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Leitsätze:
1) Bei Pauschalreisen mit Kabinenschiffen auf Binnenwasserstraßen sind Unterbringung und Verpflegung Nebenleistungen zur Personenbeförderung.
2) Zu der Frage, ob Art. 3 der Mannheimer Rheinschifffahrtsakte (MA) der Besteuerung von Umsätzen durch Personenbeförderung auf dem Rhein und seinen Nebenflüssen entgegensteht.
Urteil
des Bundesfinanzhofs
vom 1.8.1996
Aus den Gründen:
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), ein in den Niederlanden ansässiges Reisebüro, hatte Pauschalreisen einschließlich Vollpension mit einem Kabinenschiff auf dem Rhein und der Mosel von einem Reiseunternehmer in K „eingekauft" und an andere Reiseunternehmer „verkauft“.
Die Beklagte und Revisionsklägerin (Beklagte), das Finanzamt (FA), vertrat die Auffassung, die Klägerin habe dem regelmäßigen Besteuerungsverfahren unterliegende Umsätze durch Personenbeförderung auf dem Rhein und der Mosel ausgeführt. Unterbringung und Verpflegung der Reisenden teilten als Nebenleistungen das rechtliche Schicksal der Beförderungsleistung. Es besteuerte diese Leistungen in den angefochtenen Umsatzsteuerbescheiden für 1989 und 1990 mit dem ermäßigten Steuersatz.
Auf die Klage hob das Finanzgericht (FG) die angefochtenen Steuerfestsetzungen insoweit auf, „als darin die Nullregelung gemäß § 52 Abs. 2 UStDV nicht berücksichtigt worden" sei. Es übertrug dem FA die Neuberechnung der Steuer. Das FG nahm an, dass die Klägerin umsatzsteuerrechtlich keine Leistungen durch Personenbeförderung ausgeführt, sondern eine „Erlebnisreise mit Gesamtservice" bewirkt und dass sie dafür die Nullregelung zu Recht beansprucht habe.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung von Verfahrensrecht und unrichtige Anwendung sachlichen Rechts. Zur Begründung führt es u.a. aus, das FG habe der Klägerin, die beantragt habe, die Umsatzsteuer für die Streitjahre auf 0 DM festzusetzen, unter Verstoß gegen § 96 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mehr zugesprochen, als diese beantragt habe. Nach dem angefochtenen Urteil ergebe sich für jedes Streitjahr eine negative Umsatzsteuer. Unzutreffend sei die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung der Leistungen der Klägerin als „schwimmendes Hotel" mit Beförderung als Nebenleistung. Vielmehr seien die Unterbringung und Verpflegung als Nebenleistung zur Personenbeförderung anzusehen.
Das FA beantragt Aufhebung der Vorentscheidung und Klageabweisung. Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.
II.
III.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
2. Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil das FG die Leistungen der Klägerin umsatzsteuerrechtlich unzutreffend beurteilt hat (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 3a Abs. 2 Nr. 2 USTG 1980).
a)........ aa).........
bb).... Die Klägerin hat selbständige Leistungen durch Personenbeförderung ausgeführt, weil sie (mit Hilfe von anderen Unternehmern) Personen auf einem Schiff als Beförderungsmittel fortbewegt hat (zum Begriff von Beförderungsleistungen vgl. BFH-Urteil vom 14. März 1968 V R 109/ 66, BFHE 92, 118, zur Beförderung auf Wasserstraßen). Die Personenbeförderungsleistungen sind gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 und 2 UStG 1980 steuerbar, soweit sie im Erhebungsgebiet bewirkt worden sind. Sie sind ab 1. Januar 1984 steuerpflichtig (§ 28 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980) und unterliegen gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. a UStG 1980 W.F. von § 28 Abs. 4 UStG 1980 i.d.F. von Art. 9 Nr. 2 des Steuerentlastungsgesetzes 1984 vom 22. Dezember 1983, BGB1 1 1983, 1583, BStBI 1 1984, 14 und Art. 8 des Haushaltsbegleitgesetzes 1989 vom 20. Dezember 1988, BGB1I 1988, 2262,BStB1I 1989, 19) dem ermäßigten Steuersatz (vgl. Schreiben des Bundesminister der Finanzen-BMF vom 6. März 1984, UR 1984, 91).
