Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Nachstehend zwei Urteile zur Bewertung von Zeugenaussagen über den Hergang eines Schiffszusammenstoßes.
Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
Urteil
vom 21. September 1987
(Auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Mainz vom 28.10.1986 - 12 Js 8437/86 - 19 OWi -)
Tatbestand und Entscheidungsgründe:
Das vom Betroffenen geführten Motorschiff "U" ist am 15.11.1985 gegen 20 Uhr in dichtem Neben in der Ortslage Mainz als Bergfahrer mit einem zu Tal fahrenden Verband zusammengestoßen, der aus dem Motorschiff "M" und dem an dessen Backbordseite befestigten Motorschiff "T" bestand. Das letztere Schiff war bei einer früheren Havarie beschädigt worden.
Dem Betroffenen wird vorgeworfen, den Zusammenstoss dadurch herbeigeführt zu haben, dass er - aus Unachtsamkeit oder aus Übermüdung - den Kurs seines Schiffes aus der linksrheinischen Stromhälfte nach Backbord in denjenigen des zu Tal fahrenden Verbandes hinein verlegt habe.
Auf dieser Feststellung beruht das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Mainz, durch das gegen den Betroffenen eine Geldbusse von DM 250 verhängt worden ist.
Der Betroffene hat gegen das Urteil Berufung eingelegt.
Wie schon im ersten Rechtszuge bestreitet er die ihm vorgeworfene Kursveränderung und wirft dem Talfahrer vor, seinen Kurs nach Backbord verändert und dadurch den Zusammenstoss herbeigeführt zu haben.
Die Berufung ist formell nicht zu beanstanden.
In der Sache führt sie zum Freispruch des Betroffenen.
Im Einzelnen hat die Berufungskammer erwogen:
1. Der später zu Tal fahrende Verband "M-T" ist im linksrheinisch liegenden Winterhafen von Mainz zusammengestellt worden. Um den Kurs der Talfahrt in der rechtsrheinischen Stromhälfte zu erreichen, musste er also nach der Ausfahrt aus dem Hafen zum Wenden zu Tal über Backbord einen Teil des Rheins queren. Der Verband war also notwendigerweise nach der Ausfahrt aus dem Hafen in linksrheinisch liegenden Kurse der Bergfahrt.
In dem Kurse muss er eine Zeitlang geblieben sein, denn es ist unstreitig, dass sein Kapitän B. mit dem zu Berg fahrenden Motorschiff "S" eine Begegnung Steuerbord an Steuerbord vereinbart hat, da der Bergfahrer in den Main fahren wollte. Eine solche Begegnung setzte voraus, dass der genannte Verband Backbord-Kurs fuhr, also in der linksrheinischen Stromhälfte blieb. Beide Umstände sprechen für die Möglichkeit eines Zusammenstosses des zu Tal fahrenden Verbandes mit dem Bergfahrer MS "U" in der linksrheinischen Stromhälfte, also im Kurse der Bergfahrt. Sie entlasten deshalb den Betroffenen.
2. Auf der anderen Seite sprechen die Aussagen von 3 Beamten der Wasser-Schutzpolizei für einen Zusammenstoss in der rechtsrheinischen Stromhälfte in einem nicht genau feststehenden Abstände vom rechtsrheinischen Ufer. Bei der Bewertung dieser Aussage ist jedochfolgendes zu bedenken. Die Beobachtungen der Zeugen erfassen nur die Zeit nach der Havarie, denn sie beginnen, als die zusammengestoßenen Schiffe einen Knäuel in Form eines T bildeten, der sich später über ein V in 3 Schiffseinheiten auflöste. Es ist deshalb nicht sicher, ob die Zeugen die Stelle des Zusammenstoßes oder diejenige Position beim Beginn ihrer Beobachtungen gesehen haben, in welche die Schiffe unter der Wirkung des Zusammenstoßes geraten waren. Die genannten Aussagen schließen also nicht aus, dass sich der Zusammenstoß in der linksrheinischen Stromhälfte ereignet hat, und dass erst die zusammengestoßenen Schiffe als Folge der Havarie in die rechtsrheinische Hälfte geraten sind.
3. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die bisherigen Darlegungen es nicht erlauben, dem Betroffenen vorzuwerfen, in den Kurs der Talfahrt geraten zu sein und dort einen Zusammenstoss herbeigeführt zu haben. Eine solche Feststellung könnte allein auf die Aussagen der Besatzung des zu Tal fahrenden Verbandes gestützt werden. Dabei müsste die zu ihnen im Widerspruch stehende Einlassung des Betroffenen für unzutreffend erklärt werden, wie es das Rheinschifffahrtsgericht getan hat.
Die Berufungskammer kann dies nicht gutheißen. Die genannten Aussagen der Besatzungen zeigen, wie fast stets, die Tendenz, das eigene Schiff auf Kosten anderer zu entlasten. Sie sind deshalb allein für eine zutreffende Bewertung der Ursachen eines Schiffszusammenstosses unbrauchbar, worauf in Urteilen immer wieder hingewiesen wird. Nur im Zusammenhang mit anderen, für ihre Richtigkeit sprechenden Tatsachen können sie Bedeutung gewinnen. Solche Tatsachen fehlen aber im vorliegenden Falle, wie dargelegt wurde.
Es wird deshalb für Recht erkannt:
1. Auf die Berufung des Betroffenen wird das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Mainz vom 28.10.1986 dahin abgeändert, dass der Betroffene freigesprochen wird.
2. Der Betroffene hat keine Kosten zu tragen.
3. Die Festsetzung der ihm zu erstattenden Kosten erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht Mainz gemäß Artikel 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1989 - Nr.5 (Sammlung Seite 1260 f.); ZfB 1989, 1260 f.