Jurisprudentiedatabank

216 Z - 6/88 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Datum uitspraak: 12.12.1988
Kenmerk: 216 Z - 6/88
Beslissing: Urteil
Language: Duits
Rechtbank: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Afdeling: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Zur Beweisführung und -würdigung von Zeugenaussagen über den Verlauf einer Kollision begegnender Schiffe. Die nach Art. 37bis Abs. 1 der Rheinschifffahrtsakte nicht auszuschließende Möglichkeit einer widersprechenden Beurteilung desselben Unfallgeschehens durch verschiedene Berufungsgerichte müssen die Parteien im Rheinschiffahrtsprozeß hinnehmen. Der Ausschluß solcher im Einzelfall möglicherweise unbillig erscheinenden Ergebnisse kann nur im Wege der Neufassung von Art. 37bis der Rheinschiffahrtsakte durch die für ihre Abänderung zuständigen Länder erfolgen.

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 12. Dezember 1988

216 Z - 6/88

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)


Zum Tatbestand:

Auf dem Rhein bei Emmerich kam es am 27.2. 1985 gegen 21.00 Uhr bei dichtem Nebel mit wechselnder Sicht zwischen 50 und 300 m zur Begegnung zwischen den Bergfahrern MTS E14 der Klägerin, dahinter MTS A, und den Talfahrern Schubverband H, dahinter das der Beklagten zur 1 gehörende, vom Beklagten zu 2 als Lotsen geführte KMS S und KMS K. Alle Schiffe waren beladen und fuhren nach Radar, wobei die sachlichen und persönlichen Voraussetzungen für die Radarfahrt gegeben waren. Bein Rhein-km 851,5 kollidierten MTS E14 und KMSS, beide wurden schwer beschädigt.
Die Klägerin verlangt von den Beklagten Schadensersatz von 147650,- DM. MTS E14 sei mit einer Geschwindigkeit von 10-11 km/h und einem Abstand von 40-50m an den linksrheinisch bis zu 120m aus dem Ufer liegenden Schiffen vorbeigefahren und dem Schubverband in ausreichendem seitlichen Abstand begegnet. Um einen vermeintlich sich aus dem Pulk der Stillieger lösenden und anscheinend zunächst zu Tal sackenden Schiff Platz zu machen, habe E14 leicht Kurs nach Backbord genommen. Plötzlich sei aber KMS S in den Kurs von E14 gekommen und trotz dessen Versuchs, das MTS mit höherer Geschwindigkeit aufzustrecken, etwa in Strommitte mit dem Backbordvorschiff gegen den Steven des Bergfahrers geraten, der nach der Kollision herumgefallen und kopfvor zu Tal gegen MS E79 gestoßen sei, während KMS S in die rechtsrheinischen Kribben geraten sei.
Die Beklagten bestreiten die Behauptungen der Klägerin. KMS S sei, ebenso wie der Schubverband H, etwa 40m aus den rechtsrheinischen Kribben zu Tal gefahren. Auf der Reede von Emmerich habe das KMS von einer zunächst geplanten Uberholung des Schubverbandes abgesehen und den Abstand zu diesem auf ca. 600m vergrößert. Oberhalb des Emmericher Industriehafens sei auf dem Radarschirm das Echo des Bergfahrers MTS E14 erschienen, der seinen Kurs mit der Möglichkeit einer problemlosen Backbordbegegnung gefahren sei, jedoch in kurzem Abstand vor S nach Backbord in den Kurs der Talfahrt gehalten habe. Auf Anfragen über Kanal 10, was der Bergfahrer vorhabe, habe E14 nicht reagiert. Die Kollision, bei der KMS S in starker Querlage gegen das Backbordschiff von KMS S geraten sei, habe nicht mehr vermieden werden können. Dem nachfolgenden KMS K sei es nur mit Not gelungen, das Achterschiff des querliegenden MTS E14 zu umfahren.
Das Verhalten des Schiffsführers der Klägerin wurde von der Wasserschutzpolizei und dem Rheinschifffahrtsgericht als ordnungswidrig gewertet. Der zu einer Geldbuße von 150,- DM verurteilte Schiffsführer wurde von der Berufungskammer der Rheinzentralkommission freigesprochen. Das Rheinschiffahrtsgericht hat die vorliegende Klage auf Schadensersatz abgewiesen. Die Berufung der Klägerin wurde von der Berufungskommission der Rheinzentralkommission zurückgewiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:

1. Gemäß ) 9.02 Nr. 1 b, Nr. 2 RhSchPVO müssen Berg- und Talfahrer auf der Strecke zwischen Duisburg und der deutschniederländischen Grenze beim Begegnen ihren Kurs so weit nach Steuerbord richten, daß die Vorbeifahrt ohne Gefahr Backbord an Backbord stattfinden kann. Gemäß §6.03 Nr. 3 RhSchPVO dürfen Fahrzeuge, deren Kurs jede Gefahr eines Zusammenstoßes ausschließt, beim Begegnen ihren Kurs oder ihre Geschwindigkeit nicht in einer Weise ändern, die die Gefahr eines Zusammenstoßes herbeiführen könnte.

