Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
Der Beschwerdewert nach Art. 37 Abs. 1 MA umfaßt auch die Gebühren und Auslagen des von einem Betroffenen mit der Verteidigung beauftragten Rechtsanwalts.
Die Zulässigkeit der Berufung berührt es nicht, daß die angefochtene Entscheidung nicht als „Urteil", sondern nach deutschem Recht als „Beschluß" ergangen ist.
Ist eine Anfechtung der Hauptentscheidung statthaft, ist auch die Kostengrundentscheidung in einem Urteil oder in einem Einstellungsbeschluß selbständig anfechtbar.
Einem Betroffenen können seine notwendigen Auslagen auch dann auferlegt werden, wenn er wegen einer Ordnungswidrigkeit nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 2. September 1992
263 B - 13/92
(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim)
Zum Tatbestand:
Eine Wasser- und Schiffahrtsdirektion hat dem Betroffenen am 24.5.1988 eine Geldbuße von 300 DM auferlegt, weil er „als für Kurs und Geschwindigkeit (eines von ihm auf dem Oberrhein belotsten Schubverbandes) verantwortliche Person einer Vorschrift über das Verhalten beim Begegnen nach § 6.07 Nr. lc, § 6.08 Nr. 1 RheinSchPV i.V.m. der schiffahrtspolizeilichen Anordnung 104/86 des Wasser- und Schiffahrtsamts Freiburg zuwidergehandelt habe". Gegen diesen dem Betroffenen am 17.7.1988 zugestellten Bußgeldbescheid hat er mit Schreiben vom 24.7.1988, eingegangen am 27.7.1988, Einspruch eingelegt. Diesen hat sein Verteidiger mit Schriftsatz vom 18.8.1988 näher begründet. In der Folgezeit ist in der Sache zunächst nichts geschehen. Grund hierfür war nach einem Vermerk des Schiffahrtsgerichts vom 17.7.1991, daß „die Akte neben zahlreichen anderen Akten und Schriftstücken (erst) am 5.7.1991 bei einer Kontrolle des Kleiderschranks des früheren Geschäftsstellenbeamten L. der Abteilung aufgefunden" worden ist. Danach hat das Rheinschiffahrtsgericht mit Beschluß vom 5.8.1991 das Verfahren wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung eingestellt, dessen Kosten der Staatskasse auferlegt und außerdem bestimmt, daß der Betroffene seine eigenen notwendigen Auslagen selbst trägt. Begründet hat das Gericht die Entscheidung mit folgendem Satz: „§ 7 Aufgabengesetz i.V.m. § 31 Nr. 2 OWiG, letzte unterbrechende Handlung: 1.9.1988".
Gegen diesen Beschluß, der dem Betroffenen am 11.8.1991 zugestellt worden ist, hat er durch seinen Verteidiger am 2.9.1991 Berufung zur Rheinzentralkommission einlegen lassen mit dem Antrag, „zu erkennen, daß die Staatskasse auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen zu tragen hat". Die Berufung hatte Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„1. Die Berufung ist zulässig. a) Nach Art. 37 Abs. 1 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte kann gegen das Urteil erster Instanz bei der Zentralkommission Berufung eingelegt werden, sofern der Gegenstand der an das Gericht gestellten Anträge einem Wert von mehr als 20 Sonderziehungsrechten des Internationalen Währungsfonds entspricht (umgerechnet in die Landeswährung des Staates, dessen Gericht angerufen wird). Dieser Wert wird hier zweifelsfrei überschritten, nachdem die notwendigen Auslagen des Betroffenen auch die Gebühren und Auslagen des von ihm mit seiner Verteidigung beauftragten Rechtsanwalts umfassen (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 464a Abs. 2 Nr. 2 Stopp).
b) Es berührt nicht die Zulässigkeit der Berufung, daß die angefochtene Entscheidung nicht als „Urteil" ergangen ist, sondern als „Beschluß". Das insoweit maßgebende deutsche Recht sieht nämlich diese Entscheidungsform für den Fall vor, daß, wie hier, die Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses außerhalb der Hauptverhandlung erfolgt (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 206a StPO).
