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Leitsätze:
Die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Binnenlotsen auf Schadensersatz ist in entsprechender Anwendung des § 21 Abs. 3 SeelotsG (BGH, Urteil vom 20. Februar 1989 – II ZR 26/88, BGHZ 107, 32, 37) auf grob fahrlässig und vorsätzlich herbeigeführte Schäden beschränkt.
Eine Ausweitung dieses »Lotsenprivilegs« durch entsprechende Anwendung der zur Arbeitnehmerhaftung entwickelten Grundsätze mit der Folge einer unter Umständen bestehenden Quotierungsmöglichkeit bei grob fahrlässiger Schadensherbeiführung ist nicht zulässig.
BGH, Urteil vom 26. Juli 2016
– VI ZR 322/15 –
(Rheinschiffahrtsobergericht Karlsruhe, Az.: 22 U 1/14 RhSch – ZfB 2015, Sammlung Seite 2359 ff –; Rheinschifffahrtsgericht Kehl, Az.: 4 C 357/12 RhSchG)
Aus dem Tatbestand:
… Die Klägerin ist der Versicherer des Fahrgastkabinenschiffs »Bellriva«. Die »Bellriva« war am 17. April 2012 mit 114 Passagieren und Besatzung auf dem Rhein von Basel nach Köln unterwegs. Das 104,74m lange und 11,61m breite Schiff gehörte der niederländischen C. Um 3:26 Uhr kollidierte es im Plittersdorfer Grund bei Rhein-km 338,9 mit einer Buhne, wodurch es erheblich beschädigt wurde.
Der 1933 geborene Beklagte ist Lotse für den Oberrhein und Inhaber des entsprechenden Streckenpatents sowie des Radarpatents. Er war für die Schiffseignerin in der Vergangenheit wiederholt tätig geworden. Vier Wochen vor der Kollision war dem Beklagten die Tauglichkeit als Schiffsführer ärztlich bescheinigt worden …
Im Plittersdorfer Grund (Rhein-km 338,9) macht das Fahrwasser rheinabwärts eine Linkskurve. Auf der rechten Seite neben dem Fahrwasser befinden sich Buhnen. Der Beklagte änderte um 3:25:40 Uhr den linksweisenden Kurs des Schiffs bei einer Geschwindigkeit von 21,5 km/h nach Steuerbord. Der Zeuge D., der den Kurs des Schiffes anhand GPS-gestützter Daten auf dem Tresco verfolgte, wies den Beklagten auf den zu weit Steuerbord angesetzten Kurs hin. Der Beklagte änderte den Kurs nicht. 49 Sekunden nach der Kursänderung, um 3:26:29 Uhr, fuhr das Schiff mit einer Geschwindigkeit von 21 km/h auf die erste Buhne auf.
Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte habe als verantwortlicher Schiffsführer die Kollision grob fahrlässig verursacht und sei deshalb zum Schadensersatz verpflichtet.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat die zunächst auf Zahlung von 493.620,46 € nebst Prozesszinsen gerichtete Klage abgewiesen. Die Klägerin hat in der Berufungsinstanz ihre Klage auf 100.000 Rechnungseinheiten im Sinne des § 51 des Binnenschifffahrtsgesetzes (BinSchG) nach Multiplikation mit dem Kurs des Sonderziehungsrechts des Internationalen Währungsfonds (XDR) am Tag des Urteilserlasses nebst Zinsen reduziert. Das Rheinschifffahrtsobergericht hat den Anspruch der Klägerin dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Begehren auf Zurückweisung der Berufung weiter.
(Der vollständige Text des Urteiles zweiter Instanz ist veröffentlicht und kommentiert in ZfB 2015, Sammlung Seite 2359 ff, 23632368, d. Red.)
Aus den Entscheidungsgründen:
… Das angegriffene Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. Zutreffend hat das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Schadensersatz infolge der Havarie vom 17. April 2012 dem Grunde nach für gerechtfertigt erachtet. Der Beklagte haftet der Klägerin aus übergegangenem Recht für durch die Havarie entstandene Schäden am Schiff nach § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG. Zwischen dem Beklagten und der Rechtsvorgängerin der Klägerin bestand ein Lotsenvertrag, der in seinen wesentlichen Zügen ein Dienstvertrag ist oder zumindest ein dienstvertragsähnliches Verhältnis beinhaltet (BGH, Urteile vom 14. April 1958 – II ZR 45/57, BGHZ 27, 79, 81; vom 20. Juni 1968 – II ZR 78/67, BGHZ 50, 250, 255; vom 28. September 1972 – 11 ZR 6/71, BGHZ 59, 242, 246; vom 20. Februar 1989 – 11 ZR 26/88, BGHZ 107, 32, 33). Zum Zeitpunkt der Havarie war der Beklagte darüber hinaus verantwortlicher Schiffsführer. Die ihn treffenden Sorgfaltspflichten hat er grob fahrlässig verletzt, so dass ihm der Haftungsausschluss für einfache Fahrlässigkeit entsprechend § 21 Abs. 3 SeelotsG (BGH, Urteil vom 20. Februar 1989 – II ZR 26/88, aaO, 37) nicht zugutekommt. Eine entsprechende Anwendung der zur Arbeitnehmerhaftung entwickelten Grundsätze, die bei Vorliegen grober Fahrlässigkeit zugunsten des Schädigers eine Quotierung erlauben würden, scheidet aus …
2. Das Berufungsgericht hat das Verhalten des Beklagten ohne Rechtsfehler als grob fahrlässig gewertet mit der Folge, dass das Lotsenprivileg (§ 21 Abs. 3 SeelotsG analog) mit einem Haftungsausschluss für nur einfach fahrläs sig herbeigeführte Schäden dem Beklagten nicht zugutekommt (BGH, Urteil vom 20. Februar 1989 – II ZR 26/88, BGHZ 107, 32, 37).
a) Die tatrichterliche Entscheidung, ob den Schädiger der Vorwurf grober Fahrlässigkeit trifft, ist mit der Revision nur beschränkt angreifbar. Der Nachprüfung unterliegt aber, ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Verschuldensgrades wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat (vgl. Senatsurteile vom 12. Januar 1988 – VI ZR 158/87, VersR 1988, 474; vom 18. Oktober 1988 – VI ZR 15/88, VersR 1989, 109; vom 30. Januar 2001 – VI ZR 49/00, VersR 2001, 985; vom 18. Februar 2014 – VI ZR 51/13, VersR 2014, 481 Rn. 10).
Grobe Fahrlässigkeit erfordert eine objektiv schwere und subjektiv unentschuldbare Pflichtverletzung, die das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß an Fahrlässigkeit erheblich übersteigt (vgl. Senatsurteile vom 11. Juli 1967 – VIZR 14/66, VersR 1967, 909, 910; vom 12. Januar 1988 – VI ZR 158/87, aaO, 474 f.; vom 30. Januar 2001 – VI ZR 49/00, aaO, 986; vom 18. Februar 2014 – VI ZR 51/13, aaO, Rn. 7). Die verkehrserforderliche Sorgfalt muss dabei in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und es muss dasjenige unbe achtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (vgl. Senatsurteile vom 2. November 1971 – VI ZR 16/70, VersR 1972, 144, 145; vom 9. März 1973 – VI ZR 3172, VersR 1973, 565 mwN; vom 18. November 2014 – VI ZR 141/13, VersR 2015, 193 Rn. 21). Ein objektiv grober Pflichtenverstoß rechtfertigt dabei für sich allein noch nicht den Schluss auf ein ent sprechend gesteigertes personales Verschulden, nur weil ein solches häufig damit einherzugehen pflegt. Vielmehr sind auch Umstände zu berücksichtigen, die die subjektive, personale Seite der Verantwortlichkeit betreffen (Senatsurteil vom 11. Juli 1967 – VI ZR 14/66, aaO; BGH, Urteile vom 11. Mai 1953 – IV ZR 170/52, BGHZ 10, 14, 17; vom 5. Dezember 1966 – II ZR 174/65, VersR 1967, 127). In aller Regel ist es erforderlich, nicht nur zur objektiven Schwere der Pflichtverletzung, sondern auch zur subjektiven (personalen) Seite konkrete Feststellungen zu treffen (Senatsurteil vom 10. Mai 2011 – VI ZR 196/10, NJW-RR 2011, 1055 Rn. 10 mwN). Auch bei der Verletzung beruflicher Kardinalpflichten gilt grundsätzlich nichts anderes.
Zur Feststellung eines subjektiv unentschuldbaren Pflichtverstoßes ist es erforderlich, subjektive Besonderheiten, die unter Zugrundelegung des Sachvortrags der Parteien den Schädiger entlasten könnten, auszuschließen. Den Ausschluss hat grundsätzlich der Geschädigte darzulegen und zu beweisen. Steht der Geschädigte allerdings außerhalb des von ihm darzulegenden Geschehensablaufs und kennt er die maßgebenden Tatsachen nicht näher, während sie dem Schädiger bekannt sind und ihm ergänzende Angaben zuzumuten sind, so trifft diesen ausnahmsweise eine Substantiierungslast hinsichtlich etwaiger Entschuldigungsgründe (vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 2003 – IV ZR 173/01, VersR 2003, 364, 365) …
3. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist es schließlich, dass das Berufungsgericht dem Grunde nach die volle Haftung des Beklagten bei festgestellter grob fahrlässiger Herbeiführung der Havarie als gegeben ansieht. Das bestehende Lotsenprivileg infolge entsprechender Anwendung des § 21 Abs. 3 SeelotsG (BGH, Urteil vom 20. Februar 1989 – II ZR 26/88, BGHZ 107, 32, 37) reduziert die Inanspruchnahmemöglichkeit eines Binnenlotsen auf grob fahrlässig und vorsätzlich herbeigeführte Schäden. Die entsprechende Anwendung des § 21 Abs. 3 SeelotsG basiert bereits – teilweise vergleichbar den Beweggründen für die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung durch die Rechtsprechung (vgl. BAG, Vorlagebeschluss vom 12. Juni 1992 – GS 1/89, BAGE 70, 337, 342 f.) – darauf, dass das wirtschaftliche Risiko einer Pflichtverletzung die Leistungsfähigkeit der einzelnen Lotsen übersteigt, in den Lotsgebühren kein angemessenes Äquivalent findet und nicht zu wirtschaftlich tragbaren Prämien versicherbar erscheint (BGH, Urteil vom 20. Februar 1989 – II ZR 26/88, aaO, 38; vgl. auch BT-Drucks. 10/925, S. 3).
Eine Ausweitung des Lotsenprivilegs durch eine entsprechende Anwendung der zur Arbeitnehmerhaftung entwickelten Grundsätze mit der Folge einer unter Umständen bestehenden Quotierungsmöglichkeit selbst bei grob fahrlässiger Schadensherbeiführung ist nach geltendem Recht nicht zulässig. Der Senat verkennt dabei nicht die vom Berufungsgericht festgestellte, nach wie vor bestehende Diskrepanz zwischen dem Haftungsrisiko und den durch Verord nung festgesetzten Lotsgebühren.
Die Einbeziehung des Binnenlotsen in den Anwendungsbereich der beschränkten Arbeitnehmerhaftung würde voraussetzen, dass er vergleichbar einem Arbeitnehmer in den Betrieb seines Auftraggebers, des Schiffseigners, eingegliedert ist. Rechtfertigung für die in richterlicher Rechtsfortbildung geschaffene Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung und Mithaftung des Arbeitgebers ist die Organisations- und Personalhoheit des Arbeitgebers, der die Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers entspricht. Der Arbeitgeber bestimmt durch die Organisation des Betriebes, die Festlegung der Abläufe und die Einwirkung auf die Tätigkeit des Arbeitnehmers, insbesondere durch Ausübung seines Weisungsrechts, einseitig die Schadensexposition und damit das Haftungsrisiko des Arbeitnehmers, weshalb er sich die so von ihm selbst geschaffenen Schadensrisiken im Rahmen des § 254 BGB zurechnen lassen muss (vgl. BAG, Vorlagebeschluss vom 12. Juni 1992 – GS 1/89, BAGE 70, 337, 342 f.). Demgegenüber fehlt es an einer vergleichbaren Steuerung der Tätigkeit des Binnenlotsen durch dessen Auftraggeber.
Der Lotse übt seit jeher eine selbständige Tätigkeit aus (BGH, Urteil vom 28. September 1972 – II ZR 6/71, BGHZ 59, 242, 247 f.; vgl. auch § 21 Abs. 1 SeelotsG). Weder durch die Eintragung des Lotsen in das Bordbuch noch durch die vom Gesetz in bestimmten Fällen vorgesehene Pflicht zur Übernahme von Befehl und Ruder (§ 14 Abs. 3 Rhein LotsO) wird der Lotse zum Teil der Besatzung und damit zum Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnlich Beschäftigten (BGH, aaO).
Auch im Übrigen fehlt die notwendige Vergleichbarkeit. Abgesehen davon, dass im Streitfall eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Beklagten von der Rechtsvorgängerin der Klägerin nicht festgestellt ist, unterliegt der Oberrheinlotse keinem Weisungsrecht durch den Auftraggeber, das dem des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer vergleichbar wäre. Er wird beauftragt, um die mit der entsprechenden Schifffahrtsstrecke verbundenen Schadensrisiken zu begrenzen. Die Schadensrisiken, denen er sich (und andere) bei Ausübung seiner Lotsentätigkeit aussetzt, werden im Hinblick auf seine Eigenverantwortlichkeit wesentlich durch ihn selbst mitbestimmt.
Der Schiffseigner engagiert den Lotsen als externen und unabhängigen Berater (vgl. § 14 Abs. 1 RheinLotsO), üblicherweise für einen schwierigen und risikoreichen Teil der Schifffahrtsstraße, um mit dessen besonderem Sachverstand und dessen besonderen Streckenkenntnissen das Risiko von Havarien zu verringern. Er überlässt dem Lotsen die Art und Weise, wie er seiner Aufgabe nachkommt, zu eigener Verantwortung. Das gilt auch und gerade dann, wenn dem Lotsen nach § 14 Abs. 3 RheinLotsO Befehl und Ruder übertragen werden. Der Lotse hat das Schiff dann als verantwortlicher Schiffsführer selbständig zu führen. Der Kapitän ist zwar frei, dem Lotsen das Steuer jederzeit wieder zu entziehen. Dies ist aber allein Ausdruck der Freiheit, die Beratung oder Schiffsführung durch einen Lotsen jederzeit anzunehmen oder abzulehnen, nicht aber Ausfluss einer Weisungsbefugnis; denn für die Ausübung der Tätigkeit selbst können dem Lotsen keine Weisungen erteilt werden (BGH, Urteil vom 28. September 1972 – II ZR 6/71, aaO, 249). Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aufgrund der Tatsache, dass der Lotse auf Verlangen des Schiffsführers zur Übernahme von Befehl und Ruder verpflichtet ist. Die in der Praxis der Binnen- und Seelotsen verbreitete Übung, dass der Lotse selbst die Manövrierelemente des Schiffs bedient und Anordnungen gegenüber der Mannschaft trifft, setzt die RheinLotsO zwar als Übernahmepflicht des Lotsen um. Der Übernahmepflicht liegen aber schifffahrtspolizeiliche und nicht arbeitsrechtliche Erwägungen zugrunde. Ihre Begründung findet sie in der Gefährlichkeit des kurvenreichen und fließenden Gewässers und dem erhöhten Risiko einer Havarie bei zeitverzögerten Reaktionen aufgrund längerer Kommandoketten.
Über die allgemeine Betriebsgefahr eines Binnenschiffs hinaus wird die Risikoexposition des Binnenlotsen – anders als beim Arbeitnehmer – nicht wesentlich durch Vorgaben des Auftraggebers, denen sich der Lotse unterwerfen müsste, sondern wesentlich durch die eigenbestimmte Aufgabenerledigung des Lotsen bestimmt.
Anlass, Zweck, Art und Qualität der Dienstleistung eines Binnenlotsen stehen der Übertragung der Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung und einer Quotierungsmöglichkeit in Fällen grober Fahrlässigkeit entgegen. Der Binnenlotse wird durch Beschränkung seiner Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit entsprechend § 21 Abs. 3 SeelotsG sowie durch die grundsätzliche Möglichkeit einer summenmäßigen Haftungsbeschränkung gemäß § 5i BinSchG vor übermäßigen Haftungsrisiken geschützt. Es ist dem Gesetzgeber vorbehalten, gegebenenfalls einen weitergehenden Schutz zu schaffen.
BGH, Urteil vom 26. Juli 2016 – VI ZR 322/15 (Rheinschiffahrtsobergericht Karlsruhe, Az.: 22 U 1/14 RhSch – ZfB 2015, Sammlung Seite 2359 ff – Rheinschifffahrtsgericht Kehl, Az.: 4 C 357/12 RhSchG)
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt den Beklagten nach einem Schiffsunfall aus übergegangenem Recht auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Klägerin ist der Versicherer des Fahrgastkabinenschiffs »Bellriva« Die »Bellriva« war am 17. April 2012 mit 114 Passagieren und Besatzung auf dem Rhein von Basel nach Köln unterwegs. Das 104,74m lange und 11,61m breite Schiff gehörte der niederländischen C. Um 3:26 Uhr kollidierte es im Plittersdorfer Grund bei Rhein-km 338,9 mit einer Buhne, wodurch es erheblich beschädigt wurde.
Der 1933 geborene Beklagte ist Lotse für den Oberrhein und Inhaber des entsprechenden Streckenpatents sowie des Radarpatents. Er war für die Schiffseignerin in der Vergangenheit wiederholt tätig geworden. Vier Wochen vor der Kollision war dem Beklagten die Tauglichkeit als Schiffsführer ärztlich bescheinigt worden.
Der Beklagte war am 17. April 2012 um 2:00 Uhr bei der Schleuse lffezheim (Rheinkm 334,5) an Bord gekommen und sollte für eine Vergütung von 250 € das Schiff bis Speyer als Lotse begleiten. Der diensthabende Kapitän, der Zeuge D., besaß für den Streckenabschnitt von lffezheim bis Speyer kein Streckenpatent. Er führte noch die Talschleusung in lffezheim durch und übergab nach Ausfahrt aus der Schleusenkammer bei Rhein-km 336 dem Beklagten das Steuer des Schiffs. Kurze Zeit später kam starker Nebel auf. Der Beklagte steuerte das Schiff in Radarfahrt.
Im Plittersdorfer Grund (Rhein-km 338,9) macht das Fahrwasser rheinabwärts eine Linkskurve. Auf der rechten Seite neben dem Fahrwasser befinden sich Buhnen. Der Beklagte änderte um 3:25:40 Uhr den linksweisenden Kurs des Schiffs bei einer Geschwindigkeit von 21,5 km/h nach Steuerbord. Der Zeuge D., der den Kurs des Schiffes anhand GPS-gestützter Daten auf dem Tresco verfolgte, wies den Beklagten auf den zu weit Steuerbord angesetzten Kurs hin. Der Beklagte änderte den Kurs nicht. 49 Sekunden nach der Kursänderung, um 3:26:29 Uhr, fuhr das Schiff mit einer Geschwindigkeit von 21 km/h auf die erste Buhne auf.
Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte habe als verantwortlicher Schiffsführer die Kollision grob fahrlässig verursacht und sei deshalb zum Schadensersatz verpflichtet.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat die zunächst auf Zahlung von 493.620,46 € nebst Prozesszinsen gerichtete Klage abgewiesen. Die Klägerin hat in der Berufungsinstanz ihre Klage auf 100.000 Rechnungseinheiten im Sinne des § 51 des Binnenschifffahrtsgesetzes (BinSchG) nach Multiplikation mit dem Kurs des Sonderziehungsrechts des Internationalen Währungsfonds (XDR) am Tag des Urteilserlasses nebst Zinsen reduziert. Das Rheinschifffahrtsobergericht hat den Anspruch der Klägerin dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Begehren auf Zurückweisung der Berufung weiter.
Entscheidungsgründe:
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beklagte als Lotse im Rahmen eines Dienstvertrages oder zumindest dienstvertragsähnlichen Verhältnisses gegenüber der Rechtsvorgängerin der Klägerin verpflichtet gewesen sei, den Schiffsführer während der Reise zu beraten. Zum Zeitpunkt der Havarie sei der Beklagte zudem verantwortlicher Schiffsführer gewesen; ihm sei bekannt gewesen, dass er als Einziger an Bord über das erforderliche Streckenpatent verfügte.
Die Pflichten eines Schiffsführers aus § 1.04 Rheinschifffahrtspolizeiverordnung (RheinSchPV, Schiff, Besatzung und Passagiere nicht zu gefährden, habe der Beklagte objektiv verletzt, indem er das Schiff am frühen Morgen des 17. April 2012 in das Buhnenfeld im Plittersdorfer Grund gesteuert habe.
Der Haftungsausschluss analog § 21 Abs. 3 des Gesetzes über das Seelotswesen (SeelotsG) für einfache Fahrlässigkeit greife nicht. Der Beklagte habe sich objektiv grob fahrlässig verhalten, indem er ohne erkennbare Begründung um 3:25:40 Uhr den linksweisenden Kurs der »Bellriva« nach Steuerbord geändert und das Schiff in Richtung des Buhnenfeldes gelenkt habe. Als Lotse für den Oberrhein und Inhaber des Streckenpatents habe ihm das Buhnenfeld bekannt sein müssen. Die besondere Streckenkenntnis des Lotsen stelle den Grund dar, warum dem Beklagten das Steuer und damit Befehl und Verantwortung für das Schiff übergeben worden seien.
Von einer geringfügigen und kurzfristigen Fehleinschätzung könne schon deshalb keine Rede sein, weil der Kollisionskurs 49 Sekunden vor der Havarie angelegt und trotz eines Hinweises des Zeugen D. von dem Beklagten nicht korrigiert worden sei. Aber auch ohne diesen Hinweis habe dem Beklagten mehr als ausrei
chend Zeit zur Verfügung gestanden, den auf dem Tresco-Schirm deutlich erkennbaren Kurs zu ändern. Auch rechtfertigten die Umstände einer Nachtfahrt, dichten Nebels und möglicherweise unzureichender Radarbetonnung keine andere Bewertung. Der Beklagte habe den widrigen Umständen durch eine besonders umsichtige Fahrweise und Kursführung Rechnung tragen müssen.
Die Pflichtverletzung sei auch subjektiv unentschuldbar, wobei die festgestellte Verletzung einer zentralen beruflichen Kardinalpflicht den Schluss auf die inneren Vorgänge erlaube. Besondere, in seiner Person liegende Umstände, die sein Verhalten in subjektiver Hinsicht entschuldigen könnten, habe der Beklagte, dem insoweit die sekundäre Darlegungslast obliege, weder vorgetragen noch unter Beweis gestellt.
Die Revision sei zuzulassen, da die Frage nach dem Haftungsmaßstab der Binnenlotsen für grob fahrlässiges Verhalten angesichts der nach wie vor deutlichen Diskrepanz zwischen dem Haftungsrisiko und den Lotsgebühren sowie der Unmöglichkeit, dieses Risiko zu vernünftigen Prämien zu versichern, eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts erfordere.
Das angegriffene Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. Zutreffend hat das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Schadensersatz infolge der Havarie vom 17. April 2012 dem Grunde nach für gerechtfertigt erachtet. Der Beklagte haftet der Klägerin aus übergegangenem Recht für durch die Havarie entstandene Schäden am Schiff nach § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG. Zwischen dem Beklagten und der Rechtsvorgängerin der Klägerin bestand ein Lotsenvertrag, der in seinen wesentlichen Zügen ein Dienstvertrag ist oder zumindest ein dienstvertragsähnliches Verhältnis beinhaltet (BGH, Urteile vom 14. April 1958 – II ZR 45/57, BGHZ 27, 79, 81; vom 20. Juni 1968 – II ZR 78/67, BGHZ 50, 250, 255; vom 28. September 1972 – 11 ZR 6/71, BGHZ 59, 242, 246; vom 20. Februar 1989 – 11 ZR 26/88, BGHZ 107, 32, 33). Zum Zeitpunkt der Havarie war der Beklagte darüber hinaus verantwortlicher Schiffsführer. Die ihn treffenden Sorgfaltspflichten hat er grob fahrlässig verletzt, so dass ihm der Haftungsausschluss für einfache Fahrlässigkeit entsprechend § 21 Abs. 3 SeelotsG (BGH, Urteil vom 20. Februar 1989 – II ZR 26/88, aaO, 37) nicht zugutekommt. Eine entsprechende Anwendung der zur Arbeitnehmerhaftung entwickelten Grundsätze, die bei Vorliegen grober Fahrlässigkeit zugunsten des Schädigers eine Quotierung erlauben würden, scheidet aus.
1. Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Beklagte sei zum Zeitpunkt der Havarie verantwortlicher Schiffsführer im Sinne von § 1.02 RheinSchPV gewesen und habe deshalb nicht nur die Beratung des Schiffsführers in seiner eigentlichen Funktion als Lotse geschuldet, sondern darüber hinaus die allgemeinen Sorgfaltspflichten eines Schiffsführers nach § 1.04 RheinSchPV einhalten, insbesondere die Gefährdung von Menschenleben vermeiden müssen. Nach den Feststellungen des Rheinschifffahrtsgerichts, an deren Richtigkeit und Vollständigkeit das Berufungsgericht keine Zweifel hatte, wusste der Beklagte bei Übergabe des Steuerruders an ihn unter anderem aufgrund einer Mitteilung des diensthabenden Kapitäns, dass dieser – ebenso wie die übrigen Besatzungsmitglieder – nicht über das notwendige Schifferpatent für die vor ihnen liegende Strecke verfügte. Diese Mitteilung im Sinne des § 14 Abs. 3 Satz 2 der Lotsenordnung für den Rhein zwischen Basel und Mannheim/Ludwigshafen (RheinLotsO) ist dem ausdrücklichen Verlangen des (bisherigen) Schiffsführers an den Lotsen, Ruder und Befehl zu übernehmen (§ 14 Abs. 3 Satz 1 RheinLotsO), gleichgestellt. Sie führt nach § 14 Abs. 3 Satz 3 RheinLotsO dazu, dass der Lotse zum verantwortlichen Schiffsführer im Sinne des § 1.02 RheinSchPV wird.
Soweit sich die Revision auf den Vortrag des Beklagten in den Vorinstanzen beruft, diesem sei das Fehlen des Streckenpatents des diensthabenden Kapitäns unbekannt gewesen, wendet sie sich ohne Erfolg gegen die vom Berufungsgericht zugrunde gelegte Feststellung des Rheinschifffahrtsgerichts. Das Berufungsgericht ist gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die erstinstanzlichen Feststellungen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Feststellungen gebieten. Solche Anhaltspunkte lägen etwa dann vor, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich wäre. Die Rüge der Revision, dies sei hier der Fall, greift nicht durch. Eine Widersprüchlichkeit oder Unvollständigkeit der Beweiswürdigung ergibt sich insbesondere nicht aus dem Umstand, dass im Bordbuch der »Bellriva« für den 16./17. April 2012 der Beklagte als Lotse und der Zeuge D. als Kapitän eingetragen sind. Die Angaben im Bordbuch des Schiffs sind bereits nicht konstitutiv für die Rechtsstellung der Beteiligten im Sinne der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung. Das Bordbuch dient, ähnlich einem Fahrtenschreiber, der schifffahrtspolizeilichen Überprüfbarkeit von Ruhezeiten und der Bestimmbarkeit der diensthabenden Mannschaft (vgl. § 3.13 RheinSchPersV). Dass der Beklagte als Lotse an Bord kam, gibt das Bordbuch – wenngleich aufgrund der eingetreten Verzögerungen im Fahrtablauf mit falschem Zeitpunkt – zudem richtig wieder.
2. Das Berufungsgericht hat das Verhalten des Beklagten ohne Rechtsfehler als grob fahrlässig gewertet mit der Folge, dass das Lotsenprivileg (§ 21 Abs. 3 SeelotsG analog) mit einem Haftungsausschluss für nur einfach fahrlässig herbeigeführte Schäden dem Beklagten nicht zugutekommt (BGH, Urteil vom 20. Februar 1989 – II ZR 26/88, BGHZ 107, 32, 37).
a) Die tatrichterliche Entscheidung, ob den Schädiger der Vorwurf grober Fahrlässigkeit trifft, ist mit der Revision nur beschränkt angreifbar. Der Nachprüfung unterliegt aber, ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Verschuldensgrades wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat (vgl. Senatsurteile vom 12. Januar 1988 – VI ZR 158/87, VersR 1988, 474; vom 18. Oktober 1988 – VI ZR 15/88, VersR 1989, 109; vom 30. Januar 2001 – VI ZR 49/00, VersR 2001, 985; vom 18. Februar 2014 – VI ZR 51/13, VersR 2014, 481 Rn. 10).
Grobe Fahrlässigkeit erfordert eine objektiv schwere und subjektiv unentschuldbare Pflichtverletzung, die das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß an Fahrlässigkeit erheblich übersteigt (vgl. Senatsurteile vom 11. Juli 1967 – VIZR 14/66, VersR 1967, 909, 910; vom 12. Januar 1988 – VI ZR 158/87, aaO, 474 f.; vom 30. Januar 2001 – VI ZR 49/00, aaO, 986; vom 18. Februar 2014 – VI ZR 51/13, aaO, Rn. 7). Die verkehrserforderliche Sorgfalt muss dabei in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (vgl. Senatsurteile vom 2. November 1971 – VI ZR 16/70, VersR 1972, 144, 145; vom 9. März 1973 – VI ZR 3172, VersR 1973, 565 mwN; vom 18. November 2014 – VI ZR 141/13, VersR 2015, 193 Rn. 21). Ein objektiv grober Pflichtenverstoß rechtfertigt dabei für sich allein noch nicht den Schluss auf ein entsprechend gesteigertes personales Verschulden, nur weil ein solches häufig damit einherzugehen pflegt. Vielmehr sind auch Umstände zu berücksichtigen, die die subjektive, personale Seite der Verantwortlichkeit betreffen (Senatsurteil vom 11. Juli 1967 – VI ZR 14/66, aaO; BGH, Urteile vom 11. Mai 1953 – IV ZR 170/52, BGHZ 10, 14, 17; vom 5. Dezember 1966 – II ZR 174/65, VersR 1967, 127). In aller Regel ist es erforderlich, nicht nur zur objektiven Schwere der Pflichtverletzung, sondern auch zur subjektiven (personalen) Seite konkrete Feststellungen zutreffen (Senatsurteil vom 10. Mai 2011 – VI ZR 196/10, NJW-RR 2011, 1055 Rn. 10 mwN). Auch bei der Verletzung beruflicher Kardinalpflichten gilt grundsätzlich nichts anderes.
Zur Feststellung eines subjektiv unentschuldbaren Pflichtverstoßes ist es erforderlich, subjektive Besonderheiten, die unter Zugrundelegung des Sachvortrags der Parteien den Schädiger entlasten könnten, auszuschließen. Den Ausschluss hat grundsätzlich der Geschädigte darzulegen und zu beweisen. Steht der Geschädigte allerdings außerhalb des von ihm darzulegenden Geschehensablaufs und kennt er die maßgebenden Tatsachen nicht näher, während sie dem Schädiger bekannt sind und ihm ergänzende Angaben zuzumuten sind, so trifft diesen ausnahmsweise eine Substantiierungslast hinsichtlich etwaiger Entschuldigungsgründe (vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 2003 – IV ZR 173/01, VersR 2003, 364, 365).
b) Die tatrichterliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Beklagte grob fahrlässig gehandelt hat, ist jedenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Rechtsfehlerfrei – und von der Revision nicht angegriffen – hat das Berufungsgericht einen objektiv grob fahrlässigen Pflichtenverstoß des Beklagten angenommen. Der Beklagte hatte als Lotse und Schiffsführer die Pflicht, auf den richtigen Kurs zu achten, um Passagiere, Besatzung und Schiff nicht zu gefährden. Diese Pflicht hat er in objektiv hohem Maße verletzt. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts waren der Flusslauf und das Buhnenfeld auf dem Tresco-Schirm klar und deutlich zu erkennen. Die Buhnenberührung, die infolge der durch den Beklagten ohne Notwendigkeit veranlassten Kursänderung drohte, war vorhersehbar und hätte durch eine weitere Kursänderung vermieden werden können. Der Beklagte hat aber nicht einmal den Hinweis des Zeugen D. auf den zu weit Steuerbord liegenden Kurs zum Anlass genommen, den Kurs zu korrigieren.
Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist ferner die Bewertung des Berufungsgerichts, dass die Pflichtverletzung auch subjektiv unentschuldbar ist. Zwar ist der Ansatz des Berufungsgerichts, dass im Streitfall von der objektiven Pflichtverletzung auf das Vorliegen subjektiver grober Fahrlässigkeit geschlossen werden könne, weil es an entgegenstehendem konkretem Vortrag des Beklagten fehle, zu weitgehend. Zutreffend ist dies allerdings für etwaige gesundheitliche Beeinträchtigungen, für die der Beklagte die sekundäre Darlegungslast trägt. Es ist insoweit nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht betreffend den von der Revision in Zweifel gezogenen Gesundheitszustand des Beklagten zum Havariezeitpunkt auf die unstreitig nach dem Schlaganfall und nur vier Wochen vor der Fahrt durchgeführte ärztliche Tauglichkeitsprüfung des Beklagten abstellt. Dass der Beklagte Konkretes zu einer etwaigen zwischenzeitlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes vorgetragen hätte, macht die Revision nicht geltend.
Im Übrigen zeigt die Revision nicht auf, dass das Berufungsgericht sich aus dem Sachvortrag der Parteien ergebende Umstände übergangen hätte, die den Beklagten entlasten könnten. Soweit die Revision auf das Alter des Beklagten, den für den menschlichen Organismus allgemein belastenden Zeitpunkt der Übernahme des Ruders am frühen Morgen nach mehrstündiger Wartezeit, den Nebel und die anspruchsvolle Strecke verweist, vermag dies den Beklagten nicht zu entlasten. Der Beklagte ist aufgrund seiner besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten Lotse für den Oberrhein und als solcher zum Zwecke der Verringerung der Risiken bei der Fahrt von Iffezheim nach Speyer verpflichtet worden. Der Komplexität der ihm übertragenen Aufgabe und der Größe der möglichen Gefahren entspricht das Maß der zu erwartenden Sorgfalt (vgl. BGH, Urteile vom 21. April 1977 – III ZR 200/74, VersR 1977, 817, 818; vom 8. Juli 1992 – IV ZR 223/91, BGHZ 119, 147, 151). Insbesondere verpflichteten den Beklagten gerade die von der Revision genannten Umstände und das sich daraus ergebende erhöhte Gefahrenpotential im Zeitpunkt der Übernahme des Ruders zur gewissenhaften Selbstprüfung, ob er den hohen Anforderungen gewachsen war (vgl. Senatsurteil vom 20. Oktober 1987 -VI ZR 280/86, VersR 1988, 388 zur Selbstprüfung eines Kraftfahrers). Sollte er das Ruder übernommen haben, obwohl er aufgrund der von der Revision genannten Umstände überfordert war, so hätte er seine Pflicht zur Selbstprüfung vor Übernahme des Ruders grob fahrlässig verletzt (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 10. Dezember 2003 – 7 U 58/03, BeckRS 2003, 18187).
Ebenso wenig verfängt der Einwand der Revision, es sei nicht festgestellt, dass der Beklagte den zu weit Steuerbord angesetzten Kurs auf dem GPS-basierten Tresco habe verfolgen können. Sollte dies notwendig, dem Beklagten aber nicht möglich gewesen sein, hätte es an ihm gelegen, sich als Schiffsführer die zur sicheren Navigation des Schiffes notwendigen Informationen zu beschaffen und durch die Anpassung der Fahrweise, gegebenenfalls sogar durch den Abbruch der Fahrt, zu reagieren. Jedenfalls aber hätte ihn der Hinweis des den Tresco-Bildschirm beobachtenden Zeugen D. auf die kritische Kurswahl zu einer Reaktion veranlassen müssen.
Nicht zu beanstanden ist, dass das Berufungsgericht den Navigationsfehler des Beklagten nicht als geringfügige und kurzfristige Fehleinschätzung im Sinne eines Augenblickversagens gewertet hat. Der Ausdruck des Augenblickversagens beschreibt den Umstand, dass ein Handelnder für eine kurze Zeit die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, und ist im Übrigen für sich genommen kein
ausreichender Grund, den Schuldvorwurf der groben Fahrlässigkeit herabzustufen, wenn die objektiven Merkmale der groben Fahrlässigkeit gegeben sind (BGH, Urteil vom 8. Juli 1992 – IV ZR 223/91, aaO, 149). Angesichts der festgestellten Zeitspanne von 49 Sekunden zwischen der Kursänderung auf das Buhnenfeld hin und der Kollision mit der ersten Buhne sowie des Hinweises durch den Zeugen D. begegnet die Verneinung eines Augenblickversagens keinen revisionsrechtlichen Bedenken.
3. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist es schließlich, dass das Berufungsgericht dem Grunde nach die volle Haftung des Beklagten bei festgestellter grob fahrlässiger Herbeiführung der Havarie als gegeben ansieht. Das bestehende Lotsenprivileg infolge entsprechender Anwendung des § 21 Abs. 3 SeelotsG (BGH, Urteil vom 20. Februar 1989 – II ZR 26/88, BGHZ 107, 32, 37) reduziert die Inanspruchnahmemöglichkeit eines Binnenlotsen auf grob fahrlässig und vorsätzlich herbeigeführte Schäden. Die entsprechende Anwendung des § 21 Abs. 3 SeelotsG basiert bereits – teilweise vergleichbar den Beweggründen für die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung durch die Rechtsprechung (vgl. BAG, Vorlagebeschluss vom 12. Juni 1992 – GS 1/89, BAGE 70, 337, 342 f.) – darauf, dass das wirtschaftliche Risiko einer Pflichtverletzung die Leistungsfähigkeit der einzelnen Lotsen übersteigt, in den Lotsgebühren kein angemessenes Äquivalent findet und nicht zu wirtschaftlich tragbaren Prämien versicherbar erscheint (BGH, Urteil vom 20. Februar 1989 – II ZR 26/88, aaO, 38; vgl. auch BT-Drucks. 10/925, S. 3).
Eine Ausweitung des Lotsenprivilegs durch eine entsprechende Anwendung der zur Arbeitnehmerhaftung entwickelten Grundsätze mit der Folge einer unter Umständen bestehenden Quotierungsmöglichkeit selbst bei grob fahrlässiger Schadensherbeiführung ist nach geltendem Recht nicht zulässig. Der Senat verkennt dabei nicht die vom Berufungsgericht festgestellte, nach wie vor bestehende Diskrepanz zwischen dem Haftungsrisiko und den durch Verordnung festgesetzten Lotsgebühren.
Die Einbeziehung des Binnenlotsen in den Anwendungsbereich der beschränkten Arbeitnehmerhaftung würde voraussetzen, dass er vergleichbar einem Arbeitnehmer in den Betrieb seines Auftraggebers, des Schiffseigners, eingegliedert ist. Rechtfertigung für die in richterlicher Rechtsfortbildung geschaffene Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung und Mithaftung des Arbeitgebers ist die Organisations- und Personalhoheit des Arbeitgebers, der die Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers entspricht. Der Arbeitgeber bestimmt durch die Organisation des Betriebes, die Festlegung der Abläufe und die Einwirkung auf die Tätigkeit des Arbeitnehmers, insbesondere durch Ausübung seines Weisungsrechts, einseitig die Schadensexposition und damit das Haftungsrisiko des Arbeitnehmers, weshalb er sich die so von ihm selbst geschaffenen Schadensrisiken im Rahmen des § 254 BGB zurechnen lassen muss (vgl. BAG, Vorlagebeschluss vom 12. Juni 1992 – GS 1/89, BAGE 70, 337, 342 f.). Demgegenüber fehlt es an einer vergleichbaren Steuerung der Tätigkeit des Binnenlotsen durch dessen Auftraggeber.
Der Lotse übt seit jeher eine selbständige Tätigkeit aus (BGH, Urteil vom 28. September 1972 – II ZR 6/71, BGHZ 59, 242, 247 f.; vgl. auch § 21 Abs. 1 SeelotsG). Weder durch die Eintragung des Lotsen in das Bordbuch noch durch die vom Gesetz in bestimmten Fällen vorgesehene Pflicht zur Übernahme von Befehl und Ruder (§ 14 Abs. 3 Rhein LotsO) wird der Lotse zum Teil der Besatzung und damit zum Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnlich Beschäftigten (BGH, aaO).
Auch im Übrigen fehlt die notwendige Vergleichbarkeit. Abgesehen davon, dass im Streitfall eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Beklagten von der Rechtsvorgängerin der Klägerin nicht festgestellt ist, unterliegt der Oberrheinlotse keinem Weisungsrecht durch den Auftraggeber, das dem des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer vergleichbar wäre. Er wird beauftragt, um die mit der entsprechenden Schifffahrtsstrecke verbundenen Schadensrisiken zu begrenzen. Die Schadensrisiken, denen er sich (und andere) bei Ausübung seiner Lotsentätigkeit aussetzt, werden im Hinblick auf seine Eigenverantwortlichkeit wesentlich durch ihn selbst mitbestimmt.
Der Schiffseigner engagiert den Lotsen als externen und unabhängigen Berater (vgl. § 14 Abs. 1 RheinLotsO), üblicherweise für einen schwierigen und risikoreichen Teil der Schifffahrtsstraße, um mit dessen besonderem Sachverstand und dessen besonderen Streckenkenntnissen das Risiko von Havarien zu verringern. Er überlässt dem Lotsen die Art und Weise, wie er seiner Aufgabe nachkommt, zu eigener Verantwortung. Das gilt auch und gerade dann, wenn dem Lotsen nach § 14 Abs. 3 RheinLotsO Befehl und Ruder übertragen werden. Der Lotse hat das Schiff dann als verantwortlicher Schiffsführer selbständig zu führen. Der Kapitän ist zwar frei, dem Lotsen das Steuer jederzeit wieder zu entziehen. Dies ist aber allein Ausdruck der Freiheit, die Beratung oder Schiffsführung durch einen Lotsen jederzeit anzunehmen oder abzulehnen, nicht aber Ausfluss einer Weisungsbefugnis; denn für die Ausübung der Tätigkeit selbst können dem Lotsen keine Weisungen erteilt werden (BGH, Urteil vom 28. September 1972 – II ZR 6/71, aaO, 249). Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aufgrund der Tatsache, dass der Lotse auf Verlangen des Schiffsführers zur Übernahme von Befehl und Ruder verpflichtet ist. Die in der Praxis der Binnen- und Seelotsen verbreitete Übung, dass der Lotse selbst die Manövrierelemente des Schiffs bedient und Anordnungen gegenüber der Mannschaft trifft, setzt die RheinLotsO zwar als Übernahmepflicht des Lotsen um. Der Übernahmepflicht liegen aber schifffahrtspolizeiliche und nicht arbeitsrechtliche Erwägungen zugrunde. Ihre Begründung findet sie in der Gefährlichkeit des kurvenreichen und fließenden Gewässers und dem erhöhten Risiko einer Havarie bei zeitverzögerten Reaktionen aufgrund längerer Kommandoketten.
Über die allgemeine Betriebsgefahr eines Binnenschiffs hinaus wird die Risikoexposition des Binnenlotsen – anders als beim Arbeitnehmer – nicht wesentlich durch Vorgaben des Auftraggebers, denen sich der Lotse unterwerfen müsste, sondern wesentlich durch die eigenbestimmte Aufgabenerledigung des Lotsen bestimmt.
Anlass, Zweck, Art und Qualität der Dienstleistung eines Binnenlotsen stehen der Übertragung der Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung und einer Quotierungsmöglichkeit in Fällen grober Fahrlässigkeit entgegen. Der Binnenlotse wird durch Beschränkung seiner Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit entsprechend § 21 Abs. 3 SeelotsG sowie durch die grundsätzliche Möglichkeit einer summenmäßigen Haftungsbeschränkung gemäß § 5i BinSchG vorübermäßigen Haftungsrisiken geschützt. Es ist dem Gesetzgeber vorbehalten, gegebenenfalls einen weitergehenden Schutz zu schaffen.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2016 - Nr.10 (Sammlung Seite 2446 ff.); ZfB 2016, 2446 ff.