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3 U 156/75 - Oberlandesgericht (Rheinschiffahrtsobergericht)
Datum uitspraak: 18.05.1976
Kenmerk: 3 U 156/75
Beslissing: Urteil
Language: Duits
Rechtbank: Oberlandesgericht Köln
Afdeling: Rheinschiffahrtsobergericht

Leitsatz:

Zur Frage, ob nur das Schubboot oder alle Einheiten eines Schubverbandes für Schäden haften, die durch eine vom Schiffsführer oder einem sonstigen Mitglied der Besatzung des Schubbootes schuldhaft herbeigeführte Kollision des Schubverbandes an einem anderen Schiff entstanden sind.

Urteil des Oberlandesgerichts Köln – Rheinschiffahrtsobergericht

vom 18. Mai 1976

3 U 156/75

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)

Nicht rechtskräftig

Zum Tatbestand:

Zwischen dem bei der Klägerin versicherten, zu Tal fahrenden MS H und dem der Beklagten zu 1 gehörenden, vom Beklagten zu 2 mit Radar zu Berg geführten Schubverband, bestehend aus dem schiebenden MS G und dem Schubleichter M, kam es bei Nebel und eingeschränkter Sicht bei Rhein-km 806 zu einer Kollision, die zum Sinken von MS H führte.

Die Klägerin verlangt Erstattung von 2/3 des Gesamtschadens von über 116000,- DM, weil der Beklagte zu 2 den Schubverband nicht in gestreckter Lage gehalten und die Fahrt mit unverminderter Geschwindigkeit fortgesetzt habe, obwohl er den Kollisionskurs von MS H, mit dem keine Sprechfunkverbindung bestanden habe, schon in einer Entfernung von 800 m bemerkt hätte.

Die Beklagten behaupten alleiniges Fehlverhalten von MS H, das bei der Sichtweite von nur 250 m die Talfahrt längst habe einstellen müssen und auch die Kursweisung zur Steuerbordbegegnung mißachtet habe. Bei seinem Auftauchen im Abstand von 200 m habe der Schubverband sofort gestoppt und zurückgeschlagen, jedoch die Kollision nicht verhindern können.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat den Anspruch nur zur Hälfte, also in Höhe von '/3 des erlittenen Schadens dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und darüber hinaus festgestellt, daß die Beklagte zu 1 nicht nur mit dem MS G, sondern auch mit dem Schubleichter M hafte. Die Berufungen beider Parteien wurden zurückgewiesen. Wegen der bedeutungsvollen Haftungsfrage wurde die Revision zugelassen, über die noch nicht entschieden ist.

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Haftungsquote der Beklagten für den unfallbedingten Schaden der Interessenten von H im Ergebnis zu Recht auf 1/3 beschränkt. In diesem Umfange müssen die Beklagten für die Unfallfolgen einstehen, weil der Beklagte zu 2 den Schadensfall mitverschuldet hat (wird ausgeführt).
Dem Rheinschiffahrtsgericht ist ferner darin zu folgen, daß die Beklagte zu 1 nicht nur mit dem Boot G, sondern auch mit dem Schubleichter M haftet.

Zur Frage der Haftung der einzelnen Einheiten eines Schubverbandes werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Müller (ZfB 1963, 177) behandelt den Schub- oder Gliederschiffsverband, solange dessen Einheiten starr miteinander verbunden sind, als rechtliche Einheit. Der Kapitän des Verbandes trage die Verantwortung für die ganze Komposition. Noch vorhandene Besatzungsmitglieder seien in nautisch-technischer Sicht als unter der Befehlsgewalt des Kapitäns des Schubverbandes stehend zu betrachten, gleichgültig, ob sie vom gleichen Schiffseigner eingestellt seien oder nicht. Im Falle einer vom Kapitän oder der Besatzung schuldhaft verursachten Kollision solle neben der Haftung des Eigners, Ausrüsters oder Reeders des Schubbootes der Wert der gesamten Schub- bzw. Gliederschiffskomposition für den Umfang der Haftung und deren Beschränkung maßgebend sein, und zwar unabhängig davon, ob die einzelnen Einheiten des Verbandes einem oder verschiedenen Eigentümern gehörten.
Pabst (ZfB 1963, 380; 1971, 187; 1975, 205) sieht den Schubverband nicht als rechtliche, sondern nur als nautische Einheit an, weil auch der Schubleichter ein selbständiges, im Rheinschiffsregister verzeichnetes Schiff sei und diese Selbständigkeit durch die Eingliederung in den Schubverband nicht verliere. Die Besatzung des Schubverbandes stelle nicht in ihrer Gesamtheit die Bemannung des Schubbootes und der Leichter dar. Nur soweit die Besatzung Aufgaben an Bord der Leichter zu erfüllen habe, sei sie Besatzung derselben. Im übrigen bleibe sie ausschließlich Besatzung des Schubbootes. Deshalb hafte nur der Eigner des Schubbootes mit Schiff und Fracht, wenn allein die fehlerhafte Führung des Schubbootes Ursache des Schadens eines Dritten ist. Eine Mithaftung oder alleinige Haftung des Leichtereigentümers bestehe dagegen nur, wenn der Schaden auch bzw. nur durch den Leichter verursacht sei. Dabei sei Abgrenzungsmerkmal, ob eine Person der Schiffsbesatzung in ihrer Eigenschaft als Besatzung des Schubbootes oder des Leichters gehandelt habe.

