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Leitsatz:
Von Schallzeichen nach §6.16 Nr. 2 Abs. 1 RheinSchPVO kann abgesehen werden, wenn mit den anderen Fahrzeugen klare Kursabsprachen über Sprechfunk getroffen worden sind. Das Schiffahrtszeichen nach § 6.16 Nr. 5 RheinSchPVO sperrt, wenn es eingeschaltet ist, die Einfahrt in einen Hafen oder in eine Nebenwasserstraße. Es gibt keine Weisung, welcher Kurs bei der Einfahrt untersagt oder einzuschlagen ist.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 28.10.1991
(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim)
253 Z - 15/91
Zum Tatbestand:
Die Klägerin, Versicherer des TMS E, verlangt aus übergegangenem Recht von der Beklagten Schadensersatz aus einem Schiffsunfall, der sich am 19.10. 1988 gegen 13.30 Uhr auf dem Rhein etwas oberhalb der Einmündung des Neckars (Rheinkm 428,2) ereignet hat. Das Schiff der Beklagten, MS D, fuhr zur Unfallzeit auf dem Rhein zu Tal. Ihm folgte das TMS E. Als sich dieses auf Höhe des Mannheimer Stadtteils Lindenhof befand, teilte der Schiffsführer des MS D dessen Schiffsführer S. über Sprechfunk mit, daß er in den (einige Kilometer unterhalb in den Rhein mündenden) Neckar fahren wolle. S. erwiderte, langsamer zu machen. In der Folgezeit verringerte sich der Abstand der beiden Fahrzeuge. Zwischen ihnen kam es zu einer Berührung, als TMS E zwischen der Backbordseite des MS D und zwei linksrheinischen Stilliegern (MS DD und MS B) hindurchzufahren versuchte. Anschließend kollidierte TMS E noch mit den beiden Stilliegern. Die Klägerin behauptet, Schiffsführer S. habe nach dem Funkgespräch die Fahrt seines Schiffes bis auf Ruderstärke gedrosselt. In Höhe des Mühlauhafens habe er gesehen, daß MS D mit dem Vorschiff zum Einfahren in den Neckar nach Steuerbord abgeschwenkt sei. Plötzlich und ohne jede Ankündigung habe das Fahrzeug jedoch ständig gemacht und mit voller Maschinenkraft zurückgeschlagen. Dadurch sei es mit dem Hinterschiff zum linken Ufer verfallen und habe damit dem nur noch 200 m oberhalb befindlichen TMS E die Möglichkeit genommen, hinter dem zum Neckar eindrehenden MS D zu passieren. Nach Ansicht der Beklagten ist die Klage abzuweisen. TMS E sei mit auffallend hoher Geschwindigkeit auf das MS D zugefahren. Aus dem zunächst von dem Schiff eingeschlagenen Kurs in Strommitte sei zu schließen, daß Schiffsführer S. zuerst an der Steuerbordseite des sich mehr linksrheinisch haltenden MS D habe vorbeifahren wollen. Dann habe er sich aber - zu spät - entschlossen, an dessen Backbordseite zu passieren. MS D sei weder mit dem Vorschiff nach Steuerbord in Richtung Neckarmündung eingeschwenkt noch sei das Schiff mit Rückwärtskurs gefahren. Schiffsführer B. habe lediglich zurückgeschlagen, um sein Fahrzeug während der Vorbeifahrt des TMS R, das rechtsrheinisch zu Berg gekommen sei und mit dessen Führung er eine Steuerbordbegegnung abgesprochen gehabt habe, verharrend stromrecht zu halten.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hatte teilweise Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist teilweise begründet. Die Beklagte hat an die Klägerin die Hälfte des Schadens zu zahlen, der den Interessenten des TMS E anläßlich des Unfalls vom 19. 10. 1988 entstanden ist.
