Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Behauptet der Talfahrer, der Bergfahrer habe ihm keinen geeigneten Weg freigelassen, muss er diese Behauptung beweisen.
2) Der Bergfahrer hat in eigener Verantwortung zu prüfen, welchen Raum der Talfahrer benötigt, und hat, wenn er das nicht mit Sicherheit feststellen kann, pflichtgemäß soweit wie möglich Platz zu machen, so dass die Begegnung unzweifelhaft ohne Gefahr und Risiko ausgeführt werden kann. Es genügt, wenn der freigelassene Talweg ohne Schwierigkeiten durch beiderseitiges Ausweichen geeignet ist. Anhaltspunkte für das Maß der einzuhaltenden Sorgfalt sind die typischen Kenntnisse und Erfahrungen der Berufsgruppe der Schiffer mit einem hohen Maß an Kenntnissen und beruflicher Verantwortung, die Bewertung ist ex ante aus der Sicht des Schiffsführer anzustellen.
3) Die Prinzipien der sogenannten seemännischen (schiffigen) Übung im Sinne ungeschriebener Sorgfaltsanforderungen kommen nur dort zur Anwendung, wo normierte Sorgfaltsregeln fehlen oder Gefahren auftreten, die in den Regelungen der einschlägigen Schifffahrtsverordnungen keine Berücksichtigung gefunden haben.
4) Jedes Fahrzeug im Revier darf auf ein verkehrsgerechtes Verhalten des Talfahrers vertrauen, solange sich bei sorgfältiger und aufmerksamer Beobachtung für den Bergfahrer keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Talfahrer die Lage nicht meistern kann; nur dann besteht eine Pflicht, sich mit dem Talfahrer über die Art der Begegnung näher abzustimmen. Der Talfahrer hat dann über Funk auf besondere Gefahrenmomente der eigenen Situation, zum Beispiel auf die Instabilität seines Schiffes, hinzuweisen.
5) Ob ein Begegnungsverbot nach § 6.07 Nr. 1 c RhSchPV wegen einer Fahrwasserenge besteht, richtet sich nach den objektiv feststellbaren örtlichen Flussverhältnissen und nicht nach der konkreten Begegnungssituation. Gewährt das Fahrwasser unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten, Breite der Fahrrinne, bauliche Anlagen, vorhandene Wracks oder behördliche Anordnungen hinreichenden Raum für die Vorbeifahrt, liegt keine Fahrwasserenge vor. Der Begriff »Fahrwasser« beschreibt die Breite des
Flusses, in welchem der Wasserstand eine gefahrlose Befahrung gestattet, der Begriff »Fahrrinne« ist der durch Markierungen für die Befahrung amtlich freigegebene Fahrweg.
6) Relativ geringfügige Pflichtverletzungen der Schiffsführung eines an einer Havarie beteiligten Schiffes können ausnahmsweise soweit zurücktreten, dass im Rahmen des § 92 c BinSchG keine Haftungsquote auszusprechen ist, das andere Schiff also zu 100 % haftet.
7) Auf das Versicherungsverhältnis einer Schiffsversicherung zwischen einem deutschen Versicherungsnehmer und einem englischen Versicherer findet das englische Recht Anwendung; danach bleibt der Versicherungsnehmer Inhaber des Anspruches gegen den Schädiger auch dann, wenn der Versicherer eine Entschädigung geleistet hat; der Versicherer bleibt aufgrund »subrogation« neben dem Versicherungsnehmer berechtigt, an dessen Stelle und in dessen Namen dessen Rechte geltend zu machen.
