Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Ein Schiffsführer kann bei der Vorbeifahrt an einem an erlaubter Stelle stilliegenden Schiff davon ausgehen, daß es ordnungsgemäß gegen die Beeinflussung durch normalen Wellenschlag, Druck und Sog anderer Schiffe befestigt ist. Diese Vermutung gilt jedoch dann nicht, wenn Mängel der Befestigung des stilliegenden Schiffes erkennbar sind. Ist die Situation erkennbar gefährlich, muß die durchgehende Schiffahrt nach § 6.20 Nr. 1 RheinSchPVO ihre Geschwindigkeit noch weiter bis zu dem Maß herabsetzen, daß allein die Fähigkeit zur sicheren Steuerung gewährleistet bleibt.
2) Zur Vermeidung von Unklarheiten bei einer etwaigen Zwangsvollstreckung muß die Besonderheit der Haftung im Binnenschiffahrtsrecht im Urteilstenor zum Ausdruck gebracht werden. Die bloße rechtliche Feststellung einer gesamtschuldnerischen Haftung für den ausgeurteilten Betrag genügt nicht.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 13. Mai 1993
282 Z - 4/93
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts St. Goar vom 8. Januar 1992 - 4 C 20/90 BSchRh -)
Tatbestand:
Die Klägerin ist Eigentümerin einer in Höhe der Stresemannstrasse in KobL am linken Ufer des Rheinstroms bei km 591,3 gelegenen Landebrücke.
Die Beklagte zu 1 ist Eignerin des 2.736,59 t großen MTS "J" (108,65 m lang; 10,53 m breit; 1.460 PS), das vom Beklagten zu 2 als Steuermann geführt worden ist.
Die Streithelferin ist Eignerin des MFS "F" (64,45 m lang; 8,85 m breit; 400 PS), das 600 Personen befördern kann.
Am 13.10.1989 gegen 13.00 Uhr hatte MFS "F" an der Landebrücke der Klägerin festgemacht, weil man auf weitere Fahrgäste wartete. Als das Schiff im Begriff war, loszumachen und nur noch in Höhe seiner Einstiegsstelle an der Landebrücke befestigt war, passierte zu Berg fahrend MTS "J" beladen mit 1.535 t. Bei der Vorbeifahrt des Motortankschiffs gerieten MFS "F" und die Landebrücke der Klägerin in Bewegung. Die Ketten der Landebrücke rissen. Die Brücke wurde stromab getrieben und beschädigt.
Die Klägerin hat behauptet, die Besatzung des MFS "F" habe das Ablegemanöver ordnungsgemäß durchgeführt, insbesondere mit wechselndem Maschineneinsatz die verstärkt auf die Verbindung zu der Landebrücke wirkenden Kräfte entlastet. MTS "J" habe mit voller Fahrt voraus MFS "F" in einem Abstand von nur 10 m passiert, obwohl das Revier frei gewesen sei. Dieses Schiff habe infolge seiner Geschwindigkeit eine so große Bugwelle erzeugt, dass der Sog einen halben Meter Wasser unter dem Motorfahrgastschiff weggezogen habe. Als des Heck des Motortankschiffs "F" eben passiert gehabt habe, seien die Ketten, mit denen die Landebrücke an Land befestigt gewesen sei, gebrochen.
Mit der Klage hat die Klägerin Schadensersatz von 7.261,80 DM nebst 4% Zinsen ab Rechtshängigkeit (12.1.1991) geltend gemacht.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin als Gesamtschuldner DM 7.261,80 nebst 4% Zinsen seit dem 12.1.1991 zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten haben die Darstellung der Klägerin bestritten und ausgeführt, MTS "J" sei weder mit voller Kraft noch zu nahe an MFS "F" vorbeigefahren. Der Abstand habe 20 m betragen. Die Maschine von MTS "J" habe 320 Umdrehungen/Minute von möglichen 380 Umdrehungen/Minute geleistet. "J" könne keinen so starken Sog und Wellenschlag verursacht haben, dass die Landebrücke dadurch in Mitleidenschaft gezogen worden sei. Der Schaden sei vielmehr darauf zurückzuführen, dass MFS "F" im Zeitpunkt der Vorbeifahrt nicht mehr ordnungsgemäß festgemacht gewesen sei. Der Schiffsführer des MFS "F" habe das Ablegemanöver nicht ordnungsgemäß geleitet. Das Personenboot sei nur noch an der Landebrücke gemeert gewesen, sei deshalb von der Strömung talwärts getrieben worden und habe dabei die Landebrücke mitgenommen.
