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Leitsatz:
Die Vorschrift des § 6.28 Nr. 8 Satz 2 BinnSchStrO, daß die Decksmannschaft vom Beginn der Einfahrt in die Schleusenkammer bis zur Ausfahrt vollzählig an Deck sein muß, ist auch dann erfüllt, wenn sich zur Besatzung gehörende Personen während dieser Zeit im Ruderhaus aufhalten.
Beschluß des Oberlandesgerichts – Schiffahrtsobergericht
in Karlsruhe vom 6. März 1979
Ss (B) 2/78 BSch (Schiffahrtsgericht Mannheim)
Zum Sachverhalt:
Während der in einer Neckarschleuse erfolgten Schleusung eines Motorschiffes, dessen Besatzung aus dem Betroffenen als Schiffsführer, 1 Matrosen und der als Schiffsjunge mitfahrenden Ehefrau des Betroffenen bestand, hielt sich die Ehefrau von Beginn der Einfahrt in die Schleuse bis zur Wiederausfahrt im Ruderhaus des Fahrzeugs auf. Das Schifffahrtsgericht hatte den Betroffenen darauf wegen fahrlässigen Verstoßes gegen § 2.28 Nr. 8 Satz 2 BinnSchStrO zu einer Geldbuße von DM 30,- verurteilt. Entgegen der genannten Vorschrift habe sich die Decksmannschaft während des Schleusens nicht vollzählig an Deck befunden, denn das Ruderhaus rechne nicht zum Deck.
Der nach § 80 Abs. 1 OWiG zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und zur Fortbildung des Rechts zugelassenen Rechtsbeschwerde hat das Schiffahrtsobergericht stattgegeben und den Betroffenen unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils freigesprochen.
Aus den Gründen:
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Nach dem vom Schiffahrtsgericht festgestellten Sachverhalt war die Decksmannschaft vollzählig an Deck, während sich das Schiff in der Schleusenkammer befand.
a) Das Schiffahrtsgericht hat in seiner Entscheidung nicht klargestellt, ob es dem Betroffenen nur vorwirft, daß dessen als Schiffsjunge mitgefahrene Ehefrau, oder auch, daß er selbst sich bei der Schleusung nicht auf dem Verdeck des Schifffskörpers aufhielt. Das letztere würde voraussetzen, daß der Schiffsführer zur Decksmannschaft zu rechnen wäre, wie dies offenbar der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 4. 3. 1963 (ZfB 1963, 289) in einem Fall angenommen hat, in dem der Schiffsführer sich zum Schleusenbüro an Land begeben hatte. Diese Ansicht begegnet Bedenken (vgl. auch Anm. zum Urteil des BGH aa0.) Die Frage kann jedoch im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, weil sich der Schiffsführer, ebenso wie seine Ehefrau als Schiffsjunge, im Ruderhaus befunden hatte.
b) Dem Rechtsbeschwerdeführer ist darin zuzustimmen, daß das Ruderhaus als Teil des Decks eines Binnenschiffs im Sinne von § 6.28 Nr. 8 Satz 2 BinSchStrO anzusehen ist. Deck eines Schiffs ist in erster Linie die oberste, von Seitenwand zu Seitenwand und und von vorn nach hinten durchlaufende Begrenzung des Schiffsrumpfs, das Ober- oder Hauptdeck (vgl. Meyers Lexikon der Technik und exakten Naturwissenschaften, 1. Band 1969, Stichwort „Deck"; Brockhaus Enzyklopädie, 4. Band 1968, Stichwort „Deck"; Eichler, Vom Bug zum Heck, Seemännisches Hand- und Wörterbuch, 4. Aufl. 1964, Stichwort „Deck"). Über dem Hauptdeck sind - je nach der Größe des Schiffs in verschiedener Art und Zahl - Aufbaudecks, die nicht über die ganze Länge des Schiffs reichen, angeordnet. Dazu gehört der Brückenaufbau, in dem es - gegebenenfalls neben anderen Teildecks - das Brückendeck mit der Navigationszentrale und dem Steuerstand gibt (vgl. Meyers Lexikon der Technik aaO). Diesem auch als Kommandobrücke oder Kommandobrückendeck bezeichneten Teil der Aufbaudecks entspricht auf den kleineren Binnenschiffen das Ruderhaus, in dem sich das Steuerrad, der Kompaß sowie alle zur Schiffsführung und zur Schiffsüberwachung notwendigen Geräte befinden (vgl. Meyers Lexikon der Technik, 3. Band 1970, Stichwort „Ruderhaus", Meyers Enzyklopädisches Lexikon, 20. Band 1977, Stichwort „Ruderhaus"). Frachtschiffe der Binnenschiffahrt haben regelmäßig nur das Hauptdeck, das das Schiffsgefäß nach oben abschließt, mit dem darüber angeordneten Ruderhaus. Was sich darunter befindet, ist unter Deck (vgl. Eichler aaO Stichwort „Decksmann, Deckspersonal"). Wer und was sich hingegen auf dem Hauptdeck oder einem Aufbaudeck befindet, ist an Deck oder auf Deck, mithin auch die Personen der Deckmannschaft, die sich in dem als Aufbaudeck zu beurteilenden Ruderhaus befinden.
c) Zu einer davon abweichenden Bestimmung des Begriffs Deck gibt auch der Zweck der Vorschrift des § 6.28 Abs. 8 Satz 2 BinSchStrO keinen Anlaß. Sie soll gewährleisten, daß innerhalb der Schleuse die entsprechend der vorgeschriebenen Bemannung vorhandenen Kräfte der Schiffsmannschaft voll zur Verfügung stehen, um das Fahrzeug auch ohne Maschinenkraft rechtzeitig anhalten zu können (§ 6.28 Nr. 8 Satz 1 BinSchStrO) und es zu sichern. Damit soll dem erhöhten Sicherheitsbedürfnis beim Schleusenbetrieb Rechnung getragen werden, indem die gesamte Mannschaft die erforderlichen Maßnahmen von Deck aus überblicken kann, alle Mitglieder der Mannschaft jederzeit für Anweisungen des Schiffsführers unmittelbar erreichbar sind und in kürzester Zeit am Einsatzort sein können. Dies setzt zwar voraus, daß sie sich nicht unter Deck befinden, nicht aber auch, daß sie sich durchweg auf der Ebene des Hauptdecks aufhalten. Soweit sie nicht dort sein müssen, um einer gebotenen Verrichtung nachzukommen, haben sie vom Ruderhaus den besten Überblick und sind hier vom Schiffsführer ebenso leicht zu befehligen und können von hier aus ebenso schnell am Einsatzort sein, wie wenn sie sich an einer entfernteren Stelle auf dem Hauptdeck aufhielten.
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