Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Die Wasserstraßenverwaltung genügt ihrer Verkehrssicherungspflicht auf der Saale, wenn sie durch jährlich zweimaliges Absuchen mit Peilrahmen oder durch Echolot die Soll-Fahrrinnentiefe überprüft, sofern keine Veranlassung zu weiteren Messungen oder Untersuchungen gegeben ist.
Urteil des Kammergerichts (Schifffahrtsobergerichts) Berlin
vom 27.9.2001
- 12 U 2045/00 -
(rechtskräftig)
(Schifffahrtsgericht Charlottenburg)
Zum Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte als Verkehrssicherungspflichtige aus übergegangenem Recht auf Haftung für Schäden in Anspruch, die seine Versicherungsnehmerin, die B GmbH, durch eine Grundberührung ihres Schiffes MS F auf der Saale bei Unterquerung einer Eisenbahnbrücke bei Saalekm 17,58 am 8. August 1997 auf Talfahrt erlitten haben will.
Das Schifffahrtsgericht hat der auf Zahlung von 45.951,42 DM nebst 5 % Zinsen gerichteten Klage mit Zwischenurteil vom 14. Dezember 1999 dem Grunde nach stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte sei ihrer Aufsichtspflicht und Verkehrssicherungspflicht nicht hinreichend nachgekommen: Eine weitere Überprüfung der Fahrrinnentiefe an der fraglichen Stelle nach dem Frühlingshochwasser sei angezeigt gewesen.
Außerdem sei die Beklagte der Meldung eines Lotsen über eine Untiefe im Bereich der Brücke wenige Tage vor der Havarie nicht nachgegangen und habe weder eine Überprüfung veranlasst noch die Schifffahrt entsprechend gewarnt. Ein Mitverschulden des Schiffsführers R sei nicht bewiesen.
Mit der form- und fristgerecht eingelegten Berufung wendet sich die Beklagte gegen eine Haftung. Sie trägt hierzu vor:
1. Sie habe nicht gegen Verkehrssicherungspflichten verstoßen.
a) Zutreffend habe sie eine Fahrrinnentiefe von 1,91 m öffentlich mitgeteilt.
b) Mehr als zwei regelmäßige jährliche Peilungen (zuletzt vor dem Geschehen Anfang Februar 1997, sodann Ende November 1997) seien nicht veranlasst gewesen.
2. Der Unfall der MS F, dessen genauer Ort und Hergang weiter bestritten werde und nicht bewiesen sei, beruhe nicht auf vorher erkennbaren Hindernissen in der Fahrrinne. Die Peilkontrollfahrt am 6. August 1997 habe insoweit nichts ergeben. Nach dem Schadensbild am Fahrzeug (Schäden auf der Steuerbordseite) sei der vom Kläger geschilderte Hergang ausgeschlossen. Bei der seinerzeitigen Vertrimmung des Fahrzeuges wären bei Grundberührung andere Schäden entstanden. Die festgestellten Schäden könnten auch durch einen Fahrfehler des Schiffsführers R (Fahren gegen die Böschung) oder plötzlich aufgetretene Hindernisse im Fluss entstanden sein.
3. Die vom Schiffsführer R gewählte Abladetiefe des Schiffes sei mit der seinerzeitigen Wasserstandsentwicklung nicht vereinbar gewesen. Bei dem vom Schiffsführer gewählten Tiefgang sei lediglich ein Flottwasser von 13 cm verblieben. Bei korrekter Prognose hätte er jedoch ein Flo9ttwasser von ca. 20 cm kalkulieren müssen.
4. Der Schiffsführer habe die angebliche Grundberührung auch nicht unverzüglich und ordnungsgemäß gemeldet.
Der Kläger hält dem entgegen:
1. Angesichts der bekannten Gefährlichkeit der Strecke hätte die Beklagte Veranlassung gehabt, die nach Sperrung der anderen Brückendurchfahrt verbleibende Stelle mehr als zweimal im Jahr zu peilen und auf Hindernisse zu untersuchen.
2. Bei auch nur durchschnittlicher Sorgfalt hätte die Beklagte - wie bei der Peilung am 6. August 1997 - das schadensverursachende Hindernis in der Fahrrinne festgestellt und zumindest ausreichend kennzeichnen können.
3. Bei der Havarie sei das Schiff durch ein Hindernis aus einzelnen Geröllbrocken in der Fahrrinne - nicht am Böschungsfuß - am Schiffsboden beschädigt worden, Diese könnten durch die Berührung mit dem Stahlboden des Schiffes zertrümmert oder in ihrer Lage verändert worden sein und zu einer geringfügigen Kursänderung geführt haben, mit der Folge des festgestellten Schadensbildes.
