Jurisprudentiedatabank
Leitsatz:
Zur Rechtswirksamkeit von Kaufverträgen, die zur Tarnung von tarifgebundenen Frachtverträgen unter Einschaltung eines vorgetäuschten Zwischenhändlers der beförderten Güter zwischen den beteiligten Parteien (Lieferant, Frachtführer, Empfänger) abgeschlossen werden.
Urteil des Landgerichts Würzburg
vom 23.02.1984
Zum Tatbestand:
Die Klägerin verkaufte als Lieferfirma u. a. Kies an die Firma D, die auch eigene Schiffe besaß und mit denen Kies beförderte. Ferner transportierte der. Beklagte mit seinem MS „Z" Kies der Klägerin. Bei den Transporten des Beklagten sandte die Klägerin die Kiesrechnungen an das Büro der Firma D, die die geschäftlichen Angelegenheiten des Beklagten laufend erledigte und den Kaufpreis für den Kies unter Hinweis auf die Schuld des Beklagten durch Scheck oder Überweisung beglich. Gleichzeitig richtete die Firma D. eine Kiesrechnung mit Briefkopf und im Einverständnis des Beklagten an sich selbst. Diese Rechnung enthielt den von der Klägerin verlangten Kaufpreis sowie einen Aufschlag von 6,42 DM/t. Anschließend erfolgten bei der Firma D. Verbuchung und Gutschrift auf einem Lieferantenkonto des Beklagten, über das in dessen Auftrag alle ihn betreffenden Rechnungen, z. B. auch für Treibstoff und Versicherungen, erledigt wurden. Firma D. sorgte durch entsprechende Vorverhandlungen ihres Herrn E. dafür, dass die dem Beklagten von der Klägerin berechneten Kiespreise nicht höher waren als im Falle des direkten Kiesbezuges und der Rechnungserteilung von der Klägerin an Firma D.
In den Monaten September und Oktober 1982 sandte die Klägerin 3 Rechnungen über insgesamt 40204,97 DM unmittelbar an den Beklagten, statt wie bisher an Firma D. Demgegenüber standen die korrespondierenden Rechnungen des Beklagten an die Firma D. in Höhe von zusammen 52 931,42 DM. Dieser Betrag wurde dem Beklagten auf dem von Firma D. geführten Lieferantenkonto gutgeschrieben, während sein Konto mit dem Betrag von 40 204,97 DM nicht belastet wurde. Die Klägerin verlangt Zahlung des vorgenannten Betrages u. a. mit dem Hinweis, dass der Beklagte ihr Vertragspartner gewesen sei. Es seien Kaufverträge zwischen der Klägerin und dem Beklagten und der Firma D. zustande gekommen. Sie, die Klägerin, habe das Schiff des Beklagten beladen und auf dessen Wunsch die Rechnungen an ihn unter der Postanschrift der Firma D. gesandt. Die der Firma D. vom Beklagten gestellten Rechnungen seien jeweils durch Verrechnung beglichen worden. Etwaige andere Vereinbarungen zwischen dem Beklagten und Firma D. seien ihr, der Klägerin, nicht bekannt gewesen.
Der Beklagte behauptet, dass es sich bei seiner Einsetzung als Käufer um ein Scheingeschäft gehandelt habe, um im Rahmen eines vorgetäuschten Werkverkehrs geringere Frachtkosten in Abweichung von den Festfrachtvorschriften berechnen zu können. Verträge seien nur zwischen der Klägerin und der Firma D. sowie zwischen dieser und dem Beklagten gewollt gewesen. Tatsächlich habe er lediglich die Fracht, aber keinen Kaufpreis erhalten. Die Verträge seien auch wegen Verstoßes gegen § 134 BGB nichtig.
Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung verurteilt (rechtskräftig).
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche gegen den Beklagten gemäß § 433 Abs. 2 BGB zu. Die zwischen den Parteien und der Firma getroffenen Vertragsvereinbarungen sind weder nach § 134 BGB noch nach § 117 BGB nichtig.
