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Leitsätze:
1) Während gegen die Ablehnung eines Antrages, ein Verklarungsverfahren durchzuführen, das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, stehfden Ladungsbeteiligten gegen eine Entscheidung des Schiffahrtsgerichts über die Ablehnung eines Antrages auf Ausdehnung der Beweismittel nach § 13 Abs. 3 S. 2 BinSchG die einfache Beschwerde gemäß § 19 FGG zu.
2) Bei der Entscheidung über einen Antrag auf Ausdehnung der Beweismittel hat das Schiffahrtsgericht Zweck und Bedeutung des Verklarungsverfahrens für das weitere Vorgehen von Geschädigten und Schädigern sowie für einen eventuellen Zivilprozeß zu berücksichtigen.
Beschluß des Oberlandesgerichts (Schiffahrtsobergerichts) Karlsruhe
vom 18.5.1993
W 2/93 BSch
(Schiffahrtsgericht Mainz)
Gründe:
„1. Auf Antrag des Schiffsführers von MS „L." ordnete das Schiffahrtsgericht gemäß §§ 11 ff BinSchG ein Verklarungsverfahren über den tatsächlichen Hergang des Schiffsunfalls am 20.10.1992 bei W. sowie über den Umfang des eingetretenen Schadens und über die zur Abwendung oder Verringerung desselben aufgewendeten Mittel an. Im Verlaufe des Verklarungsverfahrens wurden an mehreren Terminen Zeugen vernommen. Auf seinen Antrag hin wurde dem Vertreter der Beteiligten Ziffer 1, 3 und 4 vom Schiffahrtsgericht eine Frist zur Benennung eines möglichen Sachverständigen zur Erstattung eines Gutachtens gesetzt. Er beantragte zur Frage, in welchem Winkel MS „L." und MTS „M." kollidiert sind, die Einholung eines Sachverständigengutachtens und schlug Herrn F. vor.
Der Vertreter des Antragstellers und der Beteiligten Ziffer 2 trat dem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens entgegen, da das angebotene Beweismittel überflüssig, ungeeignet und der Antrag verspätet sei; vorsorglich wurde ein anderer Sachverständiger, Herr K., benannt.
Das Schiffahrtsgericht hat den Antrag der Beteiligten Ziffer 1, 3 und 4 auf Einholung eines Sachverständigengutachtens abgelehnt. Zur Begründung wird ausgeführt, daß Beweise, die kurz nach einem Schiffsunfall noch vorhanden seien, durch weiteren Zeitablauf verloren gehen. Aus dem Amtsermittlungsgrundsatz des § 12 FGG ergebe sich, daß das Gericht die Beweisaufnahme nach seinem Ermessen auf die Umstände zu erstrecken habe, die der Beweissicherung bedürfen. Die von den Beteiligten Ziffer 1, 3 und 4 beantragte Beweiserhebung sei nicht als zweckmäßig anzusehen, da die Lichtbilder, aus denen der Sachverständige seine Schlussfolgerungen. ziehen solle, auch in einem späteren Prozeß vorhanden seien und deshalb nicht der Beweissicherung bedürften.
Gegen diesen Beschluß wenden sich die Beteiligten Ziffer 1, 3 und 4 mit der Beschwerde....
II.1. Die Beschwerde ist zulässig. Während gegen die Ablehnung eines Antrages, ein Verklarungsverfahren durchzuführen, das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, steht den Ladungsbeteiligten - wie vorliegend den Beteiligten Ziffer 1, 3 und 4 - gegen eine Entscheidung des Schiffahrtsgerichts über die Ablehnung eines Antrages auf Ausdehnung der Beweismittel gemäß § 13 Abs. 3 Satz 2 BinSchG die einfache Beschwerde gemäß § 19 FGG zu (so auch Keidel/Kuntze/Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit 13. Aufl. § 148 FGG Rdnr. 25 m.w.N.; a.A.: Vortisch/ Bemm, Binnenschiffahrtsrecht 4. Aufl. § 13 BinSchG Rdnr. 2: Sofortige Beschwerde). Zur Entscheidung über die Beschwerde ist gemäß § 11 BinSchVerfG das Schiffahrtsobergericht zuständig.
2. Die Beschwerde ist begründet und führt zur Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
a) § 13 Abs. 3 Satz 2 BinSchG gestattet ausdrücklich den am Verklarungsverfahren Beteiligten, eine Ausdehnung der Beweisaufnahme auf weitere Beweismittel zu beantragen. Bei der Entscheidung des Schifffahrtsgerichts über einen solchen Antrag sind Zweck und Bedeutung des Verklarungsverfahrens zu berücksichtigen: Es
dient einer alsbaldigen Sicherung der Beweismittel nach einem Unfall, den das Schiff getroffen hat. Schäden an den beteiligten Schiffen müssen alsbald ausgebessert werden, um eine Ausweitung des Schadens durch Nutzungsausfall zu vermeiden. Die Erinnerung von Zeugen verblaßt mit der Zeit und ihre Aussagen werden immer unzuverläsiger. Diese Umstände nötigen einen Geschädigten, nach einem Unfall die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Durchsetzung seiner Ansprüche zu schaffen und zu vermeiden, daß Beweismittel zerstreut werden (so zutreffend Vortisch/ Bemm a.a.O. § 11 BinSchG Rdnr. 2).
