Jurisprudentiedatabank
Leitsätze:
1) Haftung für Schiffsschäden infolge Auffahrens auf verlorene Anker, deren Verlust nicht aufgeklärt werden kann.
2) Zur Frage des Mitverschuldens der Führung des beschädigten Schiffes.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 22. März 1984
162 Z 5/84
(Rheinschiffahrtsgericht St. Goar)
Zum Tatbestand:
Das der Beklagten zu 1 gehörende und vom Beklagten zu 2 geführte MTS M hatte im März 1980 auf der Fahrt von Neuwied nach Karlsruhe den Steuerbordanker mit ganzer Kette verloren. Der unbemerkt gebliebene Verlust des Ankers wurde durch Zufall erst in Karlsruhe festgestellt und der zuständigen Behörde sofort gemeldet, ohne daß die Verluststelle angegeben werden konnte. Im November 1980 erlitt das MTS C der Klägerin, der damaligen Ausrüsterin des Schiffes, auf der Bergfahrt im Raum Geisenrücken (etwa km 552) durch Kollision mit einem unter Wasser liegenden Hindernis Leckage. Da sich bereits im Oktober 1980 ein gleichartiger Fall im Raum Geisenrücken (MS H) ereignet hatte und die Suche mit einem Peilrahmen erfolglos geblieben war, wurde nunmehr der Taucherschacht K eingesetzt, der Anker und Kette des MTS M sofort fand.
Die Klägerin verlangt Erstattung des Schiffsschadens in Höhe von fast 193000,- DM, weil ihr Schiff auf diesen Anker gefahren und dabei schwer beschädigt worden sei.
Die Beklagten bestreiten dies. Das Schiff der Klägerin sei durch Auffahrt auf Felsbrocken beschädigt worden. Die Besatzung des MTS M sei auch für den Verlust des Ankers nicht verantwortlich.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach nur zur Hälfte für gerechtfertigt erklärt, da das MTS M zu tief abgeladen gewesen sei. Auf die Berufung der Klägerin hat die Berufungskammer der Rheinzentralkommission der Klage in vollem Umfang stattgegeben. (Über die in den Parallelprozessen (160 Z - 3/84 und 163 Z - 4/84) erhobenen Klagen wegen Schiffs- und Ladungsschäden anläßlich der Leckage des MS H im Oktober 1980 wurde entsprechend entschieden.)
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
1. In Übereinstimmung mit dem Rheinschiffahrtsgericht wird festgestellt, daß das Schiff der Klägerin auf den Anker aufgefahren ist, welchen dasjenige der Beklagten verloren hatte. Diese Feststellung wird wie folgt begründet:
a) Entscheidendes Gewicht hat die Aussage des Tauchers R., der am 15. November 1980 das Schiff der Klägerin im Wasser liegend untersucht hat. Nach seiner Aussage war der unter der Wasserlinie liegende Riß „ganz blank". Weder Steinchen noch Holzteile waren an der Rißlinie festzustellen. Das gleiche hat der Zeuge von den neben dem Riß von ihm festgestellten Einbeulungen ausgesagt. Er hat weiter erklärt, im Verlaufe seiner Berufstätigkeit schon viele Schiffslecks untersucht zu haben. Er wisse deshalb, wie ein Leck aussehe, das bei der Auffahrt eines Schiffes auf felsigem Untergrund entstehe. Ein solches Leck habe das Schiff der Klägerin nicht gehabt. Es sei auch nicht von Beginn ab kleiner geworden, was nach seinen Erfahrungen bei einem Leck der Fall sei, das entstehe, wenn ein Schiff über einen Felsen rutsche, der unter dieser Einwirkung abbröckele. Der Zeuge hat sich weiter Fotos des Ankers des Schiffes der Beklagten angesehen und den Eindruck gewonnen, daß er das Leck bewirkt haben könne.
