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289 Z - 12/93 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Datum uitspraak: 16.08.1993
Kenmerk: 289 Z - 12/93
Beslissing: Urteil
Language: Duits
Rechtbank: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Afdeling: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Die Führung eines Fahrzeugs, das aus einem Hafen ausfährt oder die Wasserstraße überquert, kann sich darauf, daß andere Fahrzeuge die Aus- oder Querfahrt unterstützen (§ 6.16 Nr. 2 Abs. 2 RheinSchPVO), solange verlassen, als aus dem Verhalten der durchgehenden Schifffahrt nichts anderes erkennbar ist. Braucht diese keine Kurs- oder Maschinenmanöver zur Unterstützung der Aus- oder Querfahrt auszuführen, sondern lediglich ihren Kurs beizubehalten, ist - jedenfalls zunächst - nicht mit fehlerhaften Manövern zu rechnen.

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 16. August 1993

289 Z - 12/93

(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 7. Juli 1992 - 5 C 8/91 BSch -)

Tatbestand:

Die Parteien streiten um den Ersatz von Schäden aus der am 30.11.1989 auf dem Rhein bei Düsseldorf erfolgten Kollision zwischen TMS D und MS B. Das von der Klägerin gegen die Gefahren der Schifffahrt versicherte TMS D (100 m lang; 9 m breit; 1.100 PS; 1.809 t; beladen mit 839 t Heizöl) fuhr am 30.11.1989 auf dem Rhein zu Berg. Unterhalb der Ausfahrt des Düsseldorfer Hafens überholte es rechtsrheinisch das ebenfalls bergwärts fahrende, 62 m lange MS G an dessen Steuerbordseite. Kurz danach stieß es um 19.35 Uhr mit dem zuvor aus dem Hafen zu einer Talreise ausgefahrenen MS B (110 m lang; 11,40 m breit; 2 x 900 PS; 3.255 t; beladen mit 82 Containern) der Beklagten zu 1 zusammen. Bei der Kollision kam der Steuerbordbug des TMS D gegen die Steuerbordseite des MS B. An beiden Schiffen entstanden Schäden. Alle drei Fahrzeuge hatten vor dem Unfall das weiße Funkellicht eingeschaltet und die blaue Seitenflagge gesetzt.

Die Klägerin verlangt aus übergangenem Recht von den Beklagten - der Beklagte zu 2 hat MS B zur Unfallzeit verantwortlich geführt - Schadensersatz. Nach ihrem Vorbringen hat TMS D vor der Kniebrücke (Rhein-km 743,57) zum Überholen des MS G angesetzt. Als sich MS B angeschickt habe, den Düsseldorfer Hafen (Rhein-km 743,1 bis 743,2) zu verlassen, habe die Entfernung zu TMS D allenfalls noch maximal 200 bis 300 m betragen. Angesichts dieser geringen Entfernung, der Dunkelheit, der ohne Signalabgabe erfolgenden Ausfahrt des MS B, das Kurs zum linksrheinischen Ufer genommen und durch seine Querfahrt TMS D den Weg versperrt habe, sei es sodann zur Kollision der beiden Fahrzeuge gekommen. Zwar habe man auf TMS D noch versucht, den Zusammenstoß durch sofortiges Zurückstellen der Maschine auf vollan rückwärts zu vermeiden. Das sei jedoch nicht gelungen. Auch sei das Schiff durch das Maschinenmanöver in eine leichte Steuerbordschräglage geraten und anschließend, wenn auch in stark abgeschrägter Form, gegen die Steuerbordseite des eine Backbordschräglage einnehmenden MS B gekommen.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagten gesamtschuldnerisch haftend zu verurteilen, an sie 25.387 DM nebst Zinsen zu zahlen, die Beklagte zu 1 im Rahmen des Binnenschifffahrtsgesetzes sowohl persönlich haftend als auch bei Vermeidung der Zwangsvollstreckung in MS B.

Die Beklagten halten die Klage mangels eines Verschuldens des Beklagten zu 2 an der Kollision für unbegründet. Dieser habe sich vor der Ausfahrt des MS B aus dem Hafen über Kanal 10 erkundigt, ob Talfahrt komme, was verneint worden sei. Nach dem Verlassen des Hafens habe er das linke Ufer angehalten. Zu diesem Zeitpunkt hätten sich die beiden Bergfahrer hart rechtsrheinisch unterhalb der Kniebrücke befunden. Plötzlich habe TMS D im Zuge des Überholmanövers den Kurs nach Steuerbord geändert und sei dadurch linksrheinisch gegen die Steuerbordseite - hinterer Bereich - des bereits aufgestreckten MS B geraten.