1. Zwischen den Parteien sind drei Kaufverträge über die Lieferung von Kies an den Beklagten zustande gekommen. dass der Beklagte bei der Klägerin als Käufer auftreten und den Kies kaufen sollte, folgt aus den übereinstimmenden Aussagen der Zeugen A, B und C, ebenso, dass dieser Kies vom Beklagten an die Firma D. verkauft wurde. Der Beklagte wurde bei der Kontoführung als Lieferant der Firma D. behandelt. Die Klägerin hat ihn als Käufer betrachtet und behandelt, denn die Rechnungen wurden an den Beklagten ausgestellt. Die Rechnungen wurden sodann jeweils von der Firma D. mit dem Hinweis beglichen, dass damit die Rechnung der Klägerin an den Beklagten, nicht etwa eine Rechnung der Klägerin an die Firma D. abgegolten werden solle. Mit all dem war der Beklagte einverstanden, so dass davon auszugehen ist, dass Herr E., der die Vertragsbedingungen mit der Klägerin sowohl für sich selbst als auch für den Beklagten als Käufer aushandelte, hierzu vom Beklagten bevollmächtigt war und in dessen Vertretung handelte. dass Herr E. darüber hinaus auch die Rechnungen des Beklagten an die Firma D. erstellte, geschah wiederum mit Billigung und Genehmigung des Beklagten. Auch die Rechnungserstellung hinsichtlich der drei letzten Transporte wird der Höhe nach nicht angegriffen, so dass davon auszugehen ist, dass zwischen dem Beklagten und D, andererseits zwischen der Klägerin und dem Beklagten, auch insoweit der Preis rechtswirksam vereinbart wurde.
Die Kammer ist davon überzeugt, dass auch der Klägerin bei den langjährigen Geschäftsbeziehungen zwischen den Beteiligten diese Verfahrensweise im Verhältnis des Beklagten zur Firma D. in den wesentlichen Zügen bekannt war. Dies folgt daraus, dass die Zeuginnen F. und G. bekundet haben, dass Herr E. die Materialpreise mit der Klägerin auch für den Beklagten als Käufer aushandelte und dass dabei E. darauf hinwirkte, dass der Beklagte keine höheren Preise als er selbst zu zahlen hatte, dass darüber hinaus die Rechnungen für den Kies an den Beklagten an das Büro der Firma D. gingen und dass die Firma D. den Preis für den Kies für den Beklagten an die Klägerin bezahlte. All das musste bei den bekannten Praktiken im Frachtgewerbe für die Klägerin den Schluss aufdrängen, dass bei der engen Zusammenarbeit zwischen der Firma D. und dem Beklagten dieser Weg des Einkaufs des Kieses gewählt wurde, um letztlich Frachtkosten zu sparen.
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Schließlich ergab sich aus den Aussagen der Zeuginnen F. und G., dass der Beklagte von der Firma D. im Ergebnis nur die Fracht erhielt, da zwischen beiden der gleiche Kaufpreis in Ansatz gebracht wurde, wie er zuvor im Verhältnis der Klägerin zum Beklagten von E. ausgehandelt worden war.
All das ändert jedoch nichts daran, dass zwischen den Parteien der Abschluss eines Kaufvertrags über Herrn E. als bevollmächtigten Vertreter des Beklagten gewollt war. Dieser Kaufvertrag wurde auch nicht lediglich zum Schein geschlossen (vgl. hierzu unten Ziffer 3).
2. Die hier erfolgte Vertragsgestaltung führt nicht zur Nichtigkeit der abgeschlossenen Rechtsgeschäfte.
...
Die Festfracht betrug zum Zeitpunkt der Durchführung der Frachten nach der gutachtlichen Stellungnahme der Wasser- und Schifffahrtsdirektion West vom 13.12. 1983 9,76 DM pro Tonne, während hier auf den Kaufpreis, den die Klägerin verlangte, beim Weiterverkauf an die Firma D. vom Beklagten nur 6,42 DM aufgeschlagen wurden.
Nach § 42a BiSchVG werden die Verpflichtungen, die nach diesem Gesetz allen an dem Zustandekommen und der Durchführung eines Vertrags über eine Verkehrsleistung im Sinne des § 21 Abs. 1 Beteiligten obliegen, hier also die Beachtung der festgelegten Frachtsätze, durch rechtsgeschäftliche oder firmenrechtliche Gestaltungen oder Scheintatbestände, die zur Umgehung der Bestimmungen des Gesetzes geeignet sind, nicht berührt. Das Verbot, die Vorschriften dieses Gesetzes durch die Schaffung von Scheintatbeständen zu umgehen, umfasst nicht nur Scheingeschäfte nach § 117 BGB, sondern auch ernsthaft gewollte vertragliche Gestaltungen, sofern sie auf einen Missbrauch der Vertragsfreiheit zum Zwecke der Gesetzesumgehung hinauslaufen. Eine Gesetzesumgehung im Sinne dieser Vorschrift liegt dann vor, wenn zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolgs nicht der den Umständen nach gewöhnliche und zweckmäßige Weg, sondern unter Ausnutzung der Vertragsfreiheit ein anderer, den wirtschaftlichen Vorgängen ferner liegender und daher ungewöhnlicher Weg eingeschlagen wird, der an den vom Gesetz angeordneten Rechtsfolgen vorbeiführen soll (vgl. zu §5 GüKG: BGH in VersR. 1981, Seite 725, in MDR 1974, Seite 752 und in MJW 1960, Seite 1057).