Urteil des Rheinschiffahrtsobergerichtes Köln
vom 20. März 2018,
Az.: 3 U 209/13 BSchRh
(Rheinschiffahrtsgericht St. Goar, Az.: 4 C
8/12 BSch, ZfB 2013, Sammlung Seite 2251 ff)
In der Rheinschifffahrtssache hat das Rheinschifffahrtsobergericht Köln ... für Recht erkannt:
Aus den Gründen:
I. Die Parteien streiten um die Ursachen und Folgen der Havarie des Tankmotorschiffes »Waldhof« (im Weiteren: TMS »Waldhof«), welche sich am 13.01.2011 auf dem Rhein im Bereich des sog. »Betteck« ereignet hat. Die Klägerin war zum Unfallzeitpunkt Eigentümerin des TMS »Waldhof«. Die Beklagten zu 1) und 2) waren Schiffseigner, der mit der Berufung nicht mehr in Anspruch genommene Beklagte zu 3) war Schiffsführer des Großmotorgüterschiffes »Acropolis« (im Weiteren: GMS »Acropolis«) ...
Am 13.01.2011 stand der Pegel bei Kaub bei 5,72 m und damit um 1,12 m über der Hochwassermarke I. In den frühen Morgenstunden kam es oberhalb der Signalstelle »Am Betteck« (Rhein-km 553,40 – 553,50) bei hochwasserbedingter erhöhter Fließgeschwindigkeit des Rheins zur Begegnung des TMS »Waldhof« als Talfahrer und des GMS »Acropolis« als Bergfahrer. In diesem Bereich befinden sich entsprechend der Anlage 8 zur Rheinschifffahrtspolizeiverordnung (im Weiteren: RheinSchPV) zur Bezeichnung der Fahrrinne auf der rechten Seite der Talfahrt eine rote und auf der linken Seite eine grüne Tonne. Offen ist, ob die beiden Schiffe vorher untereinander Funkkontakt hatten. Der Schiffsführer des GMS »Acropolis« wusste bei Annäherung an das »Betteck« aufgrund der Warntafeln (sog. Wahrschau), dass ihm ein Schiff mit einer Länge von weniger als 110 m entgegenkam. Gegen 04.40 Uhr – die genaue Uhrzeit ist zwischen den Parteien umstritten – kenterte das TMS »Waldhof« über Steuerbord im zeitlich unmittelbaren Anschluss an die Begegnung der beiden Schiffe bei Rhein-Km 553,75 – auch hier ist der genaue Ort zwischen den Parteien umstritten – und trieb mit dem Kiel nach oben weiter zu Tal, kollidierte anschließend bei Rhein-Km 554,55 mit dem bergfahrenden TMS »Theodorus Johann«, bis es dann kurz unterhalb des Loreleyhafens bei Rhein-Km 555,33 auf der Backbordseite Bug zu Tal auf Grund zum Liegen kam. Das Besatzungsmitglied C kam durch das Unfallgeschehen ums Leben, der Schiffsführer D wird bis heute vermisst.
Das TMS »Waldhof« war zum Unfallzeitpunkt mit 2.377,988 t Schwefelsäure beladen, alle 7 Ladetanks waren gleichmäßig bis etwa zur Hälfte auf eine Abladetiefe von gemittelt 3,15 m befüllt. Nach späteren Berechnungen waren durch die Art der Beladung die von den Europäischen Übereinkommen über den Transport von Gefahrgütern auf dem Rhein – ADNR 2003 und ADN 2011 – aufgestellten Stabilitätskriterien nicht erfüllt, das Schiff war mit 633 t überladen. Das Amtsgericht – Rheinschifffahrtsgericht – St. Goar, auf dessen Tatbestand wegen des weiteren Sachverhalts Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen. Im Rahmen der dem Urteil vorangegangenen mündlichen Verhandlung hatten die Parteien Einigkeit darüber erzielt, dass der Abschlussbericht der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (im Weiteren: WSV) vom 08.01.2013 sowie das Parteigutachten des Development Centre for Ship Technology and Transport Systems (im Weiteren: DST) aus März 2012 über das Unfallereignis verwertet werden können ...