Das Rheinschifffahrtsgericht hat die Klage - unter Abweisung im übrigen - dem Grunde nach zur Hälfte für gerechtfertigt erklärt. Seine Entscheidung hat es im wesentlichen wie folgt begründet:

Der Unfall beruhe auf einem beiderseitigen und gleich zu bewertenden Verschulden der Besatzungen beider Fahrzeuge. Nach dem Beweisergebnis sei TMS D noch 600 m entfernt gewesen, als MS B mit Blinklicht und Kurs zum linken Ufer aus dem Hafen gefahren sei. TMS D hätte deshalb seinen rechtsrheinischen Kurs beibehalten müssen anstatt mit Steuerbordkurs praktisch auf MS B zuzufahren. Dessen Führung sei allerdings vorzuwerfen, dass ein Abstand von maximal 600 m für eine Hafenausfahrt mit kreuzendem Kurs vor dem Bergfahrer reichlich knapp gewesen sei, zumal MS B vor der Ausfahrt weder Schallzeichen gegeben habe noch der Beklagte zu 2 habe sicher sein können, dass die Bergfahrt seine Kursdurchsage über Kanal 10 auch mitbekommen habe. Zudem seien bei Dunkelheit Abstände schlechter einzuschätzen als bei Helligkeit.

Die Klägerin verfolgt mit der Berufung den abgewiesenen Teil der Klage weiter. Die Beklagten erstreben mit ihrer Berufung die vollständige Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe: 

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Hingegen hat die Berufung der Klägerin keinen Erfolg. 

1.  Nach § 6.16 Nr. 1 RheinSchPV dürfen Fahrzeuge aus einem Hafen nur ausfahren oder die Wasserstrasse nur überqueren, nachdem sie sich vergewissert haben, dass diese Manöver ausgeführt werden können, ohne dass eine Gefahr entsteht und ohne dass andere Fahrzeuge unvermittelt ihren Kurs oder ihre Geschwindigkeit ändern müssen. Auch muss die Führung eines Fahrzeugs, wenn sie ein Manöver im Sinne des § 6.16 Nr. 1 RheinSchPV beabsichtigt, das andere Fahrzeuge dazu zwingt oder zwingen kann, ihren Kurs oder ihre Geschwindigkeit zu ändern, die Absicht rechtzeitig durch Schallzeichen ankündigen (vgl. § 6.16 Nr. 2 Abs. 1 RheinSchPV). Die anderen Fahrzeuge müssen daraufhin, soweit notwendig, ihren Kurs und ihre Geschwindigkeit ändern (§ 6.16 Nr. 2 Abs. 2 RheinSchPV), also die Aus- oder Querfahrt eines Schiffes unterstützen; darauf kann sich die Führung eines aus- oder querfahrenden Fahrzeugs solange verlassen, als aus dem Verhalten der durchgehenden Schiffahrt nichts anderes erkennbar ist (vgl. Bemm/Kortendick, Rheinschiffahrtspolizeiverordnung 1983, 2. Aufl. § 6.16 Rn. 25 und 29).

2.  Hier liegt es nun so, dass nach dem Beweisergebnis kein Verstoß des Beklagten zu 2 gegen § 6.16 Nr. 1 oder Nr. 2 Abs. 2 RheinSchPV bejaht werden kann.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat auf Grund der Aussage des einzigen an dem Unfall unbeteiligten Zeugen van A, Schiffsführer des MS G, in Verbindung mit den örtlichen Gegebenheiten festgestellt, dass MS B aus dem Hafen ausgefahren ist, als sich TMS D etwa zwischen 500 und 600 m, jedenfalls aber nicht mehr als 600 m, von ihm entfernt befunden habe. Es hat sich außerdem der Einschätzung dieses Zeugen angeschlossen, dass es nicht zu dem Unfall gekommen wäre, wenn TMS D seinen rechtsrheinischen Kurs beibehalten hätte, da MS B sogleich nach der Ausfahrt "mit Blinklicht" Kurs zum linksrheinischen Ufer genommen habe. Demgegenüber meint die Klägerin in der Berufungsbegründungsschrift, dass die Entfernung der beiden Schiffe im Zeitpunkt der Ausfahrt des MS B allenfalls 200 bis 300 m betragen habe, so dass der Zusammenstoß für den Bergfahrer mit dem das Fahrwasser querenden MS B unvermeidbar gewesen sei; ausgehend von der Aussage des Zeugen van A sei nämlich der Kopf des TMS D bereits unter der Kniebrücke (Rhein-km 743,57) gewesen, als MS B noch nicht die Mündungslinie der von Rhein-km 743,1 bis 743,2 reichenden Hafenausfahrt zum Strom hin überschritten gehabt habe. Nun ist aber MS B nach dem weiteren Vortrag der Klägerin zunächst Mitte der Hafenausfahrt gefahren. Diese liegt jedoch auf Höhe von Rhein-km 743,15, also bereits 420 m oberhalb der Kniebrücke. Hinzu kommt, dass der Zeuge van A vor dem Rheinschiffahrtsgericht wörtlich erklärt hat: "Wir beide, also TMS D und ich, waren noch unterhalb der Kniebrücke, als MS B aus dem Hafen ausfuhr und stark zum linksrheinischen Ufer rüberhielt". Für die Richtigkeit der Behauptung der Klägerin, TMS D habe sich nur 200 bis 300 m unterhalb befunden, als MS B sich angeschickt habe, den Düsseldorfer Hafen zu verlassen, bestehen danach keine ausreichenden Anhaltspunkte. Zudem ist auf Grund der glaubhaften Angaben des Zeugen van A zum Unfallhergang festzustellen, dass TMS D im Bereich von Rhein-km 744 das ziemlich nahe am rechtsrheinischen Ufer fahrende MS G in einem kurzen seitlichen Abstand überholt hat, beide Schiffe bei der Hafenausfahrt des MS B mit sofortigem linksrheinischen Kurs sich noch unterhalb der Kniebrücke befunden haben und die Begegnung zwischen MS B und TMS D problemlos abgelaufen wäre, wenn der Bergfahrer seinen rechtsrheinischen Kurs beibehalten hätte. Danach bestand aber durch die Ausfahrt des MS B mit sofortigem Kurs zum linken Ufer für TMS D weder eine Gefahr noch ein Zwang, den Kurs oder die Geschwindigkeit unvermittelt zu ändern, wenn es, wie durch das eigene weiße Funkellicht angezeigt (vgl. § 6.04 Nr. 3 a RheinSchPV), seinen rechtsrheinischen Kurs beibehalten hätte; ferner lässt sich nicht sagen, dass das Manöver des MS B den Bergfahrer nötigte oder nötigen konnte, seinen Kurs oder seine Geschwindigkeit zu ändern, und deshalb MS B das in § 6.16 Nr. 2 vorgesehene Schallzeichen hätte geben müssen. Auch das Rheinschiffahrtsgericht hat insoweit nichts ausführen können.