Eine Pauschalreise auf einem Schiff mit Verpflegung und Unterkunft wird nicht zu einem einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang verbunden, der als eine Leistung eigener Art beurteilt werden muss. Nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung müssen - für sich betrachtet selbständige bürgerlich-rechtliche Vorgänge umsatzsteuerrechtlich einheitlich betrachtet werden, wenn sie wirtschaftlich zusammengehören und als ein einheitliches Ganzes anzusehen sind.
Wirtschaftlich müssen die einzelnen Leistungen so aufeinander abgestimmt sein, dass sie bei natürlicher Betrachtung hinter dem Ganzen zurücktreten und ein selbständiges Drittes (einen einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang) bilden (vgl. dazu BFH-Urteil vom 15. September 1994 XI R 51/91, BFH/NV 1995, 553, UR 1995, 305; Steuerrechtsprechung in Karteiform, Umsatzsteuergesetz 1980, § 1 Abs. 1 Nr. 1, Rechtsspruch 71, zu 1. - Seebestattung, mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Bei einer Schiffspauschalreise mit Vollpension und Verpflegung steht die Reise (Personenbeförderung) für die Beteiligten - was den Ausschlag gibt - im Vordergrund. Ziel, Dauer und Umstände der Personenbeförderung sind Anlass und Grund für die Vereinbarung (Buchung der Reise). Der Reisende will die Fortbewegung auf dem Schiff über eine bestimmte von ihm - nach dem Angebot - ausgewählte Strecke. Er wählt die Schiffsbeförderung zwar nicht der bloßen Beförderung wegen, die er schneller mit anderen Verkehrsmitteln erlangen könnte. Für ihn ist vielmehr die Art der Schiffsbeförderung, die ihm ein besonderes Reiseerlebnis vermittelt, von entscheidungserheblicher Bedeutung.
Die angenehmen, bei einer mehrtägigen Reise auf dem Schiff bereitgehaltenen Leistungen durch Verpflegung und Unterkunft verändern die Art der Leistung nicht. Die Qualität der Verpflegung und Unterbringung auf dem Schiff beeinflussen nicht die Art der Personenbeförderung, sondern nur die Umstände, unter denen sie durchgeführt wird. Ausnahmefälle, in denen der Reisende wegen der Annehmlichkeiten eines besonderen Schiffs oder wegen außergewöhnlicher Darbietungen auf einem Schiff keinen Wert auf Beförderung und die Beförderungsstrecke legt, sind im Streitfall nicht zu beurteilen.
Die Personenbeförderung durch eine Schiffsreise ist auch nicht unselbständige Nebenleistung zu den von der Klägerin ebenfalls (mit Hilfe von anderen Unternehmern) erbrachten Verpflegungs- und Über-nachtungsleistungen. Vielmehr sind die Verpflegungs- und Übernachtungsleistungen Nebenleistungen zur Personenbeförderung und teilen deren rechtliches Schicksal. Wie diese Personenbeförderungsleistungen sind sie - soweit sie bei der Beförderung im Erhebungsgebiet ausgeführt worden sind - im Erhebungsgebiet steuerbar (§ 3a Abs. 2 Nr. 2 UStG 1980), seit 1984 (§ 28 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980) steuerpflichtig und unterliegen dem ermäßigten Steuersatz (§ 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. a UStG 1980).
Mehrere Leistungen eines Unternehmens an einen Leistungsempfänger können, wenn sie nicht Teil eines wirtschaftlichen Vorgangs sind, im Verhältnis von Haupt- und Nebenleistung ausgeführt werden. Die Annahme einer unselbständigen Nebenleistung setzt voraus (vgl. dazu BFH-Urteil vom 10. September 1992 V R 99/88, BFHE 169, 255, BStB111 1993, 316 zu 11. 1. b - Baubetreuung, mit Nachweisen), dass sie im Vergleich zur Hauptleistung nebensächlich ist, mit ihr eng zusammenhängt, die Hauptleistung wirtschaftlich ergänzt, verbessert oder abrundet und üblicherweise mit der Hauptleistung („in ihrem Gefolge") vorkommt.
Die Übernachtungs- und Verpflegungsleistungen bei einer mehrtägigen Schiffsreise sind gegenüber den dabei ausgeführten Personenbeförderungsleistungen nebensächlich, hängen damit eng zusammen, ergänzen, verbessern oder runden sie wirtschaftlich ab und werden üblicherweise mit den Personenbeförderungsleistungen auf Kabinenschiffen verbunden.
