Jurisprudentiedatabank
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt
vom 7. Mai 1974
24 Z - 2/74
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Kehl vom 31.1.1973 - 2 C 356/71 RhSchG -)
Tatbestand:
Die Kläger sind die Eigentümer des MS "G" (Länge: 80; Breite: 8,20 m, Tragfähigkeit: 1266,47 tons; 620 PS).
Der Beklagte Ziffer 1) ist Eigentümer des MS "LG" (Länge: 76,39 m; Tragfähigkeit: 997,35 tons), das am Unfalltage von den Beklagten Ziffer 2) als verantwortlichem Schiffsführer geführt wurde.
AM 10.3.1970 befanden sich MS "LG" und MS "G" beladen auf dem Rhein auf der Talfahrt. Der gemittelte Tiefgang des MS "LG" betrug 2,37 m und derjenige des MS "G" 2,55 m.
Im Bereich von Rhein-km 325-326 drehte das vorausfahrende MS "LG" wegen Nebels auf und ging vor Anker. Einige Minuten später folgte das MS "G" nach. Auch MS "G" drehte wegen Hebels auf, wobei es in Querlage gegen das bereits vor Anker liegende MS "LG" anstieß. Beide Schiffe wurden hierbei beschädigt.
Die Kläger und nunmehrigen Berufungskläger haben in erster Instanz behauptet, zu dem Zusammenstoss zwischen MS "G" und MS "LG" sei es nur gekommen, weil MS "LG" vorschriftswidrig mitten im Fahrwasser und ohne irgendwelche Signale zu geben, vor Anker gelegen habe.
Durch die Kollision, habe MS "G" einen Schaden von 618.673 bfrs erlitten.
Die Kläger haben vor dem Rheinschifffahrtsgericht Kehl beantragt,
die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Kläger 618.673 bfrs nebst 4 % Zins hieraus seit 1.5.1970 zu bezahlen, der Beklagte Ziffer 1) sowohl dinglich mit dem MS "LG", wie auch persönlich in Rahmen von § 114 BSchG haftend.
Die Beklagten haben Klagabweisung,
fürsorglich die Bewilligung von Vollstreckungsschutz beantragt.
Zur Begründung ihres Antrags haben die Beklagten und nunmehrigen Berufungsbeklagten vorgebracht, das MS "LG" sei nach seinem Drehmanöver so dicht an die rechtsrheinischen Kribben beigegangen, dass der Wasseraufschlag der Kribben vor und hinter dem Schiff gelegen habe. Ohne den verschlechterten Sichtverhältnissen Rechnung zu tragen, sei das nachfolgende MS "G" zu lange in Fahrt geblieben, so dass es in eine Nebelwand hineingeraten sei und hierbei völlig die Orientierung verloren habe. Obwohl auf dem stilliegenden MS "LG" zur Kennzeichnung des Schiffes der Scheinwerfer eingeschaltet gewesen sei und man bei Herankommen des drehenden MS "G" die Bugankerkette gefiert habe, sei eine Kollision nicht mehr vermeidbar gewesen. MS "G" sei in Querlage mit dem Backbordvorschiff gegen den Steven des MS "LG" angestoßen.
Das Rheinschifffahrtsgericht Kehl hat am 31.1.1973 nach Durchführung einer Beweisaufnahme die Klage kostenpflichtig abgewiesen.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Rheinschifffahrtsgericht Kehl ausgeführt:
Die Beweisaufnahme habe keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Schiffsführung des MS "LG" schuldhaft den Schiffszusammenstoss verursacht habe. Da dieses Fahrzeug allenfalls am Rande des Fahrwassers, aber keinesfalls im Fahrwasser selbst gelegen habe, sei es nur verpflichtet gewesen, die Nebelsignale anderer Schiffe mit eigenen Schallsignalen zu beantworten. Keiner der unbeteiligten Zeugen habe aber bekundet, dass MS "G" vor seinem Drehsignal, das erst unmittelbar vor der Drehbewegung erfolgt sei. irgendwelche Nebelsignale abgegeben habe, die das stilliegende MS "LG" hätte erwidern müssen. Die Nichterwiderung des Drehsignals durch den Stillieger könne aber nicht als unfallursächlich angesehen werden, da dieses Drehsignal erst unmittelbar vor der Drehbewegung des MS "G" erfolgt sei und ein daraufhin abgegebenes Gegensignal die Kollision nicht mehr hätte verhindern können.
