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19 Z - 1/73 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Datum uitspraak: 14.06.1973
Kenmerk: 19 Z - 1/73
Beslissing: Urteil
Language: Duits
Rechtbank: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Afdeling: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) Sorgfaltspflichten beim Ablegen von Schubleichtern auf einer Reede.

2) Zur Behebung von Unklarheiten und Zweifeln über stilliegende und begegnende Schiffe in der Dunkelheit sind alle zur Verfügung stehenden Hilfsmittel, u.a. auch Ferngläser zu benutzen.

3) Zur Frage der Haftung aller einem Schubverband angehörenden Leichter für Havarien, die auf Fehlern des Schubbootkapitäns beruhen, insbesondere auch in dem Falle, dass sich z.Z. des Schiffsunfalls das Schubboot bereits von den abgelegten Schubleichtern gelöst hatte.

Berufungskammer der Zentralkommission

Urteil

vom 14. Juni 1973

19 Z - 1/73

Zum Tatbestand:

Der der Beklagten zu 1 gehörende Schubverband, bestehend aus dem Schubboot G, geführt vom Beklagten zu 2, und den 4 auf 2,40 m Tiefe abgeladenen Schubleichtern F301, 302, 303 und 305, hielt an einem Novemberabend auf der Reede bei Orsoy an, um von dort die Leichter am anderen Tag in den Walsumer Hafen zu bringen. Das Schubboot entfernte sich nach dem Ablegen der Leichter. Es ist unklar geblieben, ob dies in den Grenzen des Schiffsliegeplatzes Orsoy erfolgte. Bei der späteren Kollision lagen die Leichter außerhalb und bergwärts in der Formation: Vorne F305 (backbords) und F303 (steuerbords), hinten F301 (backbords) und F302 (steuerbords). Auf den vorderen Leichtern waren je 1 Anker gesetzt; die vorhandenen Heckanker waren nicht gesetzt. Auf der Backbordseite von F305 brannte vorn 2,5 m über der Wasserlinie ein Petroleum-Rundumlicht, und ein weiteres gleiches Licht 3,10 m über der Wasserlinie hinten. Die gleichen Lichter brannten an den Hecks von F301 (3,60 m über der Wasserlinie) und von F302 (2,50 m über der Wasserlinie). Das beim Kläger kasko-versicherte MS S fuhr am nächsten Tage gegen Abend bei Dunkelheit, aber klarer Sicht, leer zu Tal. Nach Überholung eines anderen Talfahrers, des MS V, erkannte Kapitän B. die Schatten der Schubleichter. Trotz Verlegung des Kurses hart nach Steuerbord und Herabsetzung der Geschwindigkeit stieß MS S backbords gegen F305, sodann gegen MS V und nochmals gegen F305. An allen kollidierten Schiffen entstanden Schäden. Der Kläger verlangt aus abgetretenem Recht Ersatz der an S und V entstandenen Schäden von ca. 160 000,- DM, weil die Leichter entweder außerhalb des Liegeplatzes und mitten im Fahrwasser abgelegt oder infolge schlechter Verankerung durch Strömung, Sog und Wellenschlag dorthin getrieben worden seien. Sie seien auch nicht ausreichend beleuchtet und nicht bewacht gewesen. Der Kläger verlangt neben der persönlichen Verurteilung der Beklagten zu 1 einen Urteilsspruch, wonach diese auch dinglich mit dem Schubboot und allen 4 Schubleichtern hafte. Die Beklagten behaupten, dass die Führung von S weder auf dem Vorschiff einen Ausguck aufgestellt noch das im Ruderhaus vorhandene Fernglas benutzt und deshalb die ausreichend beleuchteten Leichter nicht rechtzeitig erkannt habe. Das Rheinschiffahrtsgericht hat den Klageanspruch dem Grunde nach zu 3/a als gerechtfertigt erklärt und in den Entscheidungsgründen die Ansicht vertreten, dass die Beklagte zu 1 dinglich nicht nur mit dem Schubboot, sondern mit dem ganzen Schubverband hafte. Die bei der Berufungskammer der Rheinzentralkommission