Jurisprudentiedatabank
Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
Urteil
vom 18.04.1985
Tatbestand:
Das Motortankschiff "L" der Streithelferin der Klägerin hatte sich am 2.9.1982, nachdem, seine Maschine wegen eines Bruchs der Kurbelwelle ausgefallen war, bei Km 583 in Ufernähe festgesetzt und war an Land befestigt worden. Das manövrierunfähige Schiff sollte aus dieser Lage durch die Beklagten zu 2 und 4 als Führer der Motorschlepper "P" und "B" der Beklagten zu 1 und 3 abgezogen und anschließend in den Hafen von Koblenz-Wallersheim, dessen Eignerin die Klägerin ist, verschleppt werden. Das Abziehen (Turnen) ging glatt vonstatten. Das Verschleppen erfolgte in folgender Formation:
Der Motorschlepper "P" zog das MTS "L" an kurzem Strang. Der Motorschlepper "B" hatte an der Steuerbordseite des Achterschiffes von MTS "L" festgemacht, um von dort aus zu drücken.
Die Einfahrt des Verbandes in den Hafen von Koblenz-Wallersheim misslang. Das MTS "L" stieß gegen die östliche Spundwand des Hafenkopfes und beschädigte diese. Die Beseitigung der Schäden erfordert nach den Feststellungen der Experten Dr. „E“, „B“ und „Bu“, welche für die Havariebeteiligten tätig geworden sind, einen Aufwand von DM 60.000,- ohne Mehrwertsteuer.
Die Klägerin hat dargelegt, für das Verschulden der Beklagten zu 2 und 4 spreche angesichts der Art des Unfalls ein Beweis des ersten Anscheins. Dieser sei nicht widerlegt worden, da keine Tatsachen vorgetragen worden seien, die den Unfall ohne ein Verschulden der Beklagten zu 2 und 4 erklärbar machten.
Die Streithelferin hat sich diesem Vortrag angeschlossen. Demgegenüber haben die Beklagten vorgetragen, die Unfallursachen seien die Strömungsverhältnisse in der Hafeneinfahrt und der Tiefgang des MTS "L". Außerdem haben sie sich darauf berufen, dass die schriftlichen Turnaufträge, deren Text übereinstimmt, die Klausel enthalten:
"Jegliche Ansprüche gegenüber dem Eigentümer beziehungsweise Ausrüster oder der Besatzung des turnenden Schiffes für Schäden, die während der Turnarbeit an dem loszuturnenden Schiff und/oder dessen Ladung entstehen, sind ausgeschlossen".
Es haben beantragt:
Die Klägerin und ihre Streithelferin, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin DM 60.000,- plus 13 % Mehrwertsteuer und 8 % Zinsen auf die Hauptsumme seit dem 7.7.1983 zu bezahlen und auszusprechen, dass die Beklagte zu 1 dinglich mit dem Motorschlepper "P", die Beklagte zu 3 dinglich mit dem Motorschlepper "B" und beide genannten Beklagten persönlich im Rahmen der Bestimmungen des Binnenschifffahrtsgesetzes hafteten.
Die Beklagten, die Klage abzuweisen.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat Zeugen vernommen und sodann der Klage stattgegeben. Es hat ausgeführt:
Das MTS "L" sei manövrierunfähig gewesen, da es seine Schraube und damit auch sein Ruder nicht habe einsetzen können. Daran ändere die Tatsache nichts, dass sein Bugstrahlruder einsatzfähig gewesen sei, denn das Fahrzeug habe mit seiner Hilfe seinen Kurs nicht bestimmen können. Diesen hätten allein die Schiffe der Beklagten festgelegt. Der Unfall spreche dafür, dass ihnen hierbei ein Fehler unterlaufen sei, denn sei hätten keine Umstände dargelegt, die einen solchen ausschlössen. Der vereinbarte Haftungsausschluss gelte nicht gegenüber der Klägerin, die an den geschlossenen Turnverträgen nicht beteiligt sei.
Die Beklagten haben Berufung eingelegt.
Die Parteien wiederholen ihren Vortrag aus dem ersten Rechtszuge und nehmen zu den Darlegungen des Rheinschifffahrtsgerichtes Stellung.
Es beantragen, die Beklagten, die Klage abzuweisen.
Die Klägerin, die Berufung zurückzuweisen.
Die Streithelferin der Klägerin, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise sie zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, die Berufung sei zu spät begründet worden.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist formell nicht zu beanstanden.
