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Leitsätze:
1) Im Rahmen des Artikels 16 CMNI gilt nicht der deutschrechtliche, besonders hohe Sorgfaltsmaßstab des § 426 HGB, sondern der allgemeine Sorgfaltsmaßstab der §§ 276 BGB, 347 HGB. Der Frachtführer haftet nur dann, wenn er und seine Erfüllungsgehilfen nicht alles nach den Fallumständen verkehrsübliche getan haben, was sie zur Schadenverhinderung hätten unternehmen können.
2) Der Frachtführer muss beweisen, dass er sich im Hinblick auf nachgewiesene oder alle denkbaren Schadenursachen so verhalten hat, wie dies von einem sorgfältigen Frachtführer erwartet werden kann. Erforderlich ist allerdings, dass insoweit ein tatsächlicher Anhalt für die entsprechende Schadenursache bestehen muss, denn selbst derjenige, der die Unabwendbarkeit eines Unfallgeschehens zu beweisen hat, braucht nicht solche Unfallverläufe auszuschließen, welche zwar denkmöglich sind, für die aber keinerlei tatsächlicher Anhalt festgestellt werden kann.
3) Bestehen besondere vertragliche Vereinbarungen hinsichtlich der Durchführung von Reinigungsmaßnahmen nicht, dann scheidet insoweit ein Sorgfaltsverstoß des Frachtführers aus, das Transportmittel auf seine vertragskonforme Sauberkeit hin zu kontrollieren. Akzeptiert der Absender Vorreiseprodukte, die nach den eigenen Vorgaben nicht kompatibel sind, verzichtet er auf eine ursprünglich vorgesehene Spülung der Leitungen und macht keine konkreten Reinheitsvorgaben, wie etwa das Ventilieren der Tanks, dann ist auf Seiten des Frachtführers hinsichtlich dieser Maßnahmen nicht von einem sorgfaltswidrigen Verhalten auszugehen. Es kommt dann insoweit auch nicht mehr darauf an, was üblicherweise in einem Einheitstransport geschuldet ist und ob ein solcher Transport überhaupt vorlag.
4) Wird beim Löschen des Vorreiseproduktes das übliche Prozedere, das bislang zu keinerlei Problemen geführt hat, eingehalten, dann scheidet auch insoweit ein Sorgfaltsverstoß aus, wenn die Art und Weise des Löschens als mögliche Ursache für den Schaden in Betracht kommt.
5) Der bloße Verstoß gegen einen internationalen Sicherheitsleitfaden oder mögliche Fahrzeugmängel sind nicht zu berücksichtigen, wenn lediglich Möglichkeiten der Kontamination ohne tatsächliche Anhaltspunkte dafür in Rede stehen.
Urteil des Landgerichts Duisburg
vom 28. September 2021
Az.: 22 O 46/19
nicht rechtskräftig.
Aus dem Tatbestand:
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche aus abgetretenem und übergegangenem Recht der X GmbH, Lüdinghausen, geltend.
Die X GmbH beauftragte die Beklagte mit demTransport von 1.100 t Ethanol per Binnenschiff von Amsterdam nach Lüdinghausen zu einem festen Frachtensatz in Höhe von 15.500,00 EUR.
In der Auftragsbestätigung der Beklagten wurde dabei als letzte und vorletzte Ladung jeweils Ethanol und als drittletzte Ladung Xylol angegeben. In der Schiffsnotation der IAL X ist in dem Feld »zusätzliche Bemerkung« Folgendes ausgeführt: »!! Barge will be flushed with approx. 1.000 Liters of Ethanol (Pipes, drainage System, Manifold, and so on). Afterwards this product will bei segregated in the barges slop tank!!« ...
Am 14.07.2018 wurden die 1.100 t 96 % Ethanol in Amsterdam auf die »VIKING DRAKAR« verladen.
Dabei wurden im Auftrag des Verkäufers die Inspektion des Ladetanks, Probenahme sowie die Mengenkontrolle durch die S durchgeführt. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf die »Expertise Nr. T033.180717« des Zeugen R, Seiten 3, 4 »2. Vorgeschichte« Bezug genommen.
Wegen des S-Reports vom 14.07.2018 wird auf die Anlage B 4, nebst Übersetzung in Deutsch verwiesen. U.a. heißt es dabei zu diesem Rapport wie folgt:
(x) zufriedenstellend sauber zur Beladung einer Ladung Ethanol (Lebensmittelqualität)«.