Dütemeyer (ZfB 1964, 269) vertritt im wesentlichen die gleiche Meinung.
Wassermeyer (VersR 1964, 452; 1974, 991) mißt dem Schubverband die Eigenschaften eines einheitlichen Schiffs zu und behandelt ihn auch als solches. Infolge der starren Verbindung untereinander verlören die einzelnen Einheiten des Schubverbandes für die Zeit ihres Verbundes ihre Eigenschaft als selbständige Fahrzeuge.
Die Besatzung werde zwar vom Schubboot gestellt. Sie sei aber Besatzung des Schubverbandes und damit auch der Schubleichter. Allerdings stehe die Besatzung in keinem Dienstverhältnis zum Eigner des Leichters. Doch dürfe dieser Umstand nicht zur Haftungsfreiheit der Leichter führen, zumal eine Person zur selben Zeit zur Besatzung verschiedener Schiffe gehören könne. In entsprechender Anwendung von § 3 BSchG sei deshalb die Besatzung des Bootes auch als Besatzung der Schubleichter mit der Folge anzusehen, daß der Eigner des Schubbootes und die Eigner der Schubleichter für den Schaden verantwortlich seien, den eine Person der Besatzung des Schubverbandes in Ausführung ihrer Dienstverrichtung einem Dritten schuldhaft zufüge.

Bemm-Kortendick (RhSchPVO 1970, S. 76, 77) neigen dieser Auffassung ebenfalls zu. Sie wird außerdem von der Berufungskammer der Zentralkommission vertreten (VersR 1974, 991). Der Senat schließt sich ihr mit folgenden Erwägungen an: Entgegen der Meinung von Müller kann der Schubverband nicht als eine rechtliche Einheit angesehen werden. Boot und Leichter behalten trotz ihres mechanischen Verbunds ihre rechtliche Selbständigkeit. Sie werden nicht wesentliche Bestandteile einer neuen Sache, weil ihre Zusammenstellung zu einem Schubverband nur vorübergehender Natur ist.
Der Schubverband stellt jedoch eine nautische Einheit dar, die alle Merkmale eines einheitlichen Schiffes aufweist. Äußerlich zeigt sich das darin, daß der Kopf des Schubverbandes von dem Kopf bzw. den Köpfen des bzw. der vordersten Leichter gebildet wird, während sein Heck das des Bootes ist. Dementsprechend sind auch bei Nacht die Topplichter auf den Vorschiffen der Leichter an der Spitze des Schubverbandes, die Seitenlicher auf dem breitesten Teil des Schubverbandes möglichst nahe beim Boot und die Hecklichter auf dem Boot zu führen (§ 3.10 RhSchPVO).
Die gleiche Einheitlichkeit besteht für die Navigation. Der Schubverband kann nur als solcher fortbewegt werden. Die starre Verbindung zwischen seinen verschiedenen Einheiten erlaubt keine selbständigen Bewegungen der einzelnen Fahrzeuge.
Auch hinsichtlich seiner Führung wird der Schubverband als Einheit behandelt. Die geschobenen Fahrzeuge benötigen keinen eigenen Schiffsführer. Sie unterstehen vielmehr der Führung des schiebenden Fahrzeugs (§ 1.02 Nr. 3 RhSchPVO).
Danach bestehen keine Bedenken, den Schubverband zumindest einem Schiff gleichzusetzen. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist unter einem Schiff ein schwimmfähiges, mit einem Hohlraum ausgestattetes Fahrzeug zu verstehen, das über eine eigene Bewegungsmöglichkeit verfügt und zur Schiffahrt bestimmt ist (Vortisch-Zschucke, 3. Aufl., zu § 1 BSchG Anm. 2 a). Alle diese Voraussetzungen werden vom Schubverband erfüllt.

