Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Die Vertragsfreiheit bei der Frachtberechnung im gewerblichen Binnenschifffahrtsverkehr ist nur insoweit ausgeschlossen, als Verkehrsentgelte gemäß § 21 Binnenschiffsverkehrsgesetz von den zuständigen Stellen festgesetzt sind.
Urteil des Landgerichts Hamburg
Kammer für Handelssachen
vom 14. Dezember 1959
21 S 11/59
Zum Tatbestand:
Der Frachtenausschuss Hamburg setzte erstmals mit Wirkung vom 1. Januar 1959 für seinen Zuständigkeitsbereich Schlepplöhne nicht nur wie bisher brutto, sondern unter Aufteilung in ein (Netto-) Schleppentgelt und Reedereiverwaltungskosten fest. Aber schon in der Zeit davor zog die Beklagte (Reederei) für die im Jahre 1958 an den Kläger (Partikulier) zur Durchführung abgegebenen Schleppaufträge zwecks Deckung ihrer Reedereiverwaltungskosten von den Rechnungsbeträgen den als ortsüblich bezeichneten Satz pro geschleppte Ladetonne ab. Der Kläger verlangt die Auszahlung dieser Abzüge mit der Begründung, dass die festgesetzten Schlepplöhne Festentgelt seien und irgendein Abzug vor dem 1. Januar 1959 unzulässig sei.
Der Klage wurde vom Amtsgericht stattgegeben; auf die Berufung der Beklagten wurde die Klage dagegen vom Landgericht abgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Anwendung des § 354 HGB steht die vom Frachtenausschuss vorgenommene Festsetzung der Schlepplöhne nicht entgegen. Die Vertragsfreiheit im gewerblichen Binnenschifffahrtsverkehr ist nämlich nur insoweit ausgeschlossen, als Entgelte für die Verkehrsleistungen von den zuständigen Stellen tatsächlich festgesetzt sind. Wo keine Festsetzungen erfolgt sind, sind vertragliche Vereinbarungen zulässig. Das Gesetz über den gewerblichen Binnenschifffahrtsverkehr vom 1. Oktober 1953 (BiSchVG, BGBI. 1 S. 1453) bestimmt in § 21 1 lediglich, dass die festgesetzten Entgelte sog. „Festentgelte" seien. Sie sind nach einhelliger Meinung unabdingbar (vgl. Vortisch, Kom. z. BiSchVG, 1955 Anm. 2b zu § 21; Kählitz, Kom. z. BiSchVG 1953 Anm. 19 zu § 21). Das Gesetz regelt dagegen nicht, welche Entgelte bis zur Festsetzung zu entrichten seien. Wo keine gesetzlichen Schranken bestehen, greift die Vertragsfreiheit Platz.
Bezüglich der Reedereiverwaltungskosten bestand bis zum 1. Januar 1959 Vertragsfreiheit. Mit Wirkung vom 1. Februar 1958 waren lediglich die Brutto-Schlepplöhne festgelegt worden, die der Ablader an die Reederei zu entrichten hatte.
Der mit Wirkung vom 1. Februar 1958 festgesetzte Schlepplohn kann auch nicht als Brutto- und gleichzeitig Netto-Schlepplohn verstanden werden. Das würde nämlich bedeuten, dass die Beklagte bei der Weitergabe von Schleppaufträgen an die Privatschiffer ohne jeden Nutzen zu arbeiten hätte. Da die Ölgesellschaften die Tankleichter selbst stellen, stände der Beklagten eine Kahnanteilfracht nicht zu (vgl. Kählitz a.a.O. Anm. 4 zu § 21). Die Beklagte müsste den vereinnahmten Schlepplohn (abzüglich einer 4°/o igen Abfertigungsprovision) auskehren, ohne für ihre Werbungs- und sonstigen Kosten ein Entgelt zu erhalten. Das würde dem Grundsatz des § 354 1 HGB zuwiderlaufen. Auch wäre der Sinn des Beschäftigungsabkommens zwischen den Reedereien und den Privatschiffern in Frage gestellt. Gemäß Ziff. 1, 1 und 2, des am 1. Dezember 1956 geschlossenen und am 1. Mai 1957 in Kraft getretenen Beschäftigungsabkommens haben sich der SBVE und seine Mitglieder jeder Werbungstätigkeit für Schleppaufträge zu enthalten. Dafür haben die Reedereien die Privatschiffer an den geworbenen Aufträgen zu beteiligen (Ziff. 1, 3). Die Privatschiffer bedienen sich dabei mittelbar des Geschäftsbetriebes der Reedereien. Würde man von den Reedereien verlangen, ihren Geschäftsapparat unentgeltlich den Privatschiffern zur Verfügung zu stellen, so würde das Beschäftigungsabkommen lahm gelegt werden. Damit würde man das von BiSchVG angestrebte Ordnungsgefüge, das zu einem Teil dem Schutz der Privatschiffer dient (vgl. Kählitz a.a.O. Anm. 1 zu § 21), zerstören.