von den beiden Parteien eingelegte Berufung blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die entweder nicht ordnungsgemäß abgelegten oder nicht ordnungsgemäß verankerten, in jedem Falle aber unbewachten Leichter lagen bei Dunkelheit mitten im Fahrwasser der durchgehenden Schiffahrt oder waren dorthin geraten und bildeten ein erhebliches Schiffahrtshindernis. Hierfür sind die Interessenten Fendel-Stinnes in jedem Fall verantwortlich, und zwar ohne Rücksicht darauf, welche der erörterten Fehlerkombinationen vorliegt. Damit ist auch die adäquate Ursächlichkeit eines jedes dieser Verstöße für den umstrittenen Unfall bejaht; denn Schiffahrtshindernisse im Fahrwasser führen erfahrungsgemäß besonders bei Dunkelheit leicht zu Kollisionen. Das gilt auch dann, wenn sie beleuchtet sind, wie anschließend dargelegt wird. Was die Beleuchtung der im Fahrwasser liegenden Leichter angeht, so hat das Rheinschiffahrtsgericht als Ergebnis der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme richtig festgestellt, dass die gesetzten Lichter genügend hell waren. Sie entsprachen allerdings insofern nicht der Regel des § 3,20 Ziffer 1 RSchPVO 1970, als sie teilweise nicht in einer Höhe von mindestens 3 m über der Ebene der Einsenkungsmarken angebracht waren, sondern nur in einer Höhe von 2,40 m. Die Berufungskammer ist aber mit dem Rheinschiffahrtsgericht der Ansicht, daß diese geringe Differenz auf die Kollision ohne Einfluß geblieben ist. Bei der Bewertung des Verhaltens der Führung von S ist von denjenigen Feststellungen auszugehen, die das Rheinschiffahrtsgericht bei einer Fahrt mit diesem Schiff gewonnen hat, die unter Verhältnissen durchgeführt worden ist, welche mit den zur Unfallzeit herrschenden vergleichbar waren (wird ausgeführt). Ein Rudergänger, der von ihm erkannte Lichter nicht einzuordnen vermag, hat aber alle ihm zur Verfügung stehenden Hilfsmittel zu gebrauchen, um die vorhandene Unklarheit zu beheben und zu einer klaren Erkenntnis zu kommen. Dazu gehört der Gebrauch des Fernglases, der im vorliegenden Falle zur richtigen Erkenntnis der Situation geführt hätte, wie die Orientierungsfahrt des RheinSchiffahrtsgerichtes gezeigt hat. Diese Erkenntnis hätte es dann möglich gemacht, den Kurs von S so zu legen, dass die Kollision vermieden worden wäre. Auf einem solchen Kurs lag z. B. das MS V, das vor S zu Tal fuhr. Der auf S begangene Verstoß gegen § 1,04 RSchPVO 1970 steht nach allem sicher fest. Die Notwendigkeit, einen Ausguck auf dem Vorschiff aufzustellen, hat das Rheinschiffahrtsgericht mit Recht verneint, denn aus den dargelegten Gründen hätte der rechtzeitige Gebrauch des Fernglases zur richtigen, die Kollision vermeidenden Kursbestimmung geführt. Die Abwägung der begangenen Fehler durch das Rheinschiffahrtsgericht ist nicht zu beanstanden. Richtig ist insbesondere seine Feststellung, daß der von dem Kapitän des Schubbootes begangene weit schwerwiegender sei als derjenige der Führung von S. Es führte dazu, dass die Schubleichter fast mitten im Strom lagen und damit ein erhebliche Hindernis für die durchgehende Schiffahrt bildeten. Das Rheinschiffahrtsgericht hat den gesamten Schubverband, der aus dem Schubboot und 4 Leichtern bestand, als eine Einheit im haftungsrechtlichen Sinne angesehen und deshalb ausgesprochen, dass die Reederei gemäß den §§ 3, 4, 114 BSchG. dinglich nicht nur mit dem Schubboot, sondern auch mit den Leichtern haftet. Die Berufungskammer hält dies für richtig. Werden ein Schubboot und Leichter für eine Fahrt in der üblichen