Der Reinheitsgrad ist festgestellt: Keine (ergänze: Einwände), gut geleert und gestripped.«
Am 16.07.2018 beanstandete der Empfänger die Qualität der Ladung und reklamierte einen Fremdgeruch, wobei die Ursache hierfür nicht geklärt ist ...
Aus den Entscheidungsgründe:
Die Klage hat keinen Erfolg.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz gemäß den §§ 86 VVG, 398 BGB, 16 Abs. 1, 17 Abs. 2, 21 Abs. 1 CMNI.
Ein entsprechender Anspruch scheidet jedenfalls aus, weil davon auszugehen ist, dass ein etwaiger Schaden durch Umstände verursacht worden ist, die ein sorgfältiger Frachtführer nicht hätte vermeiden und deren Folgen er nicht hätte abwenden können.
1.)
Nach der Verschuldensvermutung und der Beweislastverteilung des Artikel 16 CMNI obliegt es dem Frachtführer darzulegen, dass der entstandene Schaden bzw. die schadensursächlichen Umstände durch einen sorgfältigen Frachtfrüher nicht abzuwenden waren, d.h. er und seine Bediensteten und Beauftragten alles nach den Fallumständen verkehrsübliche getan haben, was sie zur Schadensverhinderung unternehmen konnten. Hinsichtlich des Sorgfaltsverstoßes haftet der Frachtführer daher nur, wenn er sich nicht so verhalten hat, wie dies von einem sorgfältigen Frachtführer erwartet werden kann (Koller,Transportrecht, 10. Auflage, 2020, Artikel 16 CMNI, Rn. 2). Abzustellen ist auf den Sorgfaltsmaßstab der §§ 276 BGB, 347 HGB (vgl. OLG Frankfurt, RdTW, 2016, 302; OLG Hamburg, RdTW, 2014, 239, Rn. 43, Ramming, Hamburger Handbuch zum Binnenschifffahrtsrecht, 1. Auflage, 2009, § 32, Rn. 448). Der besonders hohe Sorgfaltsmaßstab, wie er etwa in § 426 HGB, Artikel 17 Abs. 2, Fall 4 CMR vorgesehen ist, gilt nicht (Ramming, Hamburger Handbuch zum Binnenschifffahrtsrecht, 1. Auflage, 2009, § 32, Rn. 448). Da der Frachtführer die Einhaltung des vorgenannten Sorgfaltsmaßstabes beweisen muss, muss er sich entweder im Hinblick auf nachgewiesene oder auf alle denkbaren Schadensursachen entlasten (vgl. Koller, Transportrecht, 10. Auflage, 2020, Artikel 18 CMR, Rn. 2), Erforderlich ist allerdings, dass insoweit ein tatsächlicher Anhalt für die entsprechende Schadensursache bestehen muss, denn selbst derjenige, der die Unabwendbarkeit eines Unfallgeschehens zu beweisen hat, braucht nicht solche Unfallverläufe auszuschließen, welche zwar denkmöglich sind, für die aber keinerlei tatsächlicher Anhalt festgestellt ist (vgl. OLG Düsseldorf, BeckRS, 2007, 5064; BGH, VersR, 1970, 423, 424 zu § 7 Abs. 2 StVG a.F.). Verbleiben danach Unklarheiten hinsichtlich der Schadensursache bezüglich der eine Entlastung des Frachtführer nicht gelingt, geht dies zu seinen Lasten (vgl. Müko/Otte, HGB, 4. Auflage, 2020, Artikel 16 CMNI, Rn. 16).
2.)
Gemessen an diesen Voraussetzungen ist das Gericht davon überzeugt, dass der Schaden durch Umstände verursacht worden ist, die ein sorgfältiger Frachtführer nicht hätte vermeiden können.
a)
Soweit die Klägerseite darauf abstellt, dass die »VIKING DRAKAR« entgegen den vertraglichen Vereinbarungen nicht ordnungsgemäß gereinigt worden ist, ist nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme nicht von einem Sorgfaltsverstoß gemessen am vorstehenden Maßstab auszugehen ...
Der insoweit ... vernommene Zeuge Y ein Mitarbeiter der E GmbH selbst, hat insoweit glaubhaft bekundet ... die Vorgaben seien gewesen, dass man kein Benzol, Rolorol und Xylol also drei Stoffe als Vorladung gehabt habe, und bei dem Schiff, das er uns vorgestellt habe, der »VIKING DRAKAR«, sei das nach seiner Erinnerung so gewesen, dass die dritte Vorladung ein solcher Stoff gewesen sei; um sich zu vergewissern, dass dieser Stoff dann auch nicht mehr im Schiff sei, habe man sich vergewissert, dass die danach transportierten Alkohole vergärt seien; man habe sich vergewissert, dass Ethanol die Vorladung gewesen sei, denn auch Ethanol in einer nicht Lebensmittelqualität wäre für die Klägerseite geeignet gewesen.
