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Leitsätze:
1) Hat sich die blaue Seitenflagge eines Bergfahrers etwa zu 2/3 um den Flaggenstock gewickelt, so weist er dem Talfahrer auch dann nicht den Weg zu einer Begegnung Steuerbord an Steuerbord, wenn er bei sichtigem Wetter daneben das weiße Blinklicht zeigt.
2) Ist die Weisung eines Bergfahrers, an seiner Steuerbordseite vorbeizufahren, infolge fehlerhafter Zeichengebung für den Talfahrer unverbindlich, so ist sein Verhalten auch nicht dahin zu verstehen, dass er von dem Talfahrer eine Backbordbegegnung fordert.
Bundesgerichtshof
Urteil
vom 28. Mai 1973
Zum Tatbestand:
Das beladene, bei der Klägerin versicherte MS „M 1" begegnete in der starken Linkskrümmung unterhalb der noch im Bau befindlichen Düsseldorfer Kniebrücke dem zu Berg kommenden, den Beklagten zu 1 gehörenden und vom Beklagten zu 2 geführten MS „F". Während der Vorbeifahrt kollidierte das Steuerbordhinterschiff des Talfahrers mit dem Steuerbordvorschiff des Bergfahrers. Der Talfahrer wurde erheblich beschädigt und auf Grund gesetzt.
Die Klägerin behauptet, dass sich auf MS „F" die blaue Seitenflagge um den Flaggenstock gewickelt habe und nicht für den Talfahrer auszumachen gewesen sei. Dieser habe deshalb Weisung zur Backbordbegegnung angenommen, die eigene blaue Seitenflagge eingezogen und den Kurs zum rechten Ufer gerichtet. Kurz darauf habe auch MS „F" Kurs zum rechten Ufer genommen. „M 1" habe zur Vermeidung des drohenden Zusammenstoßes vergeblich versucht, mit Backbordkurs an der Steuerbordseite des Bergfahrers vorbeizukommen.
Die Beklagten bestreiten nicht, dass sich die blaue Seitenflagge um den Flaggenstock von MS „F" geschlagen habe. Die Tatsache, dass MS "M 1" zunächst selbst die blaue Flagge geführt und außerdem das weiße Blinklicht eingeschaltet habe, zeige aber, dass man die Weisung des Bergfahrers zur Steuerbordbegegnung erkannt habe. Jedenfalls sei dies möglich gewesen. Die Manöver des Talfahrers seien deshalb falsch gewesen, zumal der Bergfahrer auf die Kursänderung des Talfahrers sofort mit dem Schallzeichen „2x kurz" reagiert habe.
Beide Vorinstanzen haben den Anspruch auf Zahlung von über 30 000 hfl. und den Antrag auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz allen weiteren Schadens für gerechtfertigt erklärt. Auf die Revision wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweiten Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
Nach § 38 Nr. 3a RheinSchPoiVO 1954 müssen Bergfahrer, die Talfahrer an Steuerbord vorbeifahren lassen, bei Tag rechtzeitig nach Steuerbord eine hellblaue Flagge am äußeren Ende des Flaggenstockes zeigen. Die Flagge muss, wie sich aus § 21 Nr. 1 RheinSchPolVO 1954 ergibt, rechteckig sowie mindestens 1 m hoch und 1 m breit sein. Da diese Mindestabmessungen die gute Erkennbarkeit der Flagge sicherstellen sollen, muss sie die vorgeschriebenen Mindestmaße aufweisen, wenn sie als Zeichen geführt wird. Hiervon ist die auf MS „F" gesetzte blaue Seitenflagge ganz wesentlich abgewichen, weil sie, wie das Berufungsgericht festgestellt hat, sich etwa zu 2/3 um den Flaggenstock gewickelt hatte.
Es ist deshalb davon auszugehen, dass die blaue Seitenflagge des Bergfahrers so, wie sie gezeigt worden ist, kein vorschriftsmäßiges Zeichen i. S. des § 38 Nr. 3a RheinSchPolVO 1954 war. Die Flagge war daher als Kursweisung für den Talfahrer unbeachtlich (BGHZ 54, 6 ff).
