Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Für Arbeitssachen eines bei einem schweizerischen Schifffahrtsunternehmen beschäftigten Rheinschiffers ist eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht gegeben. Nach Art. 26 des Abkommens über die Arbeitsbedingungen der Rheinschifffahrt sind schweizer Behörden zuständig.
Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg, Kammern Mannheim
vom 04.01.1994
14 Sa 67/93
Zum Tatbestand:
Der Kläger ist Schiffsführer eines in der Schweiz ansässigen Schifffahrtsunternehmens. Seine Tätigkeit übte der Kläger auf dem Rhein zwischen Basel und Rotterdam aus. Eine von ihm erhobene Kündigungsschutzklage wurde vom Arbeitsgericht Mannheim mangels internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Arbeitssachen als unzulässig abgewiesen. Die Berufung hatte keinen Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die an sich statthafte Berufung des Klägers ist zulässig. In der Sache hat sie aber keinen Erfolg, weil im angefochtenen Urteil die Klage zu Recht als unzulässig mangels internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Arbeitssachen abgewiesen wurde. Aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich eine solche nicht. Dass sich die Vertretungsverhältnisse der Beklagten in der letzten mündlichen Verhandlung nicht klären ließen, betrifft nicht die Zulässigkeit der Klage.
Da nach dem Vortrag des Klägers selbst vertraglich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Arbeitssachen nicht vereinbart wurde, hängt diese davon ab, inwieweit nach deutschen oder internationalen Normen deren Zuständigkeit begründet ist. Dabei folgt nach deutschem Zivilprozessrecht die internationale Zuständigkeit in der Regel der örtlichen Zuständigkeit eines deutschen Gerichts. Ob auf das Vertragsverhältnis deutsches oder ausländisches Recht anzuwenden ist, ist für diese Frage grundsätzlich unerheblich, es sei denn, die Zuständigkeitsnormen bedürfen zu ihrer Ausfüllung eines Rückgriffs auf das anzuwendende materielle Recht. Dies wäre etwa bei der Frage, wo der Erfüllungsort der streitigen Leistung anzunehmen ist, der Fall. Hier wäre zu ermitteln, ob dieser sich nach deutschem oder nach dem in Betracht kommenden ausländischen Recht bestimmt.
Es kann dahingestellt bleiben, ob sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Arbeitssachen aus § 29 ZPO ergeben kann. Allerdings mag sich, mangels entsprechender vertraglicher Vereinbarung, der Erfüllungsort gemäß Art. 30 Abs. 2 letzter Halbsatz EGBGB nach materiellem deutschen Arbeitsrecht bestimmen. Bei Arbeitsverhältnissen ist in der Regel von einem einheitlichen (gemeinsamen) Erfüllungsort auszugehen. Das ist der Ort, an dem der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung zu erbringen hat (vgl. BAG, Beschluss vom 3. November 1993 - 5 AS 20/ 93 - m. w. N.). Das für diesen Ort zuständige Arbeitsgericht ist auch für Kündigungsschutzklagen zuständig. Auf die Frage, von wo aus das Arbeitsentgelt gezahlt wird und wo sich die Personalverwaltung befindet, kommt es regelmäßig nicht an. Damit lässt sich die Auffassung des Klägers, im vorliegenden der rechtlichen Beurteilung zu unterziehenden Arbeitsverhältnis kämen gegebenenfalls mehrere Erfüllungsorte in Betracht, nicht mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vereinbaren. Ob dies auch sonst bei einem Schuldverhältnis nur hinsichtlich je einzelner Leistungsbeziehungen, nicht aber hinsichtlich einer einzigen Beziehung, vorstellbar ist, bedarf deshalb keiner Vertiefung.
Anders als bei der Beschäftigung eines Arbeitnehmers im Außendienst, der seine Tätigkeit innerhalb des ihm zugewiesenen Bezirks von seinem Wohnort aus entfaltet, weshalb dieser regelmäßig als Erfüllungs-ort für das Arbeitsverhältnis anzusehen ist, verrichtete der Kläger seine Tätigkeit für die Beklagte nicht von einem bestimmten Ort aus, sondern der Fahrt des von ihm geführten Schiffes folgend an ständig wechselnden Orten auf dem Rhein zwischen Basel und Rotterdam. Sein Wohnsitz war für die Durchführung des Schuldverhältnisses ohne jede Bedeutung. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob sich die Auffassung Grunskys (ArbGG 6. Aufl., § 2 Rz. 39), dass bei Klagen auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines „Arbeitsvertrags" Erfüllungsort regelmäßig der Sitz des Arbeitgebers sei, mit der oben dargestellten Auffassung des Bundesarbeitsgerichts vereinbaren lässt. Jedenfalls bliebe angesichts dessen, dass ein Schwerpunkt für die Leistung der Arbeit hier nicht zu ermitteln ist, möglicherweise nur der Sitz des Arbeitgebers als Erfüllungsort übrig. Dies kann aber aus im folgenden auszuführenden Gründen dahingestellt bleiben, weil die internationale Zuständigkeit der schweizer Behörden aus internationalem Recht folgt:
Die mit dem Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (Brüsseler Übereinkommen) vom 27. September 1968, das die Staaten der Europäischen Union bindet, inhaltlich im wesentlichen übereinstimmende Luganer Abkommen findet mangels Ratifizierung durch den deutschen Gesetzgeber noch keine Anwendung. Jedenfalls deshalb gilt noch uneingeschränkt das Abkommen über die Arbeitsbedingungen der Rheinschiffer vom 21. Mai 1954 (BGBI. 111957 S. 217), das am 1. Dezember 1959 in Kraft getreten ist (BGBl.111960 S. 1504). Neben Regelungen materiellen Rechts enthält Art. 26 eine Regelung der internationalen Zuständigkeit bei Streitigkeiten, die sich zwischen Arbeitgeber und Rheinschiffer ergeben können.
