Jurisprudentiedatabank
Berufungskammer der Zentralkommission
Urteil
vom 14. Juni 1973
Zum Tatbestand:
Am Abend des 26.11.1970 kam der Schubverband "GJ" auf der Reede von Orsoy an. Er bestand aus dem Schubboot gleichen Namens und aus den 4 Schubleichtern F 301, 302, 303 und 305. Jeder der Leichter ist 70 m lang und 9,50 m breit und fasst rund 1500 Tonnen. Alle waren mit Erz auf 2,40 m Tiefe abgeladen. Die Leichter sollten in den Hafen von Walsum gebracht werden. Da dies am Abend des 26. November nicht mehr möglich war, wurden sie auf dem Strom abgelegt, wo das Schubboot sich von ihnen trennte. Es ist umstritten, wo dies geschehen ist, insbesondere ob es nicht außerhalb der Grenzen des Schiffsliegeplatzes Orsoy erfolgte. Im Zeitpunkt der noch zu schildernden Kollision befanden sich die Leichter jedenfalls außerhalb dieses Liegeplatzes. Sie lagen bergwärts in folgender Formation: Vorne "F 305" (backbords) und "F 303" (steuerbords), hinten "F 301" (backbords) und "F 302" (steuerbords). Auf den beiden vorderen Leichtern war je ein Denford-Anker von 900 kg. Gewicht gesetzt. Heckanker waren nicht ausgeworfen, obschon solche vorhanden waren. Die Schubleichter waren wie folgt beleuchtet: An der Backbordseite von "F 305" brannte vorne ein Petroleum-Rundumlicht, das etwa 2,50 m über der Wasserlinie angebracht war. Ein zweites gleiches Licht, das aber in einer Höhe von 3,10 m über der Wasserlinie angebracht war, brannte an der Backbordseite des Leichters hinten. Wiederum die gleichen Lichter brannten am Heck von "F 301" in einer Höhe von 3,60 m über der Wasserlinie und an demjenigen von "F 302" in einer solchen von 2,50 m über der Wasserlinie. Schubboot und Leichter sind Eigentum der Klägerin. Das MS "M" der Beklagten fuhr am 27.11.72 gegen 17:35 Uhr unter der Führung ihres im Verlaufe des Rechtsstreites gestorbenen Ehemannes an dessen Erben sie den Prozess fortführt, zu Tal. Es herrschte Dunkelheit bei ihr entsprechender klarer Sicht. Das Schiff (heute "R") ist 1270 t. groß, §0 lang, 9,20 m breit und mit einer 800 PS. starken Maschine ausgerüstet. Es war leer. Unmittelbar vor der Kollision überholte es das MS "V". Das Ruder bediente der Zeuge Schumacher. Außer ihm befanden sich im Ruderhaus die Beklagte, die das Rheinschifferpatent besitzt und auf "M" als Steuermann Dienst tat und ihr Ehemann. Dieser erkannte bei der Überholung von MS "V" oder kurz danach im letzten Augenblick die Schatten der im Kurs von "M" liegenden F-Leichter. Er befahl die Verlegung des Kurses hart nach Steuerbord und Herabsetzung der Maschinenkraft. Es konnte jedoch nicht verhindert werden, dass "M" zunächst backbords gegen "F 305", von dort gegen das MS "V" prallte und dann nochmals gegen "F 305" geworfen wurde. An allen genannten Einheiten entstanden Schäden.
Es werden die folgenden Vorwürfe erhoben, die von den Betroffenen bestritten werden:
1.) Gegen die Führung des Schubverbandes: Die 4 Leichter seien entweder außerhalb des Liegeplatzes und mitten im Fahrwasser abgelegt, oder infolge schlechter Verankerung durch Strömung, Sog und Wellenschlag dorthin getrieben worden. Außerdem seien sie nicht ausreichend beleuchtet und überhaupt nicht bewacht gewesen.
2.) Gegen die Führung von "M": Man habe weder auf dem Vorschiff einen Ausguck aufgestellt noch das im Ruderhaus vorhandene Fernglas zur Orientierung benutzt und deshalb die ausreichend beleuchteten Leichter nicht rechtzeitig erkannt.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 3.503,- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1.1.1971 zu bezahlen und auszusprechen, dass der Beklagte sowohl persönlich im Rahmen des Binnenschifffahrtsgesetzes hafte als auch dinglich mit dem MS "M".