2. Die Darstellung der Klägerin, daß die Schiffsführung des KMS S entgegen diesen Vorschriften vom linken Ufer her plötzlich in den Kurs des sich an seinen Steuerbordwall haltenden MTS E14 hineingefahren ist, so daß das Motortankschiff ungeachtet einer Ausweichbewegung nach Backbord die Anfahrung nicht mehr habe vermeiden können, wird zwar nicht nur vom Schiffsführer des klägerischen Schiffes, dem Zeugen S. bestätigt. Vielmehr hat auch Schiffsführer J. von dem hinter MTS E14 fahrenden MTS A bekundet, daß er ebenso wie das vor ihm fahrende MTS E14 an seinem „guten Wall" entlangfahrend den Kurs wegen der am linken Ufer liegenden Schiffe etwas weiter von Land ab, aber noch nicht über die Strommitte hinaus genommen habe, als das Echo eines vermeintlichen Stilliegers auf dem Radarschirm erschienen sei, der etwas weiter als die anderen Schiffe - vielleicht 100m - aus dem Ufer herausgelegen habe und plötzlich nach Steuerbord hinübergegangen sei, wobei er schon bald eine starke Schräglage gehabt habe.
Zu diesem Zeitpunkt seit MTS E14 von dem vermeintlichen Stillieger, der sich später als Talfahrer herausgestellt habe, vielleicht noch 200 m entfernt gewesen. Der Zeuge hat nach seinen Bekundungen den Eindruck gewonnen, der Talfahrer habe möglicherweise erkannt, daß er sich am „verkehrten Wall" befinde und deshalb bestrebt gewesen sei, möglichst schnell an das andere Ufer zu kommen.

3. Diesen, die Darstellung der Klägerin über den Ablauf des Unfalls bestätigenden Aussagen der vorgenannten Zeugen stehen jedoch sowohl die Bekundungen der Besatzungsangehörigen des KMS S als auch die Aussagen der Besatzung des hinter KMS S fahrenden KMS K unvereinbar gegenüber. So hat der vom Rheinschiffahrtsgericht vernommene Beklagte zu 2), der Lotse M. der das KMS S verantwortlich führte, bekundet, daß er ebenso wie die vor und hinter ihm befindlichen Talfahrer bei der Annäherung an den Industriehafen Emmerich (Stromkilometer 851,6) mit einer Geschwindigkeit von 12 km/h „praktisch in Kiellinie etwa 40 m aus den rechtsrheinischen Kribben" gefahren sei. Nachdem dann MTS E14 dem vor KMS S fahrenden Schubverband H in einem Abstand von 40-50m begegnet sei, habe das Motortankschiff in einer Entfernung von rund 300 m plötzlich Kurs auf KMS S genommen.
Ohne auf wiederholte Ansprachen über Kanal 10 zu reagieren, habe MTS E14 sodann seinen Kollisionskurs fortgesetzt und sei zunächst in Querlage und dann sogar den Kopf zu Tal mit seinem Steven in die Backbordseite von KMS S geraten, obwohl das Küstenmotorschiff gestoppt habe und nach Steuerbord auf die Kribben zu ausgewichen sei. Nach der Kollision sei das hinter S fahrende KMS K am Heck von MTS E14 vorbeigefahren und habe die weitere Bergfahrt ohne Schwierigkeiten passiert, wenngleich für K beim Freifahren des Hecks von E14 nicht viel Platz gewesen sei.
Auch Kapitän W. von KMS S hat bestätigt, daß der Bergfahrer (E14) nach einem zunächst klaren Kurs „sehr plötzlich" Kurs auf KMS S zu genommen und das Küstenmotorschiff in Querlage „vorn am Steven an der Backbordseite" angefahren habe, so daß dieses nach Steuerbord gedrückt worden und zwischen die Kribben geraten sei. Diese Darstellung der Besatzungsangehörigen des am Unfall beteiligten KMS S wird in allen wesentlichen Punkten auch von der Besatzung des hinter S fahrenden KMS K bestätigt. So hat der Lotse D. von KMS K in Ergänzung seines der Wasserschutzpolizei am 8.3. 1985 übergebenen Zeugenberichts im vorliegenden Verfahren bekundet, daß die drei Talfahrer „etwa in Kiellinie rund 40m aus den (rechtsrheinischen) Kribben" gefahren seien und der entgegenkommende Bergfahrer („Eiltank 14") zwar die (linksrheinischen) Stillieger gut freigefahren, gleichwohl aber zunächst einen normalen Kurs eingehalten habe, der keinen Anlaß zu Bedenken gegeben hätte.
Plötzlich habe er gehört, wie der Lotse von KMS S gefragt habe, was der Bergfahrer da mache, er fahre ihm ja voll in die Seite. Nunmehr habe er genauer auf den Radarschirm geschaut und gesehen, daß der Bergfahrer eine Schräglage auf KMS S zu gehabt habe. Diese Schräglage habe sich dann zur Querlage verstärkt und beide Schiffe seien zum rechten Ufer hinübergegangen.

