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Leitsatz:
Unter § 2 Abs. 1 d Binnenschifffahrtsverfahrensgesetz (BSchVerfG) fallen nicht nur Schadensersatzansprüche wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht. Die Vorschrift ist erweiternd dahingehend auszulegen, dass die Zuständigkeit der Schifffahrtsgerichte auch bei anderen Amtshaftungsansprüchen gegeben ist, wenn die Pflichtverletzung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Tätigkeit eines Beamten zur Sicherung des Verkehrs auf einer Wasserstraße steht (hier: Verweigerung der Schleusung eines Binnenschiffes).
Beschluss des Oberlandesgerichts
Schiffahrtsobergericht Karlsruhe
vom 02.01.2003
Hintergrund der vorliegenden Beschlusssache, die die Bestimmung des zuständigen Gerichts zum Gegenstand hat, ist die Frage, ob das Schiff der Klägerin zum Zeitpunkt der beabsichtigten Schleusung unterbemannt war und der Schleusenbeamte aus Sicherheitsgründen die Schleusung mit der Folge eines evtl. Amtshaftungsanspruches wegen einer von der Klägerin geltend gemachten Pflichtverletzung verweigern durfte.
Gestützt auf diesen besonderen Sachzusammenhang kommt der erkennende Senat zur Bejahung einer Zuständigkeit des Schifffahrtsgerichts nach § 2 Abs. 1 des BSchVerfG.
Im einzelnen führt der Senat folgendes aus:
Gründe:
I.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von 1.929,40 € unter dem Gesichtspunkt der Amtshaftung. Am 11.04.2000 wurde ein im Eigentum der Klägerin befindliches Binnenschiff in der Schleuse Neckarzimmern für einen Zeitraum von mehreren Stunden nicht geschleust, weil der zuständige Schleusenbeamte eine Schleusung verweigerte. Die Klägerin macht geltend, durch die zeitliche Verzögerung von vier Stunden sei ihr ein Schaden entstanden. Die Beklagte wendet insbesondere ein, der Schleusenbeamte habe eine Schleusung aus Sicherheitsgründen zu Recht verweigert, weil das Schiff der Klägerin unterbemannt gewesen sei.
Die Klägerin hat Klage erhoben zum Amtsgericht Mannheim - Schifffahrtsgericht. In der mündlichen Verhandlung vom 23.05.2002 hat der zuständige Richter darauf hingewiesen, dass gemäß § 71 Abs. 2 Ziff. 2 GVG bei Amtshaftungsansprüchen die ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts gegeben sei. Auf den fürsorglichen Verweisungsantrag des Kläger-Vertreters hat das Amtsgericht Mannheim - Schifffahrtsgericht - den Rechtsstreit an das Landgericht Mainz verwiesen. Zu der mündlichen Verhandlung vom 23.05.2002 war für die Beklagte - trotz Ladung - niemand erschienen.
Mit Beschluss vom 11.09.2002 hat das Landgericht Mainz sich für örtlich und sachlich unzuständig erklärt. Das Landgericht Mainz hat die Auffassung vertreten, das Amtsgericht Mannheim - Schifffahrtsgericht - sei örtlich und sachlich zuständig. Das Landgericht hat die Akten dem Oberlandesgericht Karlsruhe zur Entscheidung gemäß § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO vorgelegt.
Die Parteien vertreten übereinstimmend die Auffassung, für den vorliegend geltend gemachten Amtshaftungsanspruch sei gemäß § 2 Abs. 1 BSchVerfG die Zuständigkeit des Schifffahrtsgerichts gegeben.
II.
Als zuständiges Gericht war das Amtsgericht Mannheim - Schifffahrtsgericht - zu bestimmen.
1. Das Oberlandesgericht Karlsruhe ist zuständig zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts gern. § 36 Abs. 2 ZPO. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gern. § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO liegen vor; denn sowohl das Amtsgericht Mannheim - Schifffahrtsgericht - als auch das Landgericht Mainz haben sich jeweils rechtskräftig für unzuständig erklärt.
2. Das Landgericht Mainz ist nicht zuständig geworden gern. § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO. Denn der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Mannheim - Schifffahrtsgericht - vom 23.05.2002 konnte keine Bindungswirkung entfalten.
Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein Verweisungsbeschluss - ausnahmsweise - dann nicht bindend ist, wenn vor der Entscheidung einer Partei kein rechtliches Gehör gewährt wurde (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., 2002, § 281 ZPO Rn. 17 a mit Rechtsprechungsnachweisen). Diese Voraussetzung ist vorliegend gegeben. Das Amtsgericht Mannheim - Schifffahrtsgericht - hat - offenbar versehentlich - der Beklagten vor der Entscheidung vom 23.05.2002 keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der bei der Akte befindliche eingehende Vermerk des Amtsgerichts zur Rechtslage (AS. 35/36) ist den Parteien nicht bekannt gemacht worden. Vor dem Termin vom 23.05.2002 war ein Verweisungsantrag der Klägerin noch nicht angekündigt worden; das Amtsgericht hatte vor diesem Termin auch nicht anderweitig auf die Möglichkeit einer Verweisung hingewiesen. Da für die Beklagte im Termin niemand anwesend war, hatte die Beklagte auch im Termin vom 23.05.2002 keine Möglichkeit, zu der Rechtsauffassung des Gerichts zur Frage der Zuständigkeit und zum Verweisungsantrag der Klägerin Stellung zu nehmen. Eine Erörterung von Zuständigkeitsfragen bei Amtshaftung in dem vorangehenden Zivilrechtsstreit der Klägerin gegen den Beamten B. konnte ebenfalls kein rechtliches Gehör für die Beklagte des vorliegenden Verfahrens bewirken.
3. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Mannheim - Schifffahrtsgericht - ergibt sich aus § 2 Abs. 1 d BSchVerfG. Diese Zuständigkeitsvorschrift geht der Zuständigkeitsregelung für Amtshaftungsansprüche in § 71 Abs. 2 Ziff. 2 GVG vor. § 2 Abs. 1 d BSchVerfG erfasst Amtshaftungsansprüche, die mit der Benutzung von Binnengewässern durch Schifffahrt zusammenhängen, nicht nur bei Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht, sondern - jedenfalls für den vorliegenden Fall - auch darüber hinaus.
a) Das Amtsgericht Mannheim hat zutreffend darauf hingewiesen, dass historisch betrachtet die Schifffahrtsgerichte nach dem Gesetz über das Verfahren in Binnenschifffahrtssachen vom 30.01.1937 zunächst generell nicht für Amtshaftungsansprüche zuständig waren. Die Zuständigkeitsregelungen in § 1 des genannten Gesetzes sollten die generelle Zuständigkeit der Landgerichte bei Amtshaftungsansprüchen gern. § 71 Abs. 2 Ziff. 2 GVG unberührt lassen (vgl. Koffka, Das Gesetz über das Verfahren in Binnenschifffahrtssachen vom 30. Januar 1937, Deutsche Justiz 1937, 225 Anmerkung 5).
b) Durchaus plausibel erscheinen auch die Erwägungen des Amtsgerichts, wonach der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Binnenschifffahrts- und Rheinschifffahrtssachen (BSchVerfG) in § 2 Abs. 1 d BSchVerfG wohl in erster Linie an Amtshaftungsansprüche gedacht hat, die sich unmittelbar aus der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten ergeben [vgl. zur Problematik der Amtshaftung bei der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten im Bereich der Binnenschifffahrt Lindeck, Zeitschrift für Binnenschifffahrt 1952, 14, sowie „Zur Verkehrssicherungspflicht der Wasserstraßenverwaltung", Zeitschrift für Binnenschifffahrt 1952, 307 ff. (ohne Verfasser)]. Der Senat ist allerdings der Auffassung, dass eine solche historische Betrachtung für die Auslegung von § 2 Abs. 1 d BSchVerfG letztlich nicht entscheidend sein kann. Es gibt nach Auffassung des Senats andere, gewichtigere Gesichtspunkte, die zu einer weiteren Auslegung des Anwendungsbereichs der genannten Zuständigkeitsvorschrift führen müssen.
