Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Arretierungsblöcke und Sicherungsbolzen sind keine wartungsfreien Elemente der Ruderanlage. Es liegt grobe Nachlässigkeit des Schiffseigners vor, wenn solche Bolzen innerhalb eines 4-jährigen Zeitraums nicht auf ihre Betriebssicherheit überprüft werden, - eine Verpflichtung, die unabhängig von Hinweisen des Schiffsherstellers besteht.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 12. Dezember 1988
217 Z - 7/88
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Am 16.11.1985 gegen 3.00 Uhr früh stieß das MS S, auf seiner Backbordseite gekuppelt mit Leichter B, beide mit Containern beladen, auf der Talfahrt gegen den linksrheinischen Pfeiler der Hohenzollernbrücke in Köln. An diesem Pfeiler waren im Zuge der Verbreiterung der Brücke Änderungsarbeiten im Gange. Die durch Dalben und Verspundung vorgenommenen Sicherungen wurden beschädigt. Die Klägerin verlangt - teilweise aus abgetretenem Recht ihrer am Bau beteiligten Gesellschaften - Schadensersatz in Höhe von 927627,- DM mit der Behauptung, daß der Kurs des Schiffes zu weit linksrheinisch gelegen habe. Der 20jährige Rudergänger sei für die Steuerung des großen Verbandes in der Dunkelheit zu unerfahren gewesen. Auf etwaige Funktionsstörungen der Ruderanlage habe die Schiffsführung nicht richtig reagiert. Ferner habe die Besatzung des MS S nach dem Unfall die Ruderstörungen nicht als Ursache genannt, um Zeit für die Wiederherstellung zu gewinnen.
Die Beklagte hat die Behauptungen bezüglich des Rudergängers bestritten. Die Havarieursache beruhe auf dem Bruch des Sicherungsbolzens des Arretierungsblocks der Kette des Steuerbordruders. Daß der Bolzen nicht aus Chrom-Nickelstahl bestanden habe, sei ihr nicht bekannt gewesen. Die Arbeiten an der Ruderanlage nach der Havarie seien zur Sicherung des Verbandes erforderlich gewesen. Bis auf 2 Posten (Regiekosten und Überstundenlöhne) ist die Schadenshöhe unstreitig.
Die Klägerin hat der Herstellerin der Ruderanlage den Streit verkündet, die dem Rechtsstreit aber nicht beigetreten ist.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat der Klage in Höhe von 863688,- DM stattgegeben, den darüber hinausgehenden Anspruch mangels Nachweises nicht anerkannt. Die Beklagte habe sich hinsichtlich des Hauptanspruches nicht entlasten können, besonders deshalb, weil sie nach der Havarie an der Ruderanlage nichts habe verändern dürfen. Die Beklagte hat Berufung, die Klägerin Anschlußberufung eingelegt.
Die Berufungskommission der Rheinzentralkommission hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und das erstinstanzliche Urteil - wenn auch in der Hauptsache aus anderen Gründen - in vollem Umfang bestätigt. Demgemäß wurde auch die Anschlußberufung der Klägerin zurückgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„....“
I. Zur Berufung:
Sie ist formell nicht zu beanstanden, in der Sache aber aus den folgenden Gründen erfolglos.
1. ... Der Sachverständige hat in seinem ... Gutachten ... die folgende Havarieursache festgestellt. Kurze Zeit vor dem Anprall des Schiffsverbandes gegen einen Brückenpfeiler brach auf MS S der Sicherungsbolzen des Arretierungsblocks der Transmissionskette des Steuerbordruders. Dadurch fiel nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten dieses Ruder aus und das MS S konnte nicht mehr gesteuert werden. Nach der weiteren Ansicht des Sachverständigen war der Bruch des Sicherungsbolzens das Ergebnis dessen langjährigen Gebrauchs, der den Querschnitt des Bolzens durch Abscheren geschwächt und den Bolzen auch deformiert hatte. Die Richtigkeit dieser Feststellung zeigen die Fotos des Gutachtens. Sie zeigen:
a) den gebrochenen Sicherungsbolzen,
b) den nicht gebrochenen Sicherungsbolzen des Backbordruders,
c) einen nicht gebrauchten Sicherungsbolzen.
Die beiden gebrauchten Bolzen zeigen deutlich Scherspuren und Deformierungserscheinungen. Ihr Querschnitt erscheint bei einem Vergleich mit einem nicht gebrauchten Bolzen erkennbar vermindert. Der Sachverständige hat eine Minderung von 14,5 auf 14,1 mm festgestellt. Seine Schlußfolgerung, der durch Abscheren im Querschnitt geminderte und dazu noch durch Deformierung geschwächte Bolzen habe nach Dimension und Festigkeit den hohen Kräften beim Betrieb nicht mehr standhalten können, überzeugt die Berufungskammer. Ebenso überzeugend ist die weitere Schlußfolgerung, es sei reiner Zufall, daß der Sicherungsbolzen des Arretierungsblocks des Steuerbordruders gebrochen sei. Der entsprechende Bolzen des Backbordruders hätte ebenfalls brechen können. Der Sachverständige hat schließlich festgestellt, daß Arretierungsblöcke und Sicherungsbolzen keine wartungsfreien Elemente der Ruderanlage seien, sondern von Zeit zu Zeit kontrolliert und erneuert werden müßten. Die Erneuerung eines Bolzens habe spätestens z. B. dann zu erfolgen, wenn eine Verformung oder eine Minderung des Querschnittes festzustellen sei. Mit dem Sachverständigen stellt die Berufungskammer als Havarieursache fest, daß das MS S eine Ruderanlage mit nicht betriebssicheren Bolzen der Arretierungsblöcke der Ruderketten hatte, von denen einer kurz vor der Havarie gebrochen ist und die Ruderanlage funktionsunfähig gemacht hat.
2. Der Eigner von S ist dazu gehört worden, auf welche Weise er das Schiff auf seine Betriebssicherheit geprüft habe. Er hat erklärt, das havarierte Schiff sei seit vier Jahren in Betrieb gewesen. Während dieser Zeit habe er es nicht für notwendig gehalten, die Sicherungsbolzen zu prüfen. ... Die Berufungskammer ... kann sich auf die Feststellung beschränken, daß es in jedem Falle eine grobe Nachlässigkeit war, die Bolzen vier Jahre lang nicht zu prüfen. Zur Begründung dieser Ansicht genügt der Hinweis auf den Zustand, in den die Bolzen durch ihre vierjährige Benutzung geraten waren. Ein zwischen dem Einbau neuer Sicherungsbolzen und deren erster Prüfung liegender Zeitraum darf nie so lang sein, daß in seinem Verlauf die festgestellte Schwächung der Bolzen auftreten kann ohne erkannt zu werden.
3. . . . Die Pflicht des Schiffseigners, sein Schiff in regelmäßigen Abständen auf seine Betriebssicherheit zu prüfen, besteht unabhängig von den Hinweisen, die der Erbauer des Schiffes für die Prüfungsbedürftigkeit der Schiffsteile gibt. Das gilt schon deshalb, weil der Hersteller die Belastungen nicht übersehen kann, denen das Schiff in allen seinen Einzelteilen durch seinen Betrieb ausgesetzt wird. Selbst auf einen Hinweis des Erbauers, bestimmte Teile des Schiffes seien wartungsfrei, dürfte sich also dessen Eigner nicht verlassen. Ein solcher Hinweis ist zudem im vorliegenden Falle bezüglich der Bolzen nicht gegeben worden, denn über deren Prüfungsbedürflichkeit hat die Erbauerin des Schiffes nichts gesagt.
Es kann nicht anerkannt werden, daß wichtige und stark beanspruchte Teile der Schiffsausrüstung mit Rücksicht auf das Material, aus dem sie bestehen, nicht auf ihre Betriebssicherheit von Zeit zu Zeit geprüft werden müssen. Das Material kann allenfalls die Prüfungszeiträume beeinflussen, wenn seine Verwendung sicher feststeht, was im vorliegenden Falle nicht so war. Der erörterte Gesichtspunkt ist also auf die Entscheidung ohne Einfluß.
4. ... Richtig ist der Ausgangspunkt. Stößt ein Schiff gegen einen Brückenpfeiler, so haben Eigner und Besatzung zu beweisen, daß das Ereignis weder auf ihrem Versagen, noch auf einem solchen der Einrichtungen des Schiffes beruht, für das sie verantwortlich sind. Richtig ist weiter, daß dieser Beweis dann bis zur Unmöglichkeit erschwert werden kann, wenn die Havarie mit dem technischen Versagen einer Schiffseinrichtung erklärt wird, an der nach der Havarie gearbeitet worden ist bis sie wieder funktionierte. Im vorliegenden Falle spielen diese Erwägungen aber deshalb keine Rolle weil die Havarieursache und die Verantwortlichkeit des Schiffseigners feststehen.
II. Zur Anschlußberufung:
Erst mit der Anschlußberufung sind die umstrittenen Schadensposten eingehend begründet worden.
Die Berufungskammer hält es nicht für vertretbar, das schuldhaft verspätete Vorbringen einer Partei zu prüfen, wenn damit eine Verzögerung der Entscheidung des Rechtsstreites verbunden ist.
....“.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1990 - Nr.1 (Sammlung Seite 1278 f.), ZfB 1990, 1278 f.