Wenn der Schubverband aber wie ein Schiff zu behandeln ist, müssen auf ihn auch die haftungsrechtlichen Bestimmungen des Binnenschiffahrtsgesetzes zumindest entsprechende Anwendung finden. Damit hängt die Mithaft der Leichtereigner bei einem schadenstiftenden Verschulden der Besatzung davon ab, ob die regelmäßig vom Schubboot gestellte Besatzung auch als Besatzung der Leichter anzusehen ist. Der Senat bejaht das. Die Besatzung des Schubbootes ist die Besatzung des Schubverbandes. Sie nimmt nicht nur die Besatzungsaufgaben auf dem Boot, sondern auch auf den Leichtern wahr. Dabei geht es entgegen der Meinung von Pabst und Dütemeyer nicht an, die jeweilige Tätigkeit der Besatzung ausschließlich auf die Einheit des Schubverbandes zu beziehen, auf welcher sie verrichtet wird. Eine solche Lokalisierung der Besatzungstätigkeit wird von Wassermeyer zu recht schon wegen der Einheit des Schubverbandes abgelehnt. Sie verbietet sich aber auch deswegen, weil die Maßnahmen der Besatzung letztlich immer dem gesamten Verband dienen und deshalb nicht nur auf einen Teil desselben bezogen werden können. Deutlich zeigt sich das an der sich aus § 8.05 RhSchPVO ergebenden Pflicht zur Kontrolle der Kupplungen während der Fahrt. Insoweit wird die Besatzung im Interesse des Gesamtverbandes und damit zugleich für Boot und Leichter tätig.

Gleiches gilt für die Nachtbezeichnung des Schubverbandes. Das Setzen der Topp-, Seiten- und Hecklichter ist keine Tätigkeit die nur das Fahrzeug betrifft, auf dem sie angebracht werden. Vielmehr handelt es sich um eine Maßnahme, die dem Schubverband als solchem gilt. Nicht das einzelne Fahrzeug, sondern der Verband wird gekennzeichnet. Die nach § 3.10 RhSchPVO zu setzenden Einzellichter sind nur Teil der Gesamtkennzeichnung des Verbandes. Verstößt deshalb die Besatzung gegen die genannte Vorschrift, so liegt ein Fehlverhalten als Besatzung von Boot und Leichtern vor. Ebenso ist die Führung des Schubbootes zugleich die der Leichter.
Die Führungstätigkeit des Schubbootkapitäns auf das Boot beschränken zu wollen, hieße an der Wirklichkeit vorbeigehen. Es müßte die Frage gestellt werden, wer dann die Leichter eigentlich fortbewegt. Tatsächlich geschieht das mit Hilfe des Bootes unter der Führung seines Kapitäns. Dieser fährt und steuert nicht lediglich das Boot, sondern den gesamten Verband und damit auch die Leichter. Ein schadensursächliches Fehlverhalten der Verbandsführung müssen sich deshalb Boots- und Leichtereigner gleichermaßen zurechnen lassen. Der Senat verkennt nicht, daß die von ihm vertretene Auffassung zur Besatzung des Schubverbandes die Zugriffsmöglichkeit des Geschädigten erheblich erweitert. Das ist aber keineswegs unbillig. Wie nämlich schon die Berufungskammer der Zentralkommission mit recht ausgeführt hat, stellt ein Schubverband wegen seiner Ausmaße und seines Gewichtes eine erhebliche Gefahrenquelle dar, die schwerste Schäden verursachen kann. Unter diesen Umständen ist es nur billig, wenn dem Geschädigten auch eine entsprechende Befriedigungsmöglichkeit zur Verfügung steht.
Zur Klarstellung sei jedoch darauf hingewiesen, daß die vom Schubboot gestellte Besatzung zugleich als solche der Leichter anzusehen ist, solange der Schubverband besteht. Ob das auch für einen vorübergehend abgelegten Leichter gilt, wie die Berufungskammer der Zentralkommission meint, kann dahinstehen und braucht hier nicht entschieden zu werden.

Aus den dargelegten Gründen folgt für den vorliegenden Fall, daß die Beklagte zu 1 sowohl mit dem Boot G als auch mit dem Kahn M haftet, weil der Unfall auf ein schuldhaftes Verhalten der Verbandsführung, nämlich des Beklagten zu 2, zurückzuführen ist.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, wie die einzelnen Einheiten eines Schubverbandes bei einem schadenstiftenden Verschulden der Besatzung haften, war die Revision zuzulassen (§ 546 ZPO).