Weise fest miteinander verbunden, so entsteht eine Einheit, die sich von einem traditionellen Schiff nur dadurch unterscheidet, dass sie schnell in ihre Bestandteile zerlegt werden kann, und dass jeder dieser Teile mit anderen, die für eine solche Zusammenfügung gebaut sind, zu beliebigen anderen Einheiten verbunden werden kann. Auch eine solche Einheit fällt unter den Begriff „Schiff". Sie ist ein (unterteilter und teilbarer) schwimmfähiger Hohlkörper, der geeignet und dazu bestimmt ist, Personen und Sachen auf dem Wasser zu befördern. Er wird auch als Einheit geführt, denn nach § 1,02 Ziffer 3 RSchPVO 1970 benötigen die geschobenen Fahrzeuge keinen eigenen Schiffsführer, sondern unterstehen der Führung des schiebenden Fahrzeugs. Die Schubleichter haben dann auch keine Besatzung an Bord, zu deren Aufnahme in der Regel jede notwendige Einrichtung fehlt. Eine solche Besatzung befindet sich nur auf dem Schubboot. Sie führt und betreut die gesamte jeweils verbundene Einheit. Hat eine solche aber alle Wesensmerkmale eines traditionellen Schiffes, so muss sie auch haftungsrechtlich wie ein solches behandelt werden. Sie ist keinesfalls ein Schleppzug, der ja gerade dadurch gekennzeichnet ist, dass jede der in ihm verbundenen Einheiten in allerdings unterschiedlichem Umfange manövrierfähig ist und deshalb auch eine Besatzung an Bord hat. Auch das hier anzuwendende deutsche Haftungsrecht in der Binnenschiffahrt zwingt dazu, den Schubverband in seiner jeweiligen Zusammensetzung als Haftungseinheit anzusehen. Es ist dadurch gekennzeichnet, dass die Haftung des Schädigers auf den Wert des Schiffes beschränkt ist, das den Zusammenstoß, schuldhaft herbeigeführt hat. Ist aber die Ersatzpflicht des Schädigers so zum Nachteil des Geschädigten eingeschränkt, so ist es unvertretbar, sie weiter dadurch zu beschränken, dass Teile der schädigenden Einheit als Zugriffobjekte ausgeschieden werden. Das würde den die geltende Regelung tragenden Grundsatz verfälschen, die eingeschränkte Haftung des Schädigers dadurch auszugleichen, daß dem Geschädigten das den Schaden verursachende Schiff als Zugriffsobjekt zur Verfügung gestellt und sein Ersatzanspruch damit dinglich gesichert wird. Schließlich ist zu bedenken, daß die Verbindung eines Schubbootes mit Leichtern eine Einheit entstehen läßt, die nach Volumen und Gewicht erheblich größer als das Boot ist. Sie gewinnt deshalb auch als Quelle möglicher Schäden Dritter an Gewicht, weil die Größe des schädigenden Schiffes Bedeutung für deren Umfang haben kann und außerdem ein mit Leichtern verbundenes Boot schwerer manövriert als ein allein fahrendes Schubboot. Der Richtigkeit der bisherigen Darlegungen steht nicht entgegen, daß sich das Schubboot längere Zeit vor der Kollision von seinen Leichtern getrennt hatte. Der die Haftung begründende Vorgang besteht nämlich darin, daß die Leichter entweder falsch abgelegt oder unzureichend verankert worden sind. Als dies alles geschah, beziehungsweise unterlassen wurde, waren Schubboot und Leichter noch miteinander verbunden. Hinzu kommt, dass für die Bewachung nach Ablegung nicht gesorgt worden ist. Hat aber die Führung des eine Einheit bildenden Gesamtverbandes schuldhaft das erste Glied der Kausalkette gesetzt, die zum Unfall geführt hat, so ist die spätere, noch vor der Kollision durchgeführte Trennung haftungsrechtlich ohne Bedeutung. Die einmal entstandene Haftungseinheit ist zumindest dann nicht mehr auflösbar, wenn die in Lauf gesetzte Kausalkette zum späteren Unfall geführt hat.