Aufgrund der Beweisaufnahme sei das Gericht vielmehr zu der Überzeugung gelangt, dass der Unfall allein darauf zurückzuführen sei, dass die Führung des MS "G" entgegen der Bestimmung des § 80 Nr. 2 Rheinschifffahrtspolizeiverordnung 1954 nicht rechtzeitig vor der Nebelwand aufgedreht oder -wenn dies wegen der Situation im Bereich vor der Nebelwand nicht möglich gewesen sei- nicht wenigstens das Schiff mit Kopf zu Tal ständig gemacht habe. Hierbei stützt sich das Gericht auf die Aussagen des Lotsen K. von MS "G" und des neutralen Zeugen L. von MS "EE". Der Lotse K. habe bekundet, dass er während des Aufdrehmanövers kaum mehr sein Vorschiff gesehen habe. Schon vorher habe er aber bemerkt, dass ein anderes Schiff, nämlich MS "EE", mitten im Fahrwasser ständig gemacht habe. Hierdurch sei die Führung des MS "G" hinreichend gewarnt gewesen, dass hier mit weiteren stilliegenden Schiffen gerechnet werden müsse.
Der Zeuge L. habe erklärt, dass die Fahrstufe des MS "G" für die damalige Sicht verhältnismäßig hoch gewesen sei, woraus man habe schließen können, dass die Maschine erst kurz zuvor gedrosselt worden sei.
Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat gegen dieses am 31.1.1973 verkündete Urteil, das er den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 24.9.1973 zustellen ließ, mit Schriftsatz vom 4.10.1973, der am 8.10.1973 beim Rheinschifffahrtsgericht Kehl einkam, Berufung eingelegt und die Entscheidung der Berufungskammer der Rheinzentralkommission begehrt.
Die Berufungsbegründung ist am 1.11.1973 beim Rheinschifffahrtsgericht Kehl eingegangen.
Zur Begründung ihrer Berufung führen die Kläger aus:
Obwohl das angefochtene Urteil bereits am 31.1.1973 verkündet wurde, sei die am 8.10.1973 beim Rheinschifffahrtsgericht Kehl eingekommene Berufung fristgerecht und zulässig erhoben, da eine Zustellung des Urteils an den gegnerischen Prozessbevollmächtigten erst am 24.9.1973 vorgenommen worden sei und die Berufungseinlegung noch innerhalb der Frist von 30 Tagen, wie in Artikel 37 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte vorgeschrieben, erfolgt sei. Die Bestimmung des § 516 der deutschen Zivilprozessordnung, die vorschreibt, dass die Berufungsfrist 1 Monat betrage und mit der Zustellung des Urteils, spätestens aber 5 Monate nach dessen Verkündung beginne, könne keine Anwendung finden, da die Berufungsfrist in dem vorrangigen Artikel 37 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte abschließend geregelt sei.
Zu Unrecht habe das erstinstanzliche Gericht angenommen, dass die Führung des MS "G" in der Lage gewesen sei, oberhalb der Nebelwand und damit oberhalb des stilliegenden MS "LG" aufzudrehen und anzuhalten.
Aufgrund der Beweisaufnahme stehe fest, dass alle Schiffe durch den Nebel überrascht worden seien, so dass kein Fehler darin erblickt werden könne, dass MS "G" bis zu derjenigen Stelle weitergefahren sei, an der auch MS "LG" seine Fahrt unterbrochen habe.
Ein Anhaltemanöver mit Kopf zu Tal, wie es das MS "EE" durchgeführt habe, sei so gefährlich, dass man dies einem anderen Schiff nicht zumuten könne, zumal dadurch das Risiko entstanden wäre, völlig die Kontrolle, über das Schiff zu verlieren.