4. Schließen demnach die Aussagen der Besatzungsangehörigen der am Unfall beteiligten und der ihnen unmittelbar nachfolgenden Schiffe, deren Besatzung naturgemäß die besten Beobachtungsmöglichkeiten hatte, einander aus, so ermöglichen auch die Bekundungen des Schiffsführers H. von dem vor KMS S fahrenden Schubverband H keine zuverlässigen Feststellungen über den Ablauf der hier streitigen Havarie. Den Unfallhergang selbst hat der Zeuge nicht beobachtet.
...

6. Vergeblich bemüht sich die Berufung, gerade der Aussage des Schiffsführers J. von MTS A eine prozeßentscheidende Bedeutung zuzumessen. Die Berufungskammer sieht keinen Anlaß, ihr einen höheren Stellenwert beizumessen als den Bekundungen der am Unfall ebenfalls unbeteiligten Besatzung des KMS K. Insbesondere ist es - wie die vorstehend wiedergegebene Aussage des Lotsen D. von KMS K ergibt - entgegen der Auffassung der Berufung - nicht richtig, daß dieser Zeuge „die Vorgänge, die zum Unfall geführt haben, überhaupt nicht gesehen" hat.
Ebenso kann die von den Besatzungen der Küstenmotorschiffe beobachtete plötzliche und starke Schräglage des MTS E14 angesichts der verhältnismäßig leichten Stromkrümmung im Unfallrevier keine Erklärung in den örtlichen Verhältnissen oder der Belegung des Reviers durch weitere Fahrzeuge finden.
Schließlich wird der bei der Annäherung an die Unfallstelle vom KMS S eingehaltene rechtsrheinsiche Kurs (rund 40 m aus den Kribben) nicht nur vom Lotsen D. vom KMS K bestätigt, sondern auch von dessen Kapitän G.

7. Ob die von den Beklagten im Berufungsverfahren überreichten Lichtbilder von den an den kollidierten Schiffen entstandenen Schäden in Verbindung mit dem Privatgutachten des Experten K. geeignet sind, die Darstellung der Beklagten über den Hergang der hier streitigen Havarie überzeugend zu bestätigen, kann für dieses Verfahren, in dem es allein um die Schadensersatzansprüche der Interessenten des MTS E14 geht, dahinstehen, denn jedenfalls hat die Klägerin den ihr obliegenden Beweis für ein zum Schadensersatz verpflichtendes nautisches Fehlverhalten der Führung des KMS S nicht mit der für eine Verurteilung der Beklagten erforderlichen Sicherheit erbringen können, so daß die Klage vom Rheinschiffahrtsgericht zu Recht abgewiesen worden ist.

9. Die nach der Vorschrift des Art. 37 bis Abs. 1 dieser Akte auch in Rheinschiffahrtssachen nicht auszuschließende Möglichkeit einer widersprechenden Beurteilung desselben Unfallgeschehens durch verschiedene Berufungsgerichte muß die Klägerin - wie jede Partei eines Rheinschiffahrtsprozesses - aufgrund der bestehenden gesetzlichen Regelung hinnehmen. Der Ausschluß eines solchen im Einzelfall möglicherweise unbillig erscheinenden Ergebnisse liegt nicht im Verantwortungsbereich der erkennenden Berufungskammer, sondern kann allenfalls im Wege der Neufassung von Art. 37bis der Revidierten Rheinschiffahrtsakte durch die gesetzgebenden Instanzen der für eine Abänderung der Vorschriften der Rheinschiffahrtsakte zuständigen Länder erfolgen....“

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1990 - Nr.1 (Sammlung Seite 1276 f.); ZfB 1990, 1276 f.