Das Rheinschiffahrtsgericht St. Goar hat nach Beiziehung der Akten OWi 205/90 der Wasser- und Schiffahrtsdirektion Südwest, nach Vernehmung von Zeugen, Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dipl. Ing. L und nach Anhörung des in dem Ingenieurbüro L tätigen technischen Angestellten F als Sachverständigen durch das am 8.1.1992 verkündete Urteil die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin DM 7.261,80 nebst 4% Zinsen seit dem 12.1.1991 zu zahlen.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Rheinschiffahrtsgericht ausgeführt, es sei erwiesen, dass MTS "J" das MFS "F" mit zu geringem Abstand von 10 bis 15 m und mit zu großer Geschwindigkeit passiert habe. Die Beklagten hätten selbst nicht behauptet, dass der Beklagte zu 2 die Geschwindigkeit seines Schiffes angesichts des an der Landebrücke liegenden Personenbootes gedrosselt habe. "F" sei durch die Fahrweise des Beklagten zu 2 in starke Bewegung geraten, habe die Landebrücke aus den Ketten gerissen und sei mit ihr talwärts getrieben, wobei die Landebrücke beschädigt worden sei. Der Beklagte zu 2 habe gegen § 6.20 RheinSchPV verstoßen, wonach Fahrzeuge ihre Geschwindigkeit so einzurichten hätten, dass Wellenschlag oder Sogwirkungen, die Schäden an stielliegenden Fahrzeugen oder Schwimmkörper verursachen könnten, vermieden würden. Die Besatzung des MFS "F" habe den Schaden nicht verursacht.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat auch den Schaden der Höhe nach für begründet erachtet.
Die Beklagten wenden sich mit ihrer Berufung gegen die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil.
Die Beklagten beantragen,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Die Klägerin und ihre Streithelferin beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin und ihre Streithelferin treten den Ausführungen der Beklagten entgegen und denen in dem angefochtenen Urteil bei.
Entscheidungsgründe:
Die in formeller Hinsicht nicht zu beanstandende Berufung der Beklagten konnte in der Sache keinen Erfolg haben, jedoch war die Haftung der Beklagten für den ausgeurteilten Betrag klarzustellen.
1. Mit Recht hat das Rheinschiffahrtsgericht angenommen, dass der Beklagte zu 2 durch einen Verstoß gegen § 6.20 Nr. 1 RheinSchPV den Schaden der Klägerin schuldhaft herbeigeführt hat. Nach dieser Vorschrift müssen Fahrzeuge ihre Geschwindigkeit so einrichten, dass Wellenschlag oder Sogwirkung, die Schäden an stilliegenden oder in Fahrt befindlichen Fahrzeugen oder Schwimmkörpern oder an Anlagen verursachen können, vermieden werden. Sie müssen ihre Geschwindigkeit rechtzeitig vermindern, jedoch nicht unter das Maß, das zu ihrer sicheren Steuerung notwendig ist, und zwar nach lit. b) in der Nähe von Fahrzeugen, die am Ufer oder an Landebrücken festgemacht sind oder die laden oder löschen.