Das erstinstanzliche Gericht habe ferner übersehen, dass die Führung des MS "LG" pflichtwidrig unterlassen habe, rechtzeitig Signale abzugeben, um dadurch auf ihren Liegeplatz aufmerksam zu machen. Wären diese Signale erfolgt, so hätte die Führung des MS "G" die Lage des MS "LG" genau erkennen und einen Zusammenstoss vermeiden können. Zu der Signalabgabe wäre die Führung des MS "LG" umso mehr verpflichtet gewesen, als ihr bekannt war, dass MS "G" nachfolge.
Es könne durch die Beweisaufnahme auch nicht als erwiesen angesehen werden, dass auf MS "LG" zur Kennzeichnung des Schiffes der Scheinwerfer eingeschaltet gewesen sei.
Die Kläger stellen in der Berufungsinstanz den Antrag,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den Berufungsklägern ihre Anträge in der Klageschrift vom 24.9.1971 zuzusprechen.
Die Beklagten lassen kostenpflichtige Zurückweisung der Berufung der Kläger gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Kehl beantragen.
Sie sind der Ansicht, dass die Berufung unzulässig sei, da sie nicht fristgerecht eingelegt wurde. Die Vorschrift des § 516 der deutschen Zivilprozessordnung sei auch auf Rheinschifffahrtssachen anzuwenden, so dass die in Artikel 37 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte bestimmte Frist von 30 Tagen spätestens 5 Monate nach Verkündung des Urteils zu laufen beginne. Demnach hätte die Berufung unter Wahrung der Frist nur bis zum 31.7.1973 erfolgen können. Die Berufungsschrift sei aber erst am 8.10.1973 bei dem erstinstanzlichen Rheinschifffahrtsgericht Kehl eingegangen.
In der Sache selbst wiederholen die Beklagten ihr Vorbringen erster Instanz und bringen ergänzend vor:
Die Gegenseite verkenne, dass MS "LG" von MS "G" stilliegend angefahren worden sei. Dadurch ergebe sich eine Prima-facie Beweislage gegen das fahrende Schiff, also gegen MS "G". Diese Prima-facie-Beweislage habe man nicht ausräumen können, sondern die darin liegende Schuldvermutung sei noch verstärkt worden durch die Bekundung eines unbeteiligten Zeugen, dass MS "G" trotz der Nebellage verhältnismäßig schnell vorbeigefahren sei, woraus der Zeuge geschlossen habe, dass die Maschine erst kurz vorher gedrosselt worden sei.
Der Führung des MS "G" sei auch bekannt gewesen, dass sich das MS "LG" vor ihm befinde, so dass sie einem Stilliegen dieses Fahrzeugs unmittelbar im oberen Bereich der Nebelwand habe rechnen müssen. MS "G" habe keinesfalls in die Nebelwand hinein¬fahren dürfen, sondern noch oberhalb ständig werden müssen.
Auf MS "G" sei auch zu spät erst Anker gesetzt worden, so dass das Fahrzeug in Querlage zu weit talwärts versetzt worden sei. Die von den Interessenten des MS "G" aufgestellte Behauptung, MS "LG" habe im Fahrwasser gelegen, sei durch nichts bewiesen, vielmehr sei durch die Besatzung des MS "LG" dargetan, dass man außerhalb des Fahrwassers im badischen Kribbenbereich gelegen habe. Aufgrund dieses Liegeplatzes sei die Führung des MS "LG" nicht verpflichtet gewesen, Nebelsignale abzugeben, zumal keine rechtzeitigen Signale von MS "G" gegeben worden seien.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Kehl vom 31.1.1973 ist form- und fristgerecht eingelegt.
Die Zustellung des Urteils erfolgte auf Veranlassung der Kläger entsprechend der Vorschriften der §§ 166 ff der deutschen Zivilprozessordnung am 24.9.1973. Die Berufungsschrift kam ausweislich des Posteingangsstempels am 8.10.1973, also innerhalb der 30-Tage-Frist des Artikels 37 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte bei dem Rheinschifffahrtsgericht in Kehl ein.
