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Leitsatz:
Wenn ein Gericht die Zustellung einer Klageschrift an einen inländischen vollmachtlosen Vertreter der im Ausland ansässigen beklagten Partei anordnet, kann die Zustellung nicht nach § 187 Satz 1 ZPO als bewirkt angesehen werden, weil die beklagte Partei die Klageschrift tatsächlich erhalten hat.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 24. Februar 1972
II ZR 7/71
(Landgericht Hamburg; Oberlandesgericht Hamburg)
Zum Tatbestand:
Auf Antrag der Klägerin, die als Versicherin die Beklagte auf Schadenersatz in Anspruch nimmt, ordnete das Landgericht die Zustellung der Klageschrift an die als „hiesige Vertretung" der Beklagten bezeichnete Handelsvertretung der UdSSR in Köln an. Diese sandte die ihr am 5. 5. 1966 zugestellte Klageschrift mit der Ladung zum 31. 5. 1966 an die Beklagte, bei der sie im Laufe des Monats Mai eintraf. Die Klägerin veranlaßte nach Vertagung des Termins die erneute Ladung der Beklagten zu Händen der Handelsvertretung zum 22. 11. 1966. Das in diesem Termin ergangene Versäumnisurteil ließ die Klägerin am 12. 12. 1966 an die Handelsvertretung und am 22. 2. 1967 durch Aufgabe zur Post an den Sitz der Beklagten in Odessa zustellen.
Das Landgericht hat den am 10. 3. 1967 von der Beklagten eingelegten Einspruch durch Zwischenurteil für zulässig erklärt, wies dann jedoch die Klage als unzulässig ab, weil die Zuständigkeit einer ausländischen Gerichtsbarkeit vereinbart worden sei.
Das Berufungsgericht hat das landgerichtliche Urteil aufgehoben und den Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil als unzulässig verworfen. Auf die Revision der Beklagten wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Berufungsgericht hat das klageabweisende Urteil des Landgerichts aufgehoben und das Versäumnisurteil wiederhergestellt, weil die Beklagte hiergegen nicht fristgerecht Einspruch eingelegt habe. Es könne zwar, so hat es ausgeführt, zugunsten der Beklagten unterstellt werden, daß die Handelsvertretung keine Zustellungsvollmacht besessen und die an sie gerichtete Zustellung die Einspruchsfrist nicht in Lauf gesetzt habe. Rechtswirksam gewesen sei aber die Zustellung durch Aufgabe zur Post (§§ 174, 175 ZPO). Die damit am 22. Februar 1967 angelaufene zweiwöchige Frist habe die Beklagte mit dem erst am 10. März 1967 eingelegten Einspruch nicht gewahrt.
Die hiergegen erhobenen Bedenken der Revision sind im Ergebnis begründet.
Die Zustellung zu Aufgabe zur Post ist nur zulässig, wenn die betroffene Partei keinen Zustellungsbevollmächtigten benannt hat, obgleich sie dazu gemäß § 174 Abs. 2 ZPO verpflichtet war (§ 175 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Eine solche Verpflichtung hat aber auch die im Ausland wohnende Partei erst nach Rechtshängigkeit, also nach rechtswirksamer Zustellung der Klageschrift (§§ 263 Abs. 1, 253 Abs. 1 ZPO); denn erst dann besteht ein Prozeßrechtsverhältnis, das eine Prozeßförderungspflicht, wie sie in § 174 Abs. 2 ZPO bestimmt ist, begründen kann (Stein/Jonas/ Pohle, ZPO 19. Aufl. § 174 Anm. II 3; Wieczorek, ZPO § 174 Anm. A la).
Das Berufungsgericht hat weder diese Voraussetzungen verkannt noch übersehen, daß es hier an der rechtswirksamen Zustellung der Klageschrift fehlte; denn auch diese war nur an die Handelsvertretung gerichtet, und die Handelsvertretung war, wie unterstellt von der Beklagten zur Entgegennahme nicht bevollmächtigt. Das Berufungsgericht hat jedoch gemeint, auf eine wirksame formelle Zustellung komme es nicht an; weil die Klageschrift mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung der Beklagten über die Handelsvertretung im Mai 1966 in Odessa zugegangen sei, könne die Zustellung nach § 187 Satz 1 ZPO in diesem Zeitpunkt als bewirkt angesehen werden. Das entspricht zwar verschiedenen ohne besondere Begründung gegebenen Hinweisen im Schrifttum (Stein/Jonas/Pohle aaO, § 187 Anm. II 3h und § 199 Anm. 1 und VII; Wieczorek aaO § 187 Anm. A Ib; Riezier, Internationales Zivilprozeßrecht 2. Aufl. S. 689), wonach § 187 Satz 1 ZPO auch bei Zustellungen im Ausland gelten soll. Dieser Auffassung kann jedoch nicht gefolgt werden. § 187 Satz 1 ZPO ist jedenfalls in einem Fall, wie er hier vorliegt, gegenüber einer im Ausland wohnhaften Partei nicht anwendbar.
Die formelle Zustellung einer Klageschrift ist ein Staatshoheitsakt, der für die betroffene Partei Rechte und Pflichten begründet und nach allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen außerhalb des eigenen Staatsgebiets nicht wirksam vollzogen werden kann, sofern das nicht durch besondere zwischenstaatliche Vereinbarung zugelassen ist. Dementsprechend bestimmt § 199 ZPO, daß im Ausland nur „mittels Ersuchens der zuständigen Behörde des fremden Staates oder des in diesem Staate residierenden Konsuls oder Gesandten des Bundes" zugestellt werden kann. Im Jahre 1966 hätten daher die zu übermittelnden Schriftstücke in der Sowjetunion auf Ersuchen der deutschen diplomatischen Vertretung in der UdSSR zugestellt werden müssen (jetzt aufgrund des Haager Zivilprozeßabkommens vom 1. März 1954, das seit dem 26. Juli 1967 im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der UdSSR gilt - BGBI. II S. 2046 und ZRHO, Stichwort „Sowjetunion" -), um rechtswirksam ein Prozeßrechtsverhältnis zur Beklagten herzustellen. Diese Regelungen können nicht dadurch überspielt werden, daß einem formlosen Zugang diejenigen Rechtswirkungen zu Lasten der ausländischen Partei beigelegt werden, die im Wege einer nicht dem § 199 ZPO entsprechenden formellen Zustellung nicht hätten herbeigeführt werden können. Soll eine Klageschrift einem Inländer zugestellt werden, so können unbedenklich Mängel im Zustellungsverfahren unberücksichtigt bleiben, wenn der Beklagte das zu übermittelnde Schriftstück tatsächlich erhalten hat, weil ein Prozeßrechtsverhältnis mit ihm durch eine formal mangelfreie, im übrigen aber zum gleichen tatsächlichen Ergebnis führende Zustellung der Klageschrift hätte begründet werden können. Das ist anders, wenn der im Ausland ansässige Prozeßbeteiligte die Klageschrift von einem vollmachtlosen Vertreter erhält, dem sie nach den Vorschriften für inländische Zustellungen übermittelt worden ist.
Danach ist der Annahme des Berufungsgerichtes, die Streitsache sei rechtshängig und die Zustellung durch Aufgabe zur Post gemäß §§ 174, 175 ZPO zulässig gewesen, der Boden entzogen. Soweit das Berufungsgericht hilfsweise gemeint hat, die Beklagte habe unabhängig von § 174 Abs. 2 ZPO wegen der besonderen Umstände des Falles nach Treu und Glauben einen inländischen Prozeßbevollmächtigten bestellen oder jedenfalls die Klägerin von der mangelnden Zustellungsvollmacht der Handelsvertretung unterrichten müssen, beruhen seine Ausführungen ebenfalls auf der Ansicht, zwischen den Parteien habe ein Prozeßrechtsverhältnis bestanden, das solche Pflichten ausgelöst habe. Da das nicht der Fall ist, kann auch aus diesem Gesichtspunkt die Befugnis der Klägerin zur Zustellung nach § 175 Abs. 1 ZPO nicht hergeleitet werden.