Nach § 38 Nr. 3b S. 1 RheinSchPolVO 1954 müssen Bergfahrer, die Talfahrer an Steuerbord vorbeifahren lassen, bei Nachtrechtzeitig an Steuerbord ein weißes gewöhnliches Blinklicht zeigen. Hingegen sieht die Rheinschifffahrtpolizeiverordnung 1954 - abgesehen von dem noch zu erörternden Sonderfall des unsichtigen Wetters - ein Zeigen des Blinklichts bei Tag nicht vor. Geschieht dies trotzdem, so kann dem Blinklicht aus den gleichen Gründen wie im Falle einer nicht vorschriftsmäßig geführten blauen Seitenflagge (BGH a.a.O.) keine kursweisende Bedeutung zukommen, und zwar auch dann nicht, wenn es neben einer ordnungsgemäß gesetzten blauen Seitenflagge gezeigt wird. Nun besteht allerdings bei den Schiffern vielfach die Übung, bei schlechten Lichtverhältnissen, wie beispielsweise in der Dämmerung, das weiße Blinklicht einzuschalten, um die mit der blauen Seitenflagge gegebene Kursweisung zu verdeutlichen. Ob das zulässig, insbesondere mit der Vorschrift des § 25 RheinSchPolVO 1954 („Es ist verboten, andere als die in dieser Polizeiverordnung vorgesehenen Zeichen und Lichter zu gebrauchen oder sie unter anderen als denjenigen Umständen zu benutzen, für die sie vorgeschrieben oder zugelassen sind") zu vereinbaren ist, bedarf hier keiner weiteren Erörterung, weil MS „F" die blaue Seitenflagge nicht ordnungsgemäß geführt hat und damit eine - durch das Blinklicht zu verdeutlichende - Weisung des MS „F" für eine Steuerbordbegegnung überhaupt nicht vorlag.
Der Revision kann nicht gefolgt werden, wenn sie meint, dem weißen Blinklicht des MS „F" sei zumindest nach der Vorschrift des § 80 Nr. 1 Abs. 3 RheinSchPolVO 1954 kursweisende Bedeutung beizumessen gewesen. Die Vorschrift bestimmt, dass bei unsichtigem Wetter erforderlichenfalls die Lichter wie bei Nacht geführt werden müssen. Ihre Anwendung setzt mithin unsichtiges Wetter voraus. Darunter ist nicht, wie sich aus dem Zusammenhang der §§ 80-82 RheinSchPolVO 1954 ergibt, jede witterungsbedingte Sichtbehinderung zu verstehen. Vielmehr umfasst der Begriff des unsichtigen Wetters nur solche Sichtbeschränkungen, welche die Schiffer im Interesse der Sicherheit des eigenen und der fremden Fahrzeuge sowie der Einrichtungen der Wasserstraße zwingen, die Geschwindigkeit der Sicht anzupassen (§ 80 Nr. 1 Abs. 1 S. 1), einen Ausguck aufzustellen (§ 80 Nr. 1 Abs. 2), die Nachtlichter zur besseren Kennzeichnung des eigenen Fahrzeugs und zur besseren Erkennbarkeit der für bestimmte Weisungen oder Manöver vorgeschriebenen Sichtzeichen zu führen (§ 80 Nr. 1 Abs. 3) oder bestimmte Schallzeichen zu geben (§§ 81, 82). Dass derartige Maßnahmen hier - bei einer trotz diesigen Wetters unstreitig vorhandenen Sichtweite von etwa 900 m geboten waren, hat das Berufungsgericht nicht festzustellen vermocht.