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Schiffsunfall hat zu dem Verklarungsverfahren 5 II 22/70 des Amtsgerichts Duisburg-Ruhrort und zu dem Strafverfahren 6 Cs 903/71 BSch. des Rheinschifffahrtsgerichtes Duisburg-Ruhrort geführt. Das Gericht erster Instanz hat beide Akten beigezogen und selbst einen Zeugen gehört sowie auf "M" eine Orientierungsfahrt unter Umständen durchgeführt, die den zur Unfallzeit herrschenden vergleichbar waren. Sodann ist das folgende Urteil gefällt worden:
Der Klageanspruch ist dem Grunde nach zu 1/4 gerechtfertigt.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen. Die übrigen Entscheidungen bleiben dem Schlussurteil vorbehalten.
Das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort hat festgestellt: Die F-Leichter hätten im Zeitpunkt der Kollision 175-185 m vom linken Ufer entfernt, d.h. etwa 80 m außerhalb des erlaubten Abstandes und mitten im Fahrwasser gelegen. Daraus ergebe sich nach den Regeln des Anscheinsbeweises folgendes:
Entweder seien die Leichter von vorneherein zu weit abgelegt worden, oder sie seien falsch oder unzulässig verankert gewesen. Diesen gegen sie sprechenden Anscheinsbeweis habe die Partei F-Stinnes nicht widerlegt. Aus der Aussage des Matrosen Böhm folge, dass die Leichter schon Stunden vor dem Unfall falsch gelegen haben müssten. Weiter stehe fest, dass keine Heckanker gesetzt worden seien. Schließlich seien die Buganker nicht ordnungsgemäß gesetzt worden, da ihre Ketten parallel verlaufen seien, während beide Anker etwas schräg voraus hätten stehen müssen. Weiter hat das Rheinschifffahrtsgericht festgestellt, dass auf den Leichtern eine Wache gefehlt habe, die im Bedarfsfalle rasch hätte eingreifen können. Es seien also Verstöße gegen die §§ 7,01 Ziffer 1; 9,10; 7,02 und 7,06 Ziffer 2 RSchPVG. 1970 begangen worden, die zum Unfall beigetragen hätten« Dagegen habe die nicht ganz ordnungsgemäße Beleuchtung der Leichter - die Lichter seien teilweise nicht mindestens 3 m über der Ebene der Einsenkungsmarken angebracht gewesen, wie es § 3,20 Ziffer 1 RSchPVO, vorschreibe - auf die Kollision keinen Einfluss gehabt. Der Führung des MS "M" hat das Rheinschifffahrtsgericht vorgeworfen, das vorhandene Fernglas nicht zur besseren Orientierung gebraucht zu haben. Wäre dies geschehen, so hätten bei sorgfältiger Beobachtung des Reviers die Leichter und ihre genaue Lage so rechtzeitig erkannt werden können, dass der Unfall durch eine rechtzeitige Kurskorrektur vermieden worden wäre. Dagegen sei es nicht notwendig gewesen, einen Ausguck aufzustellen. Ein Verstoß der Führung von "M" gegen die in § 1,04 RSchPVO 1970 normierte allgemeine nautische Sorgfaltspflicht sei demnach gegeben. Die der Schubeinheit anzulastenden Fehler seien weit schwerwiegender und als Unfallursachen von weit größerem Gewicht als derjenige der Führung von "M". Eine Verteilung der Unfallfolgen im Verhältnis 3/4 (F-Stinnes) zu 1/4 ("M") sei deshalb angemessen.
Die Klägerin hat gegen das Urteil Berufung eingelegt, welcher die Beklagte sich angeschlossen hat.
Die Parteien wiederholen vor der Berufungskammer ihren Vortrag aus dem ersten Rechtszuge. Weiter nehme sie kritisch zu den sie belastenden Ausführungen des Rheinschifffahrtsgerichts Stellung.
Es beantragen:
1.) Die Klägerin,
auf ihre Berufung hin das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts in Duisburg-Ruhrort vom 22.12.1972 abzuändern und die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären.