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1974, S. 276

Anmerkung:

Zu diesem Urteil hat sich Advokat Docteur en droit R. Garnon, Strasbourg, in einer in Übersetzung nachfolgend wiedergegebenen Anmerkung geäußert:

„Ohne Fragen des Verfahrens zu berühren, werden wir uns darauf beschränken, die Probleme der Schubschiffahrt zu untersuchen.

Das Urteil liefert einen bedeutsamen Beitrag zur Bestimmung des Umfangs der Eignerhaftung für Schäden, die durch einen Schubverband verursacht sind.

Soweit wir wissen, hat sich hier erstmals ein höheres Gericht eingehend mit dem Problem befaßt.

Die Bedeutung des Urteils ist eine Doppelte:

Erstens bestimmt es den Umfang der Haftung des Schubverbandes gegenüber Dritten, indem es die Frage beantwortet, ob nur der schuldige Teil oder die Gesamtheit des Schubverbandes für den Schaden des Dritten haften.

Zweitens untersucht das Urteil, unter welchen Bedingungen die Haftung des Schubverbandes gegenüber dem Geschädigten eintritt. Wir werden nacheinander diese beiden Inhalte des Urteils erörtern, um anschließend die Frage zu stellen, wie sich das Urteil zu dem geltenden Recht verhält.

1)

Der Umfang der Haftung für Schäden, die durch einen Schubverband verursacht sind.

Das Urteil der Zentralkommission beruht auf der Anwendung des deutschen Rechts. Bekanntlich beschränkt § 4 BSchG die Haftung des Schiffseigners auf Schiff und Fracht. In der gleichen Vorschrift heißt es fortfahrend, dass sich im Schleppzug die Haftung nur auf dasjenige Schiff erstreckt, welches den Schaden verursacht hat.

Die Technik des Schubverbandes, die Leichter und Boot verbindet, unterscheidet sich allerdings von dem Schleppzug, weil die einzelnen Teile des Schubverbandes jede Selbständigkeit verlieren. Wie also ist der Umfang der Haftung gegenüber Dritten zu bestimmen?

Ohne auf die Einzelheiten einzugehen, ist nach der einen Ansicht die Haftung beschränkt auf einen Teil des Schubverbandesl), während nach der anderen Ansicht der gesamte Schubverband für Drittschäden verantwortlich ist.

2)

Die Zentralkommission bestätigt eindeutig, dass sich die Haftung auf den gesamten Schubverband erstreckt. Der Geschädigte kann gegen die Leichter und gegen das Schubboot vorgehen. Zur Begründung des Urteils wird ausgeführt, daß der Schubverband ein Schiff im Sinne des BSchG sei. Dies Schiff habe eine Besatzung, nämlich diejenige des Schubbootes. Weil er durch seine ungewöhnliche Ausmaße die entsprechende Gefahr begründe, müsse sich die Haftung auf die Gesamtheit des Schubverbandes erstrecken. Schließlich könne der Schubverband nicht mit einem Schleppzug verglichen werden, dessen einzelne Fahrzeuge infolge der eigenen Besatzung über eine gewisse Selbständigkeit verfügen.

Es bedeutet, also für die Zentralkommission wenig, ob sich die Ursache der Schädigung auf einen einzelnen Teil, den Leichter oder das Boot oder auf den gesamten Schubverband bezieht. Es wird nicht unterschieden zwischen dem Verschulden des Kapitäns in der Führung des Schubverbandes und dem Verschulden eines Mitglieds der Besatzung bei der Befestigung der Leichter.

Demgemäß billigt das Urteil die herrschende Meinung von der Einheit des Schubverbandes, wenn auch die Begründung gelegentlich voneinander abweicht. Das Berufungsgericht in Brüssel (14. 2. 1949) hat unter Anwendung der Konvention von Brüssel über den Schiffszusammenstoß entschieden, daß das Schubboot und die Leichter ein einziges Fahrzeug bilden. Die Fehler des Schubbootes fallen dem Eigner des Leichters zur Last, der folglich gegenüber Dritten haftet. Das RSchObergericht Köln hat für den durch einen abtreibenden Schubverband verursachten Schaden eine gleichlautende Lösung gebilligt, ohne sie ausdrücklich zu begründen.)

Das schweizer Gesetz vom 23. 9. 1953 Art. 126 bestimmt, daß sich die Beschränkung der Haftung im Schubverband nach der Stärke des Bootes (250 fr. für die Pferdestärke) und der Tragfähigkeit des Leichters (500 fr. für die Tonne) berechnet.
Das niederländische Recht beruht für den Fall des Zusammenstoßes auf dem gleichen Prinzip (495 fl. für den m3 der Wasserverdrängung des Bootes und 137 fl. für den m3 der Wasserverdrängung des Leichters).

Nunmehr muss ermittelt werden, unter welchen Bedingungen die Gesamtheit des Schubverbandes gegenüber Dritten haftet.

II. Bedingungen für die Durchsetzung der Haftung des gesamten Schubverbandes.

Die Haftung kann sich nur auf die Gesamtheit der einzelnen Teile erstrecken, wenn ein Schubverband existiert, wie es nach der endgültigen Verbindung von Schubboot und Leichter unzweifelhaft der Fall ist.

Was aber soll gelten für die Zeit vor und nach der Zusammenstellung und der Auflösung des Schubverbandes? Wann genau verlieren oder rückgewinnen die Leichter und das Boot ihre Selbständigkeit in Bezug auf die Haftung?

Um diese Frage zu beantworten, hält sich die Zentralkommission nicht bei juristischen Überlegungen auf. Sie stützt sich im wesentlichen auf die tatsächliche Überlegung, dass das Verschulden als Quelle der Haftung gegeben sein muß in dem Zeitpunkt, wo der Schubverband endgültig zusammengestellt ist oder zusammengestellt bleibt. Es scheint uns, dass sich aus dem Urteil zwei Folgerungen ergeben.

a) Zunächst kann die maximale Haftung nur bestehen, wenn der Schubverband endgültig zusammengestellt ist. Diese Zusammenstellung erfordert insbesondere die Verbindung des Schubbootes mit den Leichtern. Folglich haftet der Schubverband nicht für Schäden, die durch Leichter verursacht sind, die auf Grund vertraglicher Abrede in den Verband hätten aufgenommen werden sollen, aber noch nicht endgültig durch die Herstellung der Kuppelungen aufgenommen waren.

Gleiches gilt für Leichter, die sich außerhalb einer zulässigen Liegestelle befinden und deren Abholung das Schubboot verzögert hatte. Ebensowenig wird die maximale Haftung begründet durch die vorbereitenden Manöver für die Zusammenstellung des Verbandes. Der noch nicht in den Schubverband aufgenommene Leichter bestimmt nicht den Umfang von dessen Haftung, selbst wenn die vorbereitenden Manöver unter dem Befehl des Kapitäns des Schubbootes standen.

Symmetrisch geordnet haften alle Leichter, die in den Schubverband aufgenommen sind, für die bis zu ihrem Ausscheiden eintretenden Schäden.

Nach der Meinung des Urteils erstreckt sich die Haftung, wenn das Schubboot die vier Leichter ablegt, auf fünf Elemente (vier Leichter und Boot). Was soll gelten, wenn das Boot einen Leichter nach dem anderen ablegt? Wenn der Schaden durch das Abtreiben des ersten Leichters entsteht, erstreckt sich die Haftung auf vier Leichter und auf das Boot. Wenn der Schaden auf dem Abtreiben des vierten Leichters beruht, erstreckt sich die Haftung nur auf das Boot und diesen letzten Leichter. Diese Lösung mag überraschend erscheinen, ein rechtliches Hindernis dürfte ihr aber nicht entgegenstehen. Das Pfandrecht der Schiffsgläubiger (§ 103 BSchG) erfaßt das Schiff mit Zubehör in dem Zustand, in dem es sich bei der Beschlagnahme befindet.

4)

Das Objekt des Pfandrechts ist also nicht unwandelbar. Es kann sich verändern.

b) Aus dem Urteil der Zentralkommission dürfte sich eine zweite Folgerung ergeben. Das Verschulden als Quelle der maximalen Haftung muss gegeben sein vor der Auflösung des Schubverbandes. Der daraus folgende Schaden kann eintreten nach dieser Auflösung.

