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Leitsätze:
1) Der Frachtführer kann sich in allgemeinen Geschäftsbedingungen von der (anfänglichen) Fahr- oder Ladungsuntüchtigkeit des von ihm zu stellenden Schiffes auch nicht für den Fall wirksam freizeichnen, daß der Mangel lediglich auf einem leichten Verschulden seiner Leute beruht.
2) Zur Frage der Anwendung von Fracht- oder Lagerrecht, wenn eine Ladung aus einem Seeschiff in eine Schute zu übernehmen und diese erst auf Abruf beim Ladungsempfänger zum Löschen vorzulegen ist.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 25. Juni 1973
II ZR 72/71
(Landgericht Hamburg; Oberlandesgericht Hamburg)
Zum Tatbestand:
Die Beklagte erhielt von der Fa. E., deren Rechtsvorgängerin gegenüber sie die Verpflichtung zur Durchführung von Ewerführereitransporten im Hamburger Hafen übernommen hatte, den Auftrag, rd. 1177 t Sojabohnen aus MS „A" je nach Abruf zum Verarbeitungswerk zu befördern. Von dieser Ladung wurden 300 t am 4. 6. 1968 in die Schute der Beklagten übernommen. Nach Abruf der Schute, die inzwischen auf der Wachstation der Beklagten im Spreehafen gelegen hatte, ergab sich beim Löschen am 18. 9. 1968, daß ein Teil der Sojabohnen durch Nässeeinwirkung verdorben war.
Die Klägerin verlangt aus abgetretenem Recht von der Beklagten u.a. Schadensersatz von ca. 43000,- DM, weil die Schute von Anfang ladungsuntüchtig gewesen sei. Eine unter dem Stoß zwischen den beiden mittleren Schutendeckeln angebrachte Regenablaufrinne sei durch verkrustete Rückstände von Futtermitteln und Getreideresten verstopft gewesen, so daß durch den Stoß eindringendes Wasser nicht habe abgeleitet werden können, sondern in den Laderaum gelangt sei.
Die Beklagte behauptet, daß die Ablaufrinne erst während der Liegezeit der Schute im Spreehafen verstopft sei. Im Falle eines Verschuldens ihrer Leute sei sie nach Nr. 19 der „Allgemeinen Bedingungen der Hafenfrachtschiffahrt betreibenden Firmen des Hamburger Hafens" (ABH) freigezeichnet. Diese Bedingungen seien nach einem Vertrag vom 31. 3. 1959 auf sämtliche Ewerführerei-Transporte für die Fa. E. anzuwenden.
Beide Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Auf die Revision wurde die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils zur anderweiten Entscheidung zurückverwiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Schaden, um dessen Ersatz es hier geht, ist zwischen der Übernahme der 300 t Sojabohnen in die Schute der Beklagten und deren Ablieferung an die Ladungsempfängerin entstanden. Zutreffend hat deshalb das Berufungsgericht den Klageanspruch nach den Vorschriften über die Beförderung von Gütern auf Binnengewässern (§§ 26 ff BinnSchG) und nach den Bestimmungen über die Haftung des Schiffseigners für die Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht durch den Schiffer (§§ 7, 8 i.V.m. §§ 3, 4, 114, 131 BinnSchG) geprüft. Wenn demgegenüber die Revision meint, hier seien die Bestimmungen über das Lagergeschäft (§§ 416 ff HGB) - und damit anstelle der „Allgemeinen Bedingungen der Hafenfrachtschiffahrt betreibenden Firmen des Hamburger Hafens" die „Hamburger Lagerungsbedingungen" - heranzuziehen, so ist ihr nicht zu folgen:
Zwar mag es zutreffen, daß die Durchnässung eines Teiles der Sojabohnen nicht beim Transport von Seeschiff zum Spreehafen oder von dort zum Verarbeitungswerk der Fa. E. erfolgt ist, sondern während des Liegens der Schute auf der Wachstation der Beklagten. Allein nach dem Ort der Beschädigung der Ladung läßt sich nicht beurteilen, welche rechtlichen Beziehungen zwischen der Beklagten und der Fa. E. hinsichtlich des hier zu erörternden Transportes bestanden haben. Des weiteren gibt der Vortrag der Parteien in den Vorinstanzen nichts dafür her, daß die Schute von der Fa. E. „primär nicht als Transportmittel, sondern in mindestens gleichem Umfange als Lagerraum angemietet" worden sei.
Deshalb ist davon auszugehen, daß bei dem Einsatz der Schute die Transportleistung der Beklagten im Vordergrund gestanden und die Aufbewahrung der Ladung bis zum Abruf der Schute zum Löschen durch die Ladungsempfängerin lediglich eine mit der Transportleistung verbundene Nebenpflicht dargestellt hat. In einem solchen Falle finden aber grundsätzlich auf das ganze Geschäft die Vorschriften über die Beförderung von Gütern auf Binnengewässern Anwendung (vgl. auch Ratz in RGR Komm. z. HGB Anm. 3 zu § 416 sowie Schlegelberger/Schröder, 4. Aufl. Anm. 2 u. 7 zu § 416 HGB) und damit ferner die Bestimmungen über die Haftung des Schiffseigners für die Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht durch den Schiffer.