c) Der Senat hält teleologische Gesichtspunkte für die Auslegung von § 2 Abs. 1 d BSchVerfG für entscheidend. Sinn und Zweck der Zuständigkeitsregelung für die Schifffahrtsgerichte müssen dazu führen, dass § 2 Abs. 1 d BSchVerfG auch solche Amtshaftungsansprüche im Zusammenhang mit der Benutzung von Binnengewässern erfasst, bei denen die dem Beamten zur Last gelegte Pflichtverletzung in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Tätigkeit des Beamten zur Sicherung des Verkehrs auf einer Wasserstraße steht. Hierzu gehört insbesondere jede Pflichtverletzung eines Schleusenbeamten, bei der ein unmittelbarer Zusammenhang besteht mit Regelungen, die der Schleusenbeamte gegenüber dem Schiffsführer trifft im Zusammenhang mit der Sicherheit des Schleusenbetriebs. Für die Auslegung des Gesetzes sind folgende Erwägungen maßgebend:
aa) Zu Recht weist der Prozessbevollmächtigte der Beklagten darauf hin, dass das Gesetz in § 2 Abs. 1 d BschVerfG nicht den Begriff der „Verkehrssicherungspflicht" verwendet, sondern die Formulierung „Verletzung einer Amtspflicht zur Sicherung des Verkehrs". Die Abweichung von dem - festgelegten - Begriff der „Verkehrssicherungspflicht" ermöglicht eine großzügige Auslegung.
bb) Die Einrichtung der Schifffahrtsgerichte soll sicherstellen, dass für bestimmte Sachverhalte im Zusammenhang mit der Benutzung von Binnengewässern die besondere Sachkompetenz und Erfahrung des Schifffahrtsgerichts genutzt werden kann. Dieser Gesichtspunkt ist für den geltend gemachten Amtshaftungsanspruch, der im Zusammenhang mit dem Betrieb einer Schleuse steht, in gleicher Weise gültig wie bei der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht (vgl. zum Gesichtspunkt der Sachkunde der Schifffahrtsgerichte bei Amtshaftungsansprüchen auch BGHZ 45, 237, 245). Der Gesichtspunkt der besonderen Sachkunde und besonderen Erfahrung der Schifffahrtsgerichte legt es nahe, die Zuständigkeitsvorschriften in § 2 BSchVerfG generell eher großzügig und erweiternd auszulegen (vgl. auch OLG Karlsruhe, Zeitschrift für Binnenschifffahrt und Wasserstraßen 1995, 37; vgl. im übrigen zu entsprechenden Gesichtspunkten bei der Zuständigkeit der Rheinschifffahrtsgerichte Bemm/von Waldstein, Rheinschifffahrtspolizeiverordnung, 3. Aufl., 1996, Einführung Rn. 88; Wussow/Kürschner, Unfallhaftpflichtrecht, 15. Aufl., S. 1358 f.).
cc) Eine Beschränkung der Anwendung von § 2 Abs. 1 d BschVerfG ausschließlich auf die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten würde zu wenig nachvollziehbaren Ergebnissen führen, was gerade der vorliegende Fall zeigt: Hätte der Schleusenbeamte - pflichtwidrig - ein unterbemanntes Schiff geschleust und wäre dadurch (beispielsweise an einem anderen Schiff) ein Schaden verursacht worden, stünde wohl außer Frage, dass § 2 Abs. 1 d BschVerfG wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht (Nichtbeachtung von Regeln zur Sicherheit des Schleusenverkehrs) anwendbar wäre. Es wäre kaum verständlich, wenn im umgekehrten Fall - der Schleusenbeamte verweigert eine Schleusung, weil er möglicherweise zu Unrecht Sicherheitsbedenken (Unterbemannung) hat - das Schiffahrtsgericht nicht tätig werden dürfte, obwohl in gleicher Weise Sachkunde und Erfahrung des Schifffahrtsgerichts gefordert sind.
dd) Der Zuständigkeit des Schifffahrtsgerichts steht auch nicht entgegen, dass wegen der Bedeutung von Amtshaftungsansprüchen vorrangig an die Zuständigkeit des Landgerichts gem. § 71 Abs. 2 Ziff. 2 GVG zu denken wäre. Wenn der Gesetzgeber in § 2 Abs. 1 d BSchVerfG für bestimmte Amtshaftungsansprüche - nämlich bei der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten - ausdrücklich die Zuständigkeit der Schifffahrtsgerichte angeordnet hat und diese für zweckmäßiger erachtet als eine Zuständigkeit der Landgerichte, besteht auch dann kein zwingender Anlass für einen Vorrang der landgerichtlichen Zuständigkeit bei vergleichbaren Amtshaftungsansprüchen im Bereich der Binnenschifffahrt, wenn die Ansprüche nicht unmittelbar auf eine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht gestützt werden.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2003 - Nr.3 (Sammlung Seite 1886 ff.); ZfB 2001, 1886 ff.