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II ZR 95/68 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Decision Date: 10.05.1971
File Reference: II ZR 95/68
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Department: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

Zur Pflicht des Anhangschiffers, den Schleppzugführer auf eine gefährliche Lage des Anhangs aufmerksam zu machen.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 10. Mai 1971

II ZR 95/68

(Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort, Schifffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Der Schleppzug S fuhr, bestehend aus dem der Beklagten zu 1 gehörenden, vom Beklagten zu 2 geführten gleichnamigen Boot sowie dem auf erster Länge schleppenden, der Beklagten zu 3 gehörenden, vom Beklagten zu 4 geführten Tankkahn E und dem auf zweiter Länge schleppenden, der Klägerin gehörenden Kahn D, beide Anhänge an kurzen Kreuzdrähten und zwischen ihnen ein Schorbaum, auf dem Main zu Tal. In der weiten Rechtskurve bei km 277,290 geriet E in Steuerbordschräglage und kam beim Durchfahren der rechten, für die Talfahrt vorgesehenen Öffnung der Straßenbrücke Segnitz-Marktbreit mit der Backbordseite des Hecks gegen den linken Pfeiler der Offnung. Darauf rissen die Drähte zu SK D, brach der Schorbaum und stieß D mit dem Kopf gegen den Pfeiler.

Die Klägerin nimmt für den dabei an D erlittenen Schaden von ca. 25 000 hfl. als Gesamtschuldner die Beklagten zu 1 bis 4 in Anspruch. Der Beklagte zu 4 als Schiffsführer des Tankkahnes E habe durch falsche Ruderbedienung den Schleppzug im Hang gehalten und auch den Schleppzugführer nicht auf die gefährliche Schräglage seines Kahnes hingewiesen.
Die Beklagten zu 3 und 4 behaupten, daß das Boot mit den Anhängen zunächst zu weit im Hang gefahren sei und erst kurz vor der Brücke Kurs auf die Mitte der rechten Brückenöffnung genommen habe.
Die Vorinstanzen haben die Klageansprüche dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Gewiß gehört es zu den Pflichten eines Schleppzugführers, auf schwierigen Fahrtstrecken seine Anhänge laufend zu beobachten, Kursfehlern der Anhänge durch Weisungen oder sonstige Maßnahmen zu begegnen (BGH VersR 1969, 749; 1970, 567) und ihnen bei anderweiten Schwierigkeiten, sofern möglich, zu helfen. Auf eine Erfüllung dieser Pflichten durch den Schleppzugführer können die Anhangschiffer regelmäßig auch vertrauen. Das schließt jedoch nicht aus, daß die Anhangschiffer den Schleppzugführer auf solche Situationen ihrer Fahrzeuge aufmerksam machen müssen, die eine sichere Reise des Schleppzuges gefährden. Die gegenteilige Auffassung der Revision übersieht, daß die Anhangschiffer nach § 2 Nr. 4 Abs. 2 Satz 2, § 4 BinSchStrO 1954 (jetzt: § 1.02 Nr. 5 Abs. 2 Satz 2, § 1.04 BinSchStrO 1971) gehalten sind, ihrerseits alle Maßnahmen zu treffen, die für eine sichere Reise des Schleppzuges erforderlich sind (vgl. Wassermeyer, Der Kollisionsprozeß 3. Aufl. S. 285/286). Zu diesen Maßnahmen kann auch die Wahrschau des Schleppzugführers über die gefährliche Lage eines Anhangs gehören. Das wird beispielsweise der Fall sein, wenn Zweifel an einer ordnungsmäßigen Beobachtung der Anhänge durch den Schleppzugführer bestehen und deshalb damit zu rechnen ist, daß er die gefährliche Lage eines Anhangs nicht oder nicht rechtzeitig bemerkt, oder wenn in Betracht zu ziehen ist, daß der Schleppzugführer auch bei gehöriger Beobachtung die gefährliche Lage eines Anhangs nicht sofort erkennen kann.

Hieraus ergibt sich, daß das Berufungsgericht zu Recht den Beklagten zu 4 zur Wahrschau des Bootes für verpflichtet gehalten hat. Der TSK war mindestens 400 m oberhalb der Brücke in Steuerbordschräglage geraten. Er mußte bei der raschen Annäherung des Schleppzuges an die Brücke (Geschwindigkeit nach dem Vortrag der Beklagten: 14 bis 15 km/st) alsbald aufgestreckt werden, wenn die Brückenöffnung sicher durchfahren werden sollte. Da das Boot hierzu - unstreitig - keine Weisung gab, ferner nichts unternahm, um ein Aufstrecken des TSK E durch eine Kursänderung zu unterstützen, mußte der Beklagte zu 4 während der weiteren Annäherung an die Brücke damit rechnen, daß die Führung des Bootes entweder unaufmerksam war oder die Schwierigkeiten beim Aufstrecken des an sich gut zu steuernden TSK nicht sofort erkennen konnte. Deshalb mußte e r das Boot auf diese Schwierigkeiten aufmerksam machen und gegebenenfalls dessen Unterstützung zum Rufstrecken des Kahnes verlangen, anstatt, wie es im angefochtenen Urteil zutreffend heißt, „sehenden Auges in eine gefährliche Situation hineinzufahren".

Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, das pflichtwidrige Unterlassen des Beklagten zu 4 sei für die Anfahrung des Brückenpfeilers durch TSK E adäquat kausal gewesen. Bei den Berechnungen, welche die Revision zur Stützung ihrer gegenteiligen Auffassung vornimmt, übersieht sie das Vorbringen der Beklagten in den Vorinstanzen, wonach das Boot erst kurz vor der Brücke den Kurs nach Steuerbord gerichtet und TSK E den Brückenpfeiler nur leicht mit dem Heck gestreift hat. Danach liegt es auf der Hand, daß bereits ein etwas früheres Abziehen des TSK E durch das Boot genügt hätte, um die Anfahrung des Pfeilers zu verhindern.