Das Kabinenschiff verfügt über die technischen Voraussetzungen, damit den Reisegästen Übernachtungs- und Verpflegungsleistungen angeboten werden können. Diese Leistungen werden vertraglich mit der Flussreise verbunden und werden wegen des fahrplanmäßigen Reiseablaufs auf dem Schiff - teilweise während der Beförderung - empfangen.
Insofern unterscheidet sich eine Schiffsrei¬se wesentlich von einer Pauschalreise auf Land der Art, wie sie Gegenstand des BFH-Urteils in BFHE 118, 99, BStB111 1976, 307 war. Die vorstehende Beurteilung von Pauschalreisen mit Kabinenschiffen auf Binnenwasserstraßen als Personenbeförderungsleistungen mit Nebenleistungen durch Unterbringung und Verpflegung entspricht der Verwaltungsauffassung (Abschn. 172 Abs. 5 UStR 1988/1996.
Nach Auffassung des Senats steht sie im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht. Gemeinschaftsrechtlich ist die Personenbeförderung auf Schiffen zu besteuern.
Die in Art. 9 Abs. 2 Buchst. b der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/ 388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) bezeichnete Beförderungsstrecke als besonderer Anknüpfungspunkt für den Ort von Beförderungsleistungen soll gewährleisten, dass jeder Mitgliedstaat. Personenbeförderungsleistungen für die Teilstrecken besteuert, die in seinem Hoheitsgebiet zurückgelegt werden (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften -EuGH- vom 13. März 1990 Rs.C-30/89, Slg 1990, 1-691, UR 1991, 170 zu Rdnr. 16), ungeachtet etwaiger praktischer Schwierigkeiten und der Bedeutung für das Steueraufkommen (vgl. EuGH-Urteil vom 23. Mai 1996 Rs. C-331/94, UR 1996, 222 zu Rdnr. 12). Dem entspricht die deutsche Steuerrechtspraxis, die die Personenbeförderung auf dem Rhein besteuert, soweit Streckenanteile im Erhebungsgebiet zurückgelegt werden (vgl. dazu Abschn. 35 Abs. 20 UStR 1988; Abschn. 35 Abs. 17 UStR 1992; Abschn. 42a Abs. 17 UStR 1996).
cc) Der Besteuerung der Personenbeförderung auf dem Rhein steht vorrangiges Völkerrecht (§ 2 der Abgabenordnung -AO 1977-) nicht entgegen. Art. 3 Abs. 1 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte vom 17. Oktober 1868 -Mannheimer Akte- (in der Bekanntmachung der Neufassung des deutschen Wortlauts der in Mannheim unterzeichneten Revidierten Rheinschifffahrtsakte vom 11. März 1969, BGB1 11 1969, 598, nach dem Gesetz zu dem Übereinkommen vom 20. November 1963 zur Revision der am 17. Oktober 1868 in Mannheim unterzeichneten Revidierten Rheinschifffahrtsakte vom 6. Juli 1966, BGBl 111966, 560-MA-) lautet:
„Auf dem Rhein, seinen Nebenflüssen, soweit sie im Gebiet der vertragenden Staaten liegen, und den im Artikel 2 erwähnten Wasserstraßen darf eine Abgabe, welche sich lediglich auf die Tatsache der Beschiffung gründet, weder von den Schiffen oder deren Ladungen, noch von den Flößen erhoben werden. "
Nach dem Wortlaut der Bestimmung („Tatsache der Beschiffung") und dem Zweck der Rheinschifffahrtsakte (vgl. dazu Ipsen, Völkerrecht, 3. Aufl., § 23 Rz. 82,85) soll die Schifffahrt als solche nicht durch Abgaben (z.B. Durchfahrtgebühren) behindert werden. Die Bestimmung verbietet dagegen nicht die Besteuerung der Personenbeförderung, soweit die Umsätze mit Hilfe von Schiffen auf dem Rhein ausgeführt werden.