4. Die Abladetiefe mit einem Flottwasser mittschiffs von 22 cm und achtern von 15 cm sei für die Stelle, an der sich die Havarie ereignet habe, zulässig gewesen.
Die Berufung der Beklagten hatte Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Das Amtsgericht hat zu Unrecht eine Schadensersatzpflicht der Beklagten für den Schaden aus der Havarie der MS F am 8. August 1997 bei Saale-km 17,58 festgestellt. Weder aus dem Vorbringen des Klägers noch aus den sonst aus den Akten offenbar gewordenen Umständen ist erkennbar, dass die Beklagte diesen Schaden durch eine schuldhafte Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht herbeigeführt hat, so dass sie hierfür nicht nach §§ 823, 831, 31, 89, 276, 398 BGB i.V.m. § 67 Abs. 1 VVG einstehen muss. Dies gilt selbst dann, wenn die veröffentlichte Fahrrinnentiefe unterschritten wurde und dadurch ein Schaden am Schiff eingetreten ist.
1. Die Parteien sind darüber einig, dass es Aufgabe der Beklagten ist, die Verkehrssicherheit auf der Saale zu gewährleisten, § 8 Abs. 1 und 2 des Bundeswasserstraßengesetzes (WaStrG) i.V.m. § 276 BGB.
1) Dies umfasst die Sorge dafür, dass der zur Verfügung gestellte Verkehrsweg die für die zugelassene Schifffahrt erforderliche Breite und Tiefe besitzt, dass er frei von Hindernissen ist und Gefahren gegebenenfalls gekennzeichnet sind (vgl. allgemein Friesecke, Bundeswasserstraßengesetz, 4. Aufl. 1999, § 8 Rn. 17; auch Wirth/Schulze, Bundeswasserstraßengesetz, 2. Aufl. 1998, § 8 Anm. zu Abs. 2). Diesen Pflichten kann die Beklagte nachkommen, indem sie die Saale regelmäßig durch Kontrollfahrten überwacht, dabei den Zustand der Fahrrinne überprüft, Hindernisse beseitigt, verbleibende Hindernisse bis zu ihrer Beseitigung kennzeichnet und die Schifffahrt in geeigneter Weise darüber informiert (vgl. BGH, VersR 1989, 721; Friesecke, a.a.O., Rn. 17 und 23). Dabei genügt das regelmäßige Absuchen der Fahrrinnentiefe mit einem Peilrahmen, der auf die Solltiefe eingestellt ist, oder mit einem Echolot (vgl. BGH., VkBl. 1963, 429, zur Untersuchung des Rheins; OLG Karlsruhe, VkBI. 1971, 311; Friesecke, a.a.O., Rn. 20).
Wie oft die Hindernisfreiheit der Fahrrinne zu prüfen ist, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalles. Besondere Umstände, etwa Hochwasser, können zusätzliche Kontrollen gebieten, allerdings nur an den Stellen, an denen wegen ihrer Lage und Beschaffenheit erfahrungsgemäß mit Ablagerungen gerechnet werden muss (OLG Karlsruhe VkBI. 1971, 311).
Nicht erforderlich ist eine ständige Untersuchung der Wasserstraße auf auftretende Hindernisse und die Beseitigung jeglicher Gefahrenquelle (vgl. Friesecke, a.a.O., Rn. 20). Dem Unterhaltungs- und Verkehrssicherungspflichtigen obliegt es nicht, dafür Sorge zu tragen, dass das Gewässer frei von jeglichen Hindernissen ist. Er muss nicht täglich oder stündlich das seiner Sicherungspflicht unterstehende Gewässer an jeder Stelle auf feste oder schwimmende Hindernisse untersuchen, da eine solche Verpflichtung mit zumutbaren Mitteln nicht erfüllt werden könnte (Senat, VersR 1977, 327). Daher kann der Schiffsführer nicht darauf vertrauen, dass ein bei einer letzten Prüfung ermitteltes Ergebnis später noch zutrifft.
2) Bei schuldhaften Verstößen gegen diese Verkehrssicherungspflichten haftet der Pflichtige nach §§ 823, 831, 31, 89, 276 BGB für die hierdurch verursachten Schäden (vgl. BGHZ 37,69-, OLG Karlsruhe, ZfB 1995 (Nr. 5), 39; Rn. 15 OLG Nürnberg, Urt. vom 3. Juni 1976 - 8 U 233/74 -, Juris-Dokument-Nr. KORE401872001).