Zur Begründung hat das Rheinschifffahrtsgericht ausgeführt:
Nach den Ergebnissen der Untersuchungskommission der WSV stelle die Begegnung mit dem GMS »Acropolis« nur einen möglichen Faktor dar, der für die Kenterung des TMS »Waldhof« verantwortlich gewesen sein könne. Für die Havarie ursächlich seien im Wesentlichen die Instabilität des Schiffes wegen der vorschriftswidrigen Beladung und die hohen Querbeschleunigungen aufgrund der Kurvenfahrt gewesen. Zudem seien die bei Rhein-Km 553,7 im Bereich der roten Fahrrinnenbegrenzungstonne existierenden Querströmungen mit den dabei verbundenen krängenden Momenten in Richtung Steuerbord zu beachten. Die Behauptung der Klägerin, das TMS »Waldhof« wäre ohne die Begegnung einen anderen Kurs gefahren, der nicht zum Kentern geführt hätte, stelle lediglich eine durch nichts belegte Behauptung dar. Es fehle aber auch am Merkmal der objektiven Zurechenbarkeit, weil für den Schiffsführer des GMS «Acropolis« nicht habe erkennbar sein können, dass ihm ein extrem instabiles Schiff entgegen komme. Schließlich scheitere eine kausale Verknüpfung zwischen der Begegnung und der Havarie auch daran, dass alle durch die Untersuchungskommission mittels des Schiffssimulators durchgeführten Fahrten ergeben hätten, dass eine solche Begegnung für ein intaktes und stabiles Schiff problemlos durchführbar gewesen wäre. Insbesondere hätte ein Vergleich mit in den 52 Stunden vor der Havarie das »Betteck« passierenden Schiffen erwiesen, dass ein Anfahren der grünen Tonne im Abstand von 15 bis 20 m für eine gefahrlose Passage durch einen Talfahrer nicht erforderlich sei. Darüber hinaus sei aber auch kein schuldhaftes Verhalten der Schiffsbesatzung von GMS »Acropolis« erkennbar. Insbesondere habe dieses einen hinreichenden Raum für eine sichere Begegnung i.S.d. §§ 6.03 und 6.04 RheinSchPV gelassen, weil die grüne Tonne mit einem Abstand von 10 bis 15 m angefahren worden sei. Überdies handele es sich bei dem »Betteck« nicht um eine Engstelle i.S.d. § 6.07 RheinSchPV, ein behördlich angeordnetes Begegnungsverbot habe es nicht gegeben. Schließlich sei die Besatzung des GMS »Acropolis« auch den erhöhten Anforderungen an die nautische Sorgfaltspflicht gem. § 1.04 Rhein-SchPV gerecht geworden. Denn diese habe lediglich Kenntnis von dem Entgegenkommen eines Schiffes mit einer Länge unter 110 m gehabt, nicht hingegen von der Instabilität des TMS »Waldhof«. Das GMS »Acropolis« habe daher nicht mit einer problematischen Begegnung rechnen müssen, zumal das TMS »Waldhof« wegen des Hochwassers gem. § 10.01 Nr.1 RheinSchPV ohnehin die grüne Tonne am linken Rheinufer im Bereich des »Betteck« nicht habe anhalten dürfen. Demgegenüber habe die Besatzung des TMS »Waldhof« – wie sich aus diversen Zeugenaussagen ergebe – durchaus von der kritischen Lage ihres Schiffes gewusst und daher auch diese Kenntnis über Funk an die Besatzung des GMS »Acropolis« weiter geben müssen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Klägerin vollumfänglich mit ihrer Berufung, mit der sie ihren Klageantrag uneingeschränkt weiterverfolgt ...
Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des am 24.10.2013 verkündeten und im Tatbestand durch Beschluss vom 28.11.2013 teilweise berichtigten Urteils des Amtsgerichts – Rheinschifffahrtsgerichts – St. Goar – Az. 4 C 8/12 BSchRH – die Beklagten zu 1) und 2) zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag im Wert von 1.349.300,00 Sonderziehungsrechte, umgerechnet in Euro entsprechend dem Wert des Sonderziehungsrechtes am Tag des Urteils, nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.01.2011 zu zahlen. Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen ...
II. Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Klägerin steht gegenüber den Beklagten ein Schadensersatzanspruch gem. §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6.03, 6.04, 6.07 Nr. 1 c), 10.1. Nr. 1 c) bzw. § 1.04 RheinSchPV, § 92b BinSchG nicht zu.
Durch das Kentern des GMS »Waldhof« ist zum einen das Eigentum der Klägerin verletzt worden, zum anderen sind Vermögensschäden in Form der von ihr zu tragenden Kosten für die Sicherung des Unfallortes sowie Erstattungspflichten gegenüber weiteren Geschädigten entstanden.
Die Klägerin dürfte im Hinblick auf den durch diese Rechtsgutsverletzung entstandenen Schaden trotz der durch ihre Versicherung teilweise erfolgten Ausgleichszahlungen weiterhin uneingeschränkt zur Geltendmachung der Ansprüche im eigenen Namen aktivlegi-
timiert sein. Hierfür spricht, dass sie anhand der einschlägigen Versicherungsbedingungen nachvollziehbar dargelegt hat, dass nach dem auf ihr Versicherungsverhältnis anzuwendenden englischen Recht der Anspruch durch die erfolgte Zahlung nicht auf die Haftpflichtversicherung übergegangen, sondern die Klägerin als Versicherungsnehmerin materiell Inhaberin des Anspruches geblieben ist. Der Versicherer sei allerdings aufgrund des – von ihm vorliegend nicht geltend gemachten – Rechts auf »Subrogation« neben dem Versicherten berechtigt, an dessen Stelle und in dessen Namen dessen Rechte geltend zu machen. Dieses Recht tritt allerdings nur neben das Recht des Versicherungsnehmers und lässt dieses an sich unberührt (OLG Düsseldorf, Urt. v. 07.10.1991 – 1 U 89/90, NZV 1992, 447).
Im Ergebnis kann die Frage der Aktivlegitimation der Klägerin dahinstehen. Denn ein Schadensersatzanspruch der Klägerin besteht nicht. Der Schiffsführung des GMS »Acropolis« ist – auch unter dem Gesichtspunkt der bloßen Mitverursachung oder des Mitverschuldens – keine schuldhafte, den Beklagten zu 1) und 2) als Schiffseigner gem. § 92b BinSchG zuzurechnende, Pflichtverletzung anzulasten, die zur streitgegenständlichen Havarie geführt hat.
Es liegt weder ein Verstoß gegen eine gesetzliche Wartepflicht unterhalb des »Betteck« noch eine Sorgfaltspflichtverletzung in der Begegnung vor. Auch aus den allgemeinen nautischen Sorgfaltsanforderungen aufgrund der konkreten Umstände ergibt sich eine Wartepflicht nicht.
Zum Zeitpunkt der Havarie bestand keine generelle gesetzliche Wartepflicht. Anders als die heute geltende – und nach der Havarie des TMS »Waldhof« aufgrund der Untersuchungen des WSV eingeführte – Regelung des § 12.03 Nr. 3 RheinSchPV, welche bei Überschreitung der Hochwassermarke I für alle Fahrzeuge am »Betteck« ein generelles Begegnungsverbot vorschreibt, sah die zum Unfallzeitpunkt geltende Vorschrift des § 9.08 RheinSchPV (hier wie im Folgenden beziehen sich alle zitierten Normen auf die zum Unfallzeitpunkt geltende Fassung) eine Wartepflicht für Bergfahrer nur für den Fall vor, dass nachts die Wahrschau außer Betrieb war. Da die am »Betteck« vorhandenen Warntafeln aber zum Zeitpunkt der Begegnung der beiden Schiffe unstreitig funktionierten, lagen mithin die Voraussetzungen für ein gesetzliches Begegnungsverbot nicht vor ...
Ferner liegt auch keine Verletzung der sich aus der konkreten Begegnungssituation ergebenden nautischen Sorgfaltspflichten i.S.d. §§ 1.04, 6.03 Nr. 1, 6.04 Nr. 1 RheinSchPV durch die Schiffsführung des GMS »Acropolis« vor. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Schiffsführung des GMS »Acropolis« dem TMS »Waldhof« keinen geeigneten Weg in der Talfahrt gelassen hat.
Nach § 6.03 Nr. 1 RheinSchPV ist das Begegnen nur gestattet, wenn das Fahrwasser unter Berücksichtigung aller örtlichen Umstände und des übrigen Verkehrs hinreichenden Raum für die Vorbeifahrt gewährt. Die Rechtsprechung versteht dabei – wie bereits dargelegt – unter Fahrwasser i.S.d. § 6.04 Nr. 1 RheinSchPV den nach dem jeweiligen Wasserstand für die durchgehende Schifffahrt bestimmten Teil des Stromes (Bemm/v. Waldstein a.a.O. § 6.03 Rn. 13). § 6.04 RheinSchPV normiert überdies die Pflicht der Bergfahrer, den Talfahrern unter Berücksichtigung der genannten Umstände einen geeigneten Weg freizulassen. Darüber hinaus besteht das Gebot zur Einhaltung der allgemeinen nautischen Sorgfaltspflicht gem. § 1.04 Rhein-SchPV. Dies erfordert, dass der Bergfahrer bei der Begegnungsfahrt durch seine konkrete Fahrweise dem Talfahrer eine gefahrlose Begegnung ermöglicht, insbesondere, indem er diesem unter Berücksichtigung des übrigen Verkehrs und der sonstigen Umstände hinreichenden Raum lässt.Hinreichender Raum für eine Vorbeifahrt ist vorhanden, wenn nach den örtlichen Verhältnissen eine Begegnung unzweifelhaft ohne Gefahr für die beteiligten Fahrzeuge oder Dritte ausgeführt werden kann. Die gegenseitigen Kurse müssen bei dem Manöver jedes Risiko aus-schließen. Spätere fehlerhafte Kurse sind für die Annahme hinreichenden Raums ohne Bedeutung (Bemm/v. Waldstein a.a.O. § 6.03 Rn. 18). Dabei hat der Bergfahrer in eigener Verantwortung zu prüfen, welchen Raum der Talfahrer benötigt und hat, wenn er das nicht mit Sicherheit feststellen kann, pflichtgemäß so weit wie möglich Platz zu machen (BGH, Urt. v. 22.01.1976 – II ZR 71/74 – ZfB 1976, Sammlung Seite 532 ff, VersR 1976, 487; Bemm/v. Waldstein a.a.O. § 6.04 Rn. 13). Bei der Begegnung genügt nicht schon ein hinreichender Raum bei der Vorbeifahrt, sondern es muss dem Gegenfahrer objektiv ein geeigneter Weg freigelassen werden. Es genügt, wenn der Weg ohne Schwierigkeiten durch beiderseitiges Ausweichen geeignet ist. Dieser Weg muss risikolos befahrbar sein. Die Sorgfalt eines ordentlichen Schiffers erfordert es bei Nacht und in einer Stromkrümmung, den erschwerten Sichtverhältnissen dadurch Rechnung zu tragen, dass er auch selbst rechtzeitig entsprechend seiner Weisung den Fahrweg ein-schlägt, der ein gefahrloses Passieren ermöglicht (Bemm/v. Waldstein a.a.O. § 6.04 Rn. 14, 18; BGH, Urt. v. 16.12.1968 – II ZR 141/67, ZfB 1969, Sammlung Seite 68 f, VersR 1961, 1132). Andererseits darf jeder Schiffsführer aber auch davon ausgehen, dass sich die anderen Schiffe ordnungsgemäß verhalten (Bemm/v. Walstein a.a.O. Rn. 14). Dieser Vertrauensgrundsatz findet nur dann keine Anwendung, wenn ein Fehler des anderen nach nautischer Erfahrung zu erwarten ist (BGH, Urt. v. 26.10.1970 – II ZR 125/69, ZfB 1971, Sammlung Seite 187 f, VersR 1966, 682). Es ist immer der Weg mit dem geringsten Risiko zu wählen (BGH, Urt. v. 28.10.1965 – II ZR 218/63, VersR 1966, 77). Behauptet der Talfahrer, der Bergfahrer habe ihm keinen geeigneten Weg freigelassen, muss er diese Behauptung nach allgemeinen Grundsätzen beweisen (Bemm/v. Waldstein a.a.O. § 6.04 Rn. 60 m.w.N.). Anhaltspunkte für das Maß der einzuhaltenden Sorgfalt sind die typischen Kenntnisse und Erfahrungen der Berufsgruppe (BGH VersR 1974, 656). Es wird ein hohes Maß an Kenntnissen und beruflicher Verantwortung verlangt. Dabei kommt es auf die ex-ante Betrachtung aus Sicht des Schiffsführers an (Bemm/v. Waldstein a.a.O. § 1.04 Rn.4).
