Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Zur Sogwirkung überholender Schiffe.
2) Der für eine Verurteilung des überholenden Schiffes erforderliche ursächliche Zusammenhang ist nicht schon hergestellt, wenn feststeht, daß das überholte Schiff vom überholenden angesaugt worden ist. Die Feststellung eines Verstoßes setzt voraus, daß die Sogwirkung so stark war, daß sie auf dem überholten Schiff durch die Stellung des Ruders nicht ausgeglichen werden konnte.
Urteil des Oberlandesgerichts Rheinschiffahrtsobergerichts Köln
vom 20. Dezember 1966
3 U 176/66
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Der dem Kläger gehörende, auf zweiter und letzter Länge eines Bergschleppzuges fahrende Kahn N (959 t) wurde bei Schierstein von dem dem Beklagten zu 1 gehörenden, vom Beklagten zu 2 geführten MS L (1331 t, 750 PS) backbords mit fast voller Kraft überholt. N lief hierbei nach Backbord aus dem Ruder und stieg gegen die Räume 8 und 9 von L. Beide Schiffe wurden beschädigt. Über den seitlichen Abstand bei der Überholung besteht Streit; nach der Behauptung des Klägers hat er 10 bis 15 m, nach der Behauptung des Beklagten 40 bis 50 m betragen.
Die Klage, die auf den angeblich zu geringen seitlichen Abstand und die dadurch verursachte Sogwirkung, mithin auf schuldhaft fehlerhafte Überholung gestützt wurde, ist vom Rheinschiffahrtsgericht abgewiesen worden. Die Berufung blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Ein Schiff, das ein anderes überholt, kann dabei gegen § 4 RhSchPVO dadurch verstoßen, daß es zu nahe an dieses heranführt. In einem solchen Falle kann das überholte Schiff in den Sog des überholenden geraten und unter dem Einflug dieser Sogwirkung auf dieses zulaufen. Die Feststellung eines Verstoßes der Führung des überholenden Schiffes gegen § 4 RhSchPVO setzt aber voraus, daß die Sogwirkung so stark war, daß sie auf dem überholten Schiff durch die Stellung des Ruders nicht ausgeglichen und aufgehoben werden konnte. Dies ist nämlich oft möglich, da der geschilderte Sog erst bei einer Überholung in sehr geringem seitlichem Abstande so stark werden kann, daß er durch die Ruderführung des überholten Schiffes nicht mehr auszugleichen ist. Streiten deshalb die Parteien darüber, ob eine Schiffskollision die Folge der Sogwirkung einer Überholung war, so ist der für eine Verurteilung des überholenden Schiffes erforderliche ursächliche Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen nicht schon dann hergestellt, wenn feststeht, daß das überholte Schiff vom überholenden angesaugt worden ist. Hinzukommen muß die weitere Feststellung, die Sogwirkung sei so intensiv gewesen, daß sie durch die Führung des Ruders des überholten Schiffes nicht habe ausgeglichen werden können. Erst dann ist der festgestellte ursächliche Zusammenhang zwischen Überholung und Kollision adäquat, d. h., er liegt im Rahmen des nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge zu erwartenden, und es ist dem Überholenden zuzumuten, für den damit verbundenen - voraussehbaren - Schaden einzustehen.
Bei der Feststellung des erörterten adäquaten Kausalzusammenhanges im einzelnen Falle kommt dem Seitenabstand zwischen den in die Überholung einbezogenen Einheiten große Bedeutung zu. Die Sogwirkung ist um so größer, je geringer der Abstand ist. Andere zu berücksichtigende Faktoren sind z. B.: Die bei der Überholung ausgenutzte Motorstärke des überholenden Schiffes, die Geschwindigkeit beider Einheiten, ihre Abladung, der Umstand, ob ein Motorschiff oder ein Kahn überholt wird, die von den übrigen Schiffen im Revier ausgehende Bewegung des Wassers, die Intensität der Strömung des Wassers, die Nähe des Ufers.
Der Schiffer A. des vor N auf erster Länge schleppenden Kahnes E hat den Abstand auf 20 bis 30 m geschätzt. Diese Schätzung eines am Ausgang des Rechtsstreites nicht interessierten Zeugen dürfte die zuverlässigste sein. Der Senat macht sie deshalb zur Grundlage seiner Entscheidung. Die unstreitige Tatsache, daß N, während er backbords überholt wurde, nach dieser Seite aus dem Ruder lief, spricht für den Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen.
Es kommt entscheidend darauf an, ob Umstände feststellbar sind, die mit genügender Sicherheit zeigen, daß die von L ausgegangene Sogwirkung durch die Führung des Ruders von N nicht ausgeglichen werden konnte. Solche Umstände fehlen. In Betracht käme die Maschinenstärke von L (750 PS), die während der Überholung fast voll ausgenutzt worden ist. Weiter ist in Betracht zu ziehen, daß N ein Kahn ist, also keine Schiffsschraube den Wasserdruck auf sein Ruder verstärkte. Beide Umstände zwingen aber nicht zu der Schlußfolgerung, die Sogwirkung von L sei unwiderstehlich gewesen. Bei einem Seitenabstand von 20 bis 30 m ist nicht mit Sicherheit auszuschließen, daß sie durch die Ruderführung von N hätte ausgeglichen werden können, daß man hier aber etwas versehen hat. Der Senat ist deshalb nicht davon überzeugt, daß zwischen dem Sog und der Kollision ein adäquater Kausalzusammenhang besteht."