Im vorliegenden Fall ist die Zentralkommission der Ansicht, dass der Kapitän des Schubbootes schuldhaft handelte, indem er die vier Leichter an einer ungeeigneten Stelle unzureichend verankert und ohne Bewachung ablegte. Der gesamte Schubverband haftet für den Schaden, obwohl sich der Zusammenstoß mit den abgelegten Leichtern erst am nächsten Tag ereignete, nachdem der Schubverband längst aufgelöst war

Man könnte fragen, ob die Zentralkommission diesen Standpunkt mit der gleichen Entschiedenheit vertreten würde, wenn sich der Unfall in der Schweiz ereignet hätte. Das Bundesgesetz vom 23. 9. 1953 sieht in der Tat vor, daß sich die Haftung berechnet nach der Gesamtheit des Schubverbandes, wenn das Schubboot im Moment der Schadenszufügung fest mit den Leichtern verbunden war. Wenn der Fehler in der Uberwachung unter diese Voraussetzung fällt, ist doch der Schaden erst am nächsten Tag eingetreten, als sich der Zusammenstoß zwischen den Leichtern und dem Dritten ereignete. Der Text des Gesetzes schein uns enger zu sein.

Der Entwurf der internationalen Konvention über die Beschränkung der Schiffseignerhaftung (CLN) regelt in Art. 6 § 3 die Höhe der Haftungssumme für den Schubverband. Diese Vergünstigung gilt aber nur, wenn es sich um ein Schubboot handelt, das mit den Leichtern in einem Schubverband verbunden ist. Die Konvention sagt nicht, ob die Bedingung der Verbindung schon bestehen muss in dem Augenblick, wo das Verschulden begangen wird, oder in dem Augenblick, wo sich der Schaden ereignet. Wenn die Zentralkommission ihre Rechtsprechung nach Inkrafttreten des neuen Textes aufrecht erhält, würde sie sich für die erste Lösung entscheiden. Man müßte sich dann allerdings fragen, ob die Zentralkommission nicht die CLN verletzen würde, die eindeutig das Bestehen eines Schubverbandes fordert.

Weil die Zentralkommission die genaue Ursache für die fehlerhafte Lage der Leichter mitten im Strom nicht feststellen kann, geht sie aus von einem Verschulden bei der Auswahl des Liegeplatzes oder bei der Verankerung. Diese Umstände liegen unzweifelhaft vor der Auflösung des Schubverbandes.

Soweit jedoch die Zentralkommission einen Fehler in der Bewachung der Stillieger feststellt, findet das Stilliegen zwangsläufig nach der Auflösung des Schubverbandes statt. Es steht nicht mehr in Beziehung zu dem Schubverband. Es fragt sich, ob nicht die Zentralkommission, indem sie diesen Fehler feststellt, auf das Tatbestandsmerkmal der Auflösung des Schubverbandes verzichtet, um sich auf eine trotz der Auflösung des Schubverbandes fortbestehende Verpflichtung des Kapitäns zu stützen. Wenn dem so ist, sind wir allerdings der Meinung, daß die Verpflichtung zur Bewachung stilliegender Leichter nicht dem Kapitän des Schubbootes obliegt. In § 1.02 Nr. 3 ist bestimmt, dass in einem Schubverband die geschobenen Fahrzeuge keinen eigenen Schiffsführer benötigen, sondern der Führung des schiebenden Fahrzeugs unterstehen. In § 1.01 d wird der Schubverband als eine starre Verbindung von Fahrzeugen bezeichnet, von denen sich mindestens eines vor dem Fahrzeug mit Maschinenantrieb befindet, das den Verband fortbewegt. Daraus folgt, daß ein Schubverband ohne Schubboot nicht lenkbar ist. Daher kann die Bewachung des stilliegenden Leichters nicht dem Führer des Schubbootes obliegen. Diese Verpflichtung dürfte auch nicht aus den vertraglichen Vereinbarungen über die Schubschiffahrt folgen.

