Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Kein Liegegeld- oder Schadensersatzanspruch für Aufenthaltszeiten durch behördliches Einschreiten aufgrund einer von Umweltschützern ausgelösten Kampagne, wenn sich der Verdacht, eins Schiffsladung sei gefährlich, als sachlich unbegründet erweist.
2) Besteht im Zeitpunkt der Verladung kein Anzeichen für eine Umweltschutzkampagne und darauf gestütztes behördliches Ein. schreiten, braucht der Absender dem auch nicht durch die Einholung eines Gutachtens und dessen Weitergabe an den Frachtführer vorzubeugen.
Urteil des Oberlandesgerichts (Schiffahrtsgerichts) Köln
vom 16. 3. 1990
3 U 159/89
(Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin, Eigentümerin des MS „M", schloß mit der Beklagten einen Frachtvertrag über die Beförderung von Haldenmaterial von Duisburg nach Rotem/Belgien. Die entsprechende Korrespondenz lief über den Fernschreiber der Firma „V" in Arnheim. Nach Antritt der Reise, und zwar erst an der Grenze erhielt der Schiffsführer von MS „M" ein Fahrkonnossement. Die Ladung bestand aus Haldenmaterial einer Zeche sowie aus Kraftwerksasche und Kalk; sie enthielt auch in geringem Umfang Mineralöl. Nachdem sich nach Antritt der Reise eine Reihe von Umweltschützern eingeschaltet und die Ladung als giftig und umweltgefährdend bezeichnet hatte, weigerte sich der belgische Empfänger, die Ladung abzunehmen. Als auch ein Löschungsversuch in Genk/Belgien fehlschlug, erteilte die Beklagte den Auftrag, die Ladung nach Krefeld zu befördern. Mit Fernschreiben vom 18. Januar 1988 wandte sich die Beklagte an die Telexadresse und übermittelte u. a. folgendes: „Ab 16.1. 1988 bekommen Sie Liegegeld bis Leerstellung."
Nachdem MS „M" seine Reise nach Krefeld angetreten hatte, übermittelte die Beklagte u. a., daß „Liegegeld ab heute (21. 1. 1988) beendet ist."
Auf der Fahrt nach Krefeld wurde das Schiff von der niederländischen Staatsanwaltschaft aufgehalten: ein Weiterfahrverbot wurde verhängt. Sodann wurde - wie auch in Belgien - eine chemische Analyse der Ladung vorgenommen.
Nach acht Tagen hob die niederländische Staatsanwaltschaft auf Betreiben der von der Klägerin eingeschalteten Anwälte das Weiterfahrverbot auf. Auch die vorgesehene Löschung in Krefeld erfolgte nicht. Die dortigen Ordnungsbehörden ließen ebenfalls eine chemische Analyse erstellen und stellten für die Löschung der Ladung bestimmte Bedingungen an den Löschplatz. Ein diesen Anforderungen genügendes Gelände war im Krefelder Hafen nicht vorhanden.
Am 6. Februar 1988 konnte das MS „M" - nach einer Fahrt von Krefeld nach Duisburg im Duisburger Hafen leergestellt und gesäubert werden.
Da das Transportgut keine nennenswerten umweltbelastenden Stoffe aufwies, wurde es erneut auf dem Wasserwege nach Belgien transportiert und dort im Rahmen der Zementherstellung weiterverarbeitet. Nachdem die Beklagte die Frachtrate, einschließlich der Rückreise, entrichtet hatte, stellte die Klägerin der Beklagten Liegegeld für die Aufenthaltszeiten in Belgien und Krefeld sowie Reinigungskosten des Schiffs in Duisburg, Nutzungsverlust (holländisches Liegegeld) wegen des behördlicher Weiterfahrverbots und Anwaltskosten niederländischer Anwälte in Rechnung. Die Klägerin hat geltend gemacht, sie sei Vertragspartnerin der Beklagten. Jedenfalls ergebe sich ihre Aktivlegitimation aus abgetretenem Recht der Firma „V". Die Beklagte hat vorgetragen, die gesamten Verzögerungen hätten auf einer durch Umweltschützer verursachten Hysterie beruht, denen sich die jeweiligen Behörden aus politische Gründen angeschlossen hätten. Die Zusage vom 18. Januar 1988, für die anfallenden Liegegelder einzustehen, habe sich nur auf die belgischen Liegezeiten bezogen. Im übrigen habe sie sich bei Abgabe dieser Zusage geirrt, da sie zu diesem Zeitpunkt von der Umweltgefährlichkeit der Ladung selbst ausgegangen sei. Deshalb habe sie mit Erklärung vom 20. September 1988 die Liegegeldzusage angefochten.