2.) Die Beklagte,
1.) die Berufung der Klägerin zurückzuweisen,
2.) auf ihre Berufung hin das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts in Duisburg-Ruhrort vom 22.12.1972 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Aus den Entscheidungsgründen:
1. Die eingelegten Rechtsmittel sind in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Zu bemerken ist lediglich, dass es sich bei der "Anschlussberufung" der Partei "M" um eine selbständige Berufung im Sinne von Artikel 37 Abs. II der Revidierten Rheinschifffahrtsakte in der Fassung vom 20.11.1963 handelt. Die nach dieser Bestimmung einzuhaltende Berufungsfrist von 30 Tagen beginnt mit der "in Gemäßheit der Landesgesetze erfolgten Insinuation des Urteils erster Instanz", wobei "Insinuation" Zustellung bedeutet. Da eine Zustellung des Urteils des Rheinschifffahrtsgerichtes Duisburg-Ruhrort vom 22.12.1972 nach den Akten nicht erfolgt ist, wahrte die am 17.2.1973 bei diesem Gerichte eingegangene Berufung der Partei "M" noch die in Artikel 37 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte in der Fassung vom 20.11.1963 gesetzte Frist. Die Berufung der Interessenten von F-Stinnes ist am 22.12.72, am Tage der Verkündung des Urteils erster Instanz, eingelegt worden.
2. Zur Berufung der Interessenten F-Stinnes ist zu sagen:
a) Das Rheinschifffahrtsgericht hat mit Recht seine Feststellung über die Lage der Schubleichter vor der Kollision entsprechend der Aussage des Polizeimeisters Z. im Verklarungsverfahren 5 II 22/70 AG. Duisburg-Ruhrort getroffen. Der Zeuge ist kurze Zeit nach dem Unfall mit seinem Polizeiboot an Ort und Stelle eingetroffen. Sein Boot war mit einem Radargerat ausgerüstet, welches es erlaubte, die Entfernung der Schubleichter von beiden Ufern exakt zu messen. Der Zeuge hat dargelegt, dass und wie dies geschehen ist und welches Ergebnis die Vermessung hatte. Die Leichter lagen l80 m vom linken und 150 m vom rechten Ufer entfernt, das heißt fast mitten im Strom. Dieses Ergebnis der Messung ist nicht angreifbar. Das eingesetzte Gerät war tauglich, der Zeuge war in seinem Gebrauch ausgebildet und erfahren und nichts spricht dafür, dass ihm bei der Messung ein Fehler unterlaufen ist. Er ist schließlich am Ausgang des Rechtsstreites nicht interessiert, außerdem als Beamter der Wasserschutzpolizei zur wahrheitsgemäßen Aussage in besonderem Masse verpflichtet, sodass angenommen werden muss, dass seine Aussage vor Gericht seinen Feststellungen an Ort und Stelle entsprach. Die Interessenten von F-Stinnes können dann auch gegen die Richtigkeit der Aussage des Zeugen und seiner Messungen an Ort und Stelle nichts Überzeugendes vortragen. Der im Verklarungsverfahren ebenfalls gehörte Havariesachbearbeiter S. der Reederei F-Stinnes hat vielmehr dort erklärt, er habe festgestellt, dass die Schubleichter etwa 20 bis 25 m weiter vom linksrheinischen Ufer entfernt gelegen hätten als alle übrigen dort stilliegenden Einheiten. Ihr Abstand vom rechtsrheinischen Ufer, den der Zeuge ebenfalls mit Hilfe eines Radargerätes gemessen hat, betrug nach seiner Aussage 120 bis 140 m. Richtig verstanden stimmt diese Aussage mit derjenigen des Zeugen Z. fast überein. Der Zeuge S. hat dann auch veranlasst, dass die Leichter 35 bis 40 m weiter an das linksrheinische Ufer herangeschoben würden. Aus beiden bisher erörterten Aussagen kann die Feststellung abgeleitet werden, dass die Leichter bei der umstrittenen Kollision etwa 180 m vom linksrheinischen und 150 m vom rechtsrheinischen Ufer entfernt lagen. Sie befanden sich mithin fast mitten im Strom und deutlich außerhalb des erlaubten Liegeplatzes, der an Ort und Stelle bis zu einer Entfernung von 100 m vom linksrheinischen Ufer reicht, wie unstreitig ist.
