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Urteil des Oberlandesgerichts – Schiffahrtsobergericht – Köln
vom 30.06.2000
- 3 U 157/99 BSch -
Tatbestand:
Die Beklagte zu 1) ist Eignerin des TMS R. Die Klägerin ist Eigentümerin der Schleuse W. Am 23.01.1996 befand sich das TMS R auf dem Rhein-Herne-Kanal auf der Fahrt von Magdeburg nach Gelsenkirchen. Schiffsführer war der Beklagte zu 2). Gegen 18.50 Uhr näherte sich das Schiff der Schleuse W. Seitens des Schleusenbeamten wurde dem Beklagten zu 2) mitgeteilt, er könne nach Ausfahrt des MS F in die Schleusenkammer einfahren. Nachdem das MS F ausgefahren war, fuhr TMS in Richtung der Südkammer, um dort einzufahren. Während dessen zeigte die Signalanlage der Schleuse nach wie vor zwei nebeneinander befindliche rote Lichter. Kurz bevor das TMS R das Schleusentor erreicht hatte, wurde dieses aufgrund eines vermeintlichen Notfalles innerhalb der Schleuse wieder hochgefahren. Das einfahrende TMS R kollidierte mit dem hochfahrenden Obertor. Hierdurch entstand an dem Tor ein Gesamtschaden in Höhe von 145.585, 47 DM. Nach dem Unfall wurde das TMS Rheintank 2 zu weiteren Reisen ausgesandt.
Die Klägerin hat die Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch genommen und vorgetragen, der Schleusenbeamte habe dem Beklagten zu 2) mitgeteilt, wenn das MS F ausgefahren sei, könne er bei Grün einfahren. Jedenfalls sei dem Beklagten zu 2) nicht die Weisung erteilt worden, trotz Rotlichtes einzufahren.
Auf Antrag der Klägerin hat das Amtsgericht Hagen den Beklagten zu 2) durch Vollstreckungsbescheid vom 02.11.1998 verurteilt, an die,Klägerin 145.585,47 DM nebst 4,3 % Zinsen aus diesem Betrag vom 01.03.1998 bis 09.10.1998, 5 Zinsen aus 24.493,10 DM vom 01.11.1996 bis 29.01.1997, 4 % Zinsen aus diesem Betrag vom 30.01..1997 bis 17.04.1997, 4,6 Zinsen aus diesem Betrag vom 18.04.1997 bis 28.02.1998 und weitere 4,3 %,Zinsen aus 145.585,47 DM seit dem 10.10.1998 zu zahlen.
Der Beklagte zu 2) hat gegen diesen ihm am 04.11.1998 zugestellten Vollstreckungsbescheid am 05.11.1998 Einspruch eingelegt.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte. zu 1) zu verurteilen, an die Klägerin 145.585,47 DM nebst 4,6 % Zinsen vom 01.03.1998 bis 11.03.198, 4,3 % Zinsen vom 12.03.1998 bis 27.08.1998 und 4 Zinsen seit dem 28.08.1998, sowie auf einen Teilbetrag von 24.493,10 DM 5 Zinsen vom .01.11.1996 bis 29.01.1997, 4 % Zinsen vom 30.01.1997 bis 17.04.1997 und 4,6 % Zinsen vom 18.04.1997 bis 28.02.1998 zu zahlen, und zwar bei Vermeidung der Zwangsvollstreckung in das TMS R sowohl dinglich als auch beschränkt. persönlich im Rahmen des Binnenschifffahrtsgesetzes haftend;
2. hinsichtlich des Beklagten zu 2) den Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Hagen vom 02.11.1998 aufrechtzuerhalten und den Beklagten zu 2) zur Zahlung von 145,585,47 DM nebst 4,6 % Zinsen vom 01.03.1998 bis 11.03.1998, 4,3 Zinsen vom 12.03.1998 bis 27.08.1998 und 4 % Zinsen seit dem 28.08.1998, sowie weitere Zinsen auf einen Teilbetrag in Höhe von 24.493,10 DM in Höhe von 5 % Zinsen vom 01.11.1996 bis 29.01.1997, 4 % Zinsen vom 30.01.1997 bis 17.04.1997 und 4,6 Zinsen vom 18.04.1997 bis 28.02.1998 zu verurteilen.
Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt.
Die Beklagte zu 1) hat ihre Passivlegitimation Rücksicht darauf bestritten, dass sie TMS R verchartert habe. Die Beklagten haben weiter vorgetragen, die Weisung des Schleusenbeamten, nach der Ausfahrt von MS F einzufahren, habe vor den Lichtzeichen Vorrang gehabt. Dem Schleusenmeister sei weiter vorzuwerfen, dass er den Beklagten zu 2) nicht sofort über Funk darüber unterrichtet habe, dass das Tor wieder hochgefahren werde. Bei rechtzeitiger Unterrichtung wäre es dem Beklagten zu 2) möglich gewesen, noch rechtzeitig entsprechende Notmanöver auf „zurück" einzuleiten.
Durch Urteil vom 23.08.1999 5 C 24/9b BSch,- (Bl. 77 ff. d.A.), auf das vollinhaltlich Bezug genommen wird, hat das Schifffahrtsgericht die gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Klage abgewiesen und den Beklagten zu 2) antragsgemäß verurteilt.
Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte zu 2) sei nicht passiv legitimiert, da nicht wie, sondern der Beklagte zu 2) Ausrüster des Schiffes sei. Hingegen hafte der Beklagte zu 2) als verantwortlicher Schiffsführer gemäß § 823 BGB sowie als Ausrüster gemäß §§ 3, 114 BSchG für die Beschädigung des Schleusentores. Diese habe er schuldhaft dadurch verursacht, dass er in die Schleuse, eingefahren sei, obwohl dielLichtzeichenanlage ununterbrochen zwei rote nebeneinander befindliche Lichter gezeigt habe, was gemäß § 6.28 a Nr. 2 b Binnenschifffahrtsstraßenordnung „Einfahrt verboten, Schleuse geschlossen" bedeute. Es könne dahinstehen, ob der Schleusenbeamte ausdrücklich gesagt habe, TMS R dürfe erst „bei Grün" einfahren; denn dies habe der Beklagte zu 2) als selbstverständlich voraussetzen müssen. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn ihm ausdrücklich erklärt worden wäre, dass die Lichtzeichenanlage gestört oder aus anderen Gründen nicht zu beachten sei. Hierfür habe sich jedoch nichts ergeben. Es sei auch nicht bewiesen, däsb der Unfall hätte vermieden werden können, wenn der Schleusenmeister dem Beklagten zu 2) sofort mitgeteilt hätte, dass das Schleusentor wieder hochgefahren werde.
Gegen dieses ihm am 21.09.1999 zugestellte Urteil, hat der Beklagte zu 2) am 19.10.1999 Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Fristverlängerung am 16.12.1999 begründet.
Er meint, die Weisung des Schleusenmeisters, nach der Ausfahrt von MS F in die Schleuse einzufahren, sei der Sperrung der Schleuse durch die zwei nebeneinander befindlichen roten Lichter vorgegangen. Zudem wäre es der Schiffsführung von MTS R noch möglich gewesen, es rechtzeitig vor dem Schleusentor anzuhalten, wenn der Schleusenmeister ihn in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Betätigen des Schalters zum Heben des Schleusentors hiervon über Schleusenfunk verständigt hätte.
Der Beklagte zu 2) beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und ihr zu gestatten, eine erforderliche oder zulässige Sicherheitsleistung auch durch die Bürgschaft einer als Zoll- und Steuerbürgin zugelassenen Bank zu erbringen.