Es kann auf sich beruhen, ob die Befestigung des MFS "F" zur Zeit der Vorbeifahrt des Tankmotorschiffs der Beklagten zu 1 als schiffahrtsüblich zu beurteilen ist, als man im Begriff war, abzulegen. Ebenso bedarf es keines Eingehens auf die Frage, wie lange ein Personenboot an einem Steiger ohne weitere Sicherungsmaßnahmen bloß gesichert durch Taue eventuell mit Maschinenhilfe liegen darf, bis erwartete Fahrgäste ankommen und an Bord gehen. Denn nach den hier gegebenen Umständen lag es für den Beklagten zu 2 nicht außerhalb jeglicher Erfahrung, dass durch die Vorbeifahrt des MTS "J" an MFS "F" in einem Abstand von 15 bis 20 m mit einer unverminderten Geschwindigkeit, die etwa der Hälfte der Maschinenleistung des sehr großen Tankmotorschiffes entsprach, an der Landebrücke der Klägerin Schaden entstand. Zwar kann ein Schiffsführer, für den hier der Beklagte zu 2 als der für die Schiffsführung verantwortliche Steuermann steht, bei der Vorbeifahrt an einem stilliegenden Schiff davon ausgehen, dass ein an erlaubter Stelle stilliegendes Schiff auch ordnungsgemäß gegen die Beeinflussung durch normalen Wellenschlag, Druck und Sog anderer Schiffe befestigt ist. Diese Vermutung gilt jedoch dann nicht, wenn Mängel der Befestigung des stielliegenden Schiffs erkennbar sind. Wie Wassermeyer (Kollisionsprozess, 4. Aufl. S. 248) bereits mit Recht betont hat, darf in einem solchen Fall die durchgehende Schifffahrt nicht auf ihr besseres Recht pochend einfach so fahren, als ob die Festlegung ordnungsgemäß sei. Ist die Situation erkennbar gefährlich, muss die durchgehende Schifffahrt ihre Geschwindigkeit noch weiter bis zu dem Maß herabsetzen, dass allein die Fähigkeit zur sicheren Steuerung gewährleistet bleibt. Diese Grundsätze hat der Beklagte zu 2. nicht beachtet.
Nach der Darstellung der Beklagten über die ihrer Ansicht nach notwendige Befestigung des Personenboots im Zeitpunkte der Vorbeifahrt hätten ein Buganker ausgebracht, ein Vorausdraht und Beidrähte an Land befestigt sein müssen. Eine derartige Befestigung des Personenbootes fehlte unstreitig. Der Beklagte zu 2 hätte rechtzeitig vor der Vorbeifahrt sehen können, dass MFS "F" auf die von den Beklagten angeführte Weise nicht befestigt war. Der Beklagte zu 2 hat dazu auch bei seiner Vernehmung im Bußgeldverfahren ausdrücklich angegeben, bei der Passage habe er deutlich gesehen, dass "F" "nur am Steiger und nicht noch zusätzlich mit Leinen an Land festgemacht war". Der Beklagte zu 2 hat der Befestigung des Personenbootes jedoch keine Rechnung getragen und nicht seine Fahrweise darauf abgestellt. Der Beklagte zu 2 hätte bei Beachtung der gebotenen nautischen Sorgfalt, wenn er schon infolge der Stromverhältnisse dicht am Ufer an einem stilliegenden Personenboot vorbeifahren wollte, erwägen müssen, dass die für ihn sichtbare Befestigung des Personenbootes an dem Steiger gefährlich war, wenn er mit einer der Hälfte seiner Maschinenleistung entsprechenden Geschwindigkeit vorbeifuhr und seine Geschwindigkeit nicht auf das Maß herabsetzte, das zur sicheren Steuerung seines Schiffes notwendig war.
Der Schaden wäre vermieden worden, hätte der Beklagte zu 2 die Geschwindigkeit seines Schiffes auf diesen Umfang vermindert. Das an der Landebrücke befestigte Personenboot wäre nicht von den Sog- und Druckkräften des zu Berg fahrenden Motortankschiffs mitgenommen worden und hätte nicht durch seine Hebelwirkung die an Land befestigten Ketten der Landebrücke abgerissen, so dass das Personenboot samt der Landebrücke abriss. Es liegt bei dieser Sachlage innerhalb des Zurechnungszusammenhangs, wenn der Beklagte zu 2 die Landebrücke der Klägerin abriss.
Bei der geschilderten Sachlage ist der Beklagte zu 2 als verantwortlicher Steuermann des TMS "J" für den von ihm adäquat-kausal verursachten Schaden der Klägerin nach den §§ 823, 249 BGB, § 6.20 RheinSchPV verantwortlich. Er hat die im Schiffsverkehr gebotene nautische Sorgfalt durch seine Fahrweise außer Acht gelassen.