Die Kammer ist der Ansicht, dass bei den hier vorgenommenen rechtsgeschäftlichen Gestaltungen die Bestimmungen des BiSchVG hinsichtlich der Frachtsätze umgangen werden sollten. Zur Wiederveräußerung erworbene Güter können nur dann im Werksverkehr befördert werden, wenn sie im Rahmen einer geschäftlichen Tätigkeit erworben werden, die ein selbständiges innerhalb üblicher Geschäftsbeziehungen unabhängiges Handeln des Zwischenhändlers darstellt und nicht von anderen wahrgenommen wird, die an Geschäften über diese Güter beteiligt sind, d. h., wenn der Zwischenhändler wirtschaftlich eine eigene Handelstätigkeit entfaltet (BGH VersR 1961, Seite 726: §§48, 48a GüKG).
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So, wie hier verfahren wurde, stellt sich die Güterbeförderung nicht als Teil einer eigenen Handelstätigkeit des Transportunternehmers dar; vielmehr ist die Handelstätigkeit eine künstlich herbeigeführte, sachlich entbehrliche Folge der Güterbeförderung. Der Beklagte hat bei der Durchführung der Verträge keinerlei Selbständigkeit als Handelstreibender. Die gesamte Vertragsabwicklung, das Aushandeln des Preises, Rechnungsstellung und Bezahlung ist ihm durch die Firma D. vorgegeben worden. Dem Beklagten fehlten auch die organisatorischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für den Betrieb eines Handelsunternehmens, zumal er nicht einmal ein eigenes Büro hatte. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass es zum Bezug des Kieses durch die Firma D. der Einschaltung eines Zwischenhändlers bedurfte. Es ist hier ein ungewöhnlicher Weg eingeschlagen worden, der nicht begangen worden wäre, wenn nicht günstigere Frachtsätze dadurch erzielt werden sollten.
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Die hier erfolgten Abreden verstoßen somit gegen § 42a BiSchVG. Werksverkehr im Sinne des § 5 BiSchVG liegt nicht vor.
§ 42a BiSchVG enthält wie § 5 GüKG ein Verbot der Gesetzesumgehung durch Schaffung von Scheintatbeständen oder durch Missbrauch sonstiger Umgehungsgestaltungen. Dieses Verbot des §42a BiSchVG führt jedoch grundsätzlich nicht zur Nichtigkeit eines Vertrags (im Gegensatz zu Gesetzesumgehungen im Regelfall: vgl. BGHZ Bd. 35, Seite 46).
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Bei unzulässigen Preisabsprachen tritt ebenfalls nicht die Nichtigkeit des Vertrags ein; vielmehr werden lediglich die tarifwidrigen Preisabsprachen durch die tarifmäßigen Preise ersetzt (vgl. § 22 Abs. 3 GüKG; Hein-Eickhoff-Pukall-Krien; 3. Auflage, zu § 5 GüKG, Anm. 2b; von Tegelen, zu §22 GüKG, Anm. 7; RGRK. 12. Auflage, zu § 134 BGB, Rdnr. 104). Anstelle der tarifwidrigen Abrede tritt der tarifmäßige Vertragsinhalt.
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Im Falle des §42a BiSchVG, der inhaltlich mit §5 GüKG übereinstimmt, gilt nichts anderes. In Verbindung mit § 31 Abs. 2 BiSchVG ergibt sich, dass auch bei Umgehungstatbeständen, die das tarifliche Entgelt betreffen, die rechtliche Wirksamkeit des Vertrags, ausgenommen das vereinbarte Entgelt, nicht berührt wird und dass vielmehr dann das tarifmäßige Entgelt geschuldet wird.