Sie meint, der Beklagte zu 2) habe auch dann, wenn der Schleusenbedienstete bei dem Funkgespräch nicht den Zusatz „bei Grün" verwendet haben sollte, auf die Freigabe der Einfahrt durch Grünlicht warten müssen. Zumindest hätte der Beklagte zu 2) über Schleusenfunk anfragen müssen, ob er trotz Rotlicht einfahren dürfe. Das Einfahren von TMS R in die gesperrte Schleuse sei bis unmittelbar, vor der Havarie nicht bemerkt worden, weil es nicht im Blickfeld der Schleusenbediensteten gelegen habe. Diese hätten sich im Hinblick auf die vermeintliche Notfallsitua tion voll auf die Rettung von Menschenleben konzentriert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst den überreichten Urkunden, Skizzen und Lichtbildern Bezug genommen. Die Beiakten 5 II 4/96 Schiff¬fahrtsgericht Duisburg Ruhrort sowie 5 C 31/98 BSch Schifffahrtsgericht Duisburg Ruhrort sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die in formeller Hinsicht nicht zu beanstandende Berufung des Beklagten zu 2) hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Klägerin steht gegen den Beklagen zu 2) als verantwortlichen Schiffsführer und Ausrüster des TMS R ein Schadensersatzanspruch wegen Beschädigung des Schleusentores in Höhe von 145.585,47 DM nebst Zinsen zu §§ 823 BGB, 2, 3, 114 BSchG.
Das Schifffahrtsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte zu 2) den Unfall schuldhaft unter Verstoß gegen § 6.28 a Nr. 2 b BinSchStrO verursacht hat, indem er in die Schleuse eingefahren ist, obwohl die Lichtzeichenanlage unstreitig durch zwei rote nebeneinander liegende Lichter ein Einfahrverbot signalisierte.
Entgegen der Auffassung des Beklagten zu 2) hat der Schleusenmeister ihm keine Weisung erteilt, trotz Rotlichts in die Schleuse einzufahren. Allerdings konnte nach § 6.28 Nr. 14 BinSchStrO in, der zur Unfallzeit am 23.01.1996 gültigen Fassung die Schleusenbetriebsstelle aus Gründen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, zur Beschleunigung der Durchfahrt und zur vollen Ausnutzung der Schleuse Anordnungen erteilen. Die Ergänzung durch die 1999 erfolgte Neufassung der Verordnung „die diesen Paragraphen ergänzen oder von ihm abweichen" hat nur klarstellende Bedeutung. Das Schleusenpersonal konnte schon vor der Neufassung der Verordnung abweichende Anordnungen erteilen. Die Regelung entspricht § 6.28 Nr. 11 RheinSchPV. Die Anordnungen des Schleusenpersonals gehen - ähnlich wie Anordnungen von Polizeibeamten nach §§ 36, 44 II StVO - den allgemeinen Vorschriften vor und haben hoheitlichen Charakter (vgl. Bemm/von Waldstein, RheinSchPV, 3. Aufl., § 6.28 a Rdnr. 11) .
Eine derartige Anweisung muss jedoch als solche eindeutig erkennbar, bestimmt und klar sein. Diese Voraussetzungen lagen im vorliegenden Fall nicht vor. Die Lichtzeichenanlage der Schleuse signalisierte durch die beiden nebeneinander liegenden roten Lichter ein Einfahrverbot. Unstreitig erfolgt die Signalgebung an einer Schleuse - anders als bei einer automatischen Signalanlage im Straßenverkehr - per Hand durch das Schleusenpersonal. Der Schleusenmeister hatte demnach die Einfahrt noch nicht freigegeben. Es kann offen bleiben, ob er - wie die Klägerin behauptet - ausdrücklich erklärt hat, TMS R könne nach dem Ausfahren von MS F bei Grün einfahren. Auch ohne einen solchen Zusatz konnten die Worte des Schleusenmeisters kei¬nesfalls im Sinne einer hoheitlichen Anordnung dahin verstanden werden, der Beklagte zu 2) solle trotz Rotlichts einfahren. Vielmehr handelte es sich ersichtlich um eine bloße Mitteilung über die Rangfolge der Schleusungen, unter der selbstverständlichen Voraussetzung, dass das Einlaufen in die Schleusenkammer erst bei Freigabe der Einfahrt durch Grünlicht gestattet war. Der Beklagte zu 2) war daher gehalten, das durch die zwei nebeneinander liegenden roten Lichter signalisierte Einfahrverbot zu beachten, und hätte erst einfahren dürfen, wenn die Signalanlage zwei grüne Lichter gezeigt hätte (§ 6.28 a Nr. 2 d BinSchStrO). Zwei fei wären allenfalls angebracht gewesen, wenn sie zwei bereinander befindliche rote Lichter gezeigt hätte, denen die Bedeutung zukommt: „keine Durchfahrt, Schleuse außer Betrieb" (§ 6.28 a Nr. 2 a BinSchStrO). Dies hätte auf einen technischen Defekt hingedeutet, da die Schleuse ja tatsächlich nicht außer Betrieb war. Dann hätte Anlass für den Schiffsführer bestanden, sich zu erkundigen, ob er trotz des Rotlichtes in die Schleuse einfahren könne. Erst recht hätte er ohne eine solche Nachfrage nicht bei zwei nebeneinander liegenden roten Lichtern losfahren dürfen. Wenn es ihm zu lange dauerte und er etwa meinte, das Schleusenpersonal habe versehentlich kein grünes Licht gegeben, hätte er sich auf jeden Fall vor dem Anfahren per Funk erkundigen müssen, was unstreitig nicht geschehen ist.