b) Geht man davon aus, dass sie auch so abgelegt worden waren, so hätte der Kapitän des Schubbootes, der die Verantwortung für dieses Manöver trug, gegen § 7,01 Ziffer 1 RSchPVO 1970 verstoßen. Hier wird bestimmt, dass Fahrzeuge und Schwimmkörper ihren Liegeplatz so nahe am Ufer wählen müssen, wie es ihr Tiefgang und die örtlichen Verhältnisse gestatten, und dass sie keinesfalls die Schifffahrt behindern dürfen. Diese Regel hätte der Kapitän des Schubbootes zweifelsfrei missachtet, wenn er die Leichter so hingelegt hätte, wie sie bei der Kollision lagen. Außerdem läge ein Verstoß gegen § 9,10 RSchPVO vor, da der Platz außerhalb der Grenze der Reede lag.
c) Nun bestreiten die Interessenten F-Stinnes zwar, dass dies geschehen sei. Damit können sie aber den Kapitän des Bootes vor berechtigten Vorwürfen nicht bewahren. Wären nämlich die Leichter entsprechend der Regel des § 7,01 Ziffer 1 innerhalb der Grenzen des Liegeplatzes Orsoy abgelegt worden, so müssten sie bis zur Kollision weit zur Strommitte hin versetzt worden sein. Es erscheint zwar wenig wahrscheinlich, dass dieses im vorliegenden Falle geschehen ist. Trotzdem soll aber diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden. Eine solche Versetzung weist zwingend auf Mängel der Verankerung der Leichter hin, es sei denn, es stände fest, dass vor der Kollision an der Unfallstelle bei Strömung, Sog und Wellenschlag so ungewöhnliche Verhältnisse geherrscht haben, dass auch ordnungsgemäß verankerte Schiffe ins Treiben geraten konnten. Für solche Verhältnisse spricht nichts. Auch die Interessenten F-Stinnes können sie nicht vortragen. Gegen sie spricht die Tatsache, dass außer ihren Leichtern keine in ihrer Nähe stilliegenden Schiffe zur Strommitte hin versetzt worden sind. Geht man aber, was geboten ist, von normaler Strömung, normalem Wellenschlag und von normaler Sogwirkung vorbeifahrender Schiffe aus, so steht fest, dass die Leichter nicht ordnungsgemäß verankert waren. Der § 7,02 RSchPVO 1970 bestimmt nämlich, dass stilliegende Fahrzeuge und Schwimmkörper genügend sicher verankert oder festgemacht sein müssen, wobei besonders der Wellenschlag und die Sogwirkung vorbeifahrender Fahrzeuge berücksichtigt werden müssen. Dieser Regel kann die Verankerung der Leichter nicht entsprochen haben, da sonst ihre - unterstellte - weite Versetzung zur Strommitte hin unmöglich gewesen wäre. Es ist nicht notwendig, im Einzelnen aufzuzeigen, worin die falsche Verankerung gesehen v/erden könnte. Es genügt der Hinweis auf den Erfolg (die Versetzung) und seine einzig denkbare Ursache.
d) Unterstellt man die weite Versetzung der Leichter zur Strommitte hin, so trifft den Kapitän des Schubbootes noch ein weiterer Vorwurf. Der § 7,06 Ziffer 2 RSchPVO 1970 bestimmt, dass alle Fahrzeuge, Schwimmkörper und schwimmende Anlagen beim Stilliegen unter der Aufsicht einer Person stehen müssen, die in der Lage ist, im Bedarfsfalle rasch einzugreifen, sofern nicht die örtlichen Verhältnisse eine Aufsicht erfordern. Diese Ausnahme greift im vorliegenden Falle nicht ein, da nichts dafür spricht, dass mit Rücksicht auf die örtlichen Verhältnisse am Liegeplatz der Leichter keine Aufsicht notwendig war. Schon die Sogwirkung der ständig vorbeifahrenden Schifffahrt und ihre denkbaren Folgen machten sie notwendig. Hinzu kommen die Bewegungen, der am Liegeplatz ankommenden und der ihn verlassenden Einheiten und ihre Auswirkungen. Es ist unstreitig, dass die Leichter unbewacht waren, so dass der Verstoß gegen § 7,06 Ziffer 2 feststeht. Der Versuch, ihn zu rechtfertigen oder zu entschuldigen, ist erfolglos. Er wird mit dem Argument unternommen, an Bord der Leichter habe keine Wache aufgestellt werden können. Das ist falsch. Richtig ist nur, dass es mit Rücksicht auf die Einrichtung eines Schubleichters sehr unbequem ist, dort z.B. bei Nacht auf Wache zu stehen, und dass sich nur schwer dazu bereite Personen finden. In jedem Falle kann aber ein Wachschiff unterhalten und auf der Reede postiert werden, zumal von einer Reederei, wie F-Stinnes, welche die Reede von Orsoy laufend anfährt. In keinem Falle kann die unbequeme und Kosten verursachende Regel des § 7,06 Ziffer 2 RSchPVO wegen ihrer Lästigkeit einfach für unbeachtlich erklärt werden, wie es seitens der Interessenten F-Stinnes in der Berufungsbegründung geschieht.
