Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Aus Gründen der Sicherheit erlassene Gefahrgutvorschriften haben absoluten Vorrang vor wirtschaftlichen Gesichtspunkten.
2) Nochmals zur Bußgeldbewehrung der HafenVO Baden-Württemberg.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 21. Oktober 1992
272 B - 23/92
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Kehl vom 06.11.1991 - OWi 171/91 -)
Tatbestand:
Am 20.08.1990 löschte das von dem Betroffenen verantwortlich geführte TMS A, ein Schiff des Typs III gemäss Anlage B Rn. 131 121 ADNR mit einem geschlossenen System, im Hafen von Kehl eine Ladung von 1.054 t Superbenzin (Gefahrgut der Klasse IIIa, Kategorie K1s). Gegen 16.20 Uhr stellte die Wasserschutzpolizei bei einer Kontrolle des Fahrzeugs fest, dass die Deckel der Flammendurchschlagsiebe der Laderäume 1 bis 4 und 6 (in Raum 5 wurde nicht gepumpt) geöffnet waren. Hierwegen erging gegen den Betroffenen ein Bussgeldbescheid über 200 DM, weil er eine Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 71 Abs. 2 Nr. 31 HafenVO BW, § 120 WasserG BW begangen habe.
Der Betroffene hat gegen den genannten Bescheid form- und fristgerecht Einspruch eingelegt. Auf diesen Rechtsbehelf hat das Rheinschiffahrtsgericht Kehl ihn am 06.11.1991 "wegen vorsätzlicher Zuwiderhandlung gegen die Vorschrift über Tankluken zu einer Geldbusse in Höhe von 200 DM verurteilt". In den Gründen seiner Entscheidung hat es ausgeführt:
Nach Anlage B Rn. 131 422 ADNR müssten bei Tankschiffen der Typen II und III die Probeentnahmeöffnungen während des Löschens verschlossen sein; ihr Öffnen sei lediglich zur Probeentnahme gestattet. Vorliegend hätten die Luken in den Laderäumen 1 bis 4 und 6 nach dem Eingeständnis des Betroffenen aber während des gesamten Löschvorgangs offen gestanden. Dies habe der "inhaltsgleichen" Vorschrift des § 39 Abs. 1 HafenVO BW widersprochen, wonach die Luken der Tanks während des Löschens fest verschlossen sein müssten. Über diese Bestimmungen habe sich der Betroffene eigenmächtig hinweggesetzt, mithin als verantwortlicher Schiffsführer entgegen § 39 Abs. 1 HafenVO BW die Luken vorsätzlich nicht fest verschlossen gehalten. Sein Verhalten sei eine Ordnungswidrigkeit nach § 39 Abs. 1, § 71 Abs. 2 Nr. 31 HafenVO BW, § 120 WasserG BW.
Gegen dieses Urteil hat der Betroffene Berufung bei der Rheinzentralkommission eingelegt.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung hat Erfolg.
1. Der Betroffene kann allerdings nicht bestreiten, dass die Öffnung der Deckel der Flammendurchschlagsiebe der Räume 1 bis 4 und 6 des TMS A vorschriftswidrig gewesen ist. Das folgt aus § 39 Abs. 1 HafenVO BW, der bestimmt, dass die Luken der Tanks während des Löschens fest verschlossen sein müssen. Zwar gibt est einzelne Ausnahmen von dieser Vorschrift (vgl. § 39 Abs. 2 HafenVO BW, § 2 Nr. 5 HafenVO BW in Verbindung mit Anhang B Rn. 131 222, 131 311 und 131 422 ADNR). Diese erlauben aber nur, einzelne Öffnungen für Kontrollen und Probeentnahmen zu öffnen, und zwar auch dann nur auf die jeweils hierfür erforderliche Zeit beschränkt und ausserdem erst nach vorherigem Druckausgleich. Um derartige Ausnahmen geht es hier aber nicht.
2. Trotz seines vorschriftswidrigen Verhaltens ist der Betroffene der Ansicht, dass ein Bussgeld gegen ihn nicht verhängt werden könne. Hierzu hat er im wesentlichen ausgeführt:
Auf Grund des starken Wettbewerbs in der Tankschiffahrt erhielten Tankschiffe keine Frachtaufträge mehr, wenn sie nicht in der Lage seien, 1.000 t Benzin in 6 bis 8 Stunden zu löschen. Bei TMS A sei es nun so, dass die Pumpe des Schiffes diese Leistung ohne weiteres erbringen könne. Hingegen könne das Niederdruckventil an der Sammelleitung des Schiffes den bei einer solchen Leistung der Pumpe in den Laderäumen eintretenden Unterdruck nicht schnell genug ausgleichen, so dass das Schiff implodieren könne. Das Ventil habe nämlich eine beschränkte Kapazität, die der Löschzeit nicht angepasst sei, somit ein so langsames Pumpen erfordere, dass TMS A nicht mehr marktfähig wäre. Infolgedessen sei es geboten, durch zusätzlichen Lufteinzug in die Lageräume der Gefahr eines Implodierens des Schiffes zu begegnen. Dazu sei erforderlich, die Deckel der Flammendurchschlagsicherungen jeweils bis zum Leerpumpen der Räume zu öffnen. Dieses Verfahren werde von ihm oder einem Besatzungsmitglied überwacht und "irgendwelche Gefahren, die daraus entstehen könnten, seien niemals festgestellt worden".