1. Allerdings hat Schiffsführer B. von MS D nicht, wie die Klägerin meint, gegen § 6.16 Nr. 2 Abs. 1 RheinSchPV verstoßen. Die Vorschrift schreibt die Abgabe des Schallzeichens „drei lange Töne, einen kurzen Ton" vor, wenn ein Fahrzeug (wie MS D) beabsichtigt, in eine Nebenwasserstraße einzufahren, dieses Manöver andere Fahrzeuge dazu zwingt oder zwingen kann, Kurs oder Geschwindigkeit zu ändern und das Fahrzeug den Kurs vor der Einfahrt nach Steuerbord richten will. Die Vorschrift will bewirken, daß die anderen Fahrzeuge rechtzeitig Kenntnis von der beabsichtigten Einfahrt in eine Nebenwasserstraße erlangen, damit sie ohne Gefahr auf das Manöver durch eine Änderung von Kurs oder Geschwindigkeit reagieren können, sofern es notwendig ist (vgl. § 6.16 Nr. 2 Abs. 2 RheinSchPV). Hier hat aber Schiffsführer B. den anderen Fahrzeugen schon frühzeitig Kenntnis von der beabsichtigten Einfahrt seines Fahrzeugs in den Neckar über Sprechfunk gegeben, so daß es zu deren Unterrichtung keines Schallzeichens nach § 6.16 Nr. 2 Abs. 1 RheinSchPV mehr bedurfte. So hat er dem Schiffsführer des TMS E bereits einige Kilometer oberhalb der Mündung des Neckars Mitteilung von der beabsichtigten Einfahrt gemacht, worauf dieser ihm gesagt hat, daß er langsam machen werde. Ferner hat er im weiteren Verlauf der Annäherung seines Fahrzeugs an die Mündung der Nebenwasserstraße mit dem Schiffsführer des MS W, das aus dem Neckar zu Tal ausfahren wollte, abgesprochen, daß die Ausfahrt vor der Einfahrt des MS D stattfinden soll. Außerdem ist er mit dem Schiffsführer des rechtsrheinisch zu Berg kommenden TMS R übereingekommen, daß dieses Fahrzeug seinen Kurs beibehält und mit MS D Steuerbord an Steuerbord begegnet. Nach diesen klaren Abreden konnte Schiffsführer B. von der Abgabe eines Schallzeichens nach § 6.16 Nr. 2 Abs. 1 RheinSchPV absehen. Nun meint allerdings die Klägerin, daß Schiffsführer B. das nach § 6.16 Nr. 2 Abs. 1 RheinSchPV vorgeschriebene Schallzeichen jedenfalls deshalb hätte geben müssen, weil er „inmitten des eingeleiteten Eindrehmanövers in den Neckar, das nach der RheinSchPV an der angegebenen Stelle verboten war, plötzlich zurückgemacht hat". Dem steht bereits entgegen, daß diese Vorschrift ein besonderes Schallzeichen für ein Fahrzeug, das während eines Einfahrtmanövers zurückmacht, nicht vorsieht. Vielmehr schreibt sie lediglich bestimmte Schallzeichen für die Fälle vor, daß ein Schiff beabsichtigt, in einen Hafen oder eine Nebenwasserstraße einzufahren oder diese zu verlassen oder daß es die Wasserstraße überqueren will und es dadurch andere Fahrzeuge zwingt oder zwingen kann, den Kurs oder die Geschwindigkeit zu ändern.
2. Nicht zu folgen ist der Klägerin auch in. soweit, als sie meint, daß das an der Neckar spitze aufgestellte - beleuchtbare - Schiff fahrtszeichen gemäß Anlage 7 Abschnitt 11 Nr. 2c RheinSchPV („rotes Licht A.1 und leuchtender Pfeil"; vgl. auch § 6.16 Nr. 5 RheinSchPV) der Talfahrt auf dem Rhein untersagte, „in direktem Weg in den Neckar einzufahren", weshalb es falsch gewesen sei, daß Schiffsführer B. mit seinem Fahrzeug bereits auf Höhe der Neckarspitze über Steuerbord zur Neckarmündung eingeschwenkt sei; vielmehr hätte er zunächst die Mündung auf dem Rhein passieren, sodann unterhalb aufdrehen und in Bergrichtung zum Neckar bei voller Sicht auf etwa dort befindliche Fahrzeuge in diesen einfahren müssen, was außerdem der üblichen Fahrweise eines aus dem Rhein in den Neckar einbiegenden Talfahrers entsprochen hätte.
