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Leitsatz:
1) Derjenige, der lediglich die eigenverantwortlich gewollte und bewirkte Selbstgefährdung eines anderen veranlaßt, ermöglicht oder fördert, ist regelmäßig nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts strafbar, wenn sich das von diesem bewußt eingegangene Risiko verwirklicht.
2) Die Strafbarkeit des Täters beginnt jedoch dort, wo er kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfaßt als der sich selbst Gefährdende. Strafbar ist auch der Täter, der schuldhaft vorgibt, über überlegenes Sachwissen zu verfügen, wenn sich das Opfer erkennbar nur im Vertrauen auf die - unrichtige - Auskunft des Täters über das Vorhandensein einer Sicherungseinrichtung der Gefährdung aussetzt.
Urteil des Oberlandesgerichts – Schiffahrtsobergericht – Karlsruhe
vom 28.03.1996
– Ns 1/96 –
Gründe:
I.
Das Schiffahrtsgericht Mainz verurteilte den Angeklagten mit Urteil vom 30.10.1995 wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je DM 50,00.
Hiergegen legte der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 03.11.1995 zulässig Berufung ein. Sein Rechtsmittel, mit dem er Freispruch erstrebte, hat keinen Erfolg.
Die Hauptverhandlung vor dem Berufungsgericht hat im wesentlichen übereinstimmend mit den Feststellungen im angefochtenen Urteil folgenden Sachverhalt ergeben:
Der Angeklagte ist selbständiger Binnenschiffer und besitzt das Rheinschifferpatent von Basel bis ins Meer seit dem Jahre 1968. Er ist verheiratet. Seine Ehefrau ist ebenfalls Binnenschifferin. Die gemeinsamen Kinder sind 23 und 26 Jahre alt und berufstätig.
Der Angeklagte hat mit seiner Ehefrau eine Gesellschaft gegründet, der das Gütermotorschiff (GMS) "W " gehört. Das Schiff wurde im Jahre 1988 für 3,8 Millionen DM gekauft. Für Zinsen und Tilgung werden im Jahr 300.000,00 DM aufgebracht. Der Angeklagte und seine Ehefrau entnehmen ihren Einnahmen ca. DM 600,00 - 700,00 pro Monat für den Lebensunterhalt. Der Angeklagte und seine Ehefrau sind Eigentümer eines Einfamilienhauses, auf dem noch Schulden lasten, die monatlich abgetragen werden.
Der Angeklagte ist nicht vorbestraft.
Am 23. März 1993 fuhr GMS "W" den Rhein von G Richtung Ge zu Berg. GMS "W " ist ein im Jahre 1988 gebautes Containerschiff (85,96 Meter lang, 10,50 Meter breit, Tragfähigkeit 1932 Tonnen).
An Bord befanden sich der Angeklagte, der Schiffsführer D B, dessen Ehefrau A B, deren Sohn P B sowie die Schwester des Angeklagten H B.
Der Angeklagte und D B wechselten sich auf der gesamten Bergfahrt in der Schiffsführung ab.
Bereits am 22.03.1993 waren Probleme mit der Hydraulik des Steuerhauses aufgetreten. Das Steuerhaus kann auf einer hydraulisch betriebenen Säule um ca. 7 m nach oben oder unten gefahren werden, damit bei einer hohen Ladung mit Containern ausreichende Sicht für die Schiffsführung besteht. Nachdem der Angeklagte und D B feststellten, daß das Steuerhaus sich zwar herunterfahren, jedoch nicht zu voller Höhe hinauffahren ließ, wurde Hydrauliköl nachgefüllt. Daraufhin ließ sich zunächst das Führerhaus wieder vollständig anheben. Am 23.03. 1993 wurde festgestellt, daß der Hydraulikschlauch, der innerhalb der Standsäule des Steuerhauses verläuft, offensichtlich undicht war.
Der Angeklagte telefonierte sodann mit der Herstellerfirma der Hydraulik, der Firma V in H und erkundigte sich danach, wo ein neuer Druckschlauch schnellstmöglich beschafft werden könne. Der Angeklagte und D B beratschlagten im Steuerhaus, welche Maßnahmen in der Folgezeit zu treffen seien. Der Angeklagte schlug vor, daß während der Fahrt bereits der Druckschlauch von der Hydraulikanlage entfernt werden solle, damit bei Ankunft in M ein neuer Schlauch sofort montiert werden könne.
Auf mehrfaches Befragen des Schiffsführers D B, ob dabei denn nichts passieren könne, beruhigte der Angeklagte diesen mit dem Hinweis darauf, daß es an der Hydraulikanlage ein Sicherheitsventil gebe, das auf einen plötzlichen Druckverlust sofort anspreche, so daß das Steuerhaus höchstens 20 - 30 cm absinken würde und sodann automatisch zum Stillstand käme. Tatsächlich war jedoch ein solches Sicherheitsventil an der Hydraulikanlage nicht vorhanden.
Im Vertrauen auf die Versicherung des Angeklagten, daß nichts passieren könne, ging der Schiffsführer D B dann hinunter in den Maschinenraum, stieg in den unteren Teil der Tragsäule ein und löste den Hydraulikdruckschlauch von der Anlage, indem er mit einem Schraubenschlüssel die entsprechende Überwurfmutter losdrehte. Sofort spritzte ein Ölstrahl unter hohem Druck heraus und das Steuerhaus begann sich abzusenken. Die im Innern des Hubschachtes vorhandenen zusammenschiebbaren Leitern bohrten sich in den Unterleib des Schiffsführers, so daß um 11.29 Uhr sofort dessen Tod eintrat. Das Schiff befand sich zu dieser Zeit auf Fahrt ca. in Höhe von Rheinstrom-km.
Der Getötete hinterläßt eine Ehefrau und zwei erwachsene Kinder, die Nebenkläger.
II.
Diese Feststellungen beruhen auf den Bekundungen des Angeklagten sowie den insoweit übereinstimmenden Bekundungen der vor dem Senat vernommenen Zeugin H B und den im Einverständnis mit dem Angeklagten, dem Verteidiger und der Staatsanwaltschaft verlesenen Niederschriften über die Aussagen der Zeugen P B, H B und des Sachverständigen K vor dem Schiffahrtsgericht Mainz vom 30.10.1995.
Der Angeklagte hat den tatsächlichen Ablauf der Geschehnisse nicht bestritten. Er hat jedoch betont, daß er dem Getöteten keine Anweisungen gegeben habe. D B sei selbständiger Schiffsführer gewesen, der eigenverantwortlich und aus eigenem Antrieb gehandelt habe. Aus dem Arbeitsvertrag zwischen der Gesellschaft des Angeklagten und seiner Ehefrau mit D B ergebe sich, daß D B als verantwortlicher Setzschiffer eingesetzt worden sei. Zwischen dem Angeklagten und D B habe jedenfalls zum Zeitpunkt der Tat kein Über- und Unterordnungsverhältnis geherrscht.
Bei der Übernahme des Schiffes im Jahre 1988 habe der Angeklagte mit einem Verantwortlichen der Herstellerfirma V gesprochen. Damals sei ihm von dem Firmenvertreter erklärt worden, es sei ein Sicherheitsventil gegen die Gefahr eines Druckabfalles in der Hydraulikanlage eingebaut, das verhindere, daß das Steuerhaus in einem solchen Falle unkontrolliert völlig nach unten herunterfahre.
Nach den Bekundungen des Sachverständigen K steht allerdings fest, daß ein solches Sicherheitsventil in der gesamten Hydraulikanlage nicht vorhanden war. Vermutlich hat der Angeklagte bei Übernahme des Schiffes angesichts der Vielzahl der ihm bei dieser Gelegenheit zugekommenen Erklärungen Aussagen zum Teil mißverstanden oder mit anderen Sachverhalten verwechselt.
Entscheidend ist, daß D B sich auf die Angaben des Angeklagten verließ und ohne diese den Schlauch von der Hydraulikanlage nicht gelöst hätte, da ihm die entsprechende Gefahr bewußt war.
III.
Der Angeklagte hat somit durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, § 222 StGB.
Er hat, indem er D B gegenüber erklärte, er könne den Schlauch ruhig abmontieren, es könne nichts passieren, weil ein Sicherheitsventil das Absacken des Steuerhauses um mehr als 20 - 30 cm verhindere, die Sorgfalt außer acht gelassen, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet und fähig war.
Die Tat des Angeklagten bleibt nicht unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr oder eines von D B bewußt eingegangenen Risikos straflos. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat ebenso wie andere Obergerichte folgt, ist derjenige, der lediglich die eigenverantwortlich gewollte und bewirkte Selbstgefährdung eines anderen veranlaßt, ermöglicht oder fördert, regelmäßig nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts strafbar, wenn sich das von diesem bewußt eingegangene Risiko verwirklicht (BGHSt 32, 262; vgl. ferner BGH NStZ 1984, 452; BGH NJW 1989, 781, 785; BayObLG JR 1990, 474; BGH JR 1993, 418, 419; BayObLG MedR 1995, 329; Pfälz. OLG Zweibrücken MedR 1995, 331, 332).
Die Strafbarkeit des Täters beginnt jedoch dort, wo er kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfaßt als der sich selbst Gefährdende (BGH NStZ 1987, 406; NJW 1989, 781, 785). Strafbar ist auch der Täter, der schuldhaft vorgibt, über überlegenes Sachwissen zu verfügen, wenn sich das Opfer erkennbar nur im Vertrauen auf die - unrichtige - Auskunft des Täters über das Vorhandensein einer Sicherungseinrichtung der Gefährdung aussetzt.
Die Verantwortlichkeit des Angeklagten ergibt sich aus seiner Stellung als Eigner der gefährlichen Sache und seinem falschen, für die tödliche Folge ursächlichen Hinweis, daß die Reparatur wegen des Sicherheitsventils durchgeführt werden könne, ohne daß das Führerhaus abgesenkt werde, wozu das Anlegen des Schiffes notwendig gewesen wäre. Die Unrichtigkeit seiner Fehleinschätzung hätte der Angeklagte als Eigner der gefährlichen Sache erkennen können und müssen. Bevor er den Hinweis gab, hätte er wegen der erkannten hohen Gefährlichkeit der auszuführenden Arbeiten in dem fernmündlichen Gespräch, das er mit einem Verantwortlichen der Herstellerfirma geführt hat, durch eine entsprechende Rückfrage überprüfen müssen, ob seine Annahme zutrifft. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, daß er auf die Rückfrage nicht über die Unrichtigkeit seiner Fehleinschätzung belehrt worden wäre. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten für den Tod des Schiffsführers ergibt sich sonach aus seiner Stellung als Eigner der gefährlichen Sache und den daraus abgeleiteten, von ihm selbst vorgegebenen überlegenen Sachwissen, auf das der Getötete seinerseits als Arbeitnehmer vertrauen durfte. Dies gilt um so mehr, als der Angeklagte das Schiff im Jahre 1988 selbst hatte bauen lassen und zumindest die ersten 1,5 - 2 Jahre auch selbst führte, während der Getötete zwar ebenfalls ein erfahrener Schiffsführer war, auf dem Schiff des Angeklagten aber erst seit ca. drei Monaten tätig war.
Der Angeklagte hätte den Unfall ohne weiteres vermeiden können, wenn er dafür gesorgt hätte, daß das Schiff bei nächster Gelegenheit anlegt, um dann das Steuerhaus herunterzufahren und die Demontage des Hydraulikschlauches gefahrlos durchzuführen.
Unter Berücksichtigung aller Einzelumstände der Tat, insbesondere des Umstandes, daß auch dem Getöteten eine gewisse Gefährlichkeit der von ihm in Angriff genommenen Reparatur bewußt war, erachtete der Senat - ebenso wie das Schiffahrtsgericht - eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen für angemessen. Bei der Strafzumessung war auch zu berücksichtigen, daß der Angeklagte nicht vorbestraft ist. Zu seinen Gunsten spricht ferner, daß durch die Herstellerfirma ein gefahrerhöhendes Moment dadurch geschaffen wurde, daß gebotene Warnschilder an der Hydraulikanlage nicht angebracht wurden. Bei den Einkommensverhältnissen des Angeklagten ist auch die vom Schifffahrtsgericht festgesetzte Tagessatzhöhe von DM 50,00 angemessen.
Aus diesen Gründen war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 473 Absatz 1 StPO zu verwerfen.