e) Fasst man die voraufgegangenen Ausführungen zusammen, so kann festgestellt werden, dass der Kapitän des Schubbootes entweder gegen § 7,01 Ziffer 1 in Verbindung mit § 9,10 oder gegen § 7,02 RSchPVO 1970 verstoßen hat, und dass in jedem Falle ein Verstoß gegen § 7,06 Ziffer 2 dieser PVO vorliegt. Exaktere Feststellungen sind nicht notwendig, denn ein Verstoß gegen § 7,01 Ziffer 1 in Verbindung mit einem solchen gegen § 7,06 Ziffer 2 wiegt ebenso schwer wie ein solcher, gegen § 7,02 in Verbindung mit einem solchen gegen § 7,06 Ziffer 2. Das Ergebnis ist nämlich in beiden Fällen das gleiche. Die entweder nicht ordnungsgemäß abgelegten, oder nicht ordnungsgemäß verankerten, in jedem Falle aber unbewachten Leichter lagen bei Dunkelheit mitten im Fahrwasser der durchgehenden Schifffahrt oder waren dorthin geraten und bildeten ein erhebliches Schifffahrtshindernis. Hierfür sind die Interessenten F-Stinnes in jedem Falle verantwortlich, und zwar ohne Rücksicht darauf, welche der erörterten Fehlerkombinationen vorliegt. Damit ist auch die adäquate Ursächlichkeit eines jeden dieser Verstöße für den umstrittenen Unfall bejaht, denn Schifffahrtshindernisse im Fahrwasser führen erfahrungsgemäß besonders bei Dunkelheit leicht zu Kollisionen. Das gilt auch dann, wenn sie beleuchtet sind, wie anschließend dargelegt wird.
f) Was die Beleuchtung der im Fahrwasser liegenden Leichter angeht, so hat das Rheinschifffahrtsgericht als Ergebnis der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme richtig festgestellt, dass die gesetzten Lichter genügend hell waren. Sie entsprachen allerdings insofern nicht der Regel des § 3,20 Ziffer 1 RSchPVO 1970, als sie teilweise nicht in einer Höhe von mindestens 3 m über der Ebene der Einsenkungsmarken angebracht waren, sondern nur in einer Höhe von 2,40 m Die Berufungskammer ist aber mit dem Rheinschifffahrtsgericht der Ansicht, dass diese geringe Differenz auf die Kollision ohne Einfluss geblieben ist. Das gleiche gilt von der Tatsache, dass einer der Leichter (F 303) unbeleuchtet war, denn die Beleuchtung der anderen machte die gesamte Einheit in ausreichender Weise kenntlich. Daraus kann aber nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, die unter der Ziffer zusammengefassten Fehler seien für die Kollision nicht adäquat kausal geworden. Das könnte nur dann angenommen werden, wenn sie nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen dazu hätten führen können, oder wenn die Möglichkeit einer Kollision als Folge der begangenen Fehler eine so entfernte gewesen wäre, dass sie nach der Erfahrung des Lebens vernünftigerweise nicht in Betracht gezogen werden konnte. So liegen die Dinge aber im vorliegenden Falle nicht. Auf dem Schiff "M" brauchte nämlich nur ein leichter Fehler begangen zu werden, um die Kollision herbeizuführen, wie im folgenden unter Ziffer 3 dargelegt wird. Mit solchen Fehlern muss aber nach der Erfahrung des Lebens immer gerechnet werden. Sie sind keineswegs ganz außergewöhnlich oder fern liegend, so dass sie nicht erwartet zu werden brauchen. Daher unterbrechen sie den adäquaten Zusammenhang zwischen einer vorwerfbaren Handlung und ihrem Erfolg dann nicht, wenn der letztere ohne ihr Hinzutreten sich nicht hätte einstellen können.