Diese Ausführungen berücksichtigen nur ungenügend, dass § 39 Abs. 1 HafenVO BW aus Gründen der Sicherheit erlassen worden ist, nämlich um Schiff, Besatzung, Löschanlage, aber auch die Allgemeinheit vor der Gefahr von Feuer oder Explosion beim Löschen von Gefahrgut der Klasse IIIa (Entzündbare flüssige Stoffe) aus einem Tankschiff zu schützen. Das gibt der Vorschrift absoluten Vorrang vor den von dem Betroffenen dargelegten wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ihnen kann und darf er nicht dadurch Rechnung tragen, dass er die Sicherheitsbestimmung des § 39 Abs. 1 HafenVO BW unbeachtet lässt. Er durfte daher die Kapazität der Pumpe des TMS A nur gemäss der Dimension des Niederdruckventils an der Sammelleitung ausnutzen (vgl. auch Anhang B Rn. 131 222 ADNR).
3. Indessen kann dem Betroffenen kein Bussgeld auferlegt werden, weil § 39 Abs. 1 HafenVO BW keine bussgeldbewehrte Vorschrift ist. Insoweit hat die Berufungskammer in ihrem Urteil vom 1. September 1991 - 242 B - 8/91 bereits ausgeführt:
"Die HafenVO BW enthält in ihrem Dritten Teil Erreur ! Source du renvoi introuvable.. Von ihnen bestimmt § 39 Abs. 1, dass die Erreur ! Source du renvoi introuvable.. Ferner heisst es im Fünften Teil (Erreur ! Source du renvoi introuvable.) der HafenVO BW in § 71 Abs. 2 Nr. 31, dass ordnungswidrig i.S.v. § 120 Abs. 1 Nr. 5 und 18 WG BW handelt, wer als Schiffsführer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 39 Abs. 1 HafenVO BW die Luken nicht fest verschlossen hält. Nun ist der Inhalt von § 120 Abs. 1 Nr. 5 und 18 WG BW nicht stets derselbe gewesen. So lauteten diese Vorschriften nach der Bekanntmachung der Neufassung dieses Gesetzes vom 26. April 1976 (GBl. 369), dass ordnungswidrig handelt, wer den Bestimmungen über die Ausübung der Schiffahrt oder die Benutzung der Häfen, Landestellen, Lade- und Löschplätzen zuwiderhandelt (Nr. 5) oder wer sonstigen auf Grund des Wasserhaushaltsgesetzes oder dieses Gesetzes erlassenen Bestimmungen oder Anordnungen zuwiderhandelt, sofern diese ausdrücklich auf die Bussgeldbestimmungen dieses Gesetzes verweisen (Nr. 18). Diese Regelungen des § 120 Abs. 1 Nr. 5 und 18 WG BW gelten jedoch seit der am 1. März 1988 in Kraft getretenen Neufassung der Vorschrift des § 120 WG BW nicht mehr (vgl. Gesetz zur Änderung des Wassergesetzes für Baden-Württemberg vom 22. Februar 1988 - GBl. 55). Infolgedessen können sie nicht mehr, was das Rheinschiffahrtsgericht nicht berücksichtigt hat, Grundlage für das von ihm verhängte Bussgeld sein. In Betracht kommen könnte insoweit nur noch die seit 1. März 1988 geltende Neufassung des § 120 Abs. 1 Nr. 20 WG BW, wonach. Das ist jedoch zu verneinen, weil § 71 Abs. 2 Nr. 31 HafenVO BW - mangels einer entsprechenden Änderung der Verordnung - weiter auf die nicht mehr einschlägigen Regelungen des § 120 Abs. 1 Nr. 20 verweist. Infolgedessen stellt der Verstoss eines Schiffsführers gegen § 39 Abs. 1 HafenVO BW keine bussgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit mehr dar."
Es wird deshalb für Recht erkannt:
1. Auf die Berufung des Betroffenen wird das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts Kehl vom 06.11.1991 dahin geändert, dass der Betroffene freigesprochen wird.
2. Der Betroffene hat keine Kosten zu tragen.
3. Die Festsetzung der ihm zu erstattenden notwendigen Auslagen erfolgt gemäss Artikel 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte durch das Rheinschiffahrtsgericht Kehl.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1993 - Nr.6 (Sammlung Seite 1415 f.), ZfB 1993, 1415 f.