Nach der im Urteil des Senats vom 20. April 1970 - II ZR 34/68 (BGHZ 54, 6 ff) *) vertretenen Auffassung ist in einem Fall, in dem der Bergfahrer einem Talfahrer ein der Vorschrift des § 38 Nr. 3 RheinSchPolVO 1954 nicht entsprechendes Zeichen zeigt und damit dem Talfahrer wegen der Unbeachtlichkeit eines derartigen Zeichens keine verbindliche Weisung für eine Steuerbordbegegnung erteilt, das Verhalten des Bergfahrers so zu verstehen, als ob er dem Talfahrer kein Zeichen gegeben habe, dieser mithin - gemäß § 38 Nr. 2 RheinSchPolVO 1954 - an der Backbordseite des Bergfahrers vorbeifahren solle. Gegen diese Auffassung hat Wassermeyer (Der Kollisionsprozess in der Binnenschifffahrt, 4. Aufl. S. 192) Bedenken geäußert. Er meint, aus einer Zeichengebung, die § 38 Nr. 3 RheinSchPolVO 1954 nicht entspreche, folge noch nicht, dass damit einem Talfahrer der Weg zu einer Backbordbegegnung gewiesen werde. Das Zeigen eines mit § 38 Nr. 3 RheinSchPolVO 1954 nicht übereinstimmenden Zeichens sei deshalb dahin zu beurteilen, dass weder eine Weisung nach dieser Vorschrift noch nach § 38 Nr. 2 RheinSchPolVO 1954 erteilt werde, somit ein Verstoß des Bergfahrers gegen die ihm nach § 38 Nr. 1 RheinSchPolVO 1954 obliegende Kursweisungspflicht gegeben sei.
Dieser Ansicht ist zuzustimmen. Sie ermöglicht es einerseits dem Bergfahrer, seine fehlerhafte Kursweisung zu korrigieren, und zwingt andererseits den Talfahrer nicht, in einer für ihn wegen der fehlerhaften Zeichengebung des Bergfahrers oftmals noch unklaren Lage bereits den Weg zu einer Backbordbegegnung einzuschlagen. Darüber hinaus trägt sie in besonderem Maße dem Gedanken Rechnung, dass die Unklarheiten, die durch eine nicht der Vorschrift des § 38 Nr. 3 RheinSchPolVO 1954 entsprechende Zeichengebung entstehen können, grundsätzlich zu Lasten des Bergfahrers gehen müssen, weil er die Verantwortung für eine ordnungsgemäße Weisung des Begegnungskurses trägt. Das wäre möglicherweise nicht stets der Fall, wenn man es bei der Umdeutung einer wegen ihrer Fehlerhaftigkeit unbeachtlichen Kursweisung nach § 38 Nr. 3 RheinSchPolVO 1954 in eine solche nach § 38 Nr. 2 beließe, und könnte zu einer nicht zu billigenden Verschiebung der Verantwortungsbereiche des Bergfahrers und des Talfahrers zu Lasten des letzteren führen. Demnach hat der Beklagte zu 2 MS „M 1" keine (ordnungsgemäße) Kursweisung für die bevorstehende Begegnung erteilt. Das gereicht ihm zum Vorwurf. Daran kann schon wegen der jedem Schiffer geläufigen besonderen Bedeutung, die der Kursweisungspflicht des Bergfahrers für die Sicherheit des Schiffsverkehrs zukommt, kein Zweifel bestehen. Auch entlastet es den Beklagten zu 2 nicht, dass sich die blaue Seitenflagge des MS „F" durch Windeinwirkung um den Flaggenstock geschlagen hatte. Zutreffend hat das Berufungsgericht zu diesem Punkt ausgeführt, es gehöre zu den Pflichten des Schiffsführers dafür zu sorgen, dass die blaue Seitenflagge stets in der vorgeschriebenen Höhe und Breite sichtbar sei. Das lässt sich auch jederzeit ohne große Mühe bewerkstelligen.
Das Berufungsgericht hat jedes unfallursächliche Mitverschulden der Führung des MS „M 1" an der Kollision verneint.
Mit Erfolg rügt die Revision, dass sich das Berufungsgericht - zumindest nicht hinreichend - mit der Frage befasst hat, ob die Führung des MS „M 1" nicht wenigstens bei Wegnahme der eigenen blauen Seitenflagge (oder sogar zuvor) die teilweise um den Flaggenstock gewickelte blaue Seitenflagge des Bergfahrers oder dessen Blinklicht und damit die unklare, gefährliche Lage hat erkennen können. Zwar hat das Berufungsgericht, allerdings in einem anderen Zusammenhang, ausgeführt, es sei wegen der Sichtverhältnisse zur Unfallzeit „eine nur knapp zu einem Drittel ausgerollte Flagge schwerlich rechtzeitig" zu sehen und ein Blinklicht „nur auf eine kurze Entfernung" auszumachen gewesen. Damit hat es aber nicht genügend die Frage erörtert, auf welche Entfernung der Talfahrer die fehlerhafte Zeichengebung des Bergfahrers hat erkennen können.