c) Der Zulässigkeit der Berufung steht schließlich nicht entgegen, daß der Betroffene die Entscheidung des Rheinschiffahrtsgerichts nicht in der Hauptsache angreift, sondern sich nur gegen die Kostengrundentscheidung, soweit sie ihn beschwert, wendet. Allerdings befaßt sich Art. 37 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte, der die Zulässigkeit der Berufung regelt, nicht mit der Frage, ob der Betroffene bei der in Art. 32 der Akte i.V.m. Art. I des Zusatzprotokolls Nr. 1 vorgesehenen Ahndung bestimmter Zuwiderhandlungen die Kostengrundentscheidung des erstinstanzlichen Gerichts selbständig anfechten kann. Ebenso läßt sich zu dieser Frage nichts aus Art. 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte entneh-men, der bestimmt, welche Kosten bei einem richterlichen Verfahren in Rheinschifffahrtsangelegenheiten die Parteien zu tragen haben. Auch die von der Rheinzentralkommission gemäß Art. 45 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte aufgestellte Verfahrensordnung der Berufungskammer äußert sich nicht dazu, ob die Kostengrundentscheidung separat anfechtbar ist. Jedoch sieht deren Art. 30 vor, daß „die Kammer ergänzend die Verfahrensvorschriften des Gerichts erster Instanz anwenden kann, soweit die Revidierte Rheinschiffahrtsakte und diese Verfahrensordnung keine Bestimmungen enthalten". Nach dem danach heranziehbaren deutschen Recht ist aber die Kostengrundentscheidung in einem Urteil oder in einem Einstellungsbeschluß selbständig anfechtbar, sofern, wie hier, eine Anfechtung der Hauptentscheidung durch den Rechtsmittelführer statthaft ist (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 464 Abs. 3 und § 206a StPO; vgl. auch Karlsruher Kommentar z. OWiG § 105 Rn. 32 und 35, ferner Kleinknecht/Meyer, Strafprozeßordnung 40. Aufl. § 464 Rn. 5 und 16 ff.).
2. Die Berufung ist auch begründet. Nach § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 467 Abs. 1 StPO fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse zur Last, wenn das Verfahren eingestellt wird. Das ist die kostenrechtliche Folgerung daraus, daß der Betroffene, gegen den das Verfahren ohne Verurteilung abgeschlossen wird, ohne Rücksicht auf die Stärke des verbleibenden Tatverdachts als unschuldig gilt (Art. 6 Abs. 2 der Menschenrechtskonvention; vgl. auch Kleinknecht/ Meyer, Strafprozeßordnung 40. Aufl. § 467 Rn. 1). Allerdings können dem Betroffenen seine notwendigen Auslagen dann auferlegt werden, wenn er wegen einer Ordnungswidrigkeit nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO) oder anders ausgedrückt, wenn seiner Verurteilung ein Verfahrenshindernis entgegensteht, obwohl seine Schuld gerichtlich geklärt ist (Karlsruher Kommentar z. OWiG § 105 Rn. 105). Dazu läßt der angefochtene Beschluß aber jegliche Ausführungen vermissen. Schon deshalb kann dessen Kostengrundentscheidung, soweit sie dem Betroffenen seine notwendigen Auslagen auferlegt, keinen Bestand haben. Überdies hat das Rheinschiffahrtsgericht offenbar verkannt, daß die Verfahrensakten lediglich einige Verdachtspunkte für die dem Betroffenen zur Last gelegte Ordnungswidrigkeit enthalten. Diese reichen aber keinesfalls zur schuldrelevanten Feststellung einer Ordnungswidrigkeit des Betroffenen aus, die im übrigen nach der Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts zu § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO erst nach Durchführung einer Hauptverhandlung „bis zur Schuldspruchreife" getroffen werden dürfte (BVerfG, Beschl. v. 16.12.1991 — 2 BvR 1590/89 und 2 BvR 1542/90, beide abgedruckt in NJW 1992 S. 1612 ff.)."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1993- Nr.1/2 (Sammlung Seite 1407); ZfB 1993, 1407