3. Zur "Anschlussberufung" der Partei "M" ist zu bemerken:
a) Bei der Bewertung des Verhaltens der Führung von "M" ist von denjenigen Feststellungen auszugehen, die das Rheinschifffahrtsgericht bei einer Fahrt mit diesem Schiff gewonnen hat, die unter Verhältnissen durchgeführt worden ist, welche mit den zur Unfallzeit herrschenden vergleichbar waren.
Sie lauten:
"Dem Talfahrer, der mit bloßem Auge vorausschaut, bietet sich ein unübersichtliches Lichtermeer. Lediglich dann, wenn die Positionslichter eines Bergfahrers zu sehen sind, vermag das Auge das Topplicht dieses Bergfahrers einzuordnen. Linksrheinisch liegen einige Ankerlieger, die zum Teil ordnungsgemäß, zum Teil aber überhaupt nicht beleuchtet sind. Ihre Lichter lassen sich mit bloßem Auge in dem Lichtermeer nicht einordnen. Wird das Fernglas zur Hilfe genommen, so ist es möglich, jedes der Lichter einzuordnen. Mit Hilfe des Fernglases sind insbesondere auch die Schatten selbst von beladenen Stilliegern zu erkennen." Es kann nicht angenommen werden, dieses Bild der Verhältnisse an Ort und Stelle entspreche nicht demjenigen zur Zeit der Kollision. Sicherlich waren die Verhältnisse nicht völlig gleich. Die sie in beiden Fällen wesentlich bestimmenden Faktoren waren aber die gleichen. Es sind: Gute Sicht trotz Dunkelheit, viele unterschiedlich beleuchtete stilliegende Schiffe und durchgehender Verkehr trotz Dunkelheit. Diese gleichen wesentlichen Faktoren ergeben vergleichbare Gesamtbilder, die es erlauben, von dem einen (Bild bei der Orientierungsfahrt) Rückschlüsse auf das andere (Verhältnisse zur Zeit der Kollision) zu ziehen. Das Rheinschifffahrtsgericht hat dies deshalb mit Recht getan.
b) Seine Schlussfolgerung, die Führung von "M" habe gegen die in § 1, 04 RSchPVO 1970 festgelegte allgemeine nautische Sorgfaltspflicht dadurch verstoßen, dass das Revier nicht mit einem Fernglas beobachtet worden sei, wird von der Berufungskammer übernommen. Wie notwendig eine solche Beobachtung war, zeigen nicht nur die Erkenntnisse des Rheinschifffahrtsgerichts bei seiner Orientierungsfahrt, sondern auch die folgenden weiteren Umstände. Auf "M" führte bei der Kollision der Zeuge Sch. das Ruder. Er hat im Verklarungsverfahren erklärt:
"Wir waren mit unserem Heck etwa auf gleicher Höhe mit dem Kopf der "V". Es kann auch sein, dass wir schon etwas weiter waren, als ich auf einmal vor uns genau in unserem. Kurs die Schatten von Schubleichtern erkannte, die sich jetzt erst aus dem Wasser abhoben. Vorher hatten wir in unserer Kursrichtung trübgelbe Lichter gesehen, aber es sah so aus, als wenn diese viel weiter unterhalb am rechten Ufer wären. Ich konnte mit den Lichtern nichts anfangen."
Demgegenüber steht die Feststellung des Rheinschifffahrtsgerichtes bei seiner Orientierungsfahrt:
"Ihre Lichter (gemeint sind die der Ankerlieger) lassen sich mit bloßem Auge in dem Lichtermeer nicht einordnen. Wird das Fernglas zur Hilfe genommen, so ist es möglich, jedes der Lichter einzuordnen. Mit Hilfe des Fernglases sind insbesondere auch die Schatten selbst von beladenen Stilliegern zu erkennen."