Im Zeitpunkt der Berufungseinlegung war zwar die Berufungsfrist nach der deutschen Zivilprozessordnung, die in ihrem § 516 diese Frist spätestens mit dem Ablauf von 5 Monaten nach der Verkündung beginnen lässt, bereits verstrichen, da die Urteilsverkündung am 31.1.1973 stattfand, die Berufung aber erst am 8.10.1973 beim erstinstanzlichen Gericht einkam. Nach der Auffassung der Berufungskammer kann die Vorschrift des § 516 der deutschen Zivilprozessordnung aber keine Anwendung finden, da die Art und Weise der Berufungseinlegung einschließlich der Berufungsfrist in Artikel 37 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte abschließend geregelt ist. Dies ergibt sich eindeutig aus der Fassung des Artikels 37 Absatz 2, der das Verfahren bei Anrufung der Zentralkommission erschöpfend und umfassend beschreibt und nur für diesen Berufungsrechtsweg überhaupt von Bedeutung ist. Diese internationale Regelung hat den Vorrang vor den nationalen Vorschriften, zumal keine Anhaltspunkte erkennbar sind, dass die vertragsschließenden Staaten für den Beginn der Berufungsfrist auf Vorschriften des nationalen Rechts verweisen wollten, wie sie es ausdrücklich in Artikel 38 Abs. 3 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte für die bei dem nationalen Obergerichten eingelegten Berufungen getan haben. Nach dem hier allein maßgebenden Artikel 37 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte bestimmt sich lediglich die Form der Zustellung (Insinuation) des Urteils nach den Landesgesetzen des Gerichts erster Instanz, was aus dem französischen Wortlaut des Artikels 37 § 2 "suivant les formes adoptees dans chaque Etat" besonders deutlich hervorgeht.
Nach Meinung der Berufungskammer würde es eine unvertretbare Überdehnung der Auslegung des Artikels 37 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte bedeuten, wollte man auf dem Umweg über die Verweisung auf die nationalen Zustellungsbestimmungen und die Heranziehung des § 516 der deutschen Zivilprozessordnung annehmen, dass mit Ablauf der in der nationalen deutschen Prozessordnung festgelegten 5-Monatsfrist eine Fiktion der Zustellung eintrete und diese dann auch als Fristbeginn des Artikels 37 der internationalen Vorschriften zu gelten habe.
Infolge der Anknüpfung des Beginns der Berufungsfrist an die tatsächlich erfolgte Zustellung des Urteils kann zwar gegen ein nicht zugestelltes Urteil zeitlich unbeschränkt Berufung eingelegt werden und dadurch auch eine unterschiedliche Behandlung zu den Berufungen vor den nationalen Obergerichten eintreten. Diese differenzierte Behandlung muss aber angesichts der eindeutigen Fassung des Artikels 37 in Kauf genommen werden. Sie stellt auch keine unerträgliche Belastung der Parteien oder Einschränkung der Rechtssicherheit dar; denn die an dem Eintritt der Rechtskraft des Urteils interessierte Prozesspartei kann jederzeit durch Zustellung des Urteils die 30-tägige Berufungsfrist in Lauf setzen. Da die Berufungskläger in dem vorliegenden Falle ihre innerhalb der Berufungsfrist eingelegte Berufung auch innerhalb der 4-Wochen-Frist der Artikels 37 und zwar mit dem am 1.11.1973 beim Rheinschifffahrtsgericht Kehl eingekommenen Schriftsatz vom 30.10.1973 begründet haben, bestehen gegen die Zulässigkeit der Berufung keine Bedenken.
II.
Die Berufungskammer ist aufgrund des Beweisergebnisses in Übereinstimmung mit dem erstinstanzlichen Rheinschifffahrtsgericht der Auffassung, dass die Führung des MS "G" verpflichtet und auch tatsächlich in der Lage war, ihre Fahrt wegen des dichter gewordenen Nebels schon oberhalb der späteren Unfallstelle abzubrechen und ihr Fahrzeug ständig zu machen.
