Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Genügt der Führer einer Fähre den ihm nach § 6.23 Nr. 1 RheinSchPVO obliegenden, auch gegenüber Sportbooten bestehenden Sorgfaltspflichten, kann er darauf vertrauen, daß ein Sportbootführer seinen Pflichten nach § 6.02 Nr. 1 RheinSchPVO genügt. Fährt der Sportbootführer nautisch falsch und verstößt der dadurch gegen das Gebot, den übrigen Fahrzeugen den notwendigen Raum zu lassen, trifft ihn das alleinige Verschulden an einem Unfall.
Urteil des Oberlandesgerichts (Rheinschiffahrtsobergerichts) Köln
vom 12.6. 1992
3 U 175/91
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin ist Eigentümerin der Personenfähre S, die auf dem Rheinstrom in Ortslage Köln unterhalb der Hohenzollernbrücke etwa bei Rheinstrom-km 688,6/688,7 für den Fährverkehr zwischen dem Kölner Ufer und dem Deutzer Messeufer eingesetzt ist.
Am 30. September 1990 hatte die Fähre auf der Kölner Seite Fahrgäste aufgenommen und schickte sich gegen 16.30 Uhr an, die Fahrt zum Deutzer Ufer aufzunehmen. Zu dieser Zeit näherte sich talfahrend die Motoryacht B des Beklagten. Die Fähre und das vom Beklagten geführte Sportboot kollidierten, beide wurden beschädigt.
Eine dem Beklagten um 18.23 Uhr entnommene Blutprobe ergab einen Blutalkoholmittelwert von 0,95 Promille.
Die Klägerin hat geltend gemacht: Als die Fähre zum Übersetzen angesetzt gehabt habe, sei das Boot des Beklagten noch so weit entfernt gewesen, daß die mit einer Geschwindigkeit von etwa 20 km/h fahrende Fähre gefahrlos den Strom hätte kreuzen können. Als der Schiffsführer der Fähre bereits am linksrheinischen Brückenpfeiler der Hohenzollernbrücke vorbeigewesen sei, habe die Entfernung zwischen Fährschiff und Sportboot noch ca. 400 m betragen. Bei unverändertem Kurs habe das Sportboot die Fähre ohne weiteres am Heck passieren können. Unverständlicherweise habe aber der Beklagte, als beide Boote zueinander noch einen Abstand von etwa 170 m gehabt hätten, eine Kursänderung nach Steuerbord vollzogen und dadurch die Kollision herbeigeführt.
Der Beklagte sei angesichts einer Blutalkoholkonzentration von 0,95 0/0o absolut fahruntüchtig gewesen.
Der Beklagte hat vorgetragen: Es sei zudem Unfall gekommen, weil der Schiffsführer der Fähre die Vorfahrt der talfahrenden Motoryacht verletzt habe und für den Beklagten unvorhersehbar plötzlich hinter dem linken Brückenpfeiler der Hohenzollernbrücke hervorgekommen sei.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat der Schadensersatzklage zur Hälfte entsprochen. Die Berufung der Klägerin hatte Erfolg, die des Beklagten nicht.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Die Klägerin hat den Unfall nicht verschuldet.
Ein Verstoß des Führers der Fähre gegen § 6.23 RheinSchPVO ist nicht feststellbar. Die Anwendbarkeit dieser Vorschrift auch im Verhältnis zwischen Fähre und Sportboot ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm, die eine Sorgfaltsverpflichtung des Führers der Fähre gegenüber allen auf dem Strom verkehrenden Fahrzeugen enthält. Zu diesen Fahrzeugen gehören aber nach der in § 1.01 RheinSchPVO gegebenen Begriffsbestimmung auch Kleinfahrzeuge, d. h. eben auch Sportboote.
Der Führer der Fähre hat den ihm nach dieser Vorschrift obliegenden Sorgfaltspflichten genügt. Er hat sich vor dem Ablegen vom linksrheinischen Ufer vergewissert, daß der übrige Verkehr auf dem Strom eine gefahrlose Überfahrt zuläßt. Das Sportboot war beim Ablegen noch weit entfernt, wenn auch schon sichtbar. Auch während der Überfahrt wurden der Verkehr und insbesondere auch das Sportboot nicht gezwungen, ihren Kurs oder ihre Geschwindigkeit unvermittelt zu ändern. Vielmehr lag der Kurs der Fähre fest; er war auch dem Sportbootsführer bekannt. Die Fähre fuhr gleichmäßig mit einer Geschwindigkeit von ca. 20 km/h, so daß der Sportbootsführer ausreichend Zeit und Gelegenheit hatte, sich darauf einzustellen, daß die Fähre den Strom querte.
Der Einwand des Sportbootsführers, die Fähre sei plötzlich hinter dem linken Brückenpfeiler der Hohenzollernbrücke hervorgekommen, sei vorher nicht sichtbar gewesen und habe ihn zu einem Ausweichmanöver nach Steuerbord veranlaßt, ist nicht glaubhaft. Alle drei Brückenbögen der Hohenzollernbrücke sind - wie der Senat aus eigener Sachkunde weiß - vom Wasser her gut einsehbar ...
Da der mittlere Bogen der Hohenzollernbrücke 156 m breit ist und weil die Kollision nach einem Steuerbordmanöver der Yacht im Rechtsrheinischen stattgefunden hat und weil ferner bei der Fahrweise der Yacht in der Strommitte die 50-70m hinter dem linksrheinischen Brückenpfeiler der Hohenzollernbrücke fahrende Fähre auch seitlich näher am Ufer als der Brückenpfeiler sichtbar war, ist davon auszugehen, daß die Fähre etwa über eine Gesamtstrecke von mindestens 120 m in der Querfahrt vom Sportboot aus beobachtet werden konnte, bis sie den Kollisionspunkt erreichte. Da die Fahrgeschwindigkeiten, 20 km/h für die Fähre und 20 Knoten, rund 37 km/h, für das Sportboot unbestritten sind und dem jeweiligen Parteivorbringen entsprechen, bewegte sich die Fähre mit ca. 5,5 m/sec. und das Sportboot mit einer nahezu doppelten Geschwindigkeit von ca. 10,2 m/sec. Die Fähre brauchte für 120m Fahrstrecke 21 Sekunden (und selbst bei einer nur 80 m betragenden Fahrstrecke zwischen den beiden Brückenpfeilern 14 Sekunden) bis zum Erreichen des Kollisionspunktes. Während dieser Zeit war sie für den Sportbootsführer erkennbar, sofern er sich auf seinem Platz am Steuer befunden hat. Eine unvermittelte Reaktion wurde ihm nicht abverlangt. Vielmehr hatte er ausreichend Zeit zur Verfügung, um die Geschwindigkeit des Sportbootes zu drosseln und/oder den Kurs beizubehalten oder zu verlegen und hierdurch den Unfall zu vermeiden. Das Sportboot befand sich, wie aus der Umrechnung der vorgenannten Zeiten auf die Geschwindigkeit des Bootes folgt, noch mehr als 200 m (zumindest aber 140 m) vom Kollisionsort stromauf entfernt, als das Übersetzen der Fähre erkennbar wurde. Der Sportbootsfahrer hätte daher seinen Pflichten aus § 6.02 RheinSchPVO genügen und der Fähre hinreichenden Raum einräumen können und müssen.
Die vorgenommene Modellrechnung legt die für den Sportbootsführer günstigsten Daten zugrunde. Je weiter die Bootskollision im Rechtsrheinischen stattgefunden hat, desto länger wird der Zeitraum, der dem Sportbootsführer zur Reaktion zur Verfügung gestanden hat.
Auch eine Verletzung der Sorgfaltspflichten aus § 1.04 RheinSchPVO ist dem Führer der Fähre nicht nachweisbar. Er hat einen - dem Sportbootsfahrer - bekannten Kurs gesteuert, und zwar bei gleichmäßiger Geschwindigkeit. Er hat hierdurch den Sportbootsführer nicht irritiert und keine Veranlassung zu einer Fehlreaktion gegeben. Die Fähre war für den Sportbootsfahrer hinreichend lange sichtbar, so daß der verantwortliche Führer der Fähre darauf vertrauen konnte, der Sportbootsfahrer werde bei der Annäherung seinen Pflichten aus § 6.02 RheinSchPVO genügen und der Berufsschiffahrt hinreichend Raum geben.
In der kritischen Phase der Annäherung beider Boote, und zwar zu dem Zeitpunkt, als für den Führer der Fähre die verhängnisvolle Kursänderung des Sportbootes nach Steuerbord erkennbar wurde, ist ihm ein nautisches Versagen nicht nachweisbar. Die Bewegungsabläufe sind in den letzten Sekunden vor dem Zusammenstoß nicht exakt rekonstruierbar, so daß nicht gesagt werden kann, der Führer der Fähre habe durch eine Reaktion (Abstoppen, Kursänderung) die Kollision der Boote noch vermeiden können.
Der Sportbootsführer hat den Unfall allein verschuldet. Er haftet daher gemäß § 823 BGB, 3,4 BSchG auf Schadenersatz dem Grunde nach in voller Höhe.
Er hat sein Boot nicht auf dem richtigen Kurs gehalten, sondern ist entweder unaufmerksam oder in selbstverschuldeter Verkennung der Annäherungssituation nautisch falsch gefahren und hat dadurch gegen das Sorgfaltsgebot des § 6.02 RheinSchPVO verstoßen. Danach sind Kleinfahrzeuge - wie die Yacht der Beklagten - gehalten, den übrigen Fahrzeugen den notwendigen Raum zu lassen und können nicht verlangen, daß diese ihnen ausweichen. Die Kollision zwischen Fähre und Yacht fand im rechtsrheinischen Teil des Stromes statt. Die Fähre, deren Kurs der Beklagte kannte, war für ihn, wie oben dargelegt, auf einer Fahrstrecke von 120m für 21 Sekunden, mindestens aber auf eine Fahrstrecke von 80m für 14 Sekunden sichtbar, bis es zur Kollision kam. Das Sportboot des Beklagten war beim Erkennbarwerden der Fähre und ihres Kurses noch ca. 200 m mindestens aber 140m entfernt. Unter Berücksichtigung dieser Entfernungen und der zur Verfügung stehenden Zeit hätte der Beklagte die Fahrt aus seinem Boot nehmen oder die Fähre auf gestrecktem Kurs passieren oder aber in einem verlegten Kurs achtern an ihr vorbeifahren und den Unfall hierdurch vermeiden können. Stattdessen hat der Beklagte - nautisch falsch - Steuerbordruder gegeben, ohne daß zu einer solchen Fahrweise Veranlassung bestand ... "
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1993- Nr. 8 (Sammlung Seite 1416 f.); ZfB 1993, 1416 f.