Zu diesem Vorbringen bemerkt die Berufungskammer:
a) Daß Schiffsführer B. gegen das vorbezeichnete Schiffahrtszeichen verstoßen haben soll, ist schon aus folgendem Grunde zu verneinen. Das Zeichen ist mit Wirkung vom 1. 10. 1972 in die RheinSchPV eingefügt worden (VkBl.1972, 531/532). Es zeigt, wenn es eingeschaltet ist, an, „daß die Einfahrt in den in Pfeilrichtung gelegenen Ha. fen oder in die in Pfeilrichtung gelegene Nebenwasserstraße (wie hier der Neckar) verboten ist" (§ 6.16 Nr. 5 RheinSchPV). Das Zeichen ist eingeführt worden, um die Einfahrt in einen Hafen oder in eine Nebenwasserstraße aus Sicherheitsgründen allgemein sperren zu können (vgl. die Erläuterungen zur neuen Binnenschiffahrtsstraßen-Ordnung für den Schiffsführer 1971 zu § 6.16 sowie die Erläuterungen zur neuen Moselschiffahrtspolizeiverordnung für den Schiffsführer 1971 zu § 6.16). Hingegen gibt es entgegen der Ansicht der Klägerin keine Weisung, welcher Kurs einem Schiff beider Einfahrt in einen Hafen oder in eine Nebenwasserstraße untersagt oder von ihm einzuschlagen ist. Deshalb trifft es nicht zu, vorliegend habe das Zeichen der Talfahrt auf dem Rhein verboten, auf direktem Weg in den Neckar einzufahren.
b) Will ein Schiff eine Nebenwasserstraße einfahren, so gebietet die allgemeine nautische Sorgfaltspflicht (§ 1.04 RheinSchPV) seiner Führung, einen Kurs zu wählen, der ihr möglichst frühzeitig einen vollständigen Überblick auf die in deren Mündungsbereich befindlichen Fahrzeuge ermöglicht. Bildet - wie hier - die Nebenwasserstraße mit der Hauptwasserstraße am oberen Mo• lenkopf einen spitzen Winkel von etwa 45’ und besteht über den Molenbereich hinweg für die Talfahrt keine oder keine genügende Sicht auf die Nebenwasserstraße, so wird es für einen dorthin einbiegenden Talfahrer im allgemeinen geboten sein, zunächst unterhalb der Einmündung zu drehen und sodann zu Berg kommend mit gutem Überblick auf die Fahrzeuge im Mündungsbereich in die Nebenwasserstraße einzulaufen. Im Streitfall könnte man allerdings fragen, ob eine solche Fahrweise auch dann erforderlich erscheint, wenn Sprechfunkverbindung zwischen dem eine Einfahrt beabsichtenden Schiff und den anderen Fahrzeugen besteht sowie zwischen ihnen Absprachen über die Reihenfolge von Ein- und Ausfahrt, die Begegnungskurse auf der Hauptwasserstraße und die Geschwindigkeit des dem Einfahrenden folgenden Talfahrers getroffen worden sind. Darauf braucht jedoch nicht weiter eingegangen zu werden. Die Klägerin hat nämlich nicht die Behauptung beweisen können, daß Schiffsführer B. auf Höhe der Neckarspitze mit dem Vorschiff nach Steuerbord zum Einfahren in den Neckar abgeschwenkt ist.
Zwar haben Schiffsführer S. und der Matrose V., beide von TMS E, bekundet, daß MS D etwa auf Höhe der Neckarspitze mit seinem Vorschiff zum Einfahren in den Neckar abgeschwenkt sei. Ferner hat Steuermann W. (MS W) ausgesagt, man habe MS D in Schräglage gesehen; das Schiff habe die Maschine gestoppt gehabt und in den Neckar einbiegen wollen. Demgegenüber haben Schiffsführer B., Steuermann K. und der Matrose K., sämtlich von MS D, erklärt, daß ihr Fahrzeug vor dem Zusammenstoß noch nicht mit dem Einfahrtmanöver begonnen gehabt habe; vielmehr sei es gestreckt gelegen, wobei aber das Vorschiff möglicherweise oder tatsächlich weiter vom linken Ufer entfernt gewesen sei als das Hinterschiff. In diese Richtung gehen außerdem die Bekundungen von Steuermann R. (MS DD) und Schiffsführer E. (MS W), R. ist durch das „starke Zurückmachen einer Maschine" auf die Unfallsituation aufmerksam geworden; er hat angenommen, daß es sich um die Maschine des „völlig gestreckt im Strom liegenden" MS D gehandelt hat, das wegen des Bergfahrers nicht in den Neckar habe einfahren können. E. hat nach seiner Aussage gesehen, daß MS D etwas verfallen war, was passieren kann, wenn man zurückmacht"; schon zuvor hatte er über Sprechfunk gehört, daß Schiffsführer B, dem Bergfahrer TMS R gesagt hat, dieser solle an der Steuerbordseite vorbeifahren, er werde warten. Schließlich hat der Schiffsführer R. (TMS R) bekundet, daß MS D bei der Begegnung mit seinem Fahrzeug gestreckt gefahren sei. Würdigt man die Aussagen der beiden Zeugengruppen, die in ihrem wesentlichen Punkt, ob nämlich MS D auf Höhe der Neckarspitze zur Einfahrt in diesen Fluß über Steuerbord gedreht hat, einander widersprechen, so läßt sich nicht feststellen, daß diese Behauptung der Klägerin zutrifft.