Nach § 80 Abs. 2 Rheinschifffahrtspolizeiverordnung (RhPolVO) 1954 müssen Talfahrer anhalten oder aufdrehen, sobald sie infolge verminderter Sicht die Fahrt nicht mehr ohne Gefahr fortsetzen können. Diese Gefahrenlage tritt bei Talfahrern, da sie im Regelfall zur Unterbrechung ihrer Fahrt aufdrehen müssen, schon dann ein, wenn, zu befürchten steht, dass sie bei Fortsetzung der Fahrt in eine dichtere Nebelwand geraten und dann dieses Drehmanöver ohne genügende Orientierung ausführen müssen. Dies gilt in besonderem Masse für die Oberrheinstrecke, da hier nur eine geringere Fahrwasserbreite zur Verfügung steht und außerdem eine erhöhte Stromgeschwindigkeit das Aufdrehen eines Schiffes und sein Ständigwerden erschwert. Der Schiffsführer eines im Oberrhein auf der Talfahrt befindlichen Schiffes handelt deshalb nur dann pflichtgemäß im Sinne des § 80 Abs. 2 RhPoVO 1954, wenn er das Hineingeraten in ein dichtes Nebelfeld vermeidet, indem er schon oberhalb der Nebelwand sein Drehmanöver ausführt und die Fahrt abbricht.
In dem vorliegenden Fall, ist nach den eigenen Bekundungen, des Lotsen K. von MS "G" die im Bereich des Hafens von Fort-Louis (Hafeneinfahrt bei Rhein -km 325,700) stehende Nebelwand schon zu sehen gewesen, als man mit dem eigenen Schiff bei Rhein-km 324,500 fuhr.
Da das wegen Nebels kopfvor vor Anker gegangene MS "EE", das als Hindernis für ein Drehmanöver des MS "G" in Frage kommen konnte, nach den Erklärungen seines Schiffsführers L. etwa 1.50 bis 200 m oberhalb der Hafeneinfahrt Fort-Louis, also etwa erst bei Rhein-km 32,5,500 lag, stand dem zu Tal kommenden MS "G" die Strecke von rund 1 km, nämlich von 324,500 bis fast in den Bereich von 325,500 zur Verfügung, um oberhalb der Nebelwand aufzudrehen und vor Anker zu gehen.
Der Lotse K. hat zwar die Meinung kundgetan, dass für ein Aufdrehen vor der Nebelwand die Strecke zu kurz gewesen sei. Dem kann jedoch nicht beigepflichtet werden, da auf dieser Strecke ein kurzfristiges Drehmanöver möglich gewesen wäre, wenn entsprechend der von nahezu allen Zeugen geschilderten diesigen Wetterlage die Fahrtstufe des MS "G" entsprechend reduziert war.
Nicht nur der Schiffsführer E. von MS "LG" sprach davon, dass bereits bei Rhein-km 321,000 das Wetter diesiger wurde, sondern auch der völlig unbeteiligte Schiffsführer L. von MS "EE" berichtete, dass bei Rhein-km 322,000 talwärts dichterer Hebel zu bemerken war.
Zu einer rechtzeitigen Fahrtunterbrechung oberhalb der Nebelwand war die Führung des MS "G" umso mehr verpflichtet, als ihr bekannt war, dass sich kurz vor ihr das MS "LG" talwärts bewegte, mit dessen. Aufdrehen und Stilliegen im oberen Beginn des Nebelfeldes sie rechnen musste.
Die Schiffsführung des MS "G" kann sich auch nicht darauf berufen, dass sie durch den bergwärts gerichteten Scheinwerfer des MS "EE" irritiert worden sei und diesen zunächst als zu einem Bergfahrer gehörig angesehen habe; denn nach den Bekundungen des Lotsen I K. hat man den Scheinwerfer erst auf eine Distanz von 200 bis 300 m, mithin also erst etwa bei Rhein-km 325,200 ausmachen können, so dass das vermeintliche Aufkommen eines Bergfahrers nicht als Entschuldigung für das unterbliebene Aufdrehen weiter oberhalb gelten kann.