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Auch der Kaufvertrag zwischen den Parteien über den Kies, der sich ebenfalls als ein Rechtsgeschäft darstellt, das zusammen mit den anderen Geschäften zur Umgehung des Tarifzwangs geeig¬net ist (vgl. auch BGH in VersR 1961, Seite 727), wird somit von § 134 BGB nicht erfasst. Die hier einschlägigen und dem erkennenden Gericht zugänglichen Entscheidungen der Obergerichte befassen sich dementsprechend jeweils nur mit Nachforderungsansprüchen bezüglich des Differenzbetrages zwischen dem Wege der Umgehung vereinbarten und den tariflich festgesetzten Frachtpreisen. Auch der Entscheidung des BGH in BB 1974, Seite 957 = Zeitschrift für Binnenschifffahrt und Wasserstraßen 1975, Seite 116, Spalte 1, 4. Absatz, ist vielmehr zu entnehmen, dass derartige Kaufverträge unberührt bleiben und zu erfüllen sind.
3. Wie ausgeführt, ging es den Beteiligten im Rahmen der hier geschlossenen Verträge darum, die vorgeschriebenen Frachtsätze des BiSchVG dadurch zu umgehen, dass der Beklagte die Stellung eines Zwischenhändlers einnehmen und den Transport des Kieses im so genannten Werksverkehr durchführen sollte, während es in Wirklichkeit allein um die Güterbeförderung ging.
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Liegt ein Umgehungsgeschäft vor, bei dem die Beteiligten davon ausgehen, dass der Erfolg der Umgehung nur durch einen ernst gemeinten Vertrag erzielt werden kann, wie hier, so liegt gerade kein Scheingeschäft im Sinne des § 117 BGB vor, bei welchem die Parteien ein Rechtsgeschäft vortäuschen, dessen Rechtswirksamkeit sie gerade nicht wollen (RGRK zu § 117, Rdnr. 8 und zu § 134, Rdnr. 139; Palandt, 43. Auflage, zu § 117, Anm. 2c; Münchner-Kommentar, zu §117 BGB, Rdnr. 18; Staudinger-Dilcher, 12. Auflage, zu § 117 BGB, Rdnr. 133).
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4. Aus all dem folgt, dass zwischen den Parteien wirksame Kaufverträge über den gelieferten Kies zustande gekommen sind und der Beklagte damit auch zur Begleichung des Kaufpreises, wie er in Rechnung gestellt wurde - die Höhe ist nicht bestritten -, verpflichtet ist...
5. Wenn man entgegen der hier vertretenen Ansicht annehmen wollte, dass ein Scheingeschäft vorliege und tatsächlich nur ein Kaufvertrag zwischen der Klägerin und der Firma D. und ein Frachtvertrag zwischen dem Beklagten und der Firma D. als durch die übrigen Geschäfte verdecktes Geschäft zustande gekommen sei, hätte die Firma D. dann dem Beklagten ohne Rechtsgrund Beträge in Höhe der Klageforderung auf dem Lieferantenkonto gutgeschrieben und mit anderen Beträgen verrechnet. Die Gutschrift hätte die Wirkung einer Zahlung an den Beklagten. Auf diese Zahlung hätte der Beklagte kein Recht gehabt, so dass er verpflichtet wäre, diesen Betrag wieder an die Firma D. - unbeschadet etwaiger zur Aufrechnung gestellter Forderungen des Beklagten - zu erstatten, während die Firma D. dann zur Zahlung des Kaufpreises an die Klägerin verpflichtet wäre. Es bestehen jedoch grundsätzlich keine Bedenken gegen die Annahme, dass auch bei an sich nicht befreiender Leistung durch die Firma D. an den falschen Gläubiger, nämlich den Beklagten, die Möglichkeit gegeben ist, die Leistung der Firma D., dem wahren Gläubiger, hier der Klägerin, gegenüber durch dessen Genehmigung Wirksamkeit zu verschaffen (BGH in JW zu §816 BGB Nr. 6: Palandt, zu § 816 BGB, Anm. 4). Die Firma D. wäre dann von ihrer Schuld gegenüber der Klägerin befreit; der nicht berechtigte Beklagte wäre der Klägerin zur Herausgabe des Erlangten, nämlich der gutgeschriebenen Kaufpreisforderung von 40 204,97 DM verpflichtet (§ 816 Abs. 2 BGB). Wenn man nicht bereits in der hier erhobenen Klage gegen den Beklagten auf Zahlung dieses Betrags, der vom Beklagten vereinnahmt worden wäre, eine Genehmigung erblicken wollte, wodurch die Verfügung der Firma D. über die Forderung mit rückwirkender Kraft (§ 184 BGB) Wirksamkeit erlangt hätte, wäre die Klägerin auch jetzt noch nicht gehindert, eine solche Genehmigung vorzunehmen.
....“