Nach § 58 Abs. 1 BinnSchG haftet der Frachtführer für den Schaden, welcher seit der Entgegennahme bis zur Ablieferung durch Verlust oder Beschädigung des Frachtgutes entstanden ist, sofern er nicht beweist, daß der Verlust oder die Beschädigung durch Umstände herbeigeführt ist, welche durch die Sorgfalt eines ordentlichen Frachtführers nicht abgewendet werden konnten. Ein Verschulden seiner Leute hat er im gleichen Umfange zu vertreten wie eigenes Verschulden (§ 26 BinnSchG, § 431 HGB). Seine Haftung entfällt jedoch, soweit er sich wirksam freigezeichnet hat. Das ist auch in allgemeinen Geschäftsbedingungen möglich, sofern die Freizeichnung mit den Grundsätzen von Treu und Glauben im Einklang steht. Letzteres ist zu verneinen für den Haftungsausschluß wegen (anfänglicher) Fahr- oder Ladungsuntüchtigkeit des von dem Frachtführer zu stellenden Schiffes (BGHZ 46, 356, 363), und zwar entgegen der Ansicht der Revision auch dann, wenn der Mangel nur auf einem leichten Verschulden seiner Leute beruht. Allerdings ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes anerkannt, daß sich ein Unternehmer von der Haftung für ein Verschulden seiner nicht leitenden Angestellten und Arbeiter in allgemeinen Geschäftsbedingungen wirksam freizeichnen kann, wenn die sich den Bedingungen Unterwerfenden sich gegen Schäden versicherungsmäßig abdecken können und dies normalerweise - wie beim Transport von Gütern auf Binnengewässern - auch tun (BGHZ 33, 216 ff; BGH VersR 1965, 973, 974, Urt. v. 5. Juli 1965 - II ZR 35/63/ Anm. d. Redaktion: s. auch ZfB 1965, Seite 459; BGH LM Nr. 26 zu Allg. Geschäftsbedingungen, Urt. v. 22. Mai 1968 - VIII ZR 133/66). Darüber hinaus wird eine formularmäßige Freizeichnung des Unternehmers hinsichtlich des konkreten Personalrisikos regelmäßig zulässig sein, d. h. hinsichtlich der Haftung für Nachlässigkeiten und Versehen, wie sie bei Arbeitern
oder Angestellten auch eines ordnungsgemäß geleiteten und beaufsichtigten Betriebes nicht auszuschließen sind (vgl. u. a. Schmidt/Salzer, Allgemeine Geschäftsbedingungen, 1971 S. 119). Beide Gesichtspunkte können jedoch nicht dazu führen, den Haftungsausschluß für die Fahr- oder Ladungsuntüchtigkeit des Schiffes in allgemeinen Geschäftsbedingungen als wirksam anzusehen, auch soweit als der Mangel lediglich auf einem leichten Verschulden der Leute des Frachtführers beruht. Denn hier geht es nicht, wie im Falle (nachträglicher) fehlender Ladungsfürsorge, um die Freizeichnung von Nachlässigkeiten oder Versehen, welche nach Übernahme der Ladung in ein zu ihrer Beförderung taugliches Schiff, insbesondere während der Reise, stets eintreten können und mit denen die Ladungsbeteiligten auch rechnen. Vielmehr handelt es sich um den Haftungsausschluß für von Anfang an bestehende Mängel, die eine ordnungsgemäße Erfüllung des Frachtvertrages von vornherein ausschließen und deren Nichtvorhandensein jeder Auftraggeber als selbstverständlich ansieht. Die Freizeichnung von Verpflichtungen, deren Beachtung überhaupt erst die Voraussetzungen für die Erfüllung des Frachtvertrages schafft, verstößt aber grundsätzlich gegen Treu und Glauben (vgl. BGH LM Nr. 1 zu § 138 (Cc) BGB, Urt. v. 13. März 1956 - II ZR 123/54).
Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt demnach davon ab, ob die Beschädigung eines Teils der Sojabohnen, wie die Klägerin behauptet, auf einer (anfänglichen) erkennbaren Ladungsuntüchtigkeit der Schute beruht oder ob sie, worauf letztlich der Vortrag der Beklagte hinausläuft, durch eine (nachträgliche) mangelhafte Ladungsfürsorge seitens ihrer Leute herbeigeführt ist. Hierzu hat das Berufungsgericht, wie eingangs dargelegt, ausgeführt, die Regenablaufrinne unter dem Stoß der beiden mittleren Schutendeckel sei bereits bei Antritt der Reise verstopft und die Schute deshalb ladungsuntüchtig gewesen. Hiergegen wendet sich die Revision erfolgreich mit Verfahrensrügen (wird ausgeführt).
Die vorstehend aufgezeigten Verfahrensfehler nötigen zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht. Mit Rücksicht auf die erneute Verhandlung erscheint der Hinweis angebracht, daß es Sache der Beklagten ist, die Voraussetzungen für eine wirksame Freizeichnung nach § 19 ABH, somit das Nichtvorliegen einer (anfänglichen) Ladungsuntüchtigkeit der Schute zu beweisen, da Freizeichnungen von der Haftung nach § 58 BinnSchG eine Ausnahme von der in dieser Vorschrift festgelegten Entlastungspflicht des Frachtführers darstellen (BGH LM Nr. 30 zu Allg. Geschäftsbedingungen, Urt. v. 13. März 1969 - II ZR 58/67). (Anm. d. Redaktion: s. auch ZfB 1969, Seite 265.)