Die Führung des MS "G" kann auch nicht darauf abheben, dass sich in jenem Bereich noch zwei andere Stillieger am badischen Ufer befunden haben, denn diese Schiffe müssen in unmittelbarer Nähe des Liegeplatzes des MS "EE", also bei Rhein-km 325,500 oder knapp oberhalb gelegen haben, da der Schiffsführer des MS "EE" diese beiden Stillieger al s Grund dafür angab, dass er mit seinem. Schiff nicht unmittelbar vor der Nebelwand aufdrehen konnte, sondern mit Kopf zu Tal Anker setzte.
Zusammenfassend ist also festzustellen, dass der Führung des MS "G" nach Erkennen der Nebelwand, also ab Rhein-km 324,500, mindestens eine Strecke von 500 bis 600 m zur Verfügung, stand, um ein Aufdrehmanöver durchzuführen. Diese Strecke wäre bei rechtzeitigem Einsatz der Buganker für ein solches Manöver auch, ausreichend gewesen. Anstatt aber, wie es die Pflicht geboten hätte, ihre Fahrt zwischen Rhein-km 324,500 und 325,100 zu unterbrechen, behielt die Führung dieses Schiffes eine verhältnismäßig hohe Fahrtstufe bei, die dem Schiffsführer L. von MS "EE" bei der Vorbeifahrt des MS "G" besonders auffiel und ihm den Schluss nahelegte, dass die Drehzahl der Maschine des MS "G" erst kurz oberhalb seines Liegeplatzes herabgesetzt worden sein konnte.
Die Führung des MS "G" ist aber nicht nur in Zuwiderhandlung gegen § 80 Abs. 2 RhPolVO 1954 zu lange in Fahrt geblieben, sondern hat auch ihr verspätetes Drehmanöver unsachgemäß ausgeführt. Wenn sie schon ungeachtet der immer schlechter werdenden Sicht noch an MS "EE" vorbeifuhr, so hätte sie doch spätestens unmittelbar unterhalb dieses Schiffes aufdrehen und zur Verkürzung der Drehbewegung sofort beide Buganker setzen müssen.
Dadurch, dass die Führung des MS "G" nach der Schilderung des Schiffsführers L. von MS "EE" auf Höhe seines Schiffes noch keine Anstalten zum Aufdrehen machte und dann noch ungeachtet der starken Strömung zunächst nur einen Anker setzen ließ, wodurch das Schiff in Querlage eine geraume Strecke talwärts versetzt wurde, hat sie eine zweite Ursache für den Unfall gesetzt. Dass ein Drehmanöver, das unmittelbar unterhalb MS "EE" begonnen und entschlossen durchgeführt wurde, Kollisionsfrei zu bewerkstelligen war, hat der später eingetroffene Schiffsführer K. des MS "Zürichsee11 bewiesen.
Mit der Art und Weise ihres Aufdrehmanövers hat die Führung des MS "G" zusätzlich gegen § 4 RhPolVO 1954 verstoßen.
III.
Nach der Auffassung der Berufungskammer hat aber auch die Führung des MS "LG" den Unfall durch ihr schuldhaftes Verhalten mitverursacht, indem sie es unterlassen hat, durch regelmäßig abgegebene Nebelsignale auf ihren Liegeplatz aufmerksam zu machen. MS "LG" lag zumindest noch in der Nähe des Fahrwassers, wobei dieses als die gesamte für die Schifffahrt befahrbare Wasserfläche anzusehen ist. Gemäß § 82 Abs. 2 RhPolVO 1954 wäre die Führung des MS "LG" zwar nur verpflichtet gewesen, akustische Nebelsignale durch Glockenschläge abzugeben, sobald und solange sie Signale eines Herankommenden Fahrzeugs vernahm. Nach Auffassung der Berufungskammer hat aber ein im Nebel stilliegendes Schiff unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Sorgfaltspflicht des § 4 RhPolVO 1954 über die Vorschrift des § 82 Abs. 2 RhPolVO hinausgehend eine Verpflichtung zur Abgabe von Glockensignalen, wenn nach der gegebenen Situation mit Herankommen, weiterer Fahrzeuge gerechnet werden musste. Im vorliegenden Falle war der Führung des MS "LG" bekannt, dass hinter ihr in einem Abstand von wenigen Minuten das MS "G" talwärts folgte. Der Schiffsführer