Die Schiffsführung des GMS »Acropolis« hat dem TMS »Waldhof« einen den Anforderungen des § 6.03 RheinSch-PV entsprechenden geeigneten Weg zur Vorbeifahrt gewährt ...Die Klägerin hat zwar behauptet, dass das GMS »Acropolis« dem TMS »Waldhof« die Begegnung und damit einen »Kurs« aufgezwungen habe, der es zu weit von der grünen Tonne weggebracht und damit in den Prallhang gedrängt habe, woraus es sich – auch bei ordnungsgemäßer Beladung – nicht mehr habe befreien können. Diese Annahme wurde hingegen durch keine der vorliegenden gutachterlichen Stellungnahmen bestätigt.
Bereits die Untersuchungskommission der WSV hatte in ihrem Abschlussbericht vom 03.12.2012 anhand der Radaraufzeichnungen und der sich hieraus ergebenden Schleppkurve festgestellt, dass das GMS »Acropolis« die grüne Fahrrinnentonne bei Rhein-km 553,5 »hart« angefahren hat und im Verlauf der Begegnung dicht am linken Fahrrinnenrand gefahren ist. Auch der Sachverständige E schätzte in einer gutachterlichen Stellungnahme vom 06.12.2011 das Fahrverhalten des GMS »Acropolis« als beanstandungsfrei ein. Diese Feststellungen sind durch das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen F bestätigt worden, der auch hier aufgrund der Auswertung der Radarbilder in überzeugender Weise die »Kurse« und Abstände der Schiffe in der Begegnungssituation bestimmt hat. Danach hat das GMS »Acro-polis« die grüne Tonne in einem Abstand von nur 12 bis 14 m bzw. 12 bis 16 m passiert, was, soweit erkennbar, von der Klägerin zuletzt auch nicht mehr bestritten wurde ... Im Hinblick darauf stellt auch die Klägerin im Ergebnis fest, dass das GMS »Acropolis« dem TMS »Waldhof« in der Nachbetrachtung eine ausreichende Fahrrinnenbreite und damit einen geeigneten Weg freigelassen hat. Zugleich entsprach die Fahrweise der beiden Schiffe im Übrigen auch den Vorgaben des § 10.1 a) und c) RheinSchPV, wonach bei Hochwasser der Marke I zwischen Lorch (km 540,20) und St. Goar (km 556,00) die Bergfahrt das mittlere Drittel des Stromes, aber so weit zum linken Ufer einzuhalten hatte, dass die Begegnung mit der Talfahrt ohne Gefahr Backbord an Backbord stattfinden konnte, während die Talfahrt die Mitte des Stromes ansteuern sollte ...
