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Leitsätze:
1) Zu dem Vertrauensgrundsatz gemäß § 80 Nr. 3 RhPVO hinsichtlich der Verpflichtung, bei einem im Nebel vor einem auftauchenden Hindernis rechtzeitig anzuhalten.
2) Bei einer Berufung an die Zentralkommission können grundsätzlich nur die Berufungsbegründung und die Berufungserwiderung berücksichtigt werden.
Urteil der Berufungskammer der Rheinzentralkommission
vom 7. Dezember 1972
15 Z 2/72
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
nebst Stellungnahme der Berufungskammer zur Frage der Nachreichung von Schriftsätzen
Zum Tatbestand:
Zu Berg kam linksrheinisch bei regnerischem und nebligem Wetter der der Klägerin gehörende beladene Koppelverband, bestehend aus MS R106, dem von ihm geschobenen Kahn R50 und dem mit der Backbordseite von R106 gekoppelten Schleppboot RIV. Er war im Begriff, den rechtsrheinisch fahrenden Schubverband E (Boot und 4 Leichter) zu überholen. Zu Tal kam das der Beklagten zu 1 gehörende und vom Beklagten zu 2 geführte MS H mit dem Kahn R auf kurzem Draht im Anhang. Als der leere Schleppzug wegen des Nebels über Backbord aufdrehte, wich der Koppelverband zur Vermeidung einer Kollision nach Backbord aus und stellte den Rückwärtsgang ein. Er stieß infolge dieses Manövers gegen den Schubverband, wobei der Kahn R50 abriß und mit dem rechtsrheinischen Kümo A kollidierte. Die Klägerin wirft dem beklagten Schleppzug vor, zu lange im Nebel in Fahrt geblieben zu sein. Sie verlangt, nachdem die Beklagten die Hälfte ihres Schadens von insgesamt über 53 000,- DM freiwillig gezahlt haben, ein weiteres Viertel. Während des Rechtsstreits hat sie die Klage um 578 hfl. erhöht, die sie an den Eigner von A zur Abgeltung des an diesem Schiff entstandenen Schadens infolge der Kollision mit R50 gezahlt hat. Die Beklagten bestreiten ein Verschulden. Die Bergfahrer hätten ein Wettrennen veranstaltet, keine Nebelsignale gegeben und auf die Talfahrt trotz Radareinrichtung weder genügend geachtet noch die nötige Rücksicht genommen. Der Zusammenstoß mit A sei keine adäquate Folge der Kollision zwischen den beiden Bergzügen und beruhe auf fehlerhaftem Verhalten der Rheinstahlschiffe. Der Anspruch auf Zahlung der 578 hfl. sei verjährt. Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach zu z/3 für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung der Beklagten an die Berufungskammer der Rheinzentralkommission blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Bei einer Sichtweite von 200 bis 400 Metern durfte die Talfahrt nicht fortgesetzt werden. Da sie, wie aus allen Zeugenaussagen hervorgeht, nicht plötzlich eingetreten, sondern das Ergebnis einer allmählichen Sichtverschlechterung war, hätte die Talfahrt weit oberhalb der Unfallstelle eingestellt werden müssen, da eine weitere Verschlechterung der Sicht voraussehbar war. Der § 80 Abs. 2 RhSchPVO 1954, der zur Unfallzeit Gültigkeit hatte, verpflichtet den Talfahrer, anzuhalten oder aufzudrehen, wenn die Talfahrt infolge der verminderten Sicht und mit Rücksicht auf den übrigen Verkehr oder die örtlichen Umstände nicht mehr ohne Gefahr fortgesetzt werden kann. Diese Verpflichtung hat der Beklagte zu 2) aus den dargelegten Gründen nicht erfüllt. Zu Unrecht meinen die Beklagten, der erhobene Vorwurf müsse nicht ihnen, sondern den zu Berg fahrenden Zügen gemacht werden. Eine Sicht von 200 bis 400 m zwingt deshalb einen Bergfahrer nicht dazu, anzuhalten. Gegen diese Argumentation spricht nicht der Umstand, daß der wendende Schleppzug für den R-Zug ein Hindernis war, vor dem er nicht mehr rechtzeitig anhalten konnte. Dieses kam nämlich nur dadurch zustande, da der Schleppzug H zu lange im Nebel in Fahrt geblieben war. Solche Hindernisse meint der § 80 Abs. 3 RhSchPVO nicht. Es ist vielmehr darin zu verstehen, daß der Bergfahrer darauf vertrauen kann, die Talfahrt werde die für sie bestehenden Regeln konkret beobachten. Tut sie das nicht und wird sie dadurch zu einem Hindernis, so kann das kein Argument sein, die Fortsetzung der Bergfahrt bis zu diesem Hindernis für unzulässig zu erklären. Das Rheinschiffahrtsgericht hat der Führung des Koppelverbandes der Klägerin mit Recht vorgeworfen, keine Schallzeichen gemäß §81 Abs. 1 RhSchPVO 1954 gegeben zu haben. Da der Verband trotz des auf MS R106 vorhandenen Radargerätes nach Augensicht fuhr, gilt die genannte Bestimmung für ihn und verpflichte seinen Führer, in Abständen von längstens einer Minute einen langen Ton zu geben, was unstreitig nicht geschehen ist. Dagegen vermag die Berufungskammer den weiteren Vorwurf nicht zu bestätigen, man habe auf MS R106 das MS H zu spät bemerkt, weil der Ausguck „unaufmerksam gewesen sein müsse" (wird ausgeführt). Die Führung des Schubverbandes E ist für den Unfall nicht mitverantwortlich. Die Aussage seines Führers V. im bereits mehrfach erwähnten Strafverfahren zeigt, daß der Verband