Jurisprudentiedatabank
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 13. Oktober 1982
(Auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 2.12.1981 - 5 OWi 70/81 BSch -)
Tatbestand:
Der Betroffene fuhr am 13.2.1980 mit dem von ihm geführten leeren MTS "M" auf dem Niederrhein zu Tal. Es herrschte Hochwasser. Der Pegel Ruhrort erreichte die Marke von 8,50. In der Nähe der Baerler Brücke überholte das genannte Schiff das ebenfalls leerfahrende MTS "C". Es ist umstritten, ob sich die Überholung bis unter die Baerler Brücke erstreckte, oder bereits oberhalb von dieser beendet war. Nach der Überholung und nach der Passage der Brücke fiel jedenfalls das MTS "C" in Backbordschräglage in den zum linksrheinischen Ufer ziehenden Hang. Die Versuche, das Schiff aufzustrecken, misslangen. Es stieß in der Nähe des linksrheinischen Ufers mit dem dort zu Berg fahrenden Schubverband "F" zusammen, wobei an beiden Schiffen Sachschaden in Höhe von insgesamt mehr als 150.000,-DM entstand. Dem Betroffenen wird vorgeworfen, diese Havarie durch ein gefährliches Überholmanöver herbeigeführt zu haben. Er habe die Überholung vor der Baerler Brücke an der Steuerbordseite von "C" begonnen und dadurch dieses Schiff gezwungen, nach Backbord abzudrehen, damit "M" einen Brückenpfeiler freifahren konnte. Schon dadurch sei das überholte Schiff in Schräglage nach Backbord geraten. Diese sei verstärkt worden, als der Betroffene nach Beendigung der Überholung unmittelbar vor dem Kopf des von ihm überholten Schiffes nach Steuerbord abgedreht und dieses dem Druck der Heckwelle seines Schiffes ausgesetzt habe. Die Führung von "Mobiloil 22" habe das Schiff in der Hangströmung nicht mehr aufstrecken können. Auf diesen Feststellungen beruht das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort, gegen das der Betroffene Berufung eingelegt hat. Er trägt vor, er habe das überholte Schiff nicht in eine Gefahrlage gebracht. Es sei vielmehr von der Hangströmung, die bei dem herrschenden Hochwasser besonders stark gewesen sei, zum linksrheinischen Ufer hin getragen worden. Dazu habe beigetragen, dass das Ruder des Schiffes defekt gewesen sei.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist in formeller Hinsicht nichts zu beanstanden.
In der Sache ist sie erfolglos.
Die Berufungskammer hat im Einzelnen folgendes erwogen.
1. Die den Betroffenen am stärksten belastenden Aussagen sind diejenigen des Schiffsführers S. und des Steuermanns D. des MTS "C". Sie sind so vollständig und in allen Einzelheiten so genau, dass mit ihrer Hilfe der gesamte Verlauf der umstrittenen Überholung festgelegt werden kann, und zwar in einer Weise, die den Betroffenen überführt und diejenigen Feststellungen bestätigt, welche das Rheinschifffahrtsgericht im angefochtenen Urteil zu seinen Lasten getroffen hat. Auf sie wird verwiesen. Die Berufungsbegründung versucht, die Aussagen des Zeugen D. dadurch zu entwerten, dass sie Widersprüche in ihnen aufzeigt. Der Zeuge ist im kurzen zeitlichen Abstand zweimal gehört worden, und zwar zunächst durch die Wasserschutzpolizei am 13.2.80, sodann im Verklarungsverfahren durch den Richter am 26.2.80. Beide Aussagen unterscheiden sich dadurch, dass diejenige von der Wasserschutzpolizei die Erklärung enthält, die Überholung sei etwa 80 m oberhalb der Baerler Brücke beendet gewesen, während sie nach der späteren Erklärung des Zeugen erst unter der Brücke ihr Ende fand. Der Zeuge Dähler hat diesen Unterschied damit erklärt, dass er von der Polizei missverstanden worden sei. Das ist möglich, kann aber dahinstehen, da ohnehin die genannten Aussagen mit Vorsicht und Zurückhaltung verwertet werden müssen. Es ist nämlich nicht zu verkennen, dass beide Zeugen ein Interesse daran haben, die Schuld des Betroffenen festgestellt zu sehen. Ihr Schiff ist im Anschluss an die Überholung mit einem zu Berg fahrenden Schubverband kollidiert, wobei ein großer Schaden entstanden ist. War die Überholung korrekt und besteht zwischen ihr und der Havarie kein Zusammenhang, so laufen die Zeugen Gefahr, dass ihnen vorgeworfen wird, ihr Schiff nicht richtig gesteuert zu haben, so dass es in den zum linksrheinischen Ufer ziehenden Hang fiel. Diese Gefahr besteht an der als für die Talfahrt schwierig bekannten Unfallstelle. Sie wird bei hohem Wasserstande und der damit verbundenen starken Strömung besonders groß. Das genannte Interesse kann die Zeugen veranlasst haben, bei ihren Erklärungen von der Wahrheit abzuweichen, um durch Belastung des Betroffenen sich selbst zu entlasten. Ihre Aussagen sind deshalb nur verwertbar, wenn sie durch diejenigen anderer Zeugen bestätigt werden. Das ist der Fall.
2. Eine besonders wertvolle Bestätigung ist die Aussage des Betroffenen im Verklarungsverfahren. Sie enthält die gleiche Schilderung des Geschehensablaufes wie die Aussagen der Zeugen S. und D. Von ihnen unterscheidet sie sich nur dadurch, dass der Betroffene die Bewegungen seines Schiffes zunächst nach Backbord auf das überholte zu und sodann nach Steuerbord von ihm weg als weniger stark und eindeutig hinstellt als die beiden Zeugen, und dass er nach dem Ende der Überholung sich nach dem überholten Schiff nicht mehr umgesehen hat, sodass ihm der weitere Geschehensablauf entgangen ist. Berücksichtigt man, dass auch der Betroffene von dem Bestreben geleitet worden sein kann, sich nicht selbst zu belasten, so erklärt dies sein Bestreben, die Bewegungen des eigenen Schiffs als normal hinzustellen. So gesehen ist die weitere Feststellung möglich, dass die Aussage des Betroffenen den Überholvorgang im Wesentlichen so schildert, wie diejenigen der Zeugen S. und D. Sie bestätigt also die Richtigkeit dieser Aussagen.
3. Eine weitere Bestätigung sind die Aussagen von drei Beamten der Wasserschutzpolizei, welche mit ihrem Boote auf dem Rhein waren und von ihm aus die Überholung beobachtet haben. Allerdings war diese Beobachtung, wie die Beamten erklärt haben, lückenhaft und unvollständig. Den Zeugen sind aber die wesentlichen Einzelheiten der Überholung nicht entgangen, denn sie haben sie übereinstimmend geschildert. Diese Schilderung stimmt mit derjenigen des Betroffenen und der Zeugen S. und D. überein. Das gilt vor allem von der Schilderung der Bewegungen des Überholers während seines Manövers und nach dessen Beendigung. Die Polizeibeamten - es sind Polizeihauptkommissar H., Polizeiobermeister K. und Polizeiobermeister B. - haben kein Interesse am Ausgange dieses Verfahrens. Sie sind außerdem Kraft ihres Berufes geschulte und erfahrene Beobachter von Schiffsbewegungen auf dem Rhein. Ihnen kann schließlich zugetraut werden, solche Bewegungen auf die ihnen anhaftenden Gefahren hin zu bewerten. Die Zeugen haben die vom Betroffenen durchgeführte Überholung als gefährlich bzw. kritisch bewertet.
4. Diese Gefährlichkeit zeigen auch die Aussagen anderer Schiffsführer auf, die zwar nicht die ganze Überholung, aber ihre Endphase unter der Baerler Brücke gesehen haben. Diese hat der Zeuge Br., der Schiffsführer des Bootes "K", wie folgt geschildert: "M" hatte mit dem Achterschiff die Brücke gerade passiert und lag gestreckt. Unter der Brücke lag "C" in starker Backbordschräglage mit dem Kopf zum linksrheinischen Ufer hin. Nach der Aussage des Schiffsführers Pfützner vom Schubboot "F" sah die gleiche Situation wie folgt aus: Beide Schiffe ("M" und "C") lagen zunächst zusammen etwa unter der Baerler Brücke. Unmittelbar nach dem Passieren der Brücke fuhr "C" in den linksrheinischen Hang hinein. Dabei hat der Zeuge W. auf die Feststellung gelegt, das Schiff sei nicht etwa mit seinem Heck in den Hang gefallen. Etwa die gleiche Schilderung der Endphase der Überholung hat der Steuermann Si. vom Schubboot "F" gegeben. Er ist allerdings der Ansicht, "C" sei nach der Überholung in den Hang gefallen. Alle diese Aussagen zeigen, dass das MTS "C" im unmittelbaren Anschluss an die Überholung durch das Schiff des Betroffenen nach Backbord in den Hang geraten ist. Der Zusammenhang zwischen der Überholung und dem Verfallen nach Backbord ist nicht zu übersehen.
