. B. im Zuge des Verholens im dortigen Hafenbereich ein normaler Vorgang ist, tritt durch das Rückwärtsdrehen der Schraube auch keine Absenkung des Schiffes ein, die etwa das Risiko einer Grundberührung erhöhen könnte. Nach alledem stellt sich die von der Klägerin behauptete Grundberührung mit einer Untiefe, die ihrem Wesen nach überall vorkommen kann, als reiner Zufallsschaden dar, für den das Ausweichmanöver zwar ursächlich im Sinne einer conditio sine qua non war, der aber bei wertender Betrachtung dem Verursacher nicht mehr zugerechnet werden kann. Insofern hat sich nämlich nur ein Risiko realisiert, wie es rein nach Zufallskriterien gestreut überall auch vorkommen kann. Dann hat sich nur das allmeine Lebensrisiko verwirklicht, dessen Eintritt aber nicht mehr unter den Schutzzweck der Norm fällt (vgl. auch Palandt-Heinrichs Vorbem. v. § 249 BGB Rdnr. 62 und 73; MüK-Grundsky vor §249 BGB Rdrn. 43 ff. ).
Da schon aus diesen rechtlichen Erwägungen ein Schadensersatzanspruch der Klägerin ausscheidet, kann letztlich offen bleiben, ob der Klägerin überhaupt der Beweis für ihren Vortrag gelungen ist, der Schaden am Koppelverband sei im Zusammenhang dem Ausweichmanöver im Hafen eingetreten. Insoweit würden sich im übrige Zweifel aufdrängen, weil die Handlungsweise der Besatzung des Koppelverbandes nach dem angeblichen Unfall jede Plausibilität vermissen läßt: Da ersichtlich keine Uferberührung erfolgt war, kam als Schadensursache nur eine unzulässige Untiefe im Hafenbereich in Betracht; dann hätte es sich aber geradezu aufgedrängt - und zwar nicht nur aus Gründen der Gefahrenabwehr für andere Verkehrsteilnehmer, sondern auch um eigene Rechtspositionen geltend zu machen-, nicht bloß den Entgegenkommen verantwortlich zu stellen, sondern insbesondere die vermeintliche Untiefe alsbald gegenüber der Hafenverwaltung zu beanstanden.“
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1993- Nr.8 (Sammlung Seite 1417); ZfB 1993, 1417