mit Radar fuhr, wenn auch teilweise nach Außensicht gefahren werden konnte. Er ist deshalb als Radarfahrer anzusehen. Es spricht auch nichts dafür, daß man auf E die für einen Radarfahrer gebotene Sorgfalt nicht beobachtete. Zur Einstellung der Fahrt war der Zug, wie bereits dargelegt, nicht einmal dann verpflichtet, wenn er ohne Radar fuhr. Es wurde ebenfalls bereits ausgeführt, daß die kritische Situation erst entstand, als das MS H aufzudrehen begann. Vorher war für einen Bergfahrer, der wie V. den Talfahrer in seinem Radargerät gesehen und über Kanal 13 anzusprechen versucht hatte, keine Gefahr zu sehen. Nach den Kursen mußte man vielmehr mit einer glatten Begegnung rechnen. Selbst wenn man der Führung von E vorwerfen könnte, die Aufdrehsignale nicht gehört und darauf nicht durch akustische Signale reagiert zu haben, so wäre diese Unterlassung auf den Unfall ohne Eirtfluß geblieben. Das Gleiche gilt für einen entsprechenden Vorwurf gegenüber der Führung des Verbandes der Klägerin. Für ein Wettrennen zwischen beiden Bergzügen spricht nichts. Eine Überholung ist nicht notwendigerweise ein solches Rennen. Für eine verbotene Überholung des E-Zuges durch den R-Zug spricht ebenfalls nichts. In den Gesamtzusammenhang des Unfalls gehört auch der Anprall des Schleppkahns R50 gegen das ordnungsgemäß vor Anker liegende Küstenmotorschiff A. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Anprall von dem Schiffsführer K. von R50 oder von dem Schiffsführer S. von A richtig geschildert worden ist. In beiden Fällen ist nämlich der Anprall von R50 gegen A die adäquate Folge des Zusammenpralls der beiden zu Berg fahrenden Verbände. Es ist nicht außergewöhnlich, daß als Folge eines solchen Zusammenstoßes Verbindungsdrähte zwischen mehreren Schiffen reißen, Schiffe dann abtreiben, ihre Anker setzen und wieder an den Draht genommen werden müssen, und daß mit allen diesen Ereignissen neue Kollisionen mit bisher unbeteiligten Schiffen, die kein Verschulden trifft, verbunden sind. Der Anspruch der Klägerin auf Erstattung des an die Eignerin von A gezahlten Betrages Ist nicht verjährt. Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreites haften der Eignerin von „Adriana", deren Schiffsführer kein Verschulden trifft, für den dort angerichteten Schaden gemäß den §§ 823, 840 BGB in Verbindung mit den §§ 80 Abs. 2, 81 Abs. 1 RhSchPVO 1954 als Gesamtschuldner, da § 92 BSchG und die dort bezogenen §§ 734-739 HGB keine Anwendung finden. Im Innenverhältnis zueinander sind solche Schuldner nach § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB zu gleichen Anteilen verpflichtet, „soweit nicht ein anderes bestimmt ist". Eine solche andere Bestimmung ergibt sich dann, wenn kraft Gesetzes unterschiedliche Haftungsquoten festgesetzt sind, wie z. B. nach § 254 BGB, der den Umfang der Ersatzpflicht bei mehreren Schädigern von dem Grade der Schadensverursachung durch Jeden von ihnen abhängig macht. Im vorliegenden Falle haften also die Parteinen im Innenverhältnis der Eignerin von A im Verhältnis 1/3 Klägerin, 2/3 Beklagte. Befriedigt nun ein Gesamtschuldner den Gläubiger in einem Umfange, der seine Haftungsquote übersteigt, so erwirbt er nach § 426 Abs. 1 BGB in Höhe des überzahlten Betrages einen Ausgleichsanspruch. Dieser Anspruch verjährt nach § 195 BGB in 30 Jahren, da für ihn eine kürzere Verjährungsfrist nirgendwo bestimmt ist. Insbesondere kann die einjährige Verjährungsfrist des § 117 BSchG hier nicht eingreifen, da die geltend gemachte Forderung nicht unter die dort aufgezählten fällt.
Veröffentlicht in ZfB 1973 S. 361, Anmerkung:
Im Laufe des Prozesses hat der Gerichtskanzler der Berufungskammer den Prozeßbevollmächtigten zu der Frage, wieviel Schriftsätze eingereicht werden können, folgendes mitgeteilt:
„Während ihrer Sitzung vom 14. Juni 1971 hat die Berufungskammer erneut entschieden, daß nach der revidierten Rheinschiffahrtsakte alle Mitteilungen (Schriftsätze, ergänzende Anträge usw.) die nach Ablauf der während des Instruktionsverfahrens festgelegten Fristen oder nach Übermittlung der Akten an die Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt von den Parteien eingereicht werden, nicht mehr angenommen werden. Die von einer Partei später eingereichten Schriftstücke, wie es hier der Fall ist, werden der anderen Partei demzufolge nicht mehr zugestellt. Sollte jedoch zur Rechtfertigung der verspäteten Einreichung dieser Schriftstücke ein schwerwiegender Grund oder eine neue, Tatsache angeführt werden, die das Urteil beeinflussen könnte, so entscheidet die Kammer über die Zulässigkeit der Einreichung solcher Schriftstücke. Andererseits kann die Kammer jederzeit, insbesondere kraft Artikel 17 ihrer Verfahrensordnung, die Parteien auffordern, weitere Schriftstücke oder ergänzende Angaben zur Verfügung zu stellen, die sich für die Klärung des Rechtsstreits als erforderlich erweisen könnten."