Die Aussage dieses sachverständigen Zeugen rechtfertigt die Feststellung, daß das Leck des Schiffes der Klägerin bei der Auffahrt auf einen Gegenstand, der aus Metall bestand, entstanden ist. Dieser Gegenstand kann aus den unter Ziffer e) angestellten Erwägungen nur ein Anker gewesen sein.
b) Die gleiche Schlußfolgerung erlaubt die Aussage des Schiffssachverständigen W. Er hat den Riß des Schiffes der Klägerin untersucht, als dieses auf Helling in einer Werft in Speyer lag. Auch er hat festgestellt, daß an der Rißlinie und den außerdem noch vorhandenen Einbeulungen Gestein- oder Felsteilchen nicht erkennbar waren und daraus gefolgert, das Schiff könne nicht auf einen Felsen aufgefahren sein. Da der anwesende Schiffsführer, der Zeuge M., eine solche Auffahrt behauptete, hat ihm der Zeuge W. seine andere Ansicht vorgehalten.
c) Die Berufungskammer übersieht nicht, daß der Schiffsmaschinensachverständige K. bei seiner Anhörung im Verklarungsverfahren die bisher getroffenen Feststellungen für nicht möglich erklärt hat. Seine Darlegungen sind aber nicht überzeugend. Der Zeuge hat nicht das Schiff der Klägerin, sondern den Anker desjenigen der Beklagten untersucht. Dessen Beschädigungen und Deformierungen, die er fotografiert hat, erklärt er zum größten Teil damit, daß der Anker eine Zeit lang über den Grund mitgeschleift worden sei. Ein geringerer Teil der Schäden könne durch Gewalteinwirkung des eigenen Fahrzeuges entstanden sein. Dazu ist zu sagen. Hätte das Schiff der Beklagten den eigenen Anker eine Zeit lang so über den Grund geschleppt, daß er dabei erheblich geschädigt und deformiert wurde, so hätte die Besatzung dies bemerken müssen. Das gleiche gilt von einer sonstigen Gewalteinwirkung des Schiffes auf den Anker. Solche Beobachtungen der Besatzung sind aber nicht vorgetragen worden, insbesondere nicht für die Reise, auf der der Anker verloren wurde. Der Verlust blieb im Gegenteil zunächst unbemerkt, ein Beweis dafür, daß ihm Gewalteinwirkungen auf den Anker nicht voraufgingen. Beschädigungen des Ankers aus früherer Zeit sind ebenfalls nicht vorgetragen worden. Der Anker muß also die festgestellten Beschädigungen und Deformierungen erlitten haben, nachdem sein Schiff ihn verloren hatte. Die anders lautenden Feststellungen des Sachverständigen K. haben keine hinreichende Grundlage. Die Berufungskammer vermag sie nicht zu übernehmen.
d) Aus der Lage des Ankers und seiner Kette auf der Sohle des Rheines kann nicht gefolgert werden, das Schiff der Klägerin könne nicht auf ihn aufgefahren sein. Eine solche Auffahrt muß nicht dazu führen, daß der Anker seine
Lage wesentlich verändert, zum Beispiel neben seine Kette geschleppt wird, während er vorher hinter ihr lag. Die Lage des Ankers hinter seiner Kette bei der Auffindung spricht also nicht gegen die festgestellte Havarie.
Das gleiche gilt von der Fundstelle im Verhältnis zu dem Punkt, wo nach dem Vortrag der Klägerin die Auffahrt stattgefunden hat. Das Rheinschiffahrtsgericht hat auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die der genauen Feststellung einer Auffahrtstelle entgegenstehen. Die Berufungskammer schließt sich dem an.
Die Tatsache, daß der Anker von MS M in 4,5 Meter Tiefe gefunden worden ist, spricht nicht dafür, daß es als Havarieursache ausscheidet. Allerdings konnte er in der genannten Tiefe keinem Schiff gefährlich werden. Die genannte Fundstelle spricht aber nicht zwingend dafür, daß der Anker dort immer gelegen hat. Er kann dorthin auch nach dem Unfall vom fließenden Wasser transportiert worden sein, nachdem zwei Schiffe auf ihn aufgefahren waren.