Das Schiffahrtsgericht hat die Schiffsreinigungskosten für nicht begründet erachtet und im übrigen nach Klageantrag erkannt. Die Berufung der Beklagten hatte in der Sache überwiegend Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Die Klägerin kann Liegegeld für die Liegezeit in Belgien vom 16. Januar 1988 bis zum 21. Januar 1988 verlangen, weil die Beklagte die Zahlung von Liegegeld für die Zeit vom 16.Januar 1988 bis zur „Leerstellung" zunächst mit Telex vom 18. Januar 1988 zugesagt hat. In dieser Zusage liegt entweder ein vergleichsweise unterbreitetes Vergütungsangebot, das gegenüber der Klägerin abgegeben und von dieser - konkludent - angenommen worden ist (§ 151 BGB), so daß eine Vergütungsabsprache vorliegt. Denkbar ist insoweit auch eine Vergleichsvereinbarung zwischen der Beklagten und der Firma „V" zu Gunsten der Klägerin, aus der diese ,unmittelbar ein Forderungsrecht erworben hat(§328 BGB) .. .
Liegegeld für die Zeit vom 21. Januar 1988 bis zum 28. Januar 1988 in Holland und für den Zeitraum vom 3. Februar 1988 bis zum 6. Februar 1988 in Krefeld kann die Klägerin aufgrund der Zusage der Beklagten nicht beanspruchen. Die Liegegeldzusage wurde von der Beklagten in einer ganz konkreten Situation gegeben, und zwar am 18. Januar 1988 anläßlich des Zwangsaufenthaltes in Belgien und in der sicheren Erwartung, das Löschen der Ladung in Belgien werde möglich sein. Die spätere Eskalation der Ereignisse war erkennbar nicht von der Zusage mitumfaßt. Vielmehr gingen beide Parteien seinerzeit davon aus, daß die Ladung wenn nicht noch in Rotem/Belgien so doch in Genk/Belgien werde umgeschlagen werden können. Mit dem Scheitern dieser Möglichkeit und dem Beginn der Rückreise am 1. Januar 1988 endete auch das Liegegeldversprechen der Beklagten, das nicht ad calendas graecas gewollt war und das bei seiner Abgabe nicht völlig unbekannte Risiken erfassen sollte. Klarstellend hat dann auch die Beklagte am 21. Januar 1988 mitgeteilt, daß das „Liegegeld ab heute beendet ist". Ein vertraglicher Liegegeldanspruch ist daher insoweit nicht begründet.