Die Umsatzsteuer ist bei einer am Wortlaut von Art. 3 MA ausgerichteten Auslegung keine Abgabe, die sich lediglich auf die Beschiffung gründet. Der Steuertatbestand verlangt über die Beschiffung hinaus eine Beförderung gegen Entgelt, der ein Auftrag eines Leistungsempfängers zugrunde liegt. Dass der Besteuerungstatbestand der Umsatzsteuer nicht lediglich an die Tatsache der Beschiffung anknüpft, ergibt sich, wenn er trotz der Tatsache der Beschiffung aus umsatzsteuerrechtlichen Besonderheiten nicht erfüllt wird. Dies ist bei unentgeltlichen Beförderungen auf dem Rhein und seinen Nebenflüssen (durch die in nicht unerheblichem Umfang ausgeführten Leerfahrten, durch kostenlose Personenbeförderung, durch Beförderung von eigenen Gütern) oder durch Beförderungen im Organverbund (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 USTG 1980) der Fall.
Der Wortsinn von Art. 3 MA geht unter Einbeziehung der Entstehungsgeschichte der MA nicht über den Wortlaut der Vorschrift hinaus. Dass eine umsatzsteuerbefreite Personen- und Güterbeförderung auf dem Rhein und seinen Nebenflüssen von den Vertragsstaaten der MA nicht vereinbart worden war, ergibt sich aus den gescheiterten Versuchen, die nach Vertragsabschluss geschaffene Umsatzsteuer in den von Art. 3 MA bezeichneten Anwendungsbereich einzubeziehen.
Eine insoweit in Aussicht genommene Revision durch Vereinbarung eines „Modus Vivendi" vom 4. Mai 1936, die eine Befreiung der Rheinschifffahrt von Steuern und Abgaben zum 1,. Januar 1937 vorsah (vgl. Fuhrmann, Die völkerrechtlichen Grundlagen der Rheinschifffahrt, Köln 1954, S. 25), ist vom Deutschen Reich -und von anderen Vertragsstaaten- vor Inkrafttreten gekündigt worden (RGBI 111936, 361). Entsprechenden späteren Entschließungen der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt hat die Bundesrepublik Deutschland nicht zugestimmt (vgl. dazu Pabst, Zeitschrift für Binnenschifffahrt und Wasserstraßen 1987, 17, 20), so dass sie keine Bindungswirkung erlangt haben (Art. 46 Abs. 3,4 MA).
Der Senat folgt mit dieser Auslegung von Art. 3 MA, die seit dem Vertragsschluss insoweit nicht geändert worden ist (vgl. Revidierte Rheinschifffahrtsakte zwischen Preußen, Baden, Bayern, Frankreich, Hessen und den Niederlanden vom 17. Oktober 1868, Preußische Gesetzessammlung 1869 Nr. 7440, S. 798, 837), der Rechtsauffassung des Reichsfinanzhofs (Bescheid vom 30. Oktober 1931 und Urteil vom 21. Dezember 1931 V A 764/ 30, RFHE 30, 54 unter A 1. zu Art. 3 MA). Soweit Zweifel an dem Besteuerungsrecht von Beförderungsumsätzen mit Schiffen auf dem Rhein und seinen Nebenflüssen bestanden haben sollten (vgl. § 28 Abs. 2 UStG 1980 und Bericht des Finanzausschusses, Einzelbegründung zu § 4 Nr.6 UStG 1967, BT-Drucks V/1581; Eckhardt in Eckhardt/Weiß, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr.6) hat sie der Gesetzgeber nicht aufrechterhalten.
Er ist für § 4 Nr. 7 UStG 1980 von dem Recht ausgegangen, Personenbeförderungen mit Schiffen zu besteuern. In der Begründung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs des UStG 1980 (BT-Drucks 8/ 1779) macht sie sich die Überzeugung des Rates und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zu eigen, nach der die Rheinschifffahrtsakte die Personenbeförderung auf dem Rhein nicht verbiete (vgl. dazu Schlienkamp, UR 1977, 1, und Häfele, UR 1984, 92). Die vorgeschlagene Regelung ist insoweit unverändert Gesetz geworden.
dd) Die Steuer der Klägerin für von ihr ausgeführte Personenbeförderungsumsätze ist im regelmäßigen Steueranmeldungs- bzw. Steuerfestsetzungsverfahren festzusetzen und nicht im Abzugsverfahren ( § 18 Abs. 8 Satz 2 Nr. 4 UStG 1980, § 52 Abs. 2 UStDV 1980) zu erfassen. "
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1997 - Nr.6 (Sammlung Seite 1626 ff.); ZfB 1997, 1626 ff.