Sofern es sich bei dem Verstoß um ein schuldhaftes Unterlassen handelt, ist der Schaden dem Unterlassenden nur zuzurechnen, wenn er bei pflichtgemäßem Verhalten mit Sicherheit nicht eingetreten wäre. Die bloße Wahrscheinlichkeit des Nichteintritts genügt nicht (BGHZ 64, 46 (51); BGH, NJW 1984, 432 (434); Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Aufl. 2001, Vorbem v § 249, Rn. 84).
II Nach diesen Grundsätzen ist der Beklagten ein schadensverursachender Pflichtverstoß bei Überwachung und Sicherung der Saale-Durchfahrt unter der Eisenbahnbrücke G, Saale-km 17,58, nicht vorzuwerfen.
1) Die Beklagte hat ihre Pflichten bei Überprüfung der fraglichen Havariestelle hinreichend wahrgenommen.
a) Unstreitig ist, dass sie die Fahrrinne im fraglichen Abschnitt der Saale (Saalestrecke 2 von der Schleuse C bis zur Mündung) jährlich zweimal kontrolliert hat, vor der Havarie am 5. August 1997, zuletzt in der Zeit vom 4. bis 6. Februar 1997. Dabei hat sie neben dem Simrad Echolot, dessen Anwendung der Kläger erstinstanzlich bemängelt hat, einen Peilrahmen eingesetzt. Den entsprechenden Vortrag der Beklagten zur Verwendung des Peilrahmens im Schriftsatz von 15. Mai 2000 hat der Kläger zunächst nicht in Abrede gestellt, sondern nur eingewandt, es sei der Beklagten zuzumuten, eine als gefährlich bekannte Stelle, wie die Brücke G öfter als nur zweimal im Jahr zu peilen und auf Hindernisse zu untersuchen.
Sofern der Kläger die Verwendung eines Peilrahmens bei den Routinekontrollen dann im Termin zur mündlichen Verhandlung am 27. September 2001 erstmals in Abrede gestellt hat, bleibt er erfolglos: Zur Rechtfertigung dafür, warum er den zunächst hingenommenen Vortrag der Gegenseite doch nicht gelten lassen will, hat er nichts vorgetragen.
Die beschriebene Art der Kontrolle ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zu beanstanden (BGH, VkBI. 1963, 429). Die hierbei gepeilten Wassertiefen lagen nach der als Anlage 7 von der Beklagten vorgelegten Messwerttabelle am 4. Februar 1997 bei Saale-km 17 bei 240 cm und bei
km 18 bei 210 cm. Die zuletzt vor dem Zeitpunkt der Havarie amtlich veröffentlichte Fahrrinnentiefe von 201 cm lag unterhalb dieser Messwerte (der Kläger hat im Berufungsrechtszug sein ursprüngliches Vorbringen, es sei eine Tiefe von „2,1 m" amtlich mitgeteilt worden, aufgegeben.
b) Die Beklagte hatte - entgegen der Auffassung des Amtsgerichts - auch keine Veranlassung zu weiteren Messungen oder Untersuchungen des gesamten Saaleabschnitts oder des späteren Havarieortes.
aa) Zutreffend weist der Kläger unter Bezugnahme auf die Entscheidung des OLG Karlsruhe, VkBI. 1971, 311, darauf hin, dass es nach den konkreten Umständen des Einzelfalles geboten sein kann, nach einem Hochwasser bekannte Gefahrenstellen erneut und außerhalb des Turnus zu peilen. Allein deshalb, weil es sich - unstreitig - um eine noch nicht ausgebaute, schwierig zu befahrende Felsenstrecke handelt, war eine über die Regelpeilung hinausgehende weitere Untersuchung nicht veranlasst.
Der damit verbundene Aufwand ist allenfalls gerechtfertigt, wenn auf Tatsachen gestützte konkrete Anhaltspunkte für Veränderungsprozesse im Flussbett bestehen. Dies war jedenfalls vor dem Unfall für den späteren Havarieort unter der Eisenbahnbrücke nicht erkennbar. Der Kläger kann sich in diesem Zusammenhang nicht darauf berufen, wegen der Sperrung einer Brückendurchfahrt hätte die Beklagte die andere Durchfahrt besonders sorgfältig überwachen müssen.
Er hat zwar vorgetragen, der schlechte Zustand der Fahrrinne habe zur Sperrung der Durchfahrt geführt. Inwiefern dies Auswirkungen auf die verbleibende Passage gehabt haben soll, hat er jedoch nicht erläutert; dies ist im vorliegenden Rechtsstreit vielmehr offengeblieben.
bb) Die vom Kläger für den Saale-km 47,5 beschriebenen Grundberührungen anderer Schiffe haben sich am 29. September 1997 und am 8. November 1997 und damit nach der Havarie ereignet, aus der die Klägerin Ansprüche ableitet. Anlas für zusätzliche Prüfungen der Brücke bei Saale-km 17,58 vor dem 5. August 1997 konnten sie nicht bieten. cc) Auch der Umstand, dass „nach Kenntnis des Sachverständigen K bereits am 1. August 1997 unmittelbar hinter dieser Brücke eine Grundberührung stattgefunden hatte, die durch eine Sandbank verursacht worden war" und die ein Lotse nach C gemeldet habe, hat für sich genommen nicht eine umfassende Peilung des gesamten Brückenbereichs einschließlich der Durchfahrt veranlasst.
Zweifellos gebietet ein solcher Vorgang eine nähere Untersuchung der zuständigen Behörden. Angesichts einer Vielzahl möglicher Ursachen (zu geringe Fahrrinnentiefe, zu große Abladung des Schiffes, Fahrfehler) steht aber nicht fest, dass in Folge dieser Untersuchung auch die vom Kläger verlangten Maßnahmen (neue Peilung des gefährdeten Bereichs, Warnhinweise, Änderung der veröffentlichten Fahrrinnentiefe) am Ort der Havarie des versicherten MS F geboten gewesen wären. Immerhin soll nach der - auf Hörensagen beruhenden - Angabe des Klägers das andere, nicht näher bezeichnete Schiff hinter der Brücke auf eine Sandbank aufgefahren sein. Die Schäden am Schiff MS F sind nach Darstellung des Klägers hingegen, die sich auf Feststellungen des sachverständigen Zeugen K vom 6. August 1997 stützt, örtlich vorher durch Geröll und große Steine in der Fahrrinne entstanden. Der vom Amtsgericht hierzu als Zeuge befragte Schiffsführer R hat hierzu angegeben: „Die Untiefe muss genau
unter der Brücke gewesen sein". Damit hatte das unbekannte Schiff am 1. August 1997 die kritische Passage unter der Brücke nach Klägerdarstellung problemlos passiert. Warum die Beklagte dennoch dort Peilungen hätte anstellen sollen, erschließt sich dem Senat nicht. Er kann - anders als das Amtsgericht - auch insoweit keine Pflichtwidrigkeit erkennen.
2) Selbst wenn die Beklagte entgegen der Auffassung des Senats jedoch dadurch gegen Verkehrssicherungspflichten verstoßen hätte, dass sie nach dem Frühjahrshochwasser keine erneute Peilung im Brückenbereich vorgenommen hat, kommt eine Haftung der Beklagten deswegen nicht in Betracht, weil weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich ist, dass die geltend gemachten Schäden durch diesen Verstoß adäquat verursacht worden sind. Der Beklagten sind nur solche Schäden zuzurechnen, die bei pflichtgemäßem Verhalten nicht eingetreten wären. Im vorliegenden Fall lässt sich nicht feststellen, dass die Havarie sich bei einer weiteren Kontrolle nach dem Frühjahrshochwasser nicht ereignet hätte.
Eine solche Peilung zur Prüfung von Hochwasserfolgen gäbe nur zeitnah zum Hochwasser einen Sinn: Es gilt, Schäden durch diese Folge abzuwenden. Damit wäre es geboten gewesen, eine solche Peilung nach Möglichkeit im Frühjahr, spätestens in den Monaten Mai oder Juni.
Der Schaden soll nach dem Vorbringen des Klägers freilich im August durch Steine und Geröll, also durch bewegliche Hindernisse verursacht worden sein. Ob diese in behaupteter Wassertiefe zu dieser Zeit (Mai/Juni) schon vorhanden gewesen sind oder ob sie später durch Strömungseinflüsse oder andere Wasserfahrzeuge an diese Stelle geraten sind, ist weder aus dem Klägervortrag noch aus dem sonstigen Akteninhalt erkennbar. Damit steht nicht fest, dass die Beklagte bei einer weiteren Kontrolle deutlich vor August 1997 - wie der Kläger meint (Berufungserwiderung vom 7. September 2000), - das schadensstiftende Hindernis hätte feststellen können und die Havarie sich nicht möglicherweise auch bei pflichtgemäßer Kontrolle nach dem Frühjahrshochwasser ereignet hätte. Auch deshalb ist es dem Kläger verwehrt, die Beklagte für Havarieschäden haftbar zu machen. Der Hinweis der Beklagten trifft zu, der Schaden gehöre zu den versicherbaren Gefahren der Schifffahrt.
3) Auf die weiteren Auseinandersetzungen der Parteien über den genauen Hergang der Havarie, ein Mitverschulden des Schiffsführers R sowie die zulässige Abladetiefe, den Absunk und das Flottwasser kommt es daher nicht an...."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2002 - Nr.4 (Sammlung Seite 1859 ff.); ZfB 2001, 1859 ff.