2. Für den Schaden, den der Beklagte zu 2 der Klägerin zugefügt hat, ist nach § 3 BinSchG die Beklagte zu 1 als Eignerin ebenfalls verantwortlich. Der Umfang dieser Haftung wird durch § 4 Abs. 1 Nr. 3 BinSchG bestimmt. Danach haftet ein Schiffseigner nicht persönlich, sondern nur mit Schiff und Fracht. Aufgrund der beschränkt-dinglichen Haftung kann der Gläubiger seine Befriedigung nur aus Schiff und Fracht suchen, nicht aus dem sonstigen Vermögen des Schiffseigners; denn eine persönliche Verpflichtung, die Schiffsschuld zu bezahlen, tritt nur in den Ausnahmefällen der §§ 112-115 BinSchG ein. Dem hat das Rheinschiffahrtsgericht nicht hinreichend Ausdruck verliehen.
Aus § 114 BinSchG, den das Rheinschiffahrtsgericht ohne nähere Begründung angezogen hat, ergibt sich nicht, dass die Haftung beider Beklagten rechtlich einen völlig gleichen Umfang hat. Nach dieser Vorschrift haftet vielmehr ein Schiffseigner, der sein Schiff in Kenntnis von Forderungen eines Schiffsgläubigers zu neuen Reisen aussendet, für die Forderung, für die er an sich nur dinglich mit seinem Schiff und der Fracht haftet, in Höhe des Betrages auch persönlich, der sich für den Gläubiger ergeben hätte, falls der Wert, den das Schiff bei Antritt der Reise hatte, unter die Schiffsgläubiger nach der gesetzlichen Rangordnung verteilt worden wäre. Ist der Schiffswert gering, kann die beschränkt persönliche Haftung im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes geringer sein als die des unmittelbar persönlich haftenden schuldigen Besatzungsmitglieds.
Daraus folgt : Der Schiffsgläubiger muss zunächst darlegen, dass der verpflichtete Schiffseigner sein Schiff in Kenntnis des Unfalls und des Entstehens eines Schiffsgläubigerrechts zu neuen Reisen ausgesandt hat. Dazu entbehrt der Vortrag der Klägerin an sich jeglichen Anhalts. Nach der Lebenserfahrung ist aber anzunehmen, dass die Beklagte zu 1 ihr Schiff selbstverständlich weiterbenutzt und damit zu neuen Reisen ausgesandt hat. Insoweit haben auch die Beklagten in der Berufungsinstanz nicht erinnert, sodass die Berufungskammer davon ausgehen konnte, dass die Voraussetzungen des § 114 BinSchG vorliegen. Es ist demnach von einer beschränkt-persönlichen Haftung im Rahmen dieser Vorschrift auszugehen, die neben die dingliche Haftung mit MTS "J" und die Fracht der Unfallreise tritt. Nur in diesem Rahmen haften beide Beklagten als Gesamtschuldner der Klägerin.
Zur Vermeidung von Unklarheiten bei einer etwaigen Zwangsvollstreckung muss die Besonderheit der Haftung im Binnenschiffahrtsrecht im Urteilstenor zum Ausdruck gebracht werden. Es genügt nicht die bloße rechtliche Feststellung einer gesamtschuldnerischen Haftung für den ausgeurteilten Betrag. Eine Interpretation des Urteilstenors aus den Entscheidungsgründen ist angesichts der rechtlichen Besonderheiten des Binnenschiffahrts-rechts und der weitgehenden Unkenntnis der adjektizischen Haftung für die Vollstreckungs-organe nicht hinnehmbar.
Dementsprechend musste der Tenor des angefochtenen Urteils klargestellt werden. Im übrigen musste die Berufung als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Kosten der Berufungsinstanz einschließlich der Kosten der Streithelferin der Klägerin haben die Beklagten als Gesamtschuldner in entsprechender Anwendung der §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 4, 101 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung ihrer Berufung im übrigen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts St. Goar vom 8. Januar 1992 wie folgt abgeändert:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, die Beklagte zu 1 lediglich dinglich haftend mit MTS "J" und im Rahmen des § 114 Binnenschiffahrtsgesetzes auch persönlich haftend, an die Klägerin DM 7.261,80 nebst 4% Zinsen seit dem 12. Januar 1991 zu zahlen.
Die Kosten der Berufungsinstanz einschließlich der der Streithelferin der Klägerin tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.
Die Festsetzung der Kosten der Berufungsinstanz erfolgt gemäß Artikel 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte durch das Rheinschiffahrtsgericht St. Goar.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1993 - Nr.14 (Sammlung Seite 1430 f.), ZfB 1993, 1430 f.