Hinzu kommt, daß Geschädigte durch das Ergebnis eines Verklarungsverfahrens einen Überblick darüber gewinnen, ob sie vom Gegner Schadensersatz verlangen können. Je nach dem Ausgang eines Verklarungsverfahrens einigen sich vielfach die Parteien und lassen es erst gar nicht zu einem kostspieligen Rechtsstreit kommen. Kommt es zu keiner Einigung und doch zu einem Rechtsstreit, so bildet das Ergebnis des Verklarungsverfahrens eine Grundlage für die weitere Beurteilung, auf die sich auch die Schiffahrtsgerichte selbst grundsätzlich stützen. Nur ausnahmsweise kommt es zu einer Wiederholung von bereits im Verklarungsverfahren erhobenen Beweisen (vgl. dazu Vortisch/Bemm a.a.O. § 11 Rdnr. 2; vgl. ferner T. von Waldstein, Das Verklarungsverfahren im Binnenschifffahrtsrecht S. 122: „Der Ausforschungscharakter des Verklarungsverfahrens bürgt für die maximale Nutzung der vorhandenen Aufklärungschancen eines Schiffahrtsunfalles. Die Gefahr, daß wesentliche Sachverhaltselemente unterschlagen werden, ist bei dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten (§ 12 FGG) Verklarungsverfahren naturgemäß geringer als in einem streitigen Verfahren. Gerade die regelmäßige erschöpfende Erhellung der Ursachen und Hintergründe einer Havarie führt dazu, daß vor einem möglichen Prozeß sorgfältig geprüft werden muß, ob die eigenen Behauptungen bei der Beweiswürdigung der Verklarungsergebnisse Bestand haben werden ).
Im Verklarungsverfahren kommt dem Sachverständigenbeweis für die Klärung der Unfallursache eine besondere Bedeutung zu (T. von Waldstein a.a.O. S. 94). Die Gerichte müssen deshalb zur Klärung technischer und nautischer Fragen zunehmend bereits im Verklarungsverfahren die Hilfe von Sachverständigen in Anspruch nehmen.
b) Gemessen an diesen Grundsätzen war dem Antrag der Beteiligten Ziffer 1, 3 und 4 auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Unfallursache, insbesondere zur Frage des Kollisionswinkels der beiden beteiligten Schiffe zu entsprechen. Dem steht weder entgegen, daß die Schiffe inzwischen repariert sind und für eine Beurteilung nur Fotografien und Aussagen der Experten herangezogen werden können. Dies ist beispielsweise bei der nicht seltenen verkehrstechnischen Rekonstruktion von Straßenverkehrsunfällen aufgrund von Lichtbildern nicht anders. Das Beweismittel kann daher nicht von vorneherein als unzweckmäßig erachtet werden. Allerdings kann der Sachverständige nicht von sich aus Experten befragen. Vielmehr ist erforderlich, daß die Beteiligten die Unterlagen, die Anknüpfungstatsachen für den Sachverständigen enthalten sollen, dem Schiffahrtsgericht vorlegen, insbesondere also auch die entsprechenden Fotografien. Entsprechendes gilt für etwaige Aussagen von Experten, die die Schiffe im unreparierten Zustand begutachtet haben. Sie sind vom Schiffahrtsgericht - auf Antrag der Beteiligten - in Anwesenheit des Sachverständigen zu vernehmen.
Das Beweisthema für den Sachverständigen ist auch erheblich für den Gegenstand des Verklarungsverfahrens: Während ein Teil der Zeugen die Behauptung des Antragstellers stützt, MTS „M." sei in einem Winkel (bis 45°) auf MS „L." zugefahren und mit diesem kollidiert, haben andere Zeugen angegeben, es sei zu einer Kopf auf Kopf-(also Frontal-)Kollision beider Schiffe gekommen. Der Antrag wurde auch nicht verspätet gestellt. Zunächst hat das Schifffahrtsgericht dem Antrag entsprochen, eine Frist zur Benennung eines Sachverständigen anzuordnen. Innerhalb dieser Frist erfolgte dann auch die Benennung eines Sachverständigen und der Antrag zu dessen Beauftragung. Das Verklarungsverfahren war zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht abgeschlossen, sondern wurde durch die Erhebung weiterer Beweise fortgeführt.
Auch der Umstand, daß die Interessenten eines der beteiligten Schiffe zwischenzeitlich Klage vor dem Schiffahrtsgericht auf Schadensersatz erhoben haben, macht die Vervollständigung des Verklarungsverfahrens nicht entbehrlich. Die Interessenten des anderen Schiffes machen berechtigterweise geltend, sowohl ihr aktives wie passives Vorgehen vom Ergebnis des Verklarungsverfahrens abhängig machen zu wollen.
Die Auswahl des Sachverständigen sowie die Anordnung und Durchführung der weiteren Beweiserhebungsmaßnahmen bleibt dem Schiffahrtgericht überlassen ....."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1993 - Nr.18 (Sammlung Seite 1441 f.); ZfB 1993, 1441 f.