Soweit die Streithelferin der Klägerin meint, die Frist zur Begründung der Berufung sei nicht eingehalten, übersieht sie, dass diese Frist nach Art. 37 Abs. 3 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte, in der Fassung des Zusatzprotokolls Nr. 3 vom 17.10.1979, in Kraft seit dem 1.9.1982, nicht mehr 4 Wochen, sondern 30 Tage beträgt. Diese Frist beginnt mit dem Eingang der Berufungsschrift bei Gericht; im vorliegenden Falle begann sie also am 6.8.1984. Sie war beim Eingang der Berufungsbegründung am 5.9.1984 noch nicht abgelaufen.
In der Sache hat die Berufung aus den folgenden Gründen keinen Erfolg:
1) Es ist ungeklärt, welche Ursache oder welche Ursachen dazu geführt haben, dass das MTS "L" gegen eine Spundwand des Hafenkopfs de Klägerin gestoßen ist. Diese Frage bedarf aber keiner Klärung, da diese Ursachen nur in einem Bereich liegen können, für den die Beklagten zu 2 und 4 verantwortlich waren. Das Rheinschifffahrtsgericht hat richtig festgestellt, dass das MTS "L" manövrierunfähig war und weder seinen Kurs noch seine Geschwindigkeit selbst bestimmen konnte. Seine funktionsfähigen Bugstrahlruder änderten nach der weiteren richtigen Feststellung des Rheinschifffahrtsgerichts hieran nichts, da sie allein den Kurs des Schiffes nicht festlegen und halten konnten. Das MTS "L" musste also von den Schiffen der Beklagten bugsiert werden. Nur sie bestimmten seinen Kurs und seine Geschwindigkeit.
Angesichts dieser Situation und angesichts des Unfalls - Anstoß gegen eine Spundwand - spricht ein Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden der Beklagten zu 2 und 4, oder eines von ihnen. Auch hier sind präzisere Feststellungen nicht erforderlich, da nach § 830 I 2 BGB jeder von mehreren Tatbeteiligten für den bei der Tat entstandenen Schaden verantwortlich ist, wenn nicht festgestellt werden kann, wer von ihnen ihn durch seine Handlung verursacht hat.
Es war deshalb die Aufgabe der Beklagten, einen Sachverhalt darzulegen und notfalls zu beweisen, welcher einen Fehler der Beklagten zu 2 und 4 als Unfallursache ausschloss. Das haben sie nicht vermocht. Ihr Hinweis auf die Abladung des MTS "L" und auf die Strömungsverhältnisse in der Hafeneinfahrt ist nicht geeignet, sie zu entlasten. Beide Faktoren waren den Beklagten zu 2 und 4 bekannt. Sie konnten und mussten ihnen deshalb bei der Festlegung des Kurses des Verbandes Rechnung tragen. Nur falsche Kursfestlegung bei der Einfahrt in den Hafen der Klägerin erklärt auch bei Berücksichtigung der genannten Faktoren den Unfall. Deshalb, steht das Verschulden der Beklagten zu 2 und 4 als der für den Kurs des Verbandes verantwortlichen Personen fest. Die Haftung aller Beklagten Tür die Folgen der Havarie ergibt sich aus den §§ 823, 830 BGB, 3, 4, 114 BSchG.
2) Für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites ist es ohne Bedeutung, ob und in welchem Umfange sich die Beklagten in den Turnverträgen wirksam von Haftung freigezeichnet haben. Eine solche Freizeichnung gilt nur gegenüber den Vertragspartnern, nicht aber gegenüber Dritten, die Ansprüche haben, welche nicht auf den genannten Verträgen beruhen.
Unerheblich ist auch, ob die Beklagten von dem Eigner des MTS "L" Ersatz ihrer Zahlungen an die Klägerin verlangen können. Selbst wenn dem so wäre, wäre die Klägerin nicht daran gehindert, sich mit ihren gegenüber den Beklagten bestehenden Ansprüchen an diese zu wenden.
Eines Eingehens auf die Frage der Freizeichnung bedarf es deshalb hier nicht.
Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
1) Die Berufung der Beklagten gegen das am 27.6.1984 verkündete Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts St. GOAR wird zurückgewiesen.
Das genannte Urteil wird bestätigt.
2) Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.
3) Die Festsetzung dieser Kosten erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht St. GOAR unter Berücksichtigung von Art. 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte.