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Leitsatz:
Wird ein Schiff durch die nautisch falsche Fahrweise eines anderen Fahrzeugs zu harten Ruder- und Maschinenmanövern veranlaßt und krängt es dadurch mit der Folge, dass seine hohe Decklast verrutscht und zum Kentern des Schiffes führt, so besteht zwischen diesem Ereignis und der nautisch falschen Fahrweise des anderen Fahrzeugs ein adäquater Zusammenhang.
Bundesgerichtshof
Urteil
vom 7. Juni 1973
Zum Tatbestand:
Das bei der Klägerin versicherte MS T fuhr auf dem Rhein etwa Strommitte beladen zu Tal. Bei Oberspay drehte es über Backbord auf, um am linken Ufer zu übernachten. Dabei krängte das Schiff, das zum Teil mit Decklast beladen war, nach Steuerbord, richtete sich nicht wieder auf, schlug voll Wasser, kenterte und blieb kieloben liegen.
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten, dem Eigner und Schiffsführer des MS M, zu 1/4 Ersatz der erstatteten Unfallschäden mit der Begründung, daß MS M in einem Abstand von nur 1 Meter am Heck des aufdrehenden MS T vorbeigefahren sei und dieses Schiff dadurch zu harten Manövern genötigt habe, die zu einem Verrutschen der Decklast und zum Kentern des MS T geführt hätten.
Der Beklagte hält entgegen, dass MS T nicht zügig aufgedreht und die hohe Decklast ein Aufrichten des während des Aufdrehens nach Steuerbord krängenden Fahrzeugs verhindert habe.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Rheinschiffahrtsobergericht hat ihr dem Grunde nach zu 1/4 stattgegeben. Die Revision des Beklagten blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Wieso das Berufungsgericht die „Anforderungen an das Verhalten eines nachfolgenden Schiffes im Zusammenhang mit einem Aufdrehmanöver des vorausfahrenden Schiffes" überspannt haben soll, hat die Revision nicht näher dargelegt, ist auch nicht ersichtlich. Wie der Vorschrift des § 46 Nr. 3 RheinSchPolVO 1954 zu entnehmen ist, hat die durchgehende Schiffahrt, sofern dies nötig ist und ihre eigene Sicherheit nicht gefährdet, das Wenden zu Berg (Aufdrehen) vom Zeitpunkt seiner Ankündigung an durch Ruder- oder Maschinenmanöver zu unterstützen, damit das Aufdrehen ohne Gefahr geschehen kann (vgl. auch § 6.13 Nr. 1-3 RheinSchPolVO 1970 und BGH, Urt. v. 5. Oktober 1964 - II ZR 84/63 - VersR 1964, 1169). Das geschieht nicht, wenn ein dem Aufdrehenden nachfolgendes Fahrzeug seinen Kurs oder die Geschwindigkeit so wählt, dass es sich dem Aufdrehenden bis auf einen geringen Abstand nähert oder in einem solchen Abstand an dessen Heck vorbeifährt. Denn damit setzt das nachfolgende Fahrzeüg den Aufdrehenden der Gefahr einer Kollision aus. Daß es hier so lag, konnte das Berufungsgericht ohne Rechtsverstoß der Angabe des Beklagten vor der Wasserschutzpolizei entnehmen, der Abstand zwischen dem Achterschiff des MS T und dem Vorschiff des leicht nach Steuerbord versetzten MS M habe etwa 1 m betragen, als MS T mit dem Drehen angefangen habe. Es war deshalb auch nicht so, wie die Revision entgegen dieser Angabe vorträgt, dass die Annäherung der beiden Fahrzeuge bis auf 1 m eine Folge der Unterbrechung des Wendemanövers des MS T gewesen sei. Daher vermag auch alles, was die Revision aus diesem Vortrag zu Gunsten des Beklagten herleitet, diesen nicht zu entlasten.
Das Berufungsgericht hat im Gegensatz zu dem Rheinschiffahrtsgericht die Frage bejaht, ob das nautisch fehlerhafte Verhalten des Beklagten für das Kentern des MS T adäquat ursächlich war.
Die Erwägungen des angefochtenen Urteils darüber, wann ein Ereignis in einem adäquaten Zusammenhang mit einem bestimmten Erfolg steht, entsprechen in ihren wesentlichen Punkten der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGHZ 3, 261, 266; 57, 137, 141) und lassen keinen Rechtsfehler erkennen. Insoweit hat auch die Revision keine Bedenken geltend gemacht.
Die Revision kann nicht bezweifeln, dass eine zu dichte Annäherung eines Fahrzeugs an einen aufdrehenden Talfahrer diesen erfahrungsgemäß zu spontanen Maßnahmen zur Vermeidung einer Kollision veranlassen kann. Sie meint jedoch, hier sei zu beachten, dass die „zu dichte Annäherung" des MS M erst eingetreten sei, als das „spontane Rudermanöver" des MS T bereits vollzogen gewesen sei. Das ist nicht richtig.
Es bedarf keiner Erörterung, ob es, wie die Revision ausführt, technisch unmöglich ist, ein Binnenschiff allein durch extreme Ruder- und Maschinenmanöver zum Kentern zu bringen. Darum geht es hier nicht. Denn der Streitfall ist durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass MS T mit einer hohen Decklast fuhr. Es liegt aber nicht außerhalb jeder Erfahrung, dass eine solche Last, insbesondere wenn sie, was erfahrungsgemäß vorkommen kann, falsch gestaut ist, bei einer stärkeren Krängung des Schiffes verrutschen und sodann zu dessen Kentern führen kann. Wird daher ein Schiff durch die nautisch falsche Fahrweise eines anderen Fahrzeugs zu Ruder- und Maschinenmanövern veranlaßt, die eine stärkere seitliche Neigung des Schiffes bewirken und gerät nunmehr seine hohe Decklast ins Rutschen, so besteht zwischen diesem Ereignis (sowie zwischen einem dadurch bedingten Kentern des Schiffes) und der fehlerhaften Fahrweise des anderen Fahrzeugs ein adäqater Zusammenhang.
Es ist richtig, dass die auf MS T zur Vermeidung einer Kollision mit MS M vorgenommenen Ruder- und Maschinenmanöver nur zu einer Krängung des Fahrzeugs von 10 Grad geführt haben und dass das Schiff bei dieser seitlichen Neigung allein nicht gekentert wäre. Es trifft weiter zu, dass das Wasser das Maschinenraumsüll erst bei einer Neigung des MS T von 21 Grad und den Tennebaum erst bei einer solchen von 29 Grad überspielen konnte. Daraus folgt entgegen der Ansicht der Revision jedoch nicht, dass das Kentern des Fahrzeugs ein ganz außergewöhnliches Ereignis gewesen wäre und kein adäquater Zusammenhang zwischen der nautisch falschen Fahrweise des Beklagten, den dadurch veranlaßten harten Ruder- und Maschinenmanövern des MS T, dem Verrutschen seiner Decklast und dem nachfolgenden Kentern bestanden hätte.