Nach alledem hat der Beklagte zu 2) die Anfahrüng des Schleusentors durch seinen Rotlichtverstoß schuldhaft verursacht.
Das Schleusenpersonal trifft kein Mitverschulden gemäß § 254 BGB. Es muss sich darauf verlassen können, dass die Schiffsbesatzungen ihre Pflichten erfüllen (vgl. Bemm/von Waldstein, RheinSchPV, § 6.28 a Rdnr. 4). Es durfte daher darauf vertrauen, dass der Beklagte" zu 2) das durch die beiden nebeneinander liegenden roten Lichter signalisierte Einfahrverbot beachten werde.
Dem Scleusenwärter kann auch nicht vorgeworfen werden, dass er den Beklagten zu 2) hätte warnen müssen, als er das Schleusentor wieder hochfahren ließ. Allerdings hätte hierzu Anlass bestanden, wenn er tatsächlich gesehen hätte, dass TMS R sich trotz des Rotlichts dazu anschickte, in die Schleuse einzufahren. Der Beklagte behauptet zwar hierzu, der Schleusenmeister habe das Schiff voll in seinem Blickfeld gehabt und konkret beobachtet, dass es sich mit sehr langsamer Fahrt auf die Schleuse zubewegt habe. Seinen diesbezüglichen Beweisantritten war jedoch nicht nachzugehen. Es mag zwar sein, dass das Schleusenpersonal vom Schleusenturm aus das Einfahren des Tankschiffes hätte beobachten können. Dass dies tatsächlich geschehen wäre, wird von dem Beklagten zu 2) aber nur ins Blaue hinein behauptet; denn über die subjektiven Wahrnehmungen der Schleusenbediensteten kann er aus seiner Kenntnis keine Angaben machen. Zu einem etwaigen Blickkontakt, der auf mehrere hundert Meter Entfernung ohnehin nicht erkennbar sein dürfte, wird nichts vorgetragen. Der Beklagte zu 2) behauptet auch nicht, dass er etwa nachträglich mit dem Schleusenwärter darüber gesprochen hätte, ob dieser sein Einfahren in die Schleuse bemerkt habe. Unter diesen Umständen wäre die Vernehmung der benannten Zeugen und des Beklagten zu 2) als Partei unzulässige Ausforschung (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 21. Aufl., vor § 284 Rdnr. 5, 5 a).
Da somit ein schuldhaftes Fehlverhalten des Schleusenpersonals nicht feststellbar ist, bedurfte es auch nicht der Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens zu der Frage, ob MTS R bei früherer Warnung des Schiffsführers noch rechtzeitig vor dem hochfahrenden Schleusentor hätte abgestoppt werden können...
Die Höhe des der Klägerin entständenen Schadens ist mit 145.585,47 DM unstreitig.
Der Zinsanspruch ist aus dem Gesichtspunkt des Verzuges gemäß §§ 284 Abs. 1, 288 Satz 2, 286 Abs. 1 BGB gerechtfertigt.
Die Kostenentscheidung folgt aus §997 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1, 108 Abs. 1 ZPO.
Streitwert für das Berufungsverfahren und Beschwer des Beklagten zu 2): 145.585,47 DM.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2000 - Nr. 10 (Sammlung Seite 1799 f.); ZfB 2000, 1799 f.