Diese Gegenüberstellung zeigt den schweren Fehler auf, der auf "M" dadurch begangen worden ist, dass man nicht oder nicht rechtzeitig das vorhandene Fernglas gebraucht hat, obschon der Zeuge Sch. mit von ihm erkannten Lichtern "nichtsanfangen konnte", d.h. nicht sah, wo die zu ihnen gehörenden Schiffe lagen. Diese Lichter waren diejenigen der im Fahrwasser liegenden Schubleichter, mit denen "M" später zusammengestoßen ist. Ein Rudergänger, der von ihm erkannte Lichter nicht einzuordnen vermag, hat aber alle ihm zur Verfügung stehenden Hilfsmittel zu gebrauchen, um die vorhandene: Unklarheit zu beheben und zu einer klaren Erkenntnis zu kommen. Dazu gehört der Gebrauch des Fernglases, der im vorliegenden Falle zur richtigen Erkenntnis der Situation geführt hätte, wie die Orientierungsfahrt des Rhein-Schifffahrtsgerichtes gezeigt hat. Diese Erkenntnis hätte es dann möglich gemacht, den Kurs von "M" so zu legen, dass die Kollision vermieden worden wäre. Auf einen solchen Kurs lag z. B. das MS "V", das vor "M" zu Tal fuhr. Den Zeugen Sch. entlastet es nicht, dass der Zeuge Polizeimeister Z., als er nach der Kollision mit seinem Polizeiboot auf die Unfallstelle zufuhr, ebenfalls die Lichter der Schubleichter falsch einordnete und deshalb beinahe ebenfalls mit den Leichtern zusammengestoßen wäre. Auch dieser Zeuge ist nämlich nach Augensicht gefahren und hat kein Fernglas benutzt. Er und Schumacher haben also denselben Fehler gemacht, der ihre Schiffe in die gleiche gefährliche Lage brachte, in der nur das wendige Polizeiboot noch um eine Kollision herumgesteuert werden konnte. Der auf "M" begangene Verstoß gegen § 1,04 RSchPVO 1970 steht nach allem sicher fest. Die Notwendigkeit, einen Ausguck auf dem Vorschiff aufzustellen, hat das Rheinschifffahrtsgericht mit Recht verneint, denn aus den dargelegten Gründen hätte der rechtzeitige Gebrauch des Fernglases zur richtigen, die Kollision vermeidenden Kursbestimmung geführt. Die Abwägung der begangenen Fehler durch das Rheinschifffahrtsgericht ist nicht zu beanstanden. Richtig ist insbesondere seine Feststellung, dass der von dem Kapitän des Schubbootes begangene weit schwerwiegender sei als derjenige der Führung von "M". Es führte dazu, dass die Schubleichter fast mitten im Strom lagen und damit ein erhebliches Hindernis für die durchgehende Schifffahrt bildeten. Insbesondere in der Dunkelheit würden sie zu einer Kollisionsquelle erster Ordnung, da der Strom dicht belegt und die durchgehende Fahrt lebhaft war. Deren Orientierungsschwierigkeiten im "Lichtermeer" der Duisburger Reeden schildert das Protokoll der Orientierungsfahrt des Rheinschifffahrtsgerichtes eindrucksvoll. Schon kleine Fehler konnten dazu führen, dass das im Fahrwasser liegende Hindernis nicht rechtzeitig erkannt wurde. Demgegenüber tritt die auf "M" begangene Unterlassung als Unfallursache weit zurück. Seine Verteilung der Unfallfolgen im Verhältnis 1/4 Beklagte, 3/4 Kläger ist nicht zu beanstanden.
Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
Die Berufung der Klägerin und die "Anschlussberufung" der Beklagten gegen das am 22. Dezember 1972 verkündete Urteil des Rheinschifffahrtsgerichtes in Duisburg-Ruhrort werden als unbegründet abgewiesen. Das erstinstanzliche Urteil wird bestätigt.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 3/4 und die Beklagte 1/4. Die Festsetzung der Kosten unter Berücksichtigung von Art. 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht in Duisburg-Ruhrort.