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Leitsätze:
1) Grundsätzliche Ausführungen zur Frage der Verkehrssicherungspflicht.
2) Die Verkehrssicherungspflicht bei Häfen ist verletzt, wenn ein Liegeplatz vor einer Schleuse freigegeben wird, auf den die bei einer Schleusenspülung entstehende Strömung so scharf auftrifft, dass die Gefahr des Kenterns eines dort festgemachten Fischkutters besteht, gleichgültig, ob die Spülung zur Schlickbeseitigung im Interesse der Erhaltung der Verkehrssicherheit oder im Zusammenhang mit Bauarbeiten an der Schleuse erfolgt, deren unsachgemäße Ausführung allein Ansprüche auf Amtshaftung begründen würde.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 28. Februar 1966
(Landgericht Flensburg - Oberlandesgericht Schleswig)
Zum Tatbestand:
Die beklagte Bundesrepublik hat auf Grund einer Vereinbarung zwischen dem Land Schleswig-Holstein und der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes aus dem Jahre 1948 den Betrieb, die Unterhaltung, den Ausbau und die Verwaltung des landeseigenen Husumer Hafens übernommen. Die Bediensteten des Hafens sind Angestellte und Beamte der Bundesrepublik. Eines Tages wurde die Schleuse zur Durchführung einer durch Anschläge vorher angekündigten Schleusenspülung zwecks Beseitigung von Schlick in der alten Schleuse geschlossen. Als der Schleusenmeister die beiden Ebbtore und das im Umlauf befindliche Rollschütz der neuen Schleuse bei einem im Hafen um 2,30 m höheren Wasserstand öffnete, traf das aus dem Umlauf mit starkem Druck herausströmende Wasser u. a. auf den bei der Klägerin versicherten Fischkutter „H", der zwischen 2 Dalben vor der Schleuse festgemacht hatte, dann aber infolge des Wasserschwalls kenterte und sank. Die Klägerin, der der geschädigte Eigner alle Schadensersatzansprüche abgetreten hat, verlangt wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht die Erstattung der restlichen Schadenskosten, nachdem die Beklagte einen Teil ersetzt hatte. Bei der viel zu starken Spülung hätten bessere Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden müssen; insbesondere habe es an ordnungsmäßigem Festmacheplätzen gefehlt. Die Beklagte bestreitet jegliches Verschulden und meint, dass es sich nicht um die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht, sondern höchstens um Amtspflichtverletzungen beim Schleusenbetrieb und Hafenausbau handele. Im Umfang des Versicherungsschutzes habe der Geschädigte teilweise eine anderweitige Ersatzmöglichkeit gehabt. Der restliche Anspruch sei durch Zahlung erledigt. Das Landgericht hat der Klage unter Bejahung der Amtshaftung nur zu einem geringen Teil stattgegeben, sie im Übrigen abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen, deren Revision jedoch zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung führte.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Die Verkehrssicherungspflicht beruht darauf, dass von dem Verkehrsweg durch Zulassung eines öffentlichen Verkehrs Gefahren ausgehen oder ausgehen können. Wer einen Verkehr eröffnet, der Gefahren mit sich bringen kann, muss diejenigen Maßnahmen und Vorkehrungen treffen, die zur Abwendung der möglichen Gefahren notwendig sind. Die Verkehrssicherungspflicht umfasst allerdings lediglich die Pflicht zur Aufrechterhaltung eines verkehrssicheren Zustandes des Verkehrsweges
selbst oder die Haftung für Gefahren, die von dem öffentlichen Weg und seinem Zustand ausgehen. Der Pflichtige muh die Verkehrsteilnehmer vor den vom Verkehrsweg ausgehenden, bei seiner zweckgerechten Benutzung drohenden Gefahren schützen. Diese Haftung für eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht an öffentlichen Verkehrswegen wird nur nach privatrechtlichen Gründen abgewickelt und behandelt, obwohl der Ursprung der Haftung mit dem öffentlichen Recht verquickt ist. Denn die Sorge für Schaffung und Unterhaltung ausreichender Verkehrswege zu Lande und zu Wasser gehört zur staatlichen Daseinsvorsorge und zur schlichten Hoheitsverwaltung.
Diese Grundsätze gelten entsprechend für öffentliche Wasserstraßen. Auch hier haftet der Pflichtige für eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nach privatrechtlichen Grundsätzen (BGHZ 9, 373; 20, 57). Allerdings ist der Umfang der Verkehrssicherungspflicht hier anders zu fassen, weil Wasserstraßen keinen festen Straßenkörper haben. Anstelle des Straßenkörpers wird das Wasser benutzt.
Die Verkehrssicherungspflicht bei Wasserstraßen geht dahin, das Fahrwasser für die zugelassene Schifffahrt stets in der erforderlichen Tiefe und Breite sowie frei von natürlichen oder künstlichen Hindernissen zu halten, auch ausreichend zu kennzeichnen. Der Pflichtige muss gerade bei Wasserstraßen den ständigen natürlichen Veränderungen für den Bereich der Fahrrinne entgegentreten. Bei Häfen muss er dafür Sorge fragen, dass der dem Verkehr freigegebene Hafen sich in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis genügenden Zustand befindet und eine möglichst gefahrlose Benutzung gestattet (BGHZ 21, 57; 37; 69; BGH Warn 1963 Nr. 91). Wasserstraßen und Häfen haben vielfach Schleusen, um den Folgen wechselnden Wasserstandes oder starker Strömung entgegenzuwirken und trotzdem eine gefahrlose Benutzung des Wasserweges zu ermöglichen sowie gegebenenfalls eine Beschädigung der Ufer zu verhindern. Die Schleusen sollen also nicht nur die Wasserstraße vor Schäden bewahren, sondern auch Gefahren beseitigen, die der Schifffahrt ohne die Schleusen auf diesem dem Verkehr freigegebenen Wasserweg aus seinem Zustand drohen würden. Deshalb ist der Betrieb einer Schleuse regelmäßig Teil der Verkehrssicherung und nicht ein Teil der (hoheitlichen) Verkehrsregelung. Das hat der Senat bei einer Neckarschleuse bereits ausgeführt (BGHZ 20, 57). Er hält daran fest. Der II. Zivilsenat hat sogar das Einschleppen eines Kahns in Schleusenkammern durch einen von der Kanalverwaltung gestellten Wagen als Teil der Verkehrssicherung gewertet, weil bei einer vorgeschriebenen Schleppvorrichtung die ordnungsmäßige Durchführung des Schleppens zur Verkehrssicherung zu rechnen sei (BGH, Urt. v. 22. Oktober 1959 -II ZR 54/58 = VersR 1959, 991).
Für Schleusen eines Nordseehafens zum Ausgleich der Gezeiten muss dasselbe gelten. Sie sollen eine gleichmäßige und gefahrlose Benutzung des für die Schifffahrt freigegebenen Hafens ermöglichen. Ihr Betrieb gehört zur Verkehrssicherung, während der Bau, die Ausbesserung und die Erweiterung einer Schleusenanlage allerdings wieder der schlicht-hoheitlichen Betätigung der Hafenbehörden zuzurechnen sind.
Der Unfall hat gezeigt, dass die Anlegestelle unmittelbar vor dem Ausfluss des Umlaufs während der Zeit einer scharfen Schleusenspülung zum Festmachen für kleinere Kutter ungeeignet war. Für sie bestand bei dem Zusammentreffen bestimmter Umstände die Gefahr des Kenterns. Damit hatte der Pflichtige ein Hafengebiet zum Verkehr freigegeben, das zu gewissen Zeiten bei bestimmten Betriebsvorgängen der Schleuse die Schifffahrt nicht sicherte, sondern schwer gefährdete. Darin lag eine Verletzung der Verkehrssicherungspflichten; der Pflichtige hätte entweder diese Hafenteile zeitweise sperren oder mindestens die Schiffer nachhaltig vor den Gefahren warnen müssen. Das ist eine privatrechtlich zu behandelnde Verletzung der Verkehrssicherungspflicht für die vor der Schleuse liegenden Hafenfeile ohne Rücksicht darauf, aus welchen Gründen im Einzelfall sich dieser Gefahrenzustand schädigend auswirkte, ob also die Schleusenspülung Teil hoheitlicher Baumaßnahmen oder Gegenstand einer privatrechtlichen Schleusenreinigung war. Bei einer Aufteilung der verschiedenen Funktionen unter mehreren Körperschaften obliegt nach der Rechtsprechung die Verkehrssicherungspflicht demjenigen Verband, der die Befugnisse zur Verwaltung, also zur tatsächlichen und rechtlichen Einwirkung auf den Zustand des Verkehrsweges hat, weil er allein kraft des Rechts und der Pflicht zur Verwaltung imstande ist, den Gefahren zu begegnen, die aus einem ordnungswidrigen Zustand des Verkehrsweges entstehen. Das ist für Landstraßen einhellig anerkannt (BGHZ 9, 373; 14, 83; 16, 95; 24, 124; 27, 124; BGH Warn 1964 Nr. 97). Es gilt entsprechend für Wasserstraßen. Im vorliegenden Fall hat der Rechtsvorgänger der Beklagten nach der Vereinbarung von 1948 auch die tatsächliche Unterhaltung und Verwaltung übernommen, so dass die Beklagte damit Träger der Verkehrssicherungspflicht geworden ist."