Jurisprudentiedatabank
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 5. Juni 1986
(Auf die Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Strassburg vom 23. September 1985 - 1 E 1052/85 -)
Tatbestand:
Der Beschuldigte hat Berufung gegen das Versäumnisurteil des Rheinschifffahrtsgerichts Strassburg vom 23. September 1985 eingelegt und die Einwendung der Nichtigkeit der Ladung zur Verhandlung vom 23. September 1985 erhoben, die der Staatsanwaltschaft beim Rheinschifffahrtsgericht Strassburg gemäß dem Verfahren des Artikels 562 der französischen Strafprozessordnung für im Ausland lebende Personen zugestellt worden ist. Als Begründung hat der Beschuldigte angeführt, dass die Ladung zur Verhandlung vor Gericht ihm nicht mit der Übersetzung an seinem Wohnsitz zugestellt worden ist.
Die Staatsanwaltschaft hat ebenfalls Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Strassburg vom 23.9.1983 eingelegt und hat erklärt, die Angelegenheit dem weisen Beschluss der Berufungskammer anheimzustellen.
Entscheidungsgründe:
Die europäische Menschenrechtskonvention sieht in Artikel 6.3 das Recht des Beschuldigten vor, in einer für ihn verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über die Art und den Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung in Kenntnis gesetzt zu werden (Sache SKOWRONEK - 93 P -19/78; Sache gegen SCHONLAUB 100P - 3/79).
Aus den Gerichtsakten geht nicht hervor, dass die Ladung, die am 22. Juni 1985 am Wohnsitz des Beschuldigten durch Aushändigung an einen Neffen des Beschuldigten zugestellt wurde, eine Übersetzung in niederländischer Sprache enthielt.
Allerdings bedeutet die Verletzung der in Artikel 6.3 der europäischen Menschenrechtskonvention beschriebenen Rechte des Beschuldigten auf Information deshalb nicht die Nichtigkeit der Ladung einer Person, sondern macht für das Gericht lediglich jede Entscheidung unmöglich, zumal sich bei der Prüfung der Gerichtsakte und der Verhandlung ergeben hat, dass die Gerichtsakte keinen Hinweis darauf enthält, dass der Beschuldigte die Art und den Grund der in der Ladung angeführten Beschuldigung verstand.
Das mit Berufung belegte Versäumnisurteil, das in Verletzung der Bestimmungen der europäischen Menschenrechtskonvention über das Recht des Beschuldigten auf Information gefällt worden ist, ist aufzuheben.
Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
- die Berufung des Beschuldigten B., die formell nicht zu beanstanden ist, ist zulässig;
- sie ist begründet;
- die Berufung der Staatsanwaltschaft wird daher verworfen;
- das Versäumnisurteil des Rheinschifffahrtsgerichts Strassburg vom 23.September 1985 wird aufgehoben;
- die Festsetzung der Kosten des Berufungsverfahrens erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht Strassburg gemäß Artikel 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte.