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Leitsätze:
1. Ein Grundurteil hat inhaltlich auch über die Haftungsbeschränkung zu befinden.
2. Ein im Steuerhaus anwesender Schiffsführer bleibt auch dann für Kurs und Geschwindigkeit verantwortlicher Schiffsführer, wenn er einem Lotsen das Ruder überläßt. Der Lotse wird gemäß § 14 Lotsenordnung für den Oberrhein lediglich dann verantwortlicher Schiffsführer, wenn ihm diese Stellung ausdrücklich übertragen wurde oder der Schiffsführer erklärt, für den betreffenden Stromabschnitt kein Patent zu haben. 3. Der in der Rheinschiffahrt geltende "Vertrauensgrundsatz", wonach je der Verkehrsteilnehmer davon ausgehen darf, daß die übrigen Verkehrsteilnehmer sich verkehrsgerecht verhalten, gilt dann nicht mehr, wenn ein verkehrswidriges Verhalten eines anderen Fahrzeuges erkennbar geworden ist und Reaktionen noch möglich sind.
4. Auch wenn in der Praxis Schallzeichen heute seltener eingesetzt werden als früher, so kann und darf auf sie zur Warnung in Gefahrensituationen nicht verzichtet werden.
5. Auch wenn nach der Rechtsprechung die allgemeine Sorgfaltspflicht es gebietet, daß Schiffsführer die an Bord vorhandenen technischen Einrichtungen, insbesondere ein Sprechfunkgerät, auch ohne ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung benutzen, so darf dies doch nicht dahin mißverstanden werden, daß den nach der RheinSchPVO vorgeschriebenen klaren Begegnungsweisungen kein absoluter Vorrang mehr zukommt.
Urteil des Oberlandesgerichts (Rheinschiffahrtsobergerichts) Karlsruhe
vom 29.06.1994
- U 13/92 RhSch -
(rechtskräftig)
(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin ist Versicherer des von dem Schiffsführer W geführten TMS "R", das am 1.12.1988 gegen 17.00 Uhr in Höhe der Einfahrt zum Ölhafen K mit dem Schubverband "G" der Beklagten Ziff. 1, geführt vom Beklagten Ziff. 2, kollidierte.
Das leere, nicht entgaste TMS "R" fuhr auf dem Rhein zu Tal; es sollte in dem etwa 1,7 km rheinabwärts gelegenen Ölhafen K neue Ladung aufnehmen. Zu diesem Zeitpunkt fuhr der Schubverband "G" unterhalb des Ölhafens zu Berg. Im Steuerhaus befanden sich der zweitbeklagte Schiffsführer und der das Ruder führende Lotse T. In einem größeren Abstand folgte das TMS "E", geführt von Schiffsführer J.
Schiffsführer W von TMS "R" fragte über Funk, ob der Schubverband ebenfalls in den Ölhafen fahren wolle. Ehe die Verantwortlichen des Schubverbandes "G" antworteten, meldete sich der Schiffsführer des TMS "E" und erklärte, er wolle ebenfalls in den Ölhafen einfahren, aber er mache langsam, um TMS "R" zuvor einfahren zu lassen. Streitig ist, ob die Schiffsführung des Schubverbandes "G", die die Funkanfrage hörte und auch verstand, daß eigentlich sie gemeint war, Gelegenheit hatte, sich in den Funkkontakt von TMS "R" und TMS "E" einzuschalten.
Es war dämmrig, die Sichtverhältnisse waren im übrigen gut. Auf dem Schubverband brannten die Positionslichter und das weiße Funkellicht bei gesetzter blauer Seitentafel. Die Schiffsführung von TMS "R" bestätigte zunächst durch Einschalten des Funkellichtes und Setzen der blauen Seitentafel die Weisung des zu Berg fahrenden Schubverbandes.
Da der Schiffsführer von TMS "R" irrtümlich davon ausging, er habe nicht mit der Schiffsführung von TMS "E", sondern mit der von SV "G" gesprochen, schaltete er das Funkellicht aus und begann unter Einsatz des Bugstrahlruders ein Steuerbordmanöver, um vor dem ankommenden Schubverband, auf dem weiterhin das Funkellicht blinkte, kopf-voraus in den Hafen einzufahren. Als TMS "R" schon quer lag und sich unmittelbar vor der Einfahrt in den Hafen befand, meldete sich der Lotse T über Funk. Er beschwerte sich über die Fahrweise der Schiffsführung TMS "R", wobei der genaue Wortlaut seiner Durchsage streitig ist. Kurz darauf kam es zur Kollision, bei der TMS "R" und SV "G" beschädigt wurden.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat mit Grund- und Teilurteil vom 23.1.1990 die Schadensersatzklage dem Grunde nach zu 1 /3 für gerechtfertigt erklärt und sie im übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin und die selbständige Anschlußberufung der Beklagten hat das Rheinschiffahrtsobergericht mit Urteil vom 25.6.1991 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und auf die Anschlußberufung der Beklagten das Grund- und Teilurteil des Rheinschiffahrtsgerichts dahin abgeändert, daß die Klage abgewiesen wurde. Auf die Revision der Klägerin hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dieses hat die Berufung der Klägerin und die Anschlußberufung der Beklagten gegen das am 23.1.1990 verkündete Grund- und Teilurteil des Rheinschiffahrtsgerichts zurückgewiesen. Der Bundesgerichtshof hat die Revision nicht angenommen.
Aus den Entscheidungsgründen:
"Die Berufung der Klägerin und die selbständige Anschlußberufung der Beklagten sind zulässig, beide haben in der Sache jedoch keinen Erfolg.
1. Die Klage ist dem Grunde nach zu einem Drittel gerechtfertigt.
a) Die Beklagte Ziff. 1 haftet als Schiffseignerin gemäß §§ 3, 4, 92, 92b, 92 c, 92 f, 114 BSchG dinglich mit SV "G" aufgrund eines am 01.12.1988 entstandenen Schiffsgläubigerrechtes mit dem Range des § 102 Ziff. 5 BSchG, wie auch im Rahmen des § 114 BSchG beschränkt persönlich.
Ein Grundurteil hat inhaltlich auch über die Haftungsbeschränkung zu befinden (BK ZKR ZfB 1993, 1420). Sehen - wie im vorliegenden Falle - die Klageanträge die Haftungsbeschränkung bereits vor, so genügt es, wenn im Tenor des Grundurteils die Klage dem Grunde nach (gegebenenfalls zu einem Bruchteil) für gerechtfertigt erklärt wird. Nur dann, wenn der Kläger einen verklagten Schiffseigner unbeschränkt in Anspruch nimmt, muß das Schiffahrtsgericht, wenn es nur eine beschränkte Haftung für gerechtfertigt hält, dies im Grundurteil aussprechen.
b) Der Beklagte Ziff. 2 haftet unbeschränkt persönlich als verantwortlicher Schiffsführer, § 92 f BSchG. Wie das Rheinschiffahrtsgericht zutreffend erkannt hat, bleibt jedenfalls ein im Steuerhaus anwesender Schiffsführer auch dann für Kurs und Geschwindigkeit verantwortlicher Schiffsführer, wenn er einen Lotsen an Bord nimmt und dieser das Ruder bedient. Der Lotse wird gemäß § 14 Lotsenordnung für den Oberrhein v. 15.6.1956 (BGBI II, 703) i.d.F. v. 27.8.1968 (BGBI II, 813) lediglich dann verantwortlicher Schiffsführer, wenn ihm diese Stellung ausdrücklich übertragen wurde oder der Schiffsführer erklärt, für den fraglichen Stromabschnitt kein Patent zu haben. Beide Voraussetzungen waren nach dem Vortrag der Beklagten im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Beklagte Ziff. 2 blieb deshalb verantwortlicher Schiffsführer des Schubverbandes, der Lotse war lediglich Rudergänger und Berater des Schiffsführers i.S.d. Abs. 1 der genannten Vorschrift (vgl. dazu auch BGH VersR 1973, 814, 815).
2. Der Beklagte Ziff. 2 hat schuldhaft gegen § 1.04 RhSchPV verstoßen, wonach - über die Einzelregelungen der RhSchPV hinaus - die Schiffsführer alle Vorsichtsmaßregeln zu treffen haben, welche die allgemeine Sorgfaltspflicht und die Übung der Schiffahrt gebieten, um u. a. die Gefährdung von Menschenleben sowie die Beschädigungen anderer Fahrzeuge zu vermeiden. Darüber hinaus müssen gemäß § 1.05 RhSchPV Schiffsführer bei unmittelbar drohender Gefahr alle Maßnahmen treffen, die die Umstände gebieten, auch wenn sie dadurch gezwungen sind, von der RhSchPV abzuweichen. Wird eine Kursweisung eines Bergfahrers zur Steuerbordbegegnung fehlerhaft nicht beachtet, darf der Bergfahrer nicht versuchen, diese Art der Begegnung dennoch durchzusetzen, wenn ihm erkennbar ist, daß dieser Kurs nicht zu einer kollisionsfreien Begegnung führen wird (vgl. Bemm/Kortendick § 1.05 RhSchPV Rdn 5 m.w.N.)
Zwar kam der Schiffsführung von SV "G" zunächst der in der Rheinschiffahrt bestehende "Vertrauensgrundsatz" zugute, wonach jeder Verkehrsteilnehmer davon ausgehen darf, daß die übrigen Verkehrsteilnehmer ordnungsgemäß am Verkehr teilnehmen (vgl. Bemm/ Kortendick, RhSchPV 1983 § 1.04 Rdnr. 12 ff, 14 m.w.N). Solange sich andere Fahrzeuge verkehrsgerecht verhalten, braucht nicht mit plötzlichen Verkehrswidrigkeiten gerechnet zu werden, also nicht mit plötzlichem Kurswechsel auf geringe Entfernung. Man darf sich insbesondere auch darauf verlassen, daß eine Kursweisung beachtet wird. Die Schiffsführung von SV "G" hatte unstreitig bei der Annäherung an TMS "R" weißes Funkellicht eingeschaltet und blaue Seitentafel gesetzt und damit als Bergfahrer dem Talfahrer eine Begegnung Steuerbord über Steuerbord gewiesen (§ 6.04 Nr. 3 RhSchPV).
Der Vertrauensgrundsatz gilt jedoch dann nicht mehr, wenn ein verkehrswidriges Verhalten eines anderen Fahrzeuges erkennbar geworden ist und Reaktionen noch möglich sind. In diesem Falle muß trotz bestehendem Vor(fahrts)recht entsprechend reagiert und insbesondere Rücksicht genommen werden (vgl. Bemm/Kortendick a.a.O. Rdnr. 15).
Der Senat ist nach dem Ergebnis der sowohl im Verklarungsverfahren als auch im zweiten Rechtszug durchgeführten Beweisaufnahme davon überzeugt, daß es der Schiffsführung des SV "G" noch möglich und zumutbar war, durch eine sofortige Reaktion zur Vermeidung der Kollision beizutragen.
Der Beklagte Ziff. 2 hätte als verantwortlicher Schiffsführer erkennen können und müssen, daß die Schiffsführung von TMS "R" irrtümlich von einer Absprache mit SV "G" ausging. Der Beklagte Ziff. 2 hat über Funk mit angehört, wie TMS "R" einen nach Aussage des Zeugen T im Verklarungsverfahren "Koppelverband", nach Aussage des Beklagten Ziff. 2 "Verband" rief. Damit konnte nur der Schubverband "G" gemeint sein, da es sich bei dem hinter ihm fahrenden TMS "E" nicht um einen Verband, sondern nur um ein Einzelschiff handelte. Als auf diese Anfrage hin TMS "E" sich meldete und sagte, es werde stoppen, um TMS "R" die Einfahrt in den Hafen zu ermöglichen, mußte der Beklagte Ziff. 2 damit rechnen, daß Schiffsführer W von TMS "R" glaubte, die Durchsage stamme von dem Verband. Dies gilt auch dann, wie das Rheinschiffahrtsgericht zutreffend ausgeführt hat, wenn sich TMS "E" mit Namen gemeldet haben sollte. Der Beklagte Ziff. 2 mußte daher erkennen, daß die Gefahr eines Mißverständnisses entstanden war. Er hat es ebenso wie der Lotse T erkannt, der im Verklarungsverfahren einräumte, es sei ihm klar geworden, daß Verwirrung herrschte.
Diese Klarheit bestand indessen sicher nicht vom ersten Augenblick des Funkkontaktes an, sondern ergab sich erst im weiteren Verlauf. Der im zweiten Rechtszug beauftragte gerichtliche Sachverständige F hat überzeugend unter Auswertung des Ergebnisses der bis dahin durchgeführten Beweisaufnahme in einer schematischen Darstellung, auf die Bezug genommen wird, die einzelnen Phasen der Annäherung beider Fahrzeuge bis zur Kollision dargestellt. Es ist danach davon auszugehen, daß der Abstand beider Fahrzeuge (TMS "R" und SV "G") zu Beginn des ersten Funkkontaktes zwischen TMS "R" und TMS "E" ca. 1.150 m betrug; nach Ende der Funkverbindung, d.h. einer Gespächsdauer von etwa 1,3 Minuten betrug die Entfernung von Bug zu Bug etwa 600 m. Bei einer Distanz zwischen TMS "R" und SV "G" von ca. 450 m begann TMS "R" vor dem eigentlichen Wendemanöver zum Einfahren in den Hafen einen leichten Steuerbordkurs zu fahren.
Aufgrund des während des Augenscheintermines auf dem Rhein durchgeführten und vom Sachverständigen im schriftlichen Gutachten im einzelnen beschriebenen UKW-Sprechfunktestes steht zur Überzeugung des Senates fest: Ein Schiff, das gerade sendet, kann keinen Ruf empfangen, weil die Rheinfunkgeräte allgemein auf das Wechselsprechverfahren ausgelegt sind.
Soweit die Klägerin zuletzt vortrug, es gebe auch andere, nämlich sogenannte Duplex- oder Semi-Duplex-Geräte, mit denen gleichzeitig gesendet und empfangen werden könne, ist dies nicht entscheidungserheblich, da nicht vorgetragen und unter Beweis gestellt wird, daß die am vorliegenden Unfallgeschehen beteiligten 3 Schiffe damit ausgerüstet gewesen seien. Im übrigen sieht die nach § 4.05 RhSchPV maßgebliche Regionale Vereinbarung über den Rheinfunkdienst für den Verkehrskreis Schiff - Schiff (abgedruckt in Weska 1994, A 768 ff, A771) die Betriebsart "Wechselsprechen (Simplex)" vor, d.h. die rufende und die antwortende Schiffsfunkstelle sprechen auf derselben Frequenz (insbesondere Kanal 10, 13 und 73; für die Übermittlung von Nachrichten "sozialer Art" kann Kanal 77 benutzt werden).
Der UKW-Sprechfunktest hat weiter ergeben, daß dann, wenn eine im Sendebetrieb befindliche UKW-Funkstation sich von einem UKW-Empfänger entfernt, bei gleichbleibender Sendeleistung die "Feldstärke" an der Empfangsantenne kontinuierlich abnimmt; eine näher am Empfänger arbeitende Funkstation erzeugt (bei gleicher Sendeleistung) an der Empfangsantenne eine entsprechend höhere Feldstärke und kann somit Signale einer weiter entfernten Sendestation unterdrücken.
Da nicht kontinuierlich von TMS "R" bzw. TMS "E" gefunkt wurde, wäre es für die Schiffsführung von SV "G" technisch möglich gewesen, sich mit dessen UKWRheinfunkgerät in den Funkverkehr zwischen den beiden zuerst genannten Schiffen einzuschalten. Da sich SV "G" zwischen TMS "R" und TMS "E" befand, wäre es aufgrund der größeren Feldstärke SV "G" gelungen, durchzudringen. Während eines Funkgespräches entstehen zwangsläufig Sprechpausen bzw. "Zeitschlitze", die einem anderen Teilnehmer am Rheinfunkverkehr immer wieder die Möglichkeit geben, sich in ein Funkgespäch einzuschalten. Daß die Sprechtaste über einen längeren Zeitraum auf Sendebetrieb festgehalten wird, ist unwahrscheinlich. Jedenfalls aber hätte ein dahingehender Versuch der Schiffsführung des Schubverbandes "G" zu einer Störung des Funkgesprächs der beiden anderen Schiffe führen müssen, wie der Sachverständige ebenfalls in seinem schriftlichen Gutachten überzeugend ausführte. Spätestens nach dem mit 1,3 Minuten anzunehmenden Funkverkehr zwischen TMS "R" und TMS "E" wäre ein ungestörtes Funkgespräch zwischen SV "G" und TMS "R" möglich gewesen. Nach Beendigung des Funkverkehrs zwischen TMS "R" und TMS "E" vergingen bis zur Kollision noch etwa 1,4 Minuten.
Die Schiffsführung von SV "G" hätte somit gerade noch rechtzeitig die Schiffsführung TMS "R" auf das Mißverständnis hinweisen und klarstellen können, daß SV "G" auf seiner Kursweisung bestand und nicht beabsichtigte, TMS "R" vor sich kreuzen, aufdrehen und in die Hafeneinfahrt einfahren zu lassen. Die Schiffsführung von TMS "R" hätte dann auch entsprechend reagieren können.
Daneben hätte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Schiffsführung von SV "G" durch Abgabe von Schallzeichen (entweder einem langen Ton mit der Bedeutung "Achtung" oder einer Folge sehr kurzer Töne mit der Bedeutung "Gefahr eines Zusammenstoßes" gemäß § 4.02 i.V.m Anlage 6 RhSchPV oder durch Abgaben von zwei kurzen Tönen gemäß § 6.04 Ziff. 4 RhSchPV) zur Vermeidung der Kollision beitragen können. Eines dieser Signale hätte zu dem Zeitpunkt abgegeben werden können und müssen, als für die Schiffsführung des SV "G" das Mißverständnis im Funkverkehr klar wurde, spätestens zu dem Zeitpunkt, als die Schiffsführung von TMS "R" damit begann, einen leichten Steuerbordkurs zu fahren also sich in einem Abstand von ca. 450 m oder etwa 63 Sekunden von SV "G" entfernt befand.
Ein derartiges Signal hätte die Schiffsführung von TMS "R" dazu veranlassen können, auf die Durchführung des Wendemanövers zu verzichten, das Fahrzeug mit Unterstützung des Bugstrahlruders wieder in Stromrichtung zu Tal aufzustrecken und dann den SV "G" - wie von diesem angewiesen - Steuerbord an Steuerbord zu passieren.
Auch wenn in der Praxis Schallzeichen heute seltener eingesetzt werden als früher, so kann und darf auf sie gerade zur Warnung in einer Gefahrensituation wie der vorliegenden nicht verzichtet werden (vgl. zum haftungsbegründenden Unterlassen einer Schallzeichenabgabe u. a. auch BGH VersR 1971, 337, 339; insoweit auch BK ZKR ZfB 1994, 1459, 1460, wonach ein Schiffsführer von der Abgabe von Schallzeichen nicht etwa deshalb befreit ist, weil dies in der Praxis der Schiffahrt unüblich geworden sei; ferner BK ZKR ZfB 1994, 1461 f).
Demgegenüber kann, wie auch der Sachverständige F im einzelnen zutreffend ausgeführt hat, der Schiffsführung von SV "G" nicht zum haftungsbegründenden Vorwurf gemacht werden, daß sie nicht - früher als geschehen -, nämlich schon bei einer Entfernung von Bug zu Bug von ca. 450 m versuchte, den ca. 180 m langen Schubverband aufzustoppen oder mit einem Wendemanöver zu versuchen, TMS "R" auszuweichen.
3. Die Beklagten haften dem Grunde nach jedoch nur auf ein Drittel des der Klägerin bzw. deren Rechtsvorgänger entstandenen Schadens. Für den Anspruch gegen die Erstbeklagte ergibt sich dies unmittelbar aus § 92 c BSchG, für den Anspruch gegen den zweitbeklagten Schiffsführer nach § 92 f i.V.m. § 92 c BSchG. Das die Schiffsführung von TMS "R" treffende Mitverschulden an der Kollision, das sich die Klägerin anrechnen lassen muß, überwiegt deutlich den Verschuldensanteil der Besatzung von SV "G".
Das Rheinschiffahrtsgericht hat zutreffend ausgeführt, daß den in einen Hafen Einfahrenden nach § 6.16 Nr. 1 RhSchPV besondere Sorgfaltspflichten treffen: Fahrzeuge dürfen in einen Hafen nur einfahren, nachdem die Schiffsführung sich vergewissert hat, daß dieses Manöver ausgeführt werden kann, ohne daß eine Gefahr entsteht, und ohne daß andere Fahrzeuge unvermittelt ihren Kurs oder ihre Geschwindigkeit ändern müssen. Eine Einfahrt in einen Hafen ist nur zulässig, wenn das risikolos möglich ist.
Der vom Schiffsführer von TMS "R", W, geltend gemachte Irrtum über die Absprache erklärt zwar sein Fahrverhalten, entschuldigt ihn jedoch nicht. Bei Beachtung der ihm obliegenden besonderen Sorgfaltspflicht hätte er bemerken müssen, daß der ihm entgegenkommende SV "G" weiterhin die blaue Seitentafel mit weißem Funkellicht gesetzt hatte, auch nach dem vermeintlich mit ihm geführten Funkkontakt. Die Weisung des SV "G" zu einer Begegnung Steuerbord an Steuerbord hatte Schiffsführer W von TMS "R" unstreitig durch Setzen der blauen Seitentafel und Einschalten des weißen Funkellichtes erwidert. Entsprechend dieser Weisung war er mit TMS "R" auch zunächst mehr auf der linken Seite des Fahrwasser gefahren. Schiffsführer W verstieß gegen seine Sorgfaltspflichten, in dem er ohne ausdrückliche Weisung des Bergfahrers SV "G" sein Funkellicht wegnahm und seinen Kurs nach rechtsrheinisch in Richtung Hafeneinfahrt nahm. Er hätte berücksichtigen müssen, daß das beabsichtigte Einfahren in den Ölhafen in so kurzem Abstand vor dem Schubverband eine besonders große Gefahr in sich barg, zumal beide Fahrzeuge durch ihre zusätzliche Nachtbezeichnung gemäß § 3.14 (1) RhSchPV anzeigten, daß sie gefährliche Güter beförderten. Gerade unter diesen konkreten Gegebenheiten der Verkehrslage hätte W sich zweifelsfrei darüber vergewissern müssen, mit wem er seine Kursabsprache über Funk getroffen hatte. Auch wenn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (VersR 1991, 605, 606; Revisionsurteil in vorliegender Sache vom 09.11.1992 - II ZR 192/91 S. 7), die der Senat teilt und auch für die Schiffahrt auf dem Neckar für verbindlich erklärt hat (OLG - Schiffahrtsobergericht - Karlsruhe Urteil vom 08.07.1992 - U 8/91 BSch -) es die allgemeine Sorgfaltspflicht gebietet, daß Schiffsführer auf dem Rhein die an Bord vorhandenen technischen Einrichtungen, insbesondere ein Sprechfunkgerät, auch ohne ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung benutzen, wenn damit die Gefährdung von Menschenleben, das Entstehen von Sachschäden oder Behinderungen der Schiffahrt vermieden werden können, so darf dies doch nicht dahin mißverstanden werden, daß den nach der RhSchPV vorgeschriebenen klaren Begegnungsweisungen kein absoluter Vorrang mehr zukommt. Zwar hat sich in der Binnenschifffahrt eingebürgert, daß Kursabsprachen auch über Funk getroffen werden. Gerade der vorliegende Fall zeigt jedoch die damit verbundenen Gefahren von Mißverständnissen. Zunehmende Verkehrsdichte auf dem Rhein und zunehmende Sendestärke von UKW-Funkanlagen führen in der täglichen Praxis, wie dem Senat aus eigener Anschauung bekannt ist, zu einem vielfältigen Funkverkehr auf UKW-Kanal 10. Dies mußte dem Schiffsführer W als Inhaber eines Sprechfunk- und Radarzeugnisses sowie eines Patentes von Basel bis zum Meer bekannt sein. Angesichts der Gefahr eines Mißverständnisses und der des beabsichtigten Manövers - er wollte nach seiner Aussage als Zeuge im Verklarungsverfahren nicht in einem Zug in den Hafen einfahren, sondern zunächst am Hafenkopf aufdrehen und dann in den Hafen einfahren - durfte er den Kurs von SV "G" erst dann kreuzen, wenn er absolut sicher sein konnte, daß dieser Schubverband unter Verzicht auf sein Vorrecht mit dem geplanten Manöver von TMS "R" einverstanden sein würde. Dies durfte er so lange nicht annehmen, als bei SV "G" die blaue Seitentafel gesetzt und das weiße Funkellicht eingeschaltet war. Dies gilt um so mehr, als nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sich bei der Annäherung beider Schiffe SV "G" bereits ziemlich nahe der Hafeneinfahrt befand und weiter auf deren Höhe zufuhr. Als TMS "R" ca. 300 m von der Höhe der Hafeneinfahrt entfernt war und damit begann, einen leichten Steuerbordkurs zu fahren, befand sich SV "G" nurmehr ca. 150 m von der Höhe der Hafeneinfahrt entfernt.
Die - auch nach dem Revisionsurteil - dem Tatrichter vorbehaltende Abwägung des Verschuldens der Besatzungen der beteiligten Schiffe gemäß § 92 c BSchG führt zu dem Ergebnis, daß das oben dargestellte, der Klägerin zuzurechnende (Mit-) Verschulden der Schiffsführung von TMS "R" deutlich das oben dargestellte Verschulden der Schiffsführung von SV "G" überwiegt.
Die Schiffsführung von TMS "R" beabsichtigte ein von Anfang an gefährliches Manöver, indem sie von der linksrheinischen Seite des Fahrwassers unter Kreuzen des Kurses eines entgegenkommenden Schubverbandes wenden, aufdrehen und sodann in einen auf der rechten Rheinseite liegenden Hafen einfahren wollte. Ihr oblag daher eine besondere Sorgfaltspflicht für ein völlig gefahrloses Durchführen des Manövers.
Demgegenüber konnte die Schiffsführung von SV "G" zunächst darauf vertrauen, daß die von ihr eindeutig gegebene Weisung als Bergfahrerin, die sie auch niemals zurücknahm, beachtet werden würde; zwar hätte sie einerseits auf die erste Anfrage über Funk selbst antworten können und später - wie oben im einzelnen dargestellt - gerade noch rechtzeitig durch Eingreifen in den Funkkontakt und Abgabe von Schallsignalen reagieren und zur Vermeidung der Kollision beitragen können und müssen (vgl. dazu Revisionsurteil in vorliegender Sache a.a.0). Es ist jedoch auch zu berücksichtigen, daß der Schiffsführung von SV "G" ein frühzeitiges Aufklären des (auch vom Streithelfer Ziffer 2 mitverursachten) Mißverständnisses und ein früheres Eingreifen zur Kollisionsverhinderung dadurch erheblich erschwert wurde, daß die Schiffsführungen von TMS "R" und "E" sich nicht auf eine gebotene klare, kurze nautische Kommunikation (vgl. dazu auch § 4.05 RhSchPV i. V m. der Regionalen Vereinbarung über den Rheinfunkdienst, Abschnitt Verkehrskreis Schiff-Schiff/ abgedruckt in Weska 1994, A 768 ff, A 771) beschränkten, sondern unnötigerweise längere Zeit auf UKW-Kanal 10 miteinander "plauderten" (Aussage im Verklarungsverfahren: Zeuge T: "Es entspann sich ein längerer Dialog...."; Beklagter Ziffer 2: "R" hat von seinem guten Bugstrahl erzählt und wie schnell er im Hafen ist ; Streithelfer Ziffer 2: "Als ich mich mit "R" unterhalten habe, hat dieser dann noch erzählt, daß er mit dem Bugstrahlgerät gut hineinkäme. Vielleicht hat er durch sein Reden nicht mitbekommen, daß möglicherweise der Koppelverband ihn auch gerufen hat....", Zeuge P: "R" hat sich dann noch bedankt, so mit der Redewendung; Es gibt halt noch nette Kollegen....")
Die den Beklagten anzulastenden schuldhaften, unfallursächlich gewordenen Verstöße der Schiffsführung von SV "G" wiegen in der Geamtabwägung unter Berücksichtigung aller festgestellten Umstände des vorliegenden Falles im Ergebnis gegenüber dem erheblichen Mitverschulden der Schiffsführung von TMS "R" deutlich geringer, so daß die Klage - wie das Rheinschiffahrtsgericht im Ergebnis richtig erkannt hat - nur zu einem Drittel gerechtfertigt ist....."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1995 - Nr.12 (Sammlung Seite 1563 ff.), ZfB 1995, 1563 ff.