Dass Ethanol die Vorladung war, ergibt sich aber nicht nur aus dem beklagtenseits mit Schriftsatz vom 11.05.2021 vorgelegten Anlagenkonvolut 10, an dessen Richtigkeit das Gericht keinen Anlass hat, zu zweifeln – dem mit diesem Schriftsatz ebenfalls vorgelegten Anlagenkonvolut B 11 lässt sich sogar entnehmen, dass das Produkt der vorletzten Vorreise von »VIKING DRAKAR« ebenfalls Ethanol gewesen ist -. Das folgt auch aus den glaubhaften Bekundungen des Zeugen L in seiner Vernehmung im Ter- min vom 14.07.2020 der ausgesagt hat, in Antwerpen habe man Ethanol geladen, es müsste sich um normales Ethanol gehandelt haben, da habe es keine Besonderheiten gegeben, für sie sei Ethanol gleich Ethanol, das sei ein Einheitstransport gewesen; jedes Mal sei das gleiche transportiert werden, also immer Ethanol, man habe gewusst, dass es sich um Ethanol für Lebensmittel gehandelt habe, also keinen Treibstoff. Dabei lässt sich der vorgenannten Aussage des Zeugen Y sogar entnehmen, dass bei der Vorladung nicht einmal Ethanol in Lebensmittelqualität erforderlich war.
(2)
Weiterhin hat der Zeuge ausgesagt, dass in dem Formblatt zwar angesprochen worden sei, dass mit 1.000 l Ethanol habe durchgespült werden sollen, das habe man dann aber verworfen, weil das ziemlich kurzfristig gewesen sei und deswegen habe man dann gesagt, man lasse die Spülung ausfallen ... Aus dieser Aussage ergibt sich dann aber, dass eine Durchspülung mit 1.000 l Ethanol zwischen der X GmbH und der Beklagten gerade nicht vereinbart worden ist.
(3)
Auf der Grundlage der Aussage des Zeugen Y ist das Gericht ferner davon überzeugt, dass zwischen den Parteien im Hinblick auf die konkreten Umstände des vorliegenden Falles gerade nicht vereinbart worden ist, dass weitere Reinigungsvorgaben gemacht worden sind.
Der Zeuge hat nämlich insoweit ausgesagt, wenn er nach weiteren Reinigungsvorgaben gefragt werde, könne er sagen, solche Schiffe ventiliere man höchstens. Vorliegend geht das Gericht allerdings davon aus, dass nicht einmal derartiges vereinbart worden ist ...
(4)
Im Hinblick auf diese demnach zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen kommt es dann aber auf die Frage, was üblicherweise in einem Einheitstransport geschuldet ist, genauso wenig an, wie darauf, ob vorliegend ein solcher Transport überhaupt vorlag.
(5)
Da es zwar Aufgabe des Frachtführers ist, das Transportmittel auf seine vertragskonforme Sauberkeit hin zu kontrollieren (vgl. Koller, Transportrecht, 10. Auflage, 2020, § 412 HGB, Rn. 5), vorliegend aber gemäß dem Vorgesagten besondere vertragliche Vereinbarungen hinsichtlich der Durchführung von Reinigungsmaßnahmen gerade nicht bestanden, scheidet dann aber insoweit ein Sorgfaltsverstoß der Beklagtenseite aus.
b)
Ebenso fehlt es an einem Sorgfaltsverstoß, soweit die klägerseits behauptete Kontaminierung des Ethanols auf einer Einleitung von Gasen bei der Löschung des Vortransportes in Antwerpen beruht haben sollte.
(1)
Insoweit ist beklagtenseits vorgetragen worden, dass sie keinerlei Kenntnis davon gehabt hat, ob das in Antwerpen gelöschte Produkt vergälltes oder unvergälltes Ethanol gewesen ist.