Ein Verstoß gegen § 1.04 RheinSchPV ergibt sich auch nicht, weil die Schiffsführung des GMS »Acropolis« es überhaupt zu einer Begegnung im Bereich des »Betteck« hat kommen lassen und nicht unterhalb des »Betteck« die Talfahrt abgewartet hat.
Grundsätzlich kann zwar auch eine – sich aus der Sorgfaltspflicht ergebende – Wartepflicht in Betracht kommen. Dies gilt selbst dann, wenn in der Begegnungssituation kein Sorgfaltspflichtverstoß begangen wurde. Auch wenn der Bergfahrer dem Talfahrer vor, während und nach der Begegnung den bestmöglichen Weg gelassen hat, kann allein durch die Begegnung als solche für den Talfahrer eine Situation entstehen, die einen eigenen gefahrlosen Weg verhindert oder jedenfalls einschränkt. Eine solche Wartepflicht begründet die allgemeine nautische Sorgfaltspflicht jedoch nur dann, wenn für einen verständigen Schiffsführer in der Situation des GMS »Acropolis« unter den zum Schadenszeitpunkt bestehenden Gegebenheiten eine solche besondere Gefahrensituation zu einem Zeitpunkt erkennbar war, zu dem der gebotenen Wartepflicht entsprochen werden konnte.
Allein die vorliegenden Umstände der Begegnungssituation als solcher – Hochwasser zwischen den Hochwassermarken I und II und der damit einhergehenden höheren Fließgeschwindigkeit im Bereich der starken, gebirgigen Flussbiegung; Dunkelheit und Regen; Größe der sich begegnenden Schiffe – begründen aus objektiver Sicht keine Wartepflicht, die mitursächlich für die Havarie des TMS »Waldhof« gewesen sein könnte. Denn diese äußeren Gegebenheiten sowie der dynamische Begegnungsverlauf, d.h. der durch die Begegnung bedingte Kurs der Schiffe, werden bereitsvon der gesetzlichen Wahrschauregelung berücksichtigt. Sie können nicht bei grundsätzlich zulässiger Begegnungsfahrt nach § 9.08 RheinSchPV gleichzeitig eine Wartepflicht kraft allgemeiner nautischer Sorgfaltspflicht begründen ...
Selbst wenn man das Bestehen einer derartigen Praxis in der tatsächlichen Handhabung unterstellen würde, begründete ein hiervon abweichendes Verhalten aber noch keine schuldhafte Pflichtverletzung. Denn die Prinzipien der sog. seemännischen Übung im Sinne ungeschriebener Sorgfaltsanforderungen kommen nur dort zur Anwendung, wo normier-te Sorgfaltsregelungen fehlen bzw. wo Gefahren auftreten, die in den Regelungen der einschlägigen Schifffahrtsverordnungen keine Berücksichtigung gefunden haben (vgl. hierzu etwa: BGH, Urt. v. 04.03.1991 – II ZR 51/90; Rheinschifffahrtsobergericht Karlsruhe, Urt. v. 29.06.1994 – U 13/92 RhSch, ZfB 1995, Sammlung Seite 1563 ff) ...
Für die Begegnung am »Betteck« zur Nachtzeit und bei Hochwasser bis zur Marke I war im Zeitpunkt der Havarie gerade in § 9.08 RheinSchPV eine ausdrückliche Regelung vorhanden, die – auch zur Nachtzeit – kein Begegnungsverbot vorsah. Diese ist durch Gesetzesänderung von 01.04.2001 eingeführt worden. Nach der Regelung des § 9.08 RheinSchPV und der dort in Bezug genommenen Wahrschau-Anlage oblag es vorliegend der Bergfahrt, den eigenen Kurs und die Geschwindigkeit auf die ihm entgegenkommenden Talfahrer einzurichten.