E. von MS "LG" hat zwar bei seiner Zeugenvernehmung in Abrede gestellt, dass er auf der Talfahrt vor der Erreichung der Unfallstelle das MS G" hinter sich gesehen habe. Dem steht aber die Bekundung des Matrosen Ka. dieses Schiffes entgegen, dass sie wussten, dass ihnen ein Talfahrer folge und ihnen auch bekannt war, um welches Schiff es sich dabei handelte; denn MS G" sei ab Grauelsbaum die ganze Zeit hinter ihnen hergefahren. Dass dies auch dem Schiffsführer bekannt war, ergibt sich aus der von dem Zeugen Ka. wiedergegebenen Bemerkung seines Schiffsführers beim Wahrnehmen eines akustischen Signals, "dass dies bestimmt das MS "G" sei". Angesichts dieser aus §4RhPolV0 1954 abgeleiteten Verpflichtung des stillliegenden MS "LG", regelmäßige Glockensignale abzugeben, kann dahingestellt bleiben, in welchem Zeitpunkt erstmals das Drehsignal des MS "G" zu hören war, das dann die Verpflichtung des stilliegenden MS "LG" zur Signalabgabe gemäß § 82 Abs. 2 RhPolVO 1954 auslöste. Da mithin akustische Glockensignale durch MS "LG" auch schon in einem Zeitpunkt zugeben waren als MS 'G" noch das oberhalb liegende MS "EE" passierte und noch nicht mit dem Aufdrehen begonnen hatte, ist davon auszugehen, dass der auf dem Vorschiff des MS "G" stehende Matrose rechtzeitig anhand der Glockensignale den Liegeplatz des MS "LG" hätte ausmachen und seinen Schiffsführer wahrschauen könne, so dass die Drehbewegung des MS "G" gerade an dieser Stelle entweder unterblieben oder gerade eingeleitetes Drehmanöver wieder abgebrochen worden wäre. Zumindest spricht, für eine Ursächlichkeit des Unterlassens des Glockensignals des MS "LG" ein Beweis des ersten Anscheins, den die Interessenten dieses Schiffes nicht auszuräumen vermochten.
IV.
Aufgrund des Beweisergebnisses steht somit fest, dass die Schiffsführer beider unfallbeteiligter Schiffe schuldhaft den Zusammenstoß mitverursacht haben. Die Schiffseigner der beteiligten Schiffe bzw. ihre Rechtsnachfolger haften mithin gemäß §§ 92 BSchG, 736 HGB nach dem Verhältnis der Schwere des auf jeder Seite obwaltenden Verschuldens für den eingetretenen Schaden.
Die Entsprechende Haftung der beteiligten Schiffsführer ergibt sich aus §§ 823 Abs. 2, 254 BGB. Bei Abwägung des beiderseitigen Verschuldens erschien der Berufungskammer der Pflichtenverstoß der Führung des MS "G" besonders schwerwiegend, da sie durch die Fortsetzung der Fahrt in die erkennbar vor dem Schiff stehende Nebelwand hinein die Gesamtgefahrenlage überhaupt erst heraufbeschworen hat, während die Führung des MS "LG" lediglich -wenn auch pflichtwidrig angesichts der Kenntnis des Nachfolgens eines anderen Schiffes- darauf vertraute, dass auf Höhe ihres Liegeplatzes keine andere Talfahrt mehr aufdrehe, sondern diese schon oberhalb ständig werden würde.
Der Berufungskammer erschien es deshalb angemessen, die Haftung der Führung des MS "G" auf 3/4 und diejenige der Führung des MS "LG" auf 1/4 festzusetzen. Entsprechend dieser Haftungsquote haben die Parteien auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Es wird deshalb für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Kehl vom 31.1.1973 wie folgt abgeändert:
Der Klaganspruch ist dem Grunde nach zu 1/4 gerechtfertigt.
Im Übrigen wird die Klage als unbegründet abgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen zu 3/4 den Klägern und zu 1/4 den Beklagten, jeweils als Gesamtschuldnern, zur Last.
Die Festsetzung der Kosten unter Berücksichtigung des Artikels 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht Kehl.