5. Zusammenfassend trifft deshalb die Berufungskammer in Übereinstimmung mit dem Rheinschifffahrtsgericht die folgenden Feststellungen:
Das Schiff des Betroffenen hat unter dessen Führung das MTS "C" unter Umständen zu überholen begonnen, die erkennen Hessen, dass sich die Überholung bis unter die Baerler Brücke erstrecken werde. Der Seitenabstand zwischen beiden Schiffen und zwischen ihnen und dem an ihrer Steuerbordseite liegenden Brückenpfeiler war dabei so gering, dass "C" dem steuerbords überholenden Schiff des Betroffenen nach Backbord ausweichen musste und dadurch etwas schräg im Strom lag. Diese Schräglage wurde verstärkt, als "M" unmittelbar nach der Beendigung der Überholung hart nach Steuerbord abdrehte. Die Heckwelle dieses Schiffes schlug dabei vor den Bug des etwas schräg nach Backbord liegenden "C" und verstärkte diese Schräglage. Die Versuche der Führung dieses Schiffes, es wieder in eine gestreckte Lage zu bringen, misslangen. Das Schiff fiel in den zum linksrheinischen Ufer ziehenden Hang und stieß mit dem zu- Berg kommenden Schubverband "F" zusammen. Damit steht fest, dass der Betroffene eine gefährliche Überholung durchgeführt und gegen § 6.03 RSchPVO verstoßen hat. Dieser Verstoß war schuldhaft, denn seine Folgen waren für den Betroffenen voraussehbar. Er kannte die für die Talfahrt nicht ungefährlichen Stromverhältnisse im Bereich der Baerler Brücke, insbesondere die dort bestehende Gefahr, in den Hang zum linksrheinischen Ufer hin zu fallen. Er wusste auch, dass sie bei dem bestehenden hohen Wasserstande und der damit verbundenen starken Strömung besonders groß war. Der Betroffene wusste weiter, dass mit Rücksicht auf die Kurse beider Schiffe und die Lage eines Pfeilers der Baerler Brücke "C" angesichts der Überholung nach Backbord ausweichen und in eine gewisse Schräglage geraten musste. Schließlich wusste er, dass die Verlegung des Kurses seines Schiffes nach Steuerbord nach dem Ende der Überholung diese Schräglage verstärken musste, da die Heckwelle den Bug des überholten Schiffes weiter nach Backbord drückte. Die eingetretene Folge dieser Schräglage war dem Betroffenen als erfahrenem Schiffsführer ebenfalls nicht fremd. Seine Schuld steht mithin fest.
6. Der Versuch der Berufungsbegründung, den Kausalzusammenhang zwischen dem geschilderten Verhalten des Betroffenen und der späteren Havarie zu bestreiten, ist erfolglos. Er wird mit der Behauptung unternommen, das Ruder von "Cardan" sei bereits vor der Havarie defekt gewesen, und nur deshalb sei es nicht gelungen, das Schiff aus der Schräglage heraus aufzustrecken. Auch hier stützt sich die Berufungsbegründung auf die Aussage des Zeugen Dähler, der bei seiner Vernehmung durch die Wasserschutzpolizei erklärt hat, ihm sei es unverständlich, dass sein Schiff nicht aus dem Hang herausgekommen sei, obschon man die Maschine voll eingesetzt habe. Nach der Kollision habe ihm sein Schiffsführer erklärt, es bestehe ein Schaden an der Ruderanlage. Nach der Aussage des Schiffsführers S. ist der Schaden bei der Kollision entstanden. Aus der Aussage des Zeugen D. kann nicht entnommen werden, er habe schon vorher bestanden. Er selbst weiß das nicht. Die Mitteilung seines Schiffsführers erfolgte nach der Kollision, sie war also ein Hinweis auf deren Folgen. Wenn der Zeuge Dähler sich schließlich darüber gewundert hat, dass sein Schiff im Hang nicht aus der Schräglage herauskam, obschon die Maschine voll eingesetzt wurde, so beweist das nicht, dass das Schiffsruder damals schon defekt war.
Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
Die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 2.12.1981 wird zurückgewiesen.
Das genannte Urteil wird bestätigt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Betroffene.
Ihre Festsetzung erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort gemäß Art. 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte.
Der Stellvertretende Gerichtskanzler: Der Vorsitzende:
(gez.) A. BOUR (gez.) P. QUANJARD