3. Zu Recht wirft hingegen die Klägerin Schiffsführer B. vor, daß er, was das Rheinschiffahrtsgericht nicht weiter erörtert hat, den Schiffsunfall verschuldet hat, weil er das Zurückschlagen mit der Maschine der Führung des TMS E weder über Sprechfunk noch durch das hierfür vorgesehene Schallzeichen „drei kurze Töne" (§ 4.01 Nr. 1 RheinSchPV i.V.m. deren Anlage 6 Abschnitt A) angezeigt hat. Der Aussage von Schiffsführer B. im Verklarungsverfahren ist zu entnehmen, daß nach seinem Funkgespräch mit Schiffsführer S. TMS E etwas schneller zu Tal gefahren ist als MS D. Dadurch hatte sich der ursprüngliche Höhenabstand der beiden Fahrzeuge von etwa 1200 m auf ca. 600 m verringert, als MS D die Höhe des Mühlauhafens (Rhein-km 427,4) erreicht hatte. Von dort an ließ Schiffsführer B. sein Fahrzeug treiben, um, wie er weiter bekundet hat, „die Ausfahrt aus dem Neckar und die Bergfahrt passieren lassen zu können". Hierzu brauchte er jedoch nicht sein Fahrzeug auf Höhe des etwa 200 m oberhalb der Neckarmündung linksrheinisch stilliegenden MS DD durch Zurückschlagen mit der Maschine ständig zu machen. Eine solche Notwendigkeit läßt sich weder seinen Angaben im Verklarungsverfahren noch vor der Wasserschutzpolizei entnehmen. Hinzu kommt, daß sich aus der Aussage des Steuermanns R. von MS DD ergibt, daß TMS R ohne weiteres an der Steuerbordseite von MS D vorbeifahren konnte und die Begegnung schon etwa 200 m oberhalb der Neckarmündung erfolgt ist. Bei Beachtung dieser Gegebenheiten und der gebotenen Sorgfaltspflicht hätte Schiffsführer B. deshalb bedenken müssen, daß sein Stoppmanöver die Führung des - nach dem unwidersprochenen Klagevortrag - bereits auf 200 m herangekommenen TMS E überraschen konnte, so daß es erforderlich war, ihr dieses Manöver über Sprechfunk oder durch das vorgeschriebene Schallzeichen anzuzeigen, damit sie sofort durch eine Kursabsprache mit Schiffsführer B. oder durch ein sofortiges Rückwärtsmanöver das Streifen der Backbordseite des MS D hätte vermeiden können.
4. Allerdings trifft auch Schiffsführer S. von TMS E ein Verschulden an dem Schiffsunfall. Dieser hatte nach seiner Aussage im Verklarungsverfahren auf Höhe des Mühlauhafens, beim Deutschen Kaiser (Rhein-km 427,2), über sein Funkgerät die Absprachen zwischen Schiffsführer B. sowie den Führungen von MS W und TMS R mitgehört. Demnach wußte er, daß B. die Ausfahrt des ersten Fahrzeugs sowie die Steuerbordvorbeifahrt des zweiten Fahrzeugs abwarten wollte. Ferner hatte er selbst schon einige Zeit zuvor B. erklärt, langsamer zu machen, was vernünftigerweise nur heißen konnte, ihn nicht vor dessen Einfahrt in den Neckar zu überholen. Er hätte deshalb unterhalb des Mühlauhafens den Höhenabstand zu MS D nicht laufend verringern, keinesfalls aber diesem Fahrzeug so stark auflaufen dürfen, daß er - nach seiner Aussage - nach dem Erkennen des Zurückschlagens seitens des MS D, sein Fahrzeug vor der Kollision nicht mehr aufstoppen konnte, sondern versuchen mußte, entgegen der mit Schiffsführer B. getroffenen Absprache MS D zu überholen.
5. Nach Ansicht der Berufungskammer ist das auf Seiten der Schiffsführer B. und S. obwaltende Verschulden gleich schwer zu bewerten. Demgemäß ist der von der Klägerin geltend gemachte Kollisionsschaden zwischen den Parteien hälftig zu teilen (§ 92c Abs. 1 BinSchG) ... "