3.  Es ist allerdings der Ansicht, dass der Beklagte zu 2 den Düsseldorfer Hafen deshalb nicht vor dem Passieren des TMS D hätte verlassen dürfen, weil er im Hinblick auf die besonderen Umstände des Falles mit einem fehlerhaften Ausweichmanöver nach Steuerbord seitens des Bergfahrers hätte rechnen müssen. So sei ein Abstand von maximal 600 m reichlich knapp, wenn das ausfahrende Fahrzeug den Kurs eines durchfahrenden Schiffs kreuzen müsse. Auch habe der Beklagte zu 2 kein Ausfahrtsignal gegeben noch sicher sein können, dass die Bergfahrt seine - von dem Zeugen van A bestätigte - Ankündigung über Kanal 10, MS B käme aus dem Hafen Düsseldorf und gehe anschließend in die Talfahrt, mitbekommen habe. Weiter sei es dunkel und damit die Abstände schlechter abzuschätzen gewesen als bei Helligkeit. Endlich liege es nicht fern, dass von einem auf dem Strom fahrenden Schiff, vor dem plötzlich ein einen Hafen verlassendes Fahrzeug in jedenfalls nicht sehr großem Abstand und in mindestens starker Schräglage auftauche, "fehlerhaft reagiert und nach Steuerbord auszuweichen versucht" werde. Dem ist entgegenzuhalten:

Der Beklagte zu 2 durfte sich grundsätzlich darauf verlassen, dass die durchgehende Schiffahrt die Ausfahrt seines Fahrzeugs unterstützen werde. Da hierzu die beiden Bergfahrer keine Kurs- oder Maschinenmanöver auszuführen brauchten, sondern lediglich ihren rechtsrheinischen Kurs beibehalten mussten, brauchte der Beklagte zu 2 die Ausfahrt nicht, wie bereits ausgeführt, nach § 6.16 Nr. 2 RheinSchPV durch Schallzeichen anzukündigen. Auch gab der Beklagte zu 2 durch Zeigen des weißen Funkellichts und durch den Kurs seines Fahrzeugs zum linken Ufer hin deutlich zu erkennen, dass er die Weisung der - ebenfalls das weiße Funkellicht zeigenden - beiden Bergfahrer für die Talfahrt, an der Steuerbordseite vorbeizufahren (§ 6.04 Nr. 3 a RheinSchPV), auch auf sich bezog und sich danach richten werde. Hinzu kommt, dass sich TMS D noch 500 bis 600 m unterhalb von MS B befunden hat, als dieses Schiff den Hafen verlassen hat, so dass nicht von einem plötzlichen Auftauchen des MS B in starker Schrägfahrt und in nicht sehr großem Abstand vor dem TMS D die Rede sein kann. Unter diesen Umständen brauchte der Beklagte zu 2 - jedenfalls zunächst - nicht damit zu rechnen, dass der Bergfahrer seiner Pflicht nicht nachkommen werde, seinen rechtsrheinischen Kurs beizubehalten, sondern nach Steuerbord in den Kurs des MS B gelangen werde. Infolgedessen musste der Beklagte zu 2 mit der Hafenausfahrt nicht zuzuwarten bis TMS D passiert war. Ihn trifft daher kein Verschulden an dem Schiffszusammenstoß.

4.  Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:

a)        Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 07.07.1992 teilweise geändert.

b)        Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.

c)         Die Berufung der Klägerin gegen das genannte Urteil wird zurückgewiesen.

d)        Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Deren Festsetzung erfolgt gemäß Artikel 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte durch das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort.

Urteilsrezension in: Zeitschrift für Binnenschifffahrt (ZfB) 1993, Nr. 23/24, S. 40-41, (Sammlung Seite 1453-1454); ZfB 1993, 1453 f.