Ein gesetzlicher Liegegeldanspruch für den Aufenthalt in Holland und in Krefeld aus dd48, 49 BschG besteht nicht, weil mit der Weigerung des Empfängers in Belgien und der Fortsetzung der Reise zurück nach Deutschland der „Löschvorgang", an dessen Verzögerung die Zahlungspflicht für das Liegegeld nach dem Binnenschiffahrtsgenetz anknüpft, abgeschlossen war. Die Behinderung der Klägerin ist in Holland und in Deutschland aus anderen Gründen als denen der Abnahmeverweigerung eingetreten, so daß die hierdurch bedingten Aufenthalte des Schiffes nur dann zu entschädigen sind, wenn die Haftungsvoraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch gegenüber der Beklagten vorliegen (vgl. hierzu Vortisch/Zschucke Binnenschiffahrts- und Flößereirecht, 3. Aufl., § 49 Anm. 2d). Ein Schadensersatzanspruch steht der Klägerin gegen die Beklagte nicht zu. Die Beklagte hat weder ihre vertraglichen noch ihre gesetzlichen Pflichten gegenüber der Klägerin in einer Weise verletzt, daß hieraus ein Anspruch auf Ersatz des Nutzungsverlustes, der während der Liegezeit entstanden ist, gegen sie hergeleitet werden könnte. Die von ihr angediente Ladung war nicht in gefährlichem Umfang kontaminiert. Sie entsprach im wesentlichen dem geschlossenen Frachtvertrag. Danach sollte die Klägerin Haldenmaterial befördern. Ihre Ladung enthielt nach den Feststellungen des chemischen Untersuchungsamtes „K" vom 9. Februar 1988 Calziumsulftit, unvollständig vermengt mit Feuerungsaschen, Rückständen aus Kohlebergbau und -verarbeitungen (Gesteine, Kohle, Pech), geringen Mengen verschiedener gewerblicher Abfälle und Bodenaushub sowie Rückständen aus der Altölaufarbeitung. Der Mineralölgehalt der Ladung betrug nach den gezogenen Proben stellenweise bis zu 5,04 Gewichtsprozent. Diese Ladung ist im nachhinein als relativ ungefährlich eingestuft worden. So hat das Amt für Stadtentsorgung und Wasserwirtchaft der Stadt „D" aufgrund einer Untersuchung vom 19. Februar 1988 festgestellt, daß die Schadstoffgehalte der Materialien relativ gering sind und keine Gefahr zu besorgen ist, wenn die Stoffe auf befestigtem Boden gelagert würden. Die Beklagte war daher nicht verpflichtet, die Klägerin auf die Zusammensetzung der Ladung im Einzelnen hinzuweisen und sie mit einem Gutachten über die Ladung und deren Ungefährlichkeit auszustatten.
Die Beklagte war auch nicht verpflichtet, einem Anschein der Gefährlichkeit des Transportgutes vorzubeugen und ein Gutachten über die Ungefährlichkeit der Ladung und eine Ladungsanalyse einzuholen und der Klägerin mit auf die Reise zu geben. Es ist schon sehr fraglich, ob es zu den Pflichten des Absenders eines nicht gefährlichen Transportguts gehört, dem sachlich begründeten, von dritter Seite entwickelten, Mißtrauen entgegenzuwirken. Im vorliegenden Fall war aber nicht einmal der Anschein einer Gefährlichkeit gegeben. Ein sachlich begründeter Anlaß zu berechtigtem Mißtrauen bestand nicht. Vielmehr beruhte der behördliche Verdacht, die Ladung könnte gefährlich bzw. in erheblichem Umfang belastet sein, allein auf Pressemitteilungen, die ihrerseits auf Äußerungen von Umweltschützern zurückgingen, die ohne jeden sachlichen Anhaltspunkt behauptet hatten, die Ladung sei gefährlich. Solchen grundlosen Beschuldigungen entgegenzuwirken, ist nicht Aufgabe des Absenders von Frachtgütern, jedenfalls dann nicht, wenn im Zeitpunkt der Verladung derselben keine Anzeichen für eine entsprechende Kampagne und ein darauf gestütztes behördliches Einschreiten bestehen.
Die Anwaltskosten sind der Klägerin nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag zu erstatten (§§ 683, 670 BGB). Mit der Einschaltung der Anwälte, die die Aufhebung des Reiseverbots erwirkt haben, hat die Klägerin ein Geschäft der Beklagten geführt, die die Rückreise des Schiffes von Belgien durch Holland nach Deutschland angeordnet hatte. Die Einschaltung der Anwälte entsprach dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen der Beklagten, so daß der Klägerin Aufwendungsersatz zusteht. . . . Die Schiffsreinigungskosten sind erstinstanzlich abgewiesen worden und im Berufungsverfahren nicht mehr im Streit."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1991 - Nr.18 (Sammlung Seite 1336 f.); ZfB 1991, 1336 f.