Auch die Tatsache, dass die Diskussion um eine – erneute – Änderung der gesetzlichen Regelung erst im Zusammenhang mit der vorliegenden Havarie erfolgte, spricht ebenfalls dafür, dass die Begegnung zweier Schiffe am »Betteck« bis dahin an sich, d.h. bei fehlerfreier Fahrweise beider Schiffe dieser Größenordnung und bei diesen Wasserständen, nicht als derart gefahrenträchtig angesehen wurde, dass ein grundsätzliches Begegnungsverbot kraft Übung anzunehmen war ...
Ein erhöhtes Gefahrenpotential mag sich zwar aus der Instabilität des TMS »Waldhof« ergeben haben, die zu einer eingeschränkten Manövrierfähigkeit des Schiffes führte. Denn die Beladung des Schiffes widersprach nach den Feststellungen des Untersuchungsberichtes der WSV vom 03.12.2012 in gravierender Weise den Vorgaben der ADNR 2003 sowie der ADN 2011 und damit den sich aus § 1.07 Nr. 3 RheinSchPV insoweit ergebenden Sorgfaltspflichten. Danach war das TMS »Waldhof« im Unfallzeitpunkt mit 2.377,988 t Schwefelsäure beladen, alle 7 Ladetanks waren gleichmäßig bis etwa zur Hälfte befüllt worden und zwar auf eine Abladetiefe von gemittelt 3,15 m; außerdem lag eine Überladung mit 633 t vor. Die große, durch freie Oberflächen bedingte Höhe des Gewichtsschwerpunktes führte zur Entstehung nicht unerheblicher krängender Kräfte und damit zur erheblichen Beeinträchtigung der Schwimmstabilität. Der Sachverständige E hatte darüber hinaus bereits in seinem Gutachten vom 20.05.2011 festgestellt, dass das Schiff aus diesem Grunde bereits nach der Beladung eine Schlagseite nach Steuerbord aufwies. Die krängenden Kräfte wurden dadurch, dass die Tanks miteinander verbunden waren, in einer Kurvenfahrt noch verstärkt.
Allerdings konnte die Besatzung der GMS »Acropolis« aufgrund des Vertrauensgrundsatzes von einer ordnungsgemäßen Beladung und auch ansonsten von einem pflichtgemäßen Verhalten des TMS »Waldhof« ausgehen ...
In der Gesamtschau ergibt sich mithin, dass für die Schiffsführung des GMS »Acropolis« wegen der generellen Erlaubnis zur Begegnung am »Betteck« auch in der konkreten Hochwassersituation, wegen der Einmaligkeit des vorliegenden Geschehens sowie der fehlenden Hinweise auf die konkrete Gefährdungssituation, die in der enormen Instabilität des TMS »Waldhof« bestand, keinerlei Anhaltspunkte darüber vorlagen, dass für diesen eine gefahrlose Passage nur bei einem gänzlichen Verzicht auf die Begegnung möglich ge-
wesen wäre.
Damit kann auch dahinstehen, ob angesichts der massiven Pflichtverstöße der Schiffsführung des TMS »Waldhof« in Form der gravierend fehlerhaften Beladung i.S.d. § 1.07 Nr. 3 RheinSchPV – von der die Klägerin auf der Grundlage des WSV-Berichts und des Gutachtens des Sachverständigen E selbst ausgeht – sowie der unterbliebenen Warnung des übrigen Schiffsverkehrs über die erhebliche Instabilität des Schiffes auch im Lichte des hier für eine mögliche Haftungsverteilung allein zur Anwendung kommenden § 92c BinSchG ausnahmsweise die demgegenüber, wenn man denn überhaupt eine solche annehmen wollte, allenfalls relativ geringfügige Pflichtverletzung der Schiffsführung des GMS »Acropolis« so weit zurücktritt, dass eine Haftungsquote nicht auszusprechen wäre (vgl. hierzu etwa: Rheinschifffahrtsobergericht Karlsruhe, Urt. v. 31.01.2003 – 23 U 9/02 RhSch, ZfB 2003, Sammlung Seite 1888 f) ...
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2018 - Nr.5 (Sammlung Seite 2522 ff.); ZfB 2018, 2522 ff.