III. Die Tragweite des Urteils.

Weil es sich nicht damit zu befassen hatte, löst das Urteil nicht das bedeutungsvolle Problem des Rückgriffs zwischen den einzelnen Teilen des Schubverbandes, wenn sie in verschiedenem Eigentum stehen. Man kann sich auch fragen, ob das Ergebnis des Urteils nach der Ratifikation der Konvention von Genf über den Schiffszusammenstoß vom 15. 3. 1960 noch haltbar ist. Die Konvention ist in Deutschland und in Frankreich (Gesetz vom 30. B. 1972; Decret 68/254 vom 13. 3. 1968) und in Holland in Kraft getreten. Der Art. 1 Nr. 3 der Konvention stellt eindeutig klar, dass der Umstand, dass die der Konvention unterworfenen Schiffe zu demselben Verband (convoi) gehören, die Anwendung der Konvention nicht berührt. Der Ausdruck convoi ist nicht beschränkt auf den convoi de remorquage (Schleppzug). Der Art. 2 Nr. 3 enthält dafür eine Bestätigung, in dem er sich mit diesem speziellen Tatbestand befaßt. Der Schubverband fällt daher in den Anwendungsbereich der Konvention. Die Bestimmungen sind weit gefaßt und klar. Wenn man jedoch annimmt, dass der Schubverband im Gegensatz zum Schleppzug nur ein Schiff bildet, modifiziert man zwangsläufig die Anwendung der Konvention. Das wird durch das nachfolgende Beispiel bewiesen.

Ein Schubverband besteht aus dem Schubboot A und dem Leichter B, die verschiedenen Eignern gehören. Der Schubverband AB stößt zusammen mit dem Schiff C. Das Schubboot trägt die Schuld zu 3/4 und das Schiff C zu 1/4.

Wenn man annimmt, dass AB nur ein Schiff im Hinblick auf C bilden, kann C zwangsläufig vorgehen gegen A oder B in Höhe des Wertes von A + B.

Die Lage des nicht schuldigen Leichters B, der Ersatz seines Schadens fordert, kann sich ändern. Wenn man der Meinung ist, daß er nur ein Teil des Schiffes AB bildet, kann er von C nur ein Viertel seines eigenen Schadens verlangen.
Gemäß Art. 4 Nr. 1 der Konvention gibt es zwischen schuldigen Schiffen keine gesamtschuldnerische Haftung. Wohl gemerkt kann B den Schaden von dem schuldigen Schubboot A verlangen. Logischerweise wäre dieser Anspruch ausschließlich auf vertraglicher Ebene durchzusetzen. Die Konvention von Brüssel wäre nicht mehr anwendbar. Diese Lösung würde jedoch im Gegensatz stehen zu Art. 1 Nr. 3 der Konvention.
Man könnte auch annehmen, daß der Leichter B ein selbständiges Schiff und nicht ein Teil des Schiffes AB ist. Gemäß Art. 4 Nr. 1 der Konvention haften für seinen Schaden das Schubboot A und das Schiff C, weil sie gemeinsam schuldig sind, gesamtschuldnerisch. Der Leichter könnte also seinen gesamten Schaden von dem Schiff C verlangen, während C nichts zu fordern hätte, weil es sich bei B um ein schuldloses Schiff im Sinne von Art. 2 der Konvention handelt. Dies Ergebnis steht im Gegensatz zu dem vorherigen.

Es ist offensichtlich, dass die Begründung des Urteils der Zentralkommission in Anbetracht der eindeutigen Texte der Konvention unzureichend wird. Der Vorrang der internationalen Konvention vor dem nationalen Recht kann für das französische Recht nicht zweifelhaft sein. Das wird durch Art. 55 der Verfassung bestätigt. Wir kennen nicht die Rechtslage in den anderen Staaten. Das deutsche Gesetz vom 30. B. 1972 hat die Bestimmung von Art. 1 Nr. 3 der Konvention von Brüssel nicht wörtlich übernommen. Der § 92 e BSchG spricht nur von dem Schleppverband. Soll dadurch unser Problem in diesem Land unterdrückt sein? In Frankreich bleibt es in vollem Umfang bestehen. Das Projekt der CLN kann ersichtlich zu einer Lösung nichts beitragen. Die CLN beschränkt sich darauf, dem Schuldigen zu gestatten, daß er seine Haftung durch die Bildung eines Fonds beschränken kann, der dem Wert des Verbandes entspricht. Die CLN regelt jedoch für den Schubverband nicht die Durchsetzung des Rückgriffanspruchs. In der Tat ist für die Anwendung der Konvention unerläßlich, daß der Schubverband als ein Schiff bewertet wird. Die Teile des Verbandes müssen notwendigerweise fest verbunden sein. In diesem Fall regelt sich die Wiederherstellung des Schadens, der einem Dritten durch den Schubverband zugefügt wurde, nach der Konvention. Was aber soll gelten für die Beziehungen zwischen den Teilen des Schubverbandes? Die Konvention sieht hier in Art. 1 Nr. 3 ausdrücklich vor, dass ihre Anwendbarkeit nicht berührt wird durch die Zugehörigkeit der Schiffe zu demselben Verband (convoi).