Diese Zuständigkeitsregelung bezieht sich nach ihrem allgemein gehaltenen Wortlaut nicht lediglich auf Streitigkeiten, die die in den voranstehenden Bestimmungen geregelten materiellen Arbeitsbedingungen betreffen, sondern auf alle Streitigkeiten aus der Rechtsbeziehung der dort genannten Personen. Außerdem handelt es sich um eine ausschließliche Zuständigkeit, da ein Vorbehalt einer anderweitigen Zuständigkeit nur bezüglich einer besonderen Zuständigkeitsregelung eines „Gesamt- oder Einzelarbeitsvertrags" aufgenommen ist. Ansonsten wird kategorisch bestimmt, dass die Streitigkeit, wenn, wie hier, der Arbeitgeber eines Schiffsgesellschaft" mit Sitz in einem Rheinuferstaat ist, „der zuständigen Stelle: des Vertragsstaates zur Regelung unterbreitet (wird), in dessen Gebiet sich der Betriebssitz befindet". Da der Kläger die persönlichen Voraussetzungen eines Rheinschiffers im Sinne des Art. 2 des Abkommens er- füllt und die Beklagte als Arbeitgeber (und nicht etwa die von ihm bezeichnetem Gesellschafter) in Anspruch nimmt, besteht danach die internationale Zuständigkeiten der Schweizer Behörden für die Beilegung der Streitigkeit, weil sich der Sitz der Beklag ten in der Schweiz befindet. Eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Arbeitssachen unter dem Gesichtspunkt des Erfüllungsorts kommt wegen der Ausschließlichkeit der Bestimmung des Art. 26 RheinSchAbk somit bereits aus diesem Grund nicht in Betracht, ohne dass es noch darauf ankommt, ob sich der Erfüllungsort des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien überhaupt in Deutschland befindet.
Allerdings können die Vertragsparteien nach Art. 26 a) ii) auch die internationale Zuständigkeit des Rheinuferstaats in Anspruch nehmen, in dem der Arbeitgeber eine Zweigstelle unterhält.
Der Begriff "Zweigstelle" setzt an sich voraus, dass es sich um eine vom Arbeitgeber organisierte Einheit handelt, die auch von ihm personell und materiell gesteuert wird. Die Tätigkeit eines Handelsvertreters oder eines selbständigen Agenten reicht I nicht aus. Es kann aber unterstellt werden, dass der Begriff der Zweigstelle in diesem Abkommen entsprechend dem Begriff der Niederlassung in § 21 ZPO weit auszulegen ist, so dass also, ungeachtet der Frage, welches materielle Recht Anwendung findet, nicht die Voraussetzungen des § 13 HGB (Anmeldung im Handelsregister) vorliegen müssen. Jedenfalls ist aber erforderlich ein nach außen gerichteter Geschäftsbetrieb der Beklagten (vgl. Germelmann/ Matthes-Prütting, ArbGG, § 2 Rz. 167).
Den Darlegungen des Klägers lässt sich aber zum einen schon nicht entnehmen, dass der Arbeitsvertrag zwischen den Parteien von der angeblichen Niederlassung mit dem Kläger geschlossen worden wäre. Die Arbeitsleistung war auch nicht in der Niederlassung oder mit Bezug zu ihr zu leisten, sondern auf einem Rheinschiff, das von der Beklagten durch Chartervertrag einem anderen Unternehmen überlassen wurde. Soweit Vorbereitungsarbeiten für die Lohnabrechnung am Sitz eines weiteren Unternehmens eines der Gesellschafter der Beklagten, das der Kläger als Niederlassung im Sinne des § 21 ZPO ansieht, vorgenommen wurden, handelt es sich um einen internen Vorgang, der keine nach außen gerichtete Geschäftstätigkeit im Namen der Beklagten erkennen lässt. Soweit im übrigen der Kläger geltend macht, er habe einen Teil seiner Weisungen - nur die persönlichen, nicht die technischen Umstände betreffenden - vom Sitz dieses Unternehmens erhalten, fehlt es an einem Geschäftsbetrieb, der, wenn nicht namens, so doch im Auftrag der Beklagten und für sie durchgeführt wurde.
Vielmehr nahm der fragliche Gesellschafter, folgt man dem Vortrag des Klägers, unternehmerische Aufgaben aufgrund räumlicher Nähe ohne den Umweg über den Sitz der Beklagten wahr, steuerte also von dort aus sein Unternehmen. Dies begründet aber schon im Hinblick auf diese
hierarchische Struktur nicht die Annahme, es handle sich um eine von der Beklagten gesteuerte und betriebene Niederlassung. Ob sich daraus umgekehrt der Schluss hätte rechtfertigen lassen, dass die Beklagte nur Scheinarbeitgeber ist, kann hier dahingestellt bleiben, da der Kläger diese und nicht jenen Gesellschafter als Arbeitgeber in Anspruch genommen hat.
Somit fehlt es schließlich auch an dem Umstand, dass von der behaupteten „Niederlassung" für die Beklagte Geschäfte geschlossen werden (vgl. z.B. MünchKommZPO-Patzina, § 21 ZPO, Rz. 2). Allgemeine Weisungen arbeitsrechtlicher Art erfüllen diese Anforderung nicht.
Da die Klage nach allem mangels internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Arbeitssachen unzulässig ist, ist die Berufung des Klägers mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1994 - Nr.12 (Sammlung Seite 1480 ff.); ZfB 1994, 1480 ff.