Der Zeuge L hat hierzu nachvollziehbar bekundet, es sei darum gegangen, Luft von außen in das Schiff zu saugen, um einen Unterdruck zu verhindern; er könne allerdings nicht beurteilen, was an Land passiert sei; es sei so, manchmal wird die Luft wirklich als Außenluft von draußen angesaugt und manchmal aus der Anlage, wie es hier gewesen sei, das wisse er nicht; das habe man ihm auch nicht mitgeteilt, das Ganze werde niemals mitgeteilt; die Reise davor sei auch Ethanol gewesen, da sei er aber selbst nicht an Bord gewesen; das sei nicht ausdrücklich gesagt worden, dass es sich um Lebensmittelethanol handelt; man wisse aber, dass, wenn man zu X fahre, es sich um eine hohe Qualität handele; man mache die Arbeitsabläufe aufgrund des Vorfalls genauso, man arbeite immer noch genauso; er müsse allerdings dazu anmerken, dass man Ethanol für den Lebensmittelbereich seit diesem Vorfall auch nicht mehr transportiert habe.
(2)
Dieses Verhalten des Zeugen, insbesondere gegebenenfalls eine fehlende Nachfrage bezogen auf die eingeleiteten Gase kann aber nicht beanstandet werden.
Insbesondere ist weder vorgetragen, noch sonst wie ersichtlich, dass es in der Vergangenheit jemals zu entsprechenden Beanstandungen oder Vorfällen gekommen ist. Vor diesem Hintergrund eines gemäß der glaubhaften Aussage des Zeugen üblichen Prozedere, das bislang zu keinerlei Problemen geführt hatte, entsprach das Verhalten des Zeugen L dann aber der verkehrserforderlichen Sorgfalt ...
d)
Soweit sich die Klägerseite auf weitere Ursachen beruft, wie insbesondere einen Verstoß gegen den internationalen Sicherheitsleitfaden oder mögliche Fahrzeugmängel, stehen lediglich Möglichkeiten der Kontamination ohne tatsächliche Anhaltspunkte in Rede, die nach dem Vorgesagten daher nicht zu berücksichtigen sind ...
Anmerkung der Redaktion:
Besonderheit des vorliegenden Falles ist, dass sich nicht vollständig aufklären ließ, ob und gegebenenfalls wie es zu einer Produktveränderung im Obhutszeitraum gekommen ist. Die Klägerin hatte eine nur olfaktorisch, nicht chemisch nachweisbare Veränderung des Ethanols in Lebensmittelqualität behauptet.
Das Gericht hat entscheidend darauf abgestellt, ob zwischen Absender und Frachtführer Vereinbarungen über den Reinheitsgrad der Tankräume des Schiffes getroffen worden waren oder nicht. Das Gericht hat es nicht als entscheidungserheblich angesehen, ob die Reinheitsgrade, die das CDNI in abfallrechtlicher Hinsicht für Einheitstransporte oder kompatible Transporte in Artikel 5.01 und Artikel 7.02, Teil B, CDNI vorsieht, und die abfallrechtliche Pflichtenverteilung nach CDNI auch für das frachtvertragliche Rechtsverhältnis Bedeutung haben. Zu den Reinheitsanforderungen für Tankschiffstransporte sind in jüngster Zeit international unterschiedliche und interessante Entscheidungen ergangen, so zum Beispiel OLG Hamburg, ZfB 2019, Sammlung, Seite 2621 ff; Handelsgericht Antwerpen, ZfB 2019 Sammlung Seite 2628 f; Landgericht Würzburg, ZfB 2020, Sammlung, Seite 2662 ff; Rechtbank Rotterdam, ZfB 2020, Sammlung 2671 ff sowie Ondernemingsrechtbank Antwerpen, ZfB 2021, Sammlung Seite 2707 (siehe auch Fischer, Anmerkungen zu den Themen der Entscheidung Rechtbank Rotterdam, ZfB 2020, Sammlung Seite 2676 ff). Erneut ist in der vorstehend veröffentlichten Entscheidung auf den Unterschied des Haftungsmaßstabes nach Artikel 16 CMNI für internationale Transporte gegenüber dem verschärften, deutschrechtlichen Sorgfaltsmaßstab des § 426 HGB, der nur für innerdeutsche Transport gilt, hingewiesen. Es ist bedauerlich, dass der deutsche Gesetzgeber insoweit eine vom internationalen Binnenschiffstransportrecht abweichende Vorschrift erlassen hat, was dem Interesse der europäischen Rechtsvereinheitlichung zuwiderläuft.
Rechtsanwalt Dr. Martin Fischer, Frankfurt am Main
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2021 - Nr. 11 (Sammlung Seite 2720 f.); ZfB 2021, 2720 f.