In Ermangelung einer Unterscheidung zwischen Schleppzug und Schubverband ist die Konvention auf beide Verbände anwendbar. Um jedoch die Regeln für den Ausgleich zwischen den einzelnen Teilen des Verbandes zu bestimmen, muß angenommen werden, daß jeder Teil ein Schiff darstellt. Aber ist die Annahme nicht willkürlich, dass Leichter und Schubboot gleichzeitig zwei ganz verschiedenen Regelungen unterworfen werden, je nachdem ob man von den Rechtsbeziehungen zu Dritten oder zwischen den einzelnen Teilen des Schubverbandes ausgeht? Man sagt, dass diese hingenommen werden könne.

5)

Die internationale Konvention regelt jedoch alle Beziehungen eines Schiffes, gleichgültig ob es in einen Schubverband aufgenommen oder nicht aufgenommen ist. Führt diese Überlegung nicht zu dem extremen Zugeständnis, daß es letztlich in jeder Beziehung nur ein Schiff gibt und daß die Konvention nicht anwendbar ist auf die Beziehungen unter den einzelnen Teilen des Verbandes?

Nach unserer Meinung heißt das, sich weit von dem Text der Konvention zu entfernen.

Trotz der Zweifel, die heute auf Grund der geänderten Gesetzeslage bestehen, bleibt das Urteil bedeutungsvoll. Es klärt für den Schubverband das widerspruchsvolle Problem des Umfangs der Eignerhaftung..

Die Zentralkommission zeigt sich durch tatsächliche Überlegungen mehr beeindruckt, als durch eine strikte Auslegung der Texte.

Man kann als Regel aufstellen, dass sich die Haftung auf alle Teile des Schubverbandes erstreckt, die bei Begehung des Fehlers fest miteinander verbunden waren. Daran ändert sich nichts, wenn der Schaden erst nach Auflösung des Schubverbandes eintritt.

Aber ist für den Rhein die Beschränkung der Eignerhaftung durch die Schwierigkeiten, die sie hervorruft, nicht zu einer lernäischen Hydra geworden?"


Anmerkungen

1) Garnon, la responsabilité de l'armateur du posseur se limite-teile au posseur ou a celle de I'ensemble du convoi? in Navigation 59, 12; Pabst, Rechtsfragen der Schubschiffahrt in ZfB 63, 380; Dütemeyer, Rechtliche Probleme der Schubschiffahrt in ZfB 64, 269

2) Müller, Neue Rechtsprobleme der Schub- und Gliederschiffahrt in ZfB 63, 177; Bell, Die Haftung des Eigners bei der Verwendung überlanger Einheiten in ZfB 62, 218; Wassermeyer zuletzt, die rechtlichen Probleme der Schubschiffahrt, Vortrag auf dem 3. Europäischen Binnenschiffahrtskongreß in Antwerpen 1972

3) Zitiert bei Wassermeyer, der Kollisionsprozeß in der Binnenschiffahrt 4. Aufl. S. 3

4) Vortisch-Zschucke, Binnenschiffahrts- und Flößereirecht 3. Aufl. S. 433

5) Wassermeyer, die Bedeutung von § 22 WHG für die Binnenschiffahrt in ZfB 73, 483

Anm. der Redaktion: Eine weitere Stellungnahme zu dem Urteil und der Anmerkung von Garnon bleibt vorbehalten.