...
e) Die Schäden am Schiff der Klägerin zeigen, daß sie bei der Auffahrt auf einen Gegenstand, der aus Metall bestand, entstanden sind. Die Deformierungen und Beschädigungen des Ankers des Schiffes der Beklagten zeigen, daß dieser der Gegenstand gewesen ist. Dafür sprechen auch die Unfallstelle und die Fundstelle des Ankers, die nahe beieinander liegen. Dafür spricht weiter, daß in diesem Revier trotz intensiver Suche kein weiterer Gegenstand aus Metall auf der Sohle des Rheines gefunden wurde. Schließlich spricht dafür, daß nach der Bergung des Ankers des Schiffes der Beklagten sich Unfälle wie der vorliegende nicht mehr ereignet haben. Dabei betont die Berufungskammer die Wirkung der Gesamtheit dieser Umstände die bei einer Gesamtschau einander stützen und ein vollzähliges Bild ergeben.
2. Der Verlust des Ankers ist von den Beklagten zu verantworten. Es ist nicht die Sache der Klägerin, diese Verantwortlichkeit im einzelnen darzulegen und zu beweisen. Dazu ist sie nämlich nicht in der Lage, da sie keine Vorgänge aufklären kann, die sich im Schiffsbetriebe der Beklagten ereignet haben. Diese also hat solche Vorgänge aufzuklären, wenn sie darlegen und beweisen will, für den Ankerverlust nicht verantwortlich zu sein. Eine solche Aufklärung ist nicht erfolgt. Sie kann nicht in der Erklärung gesehen werden, man habe den Verlust von Anker und Kette in Karlsruhe durch Zufall festgestellt und dabei bemerkt, daß die Ankerkettenbremse so stark angezogen gewesen sei, daß man sie mit einer Eisenstange habe lösen müssen. Hieraus kann nicht gefolgert werden, der Anker sei unter Umständen verloren worden, die von den Beklagten nicht zu verantworten seien. Die Darlegung ist in diesem Punkte nichtssagend. Ihre Richtigkeit kann deshalb dahinstehen.
3. Eine Mitschuld der Klägerin an der Havarie vermag die Berufungskammer nicht festzustellen. Das Rheinschiffahrtsgericht sieht sie in der Abladung ihres Schiffes auf eine Tiefe, die an der Unfallstelle dazu führte, daß das Schiff der Klägerin kein Wasserpolster unter dem Kiel hatte. Es meint weiter, das Schiff der Klägerin wäre auch bei ordnungsgemäßer Abladung auf den Anker aufgefahren, die Folgen wären aber dann weit weniger bedeutend gewesen. Dazu bemerkt die Berufungskammer: die entscheidende Feststellung des Rheinschiffahrtsgerichtes ist von ihm nicht begründet worden und kann auch nicht begründet werden. Es ist die Sache der Beklagten, eine Mitschuld der Klägerin an der Havarie ihres Schiffes darzulegen und zu beweisen. Das gilt auch für den Kausalzusammenhang zwischen schuldhaftem Verhalten und Havarie. Beweislücken gehen zu Lasten der Beklagten. Sie bestehen aber im vorliegenden Falle insofern, als nicht sicher festgestellt werden kann, welchen Einfluß eine ordnungsgemäße Abladung des Schiffes der Klägerin auf die Havarie gehabt hätte. Es gibt keine hinreichenden Gründe für die Feststellung, die Havarie wäre dann nicht erfolgt, oder sie hätte weniger bedeutende Folgen gehabt. Eine solche Feststellung ist deshalb nicht möglich. Allein verantwortlich für den Unfall sind die Beklagten. Ihre Haftung ergibt sich aus den §§ 823 BGB, 3 BSchG, 830 BGB, 4,114 BSchG.
...“