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Leitsatz:
Zur Verpflichtung eines Radarfahrers, bei Gefahrenlage gemäß § 6.32 Nr. 4 RheinSchPV 1983 die vorgeschriebenen Maßnahmen zu treffen, u. a. das Dreitonzeichen zu geben.
Urteil des Bundesgerichtshofs
vom 23. Januar 1989
II ZR 64/88
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort, Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Anfang Januar 1985 begegneten sich bei Rhein-km 810,5 das zu Berg fahrende beladene MTS „Corelja" der Klägerin und der leer zu Tal kommende, von der Beklagten zu 1 ausgerüstete, vom Beklagten zu 2 geführte Koppelverband, bestehend aus MTS „Gefo Karlsruhe" und dem backbords gekuppelten Tankleichter „Gefo Tank 3". Der Bergfährer und der Tankleichter gerieten mit ihren Backbordseiten gegeneinander und erlitten Schäden. Beide Schiffsführer fuhren wegen des unsichtigen Wetters (Nebel und Schnelltreiben) mit Radar, wobei der Schiffsführer des MTS „Corelja" nicht das Radarschifferzeugnis besaß.
Die Klägerin verlangt unter Berücksichtigung eines hälftigen Mitverschuldens ihres Schiffsführers Ersatz der Hälfte ihres mit insgesamt rd. 363000,— DM angegebenen Schadens. Der Beklagte zu 2 habe den Koppelverband entgegen der erteilten Kursweisung und der für den Unfallbereich vorgeschriebenen „geregelten Begegnung" nicht rechtsrheinisch gesteurt, sondern sei nach linksrheinisch in den Kurs des dort nahe den Kribben zu Berg fahrenden MTS „Corelja" geraten, habe ferner weder das Dreitonzeichen oder ein anderes Zeichen gegeben noch die Durchsagen des Bergfahrers über Sprechfunk erwidert.
Die Beklagten tragen vor, daß das Schiff der Klägerin entgegen einer Absprache mit deren Schiffsführer über eine Backbordbegegnung bei einem Längsabstand von 150 m zu dem Koppelverband plötzlich einen Hauer zum rechten Ufer gemacht habe und es dadurch in Strommitte zum Zusammenstoß gekommen sei.
Rheinschiffahrts- und Rheinschiffahrtsobergericht haben die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin wurde die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils an das Berufungsgericht zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. (Die gleiche Entscheidung erging im Parallelprozeß, in welchem die obige Beklagte zu 1 die Hälfte ihres Schadens von ca. 50000,— DM geltend macht — II ZR 63/ 88 —)
Aus den Entscheidungsgründen:
„1. Das Rheinschiffahrtsobergericht hat die Klage abgewiesen, weil ein Verschulden des Beklagten zu 2 an der Kollision zu verneinen sei. Nach dem Beweisergebnis sei MTS „Corelja" zunächt linksrheinisch gefahren, während sich der Koppelverband im rechtsrheinischen Fahrwasser gehalten habe. Bei diesen Kursen hätten für eine normale Begegnung keinerlei Probleme bestanden. Das habe sich geändert, weil der Bergfahrer — mindestens noch etwa 350 m unterhalb des Koppelverbands — einen Hauer nach Backbord gemacht habe. Hierauf habe der Beklagte zu 2 richtigerweise mit einer Warnung über Sprechfunk (Kanal 10) reagiert. Hingegen habe er kein Schallsignal zu geben brauchen, weil „der Bergfahrer Kanal 10 eingeschaltet und zuvor noch benutzt hatte". Infolgedessen könne offen bleiben, ob ein solches Signal überhaupt noch erfolgversprechend gewesen wäre. Der Zusammenstoß habe sich im Bereich der Strommitte ereignet. Dort sei MTS „Corelja" mit Backbordkurs in den Koppelverband hineingefahren.
2. Diese Ausführungen tragen schon aus folgendem Grunde nicht die Abweisung der Klage durch das Rheinschiffahrtsobergericht.
§6.32 Nr. 4 RheinSchPV 1983 bestimmt:
„Sobald ein Fahrzeug in der Radarfahrt zu Tal auf dem Radarbildschirm Fahrzeuge bemerkt, deren . .. Kurs eine Gefahrenlage verursachen kann, . .muß es a) das Dreitonzeichen nach §4.06 Buchst. c geben, ... b) seine Geschwindigkeit vermindern und, falls nötig, Bug zu Tal anhalten ..."
Hier ist durch die Kursänderung des Bergfahrers in Richtung rechtes Ufer eine Gefahrenlage entstanden. Deshalb hätte der Beklagte zu 2 unverzüglich das vorgeschriebene Dreitonzeichen geben müssen. Daraus hätte sich für den Bergfahrer, der wegen des fehlenden Radarschifferzeugnisses seines Schiffsführers wie ein Nichtradarfahrer zu behandeln ist (vgl. BGHZ 61, 235, 2371), Senatsurt. v. 13. Januar 1986 — II ZR 77/852), VersR 1986, 546), die Pflicht ergeben, in der Nähe des linken Ufers zu bleiben oder dorthin zurückzukehren (§6.34 RheinSchPV 1983). Entgegen der Ansicht des Rheinschiffahrtsobergerichts war die Abgabe des Dreitonzeichens seitens des Beklagten zu 2 nicht deshalb entbehrlich, weil er nach Bemerken der Backbordkursänderung des MTS „Corelja" auf dem Radarbildschirm über Sprechfunk (Kanal 10) gefragt hat, „was der Bergfahrer denn da mache?". Eine solche Frage allein beseitigt nicht die Pflicht, das vorgeschriebene Schallzeichen zu geben (vgl. auch § 4.02 Nr. 1 RheinSchPV 1983), zumal der Beklagte zu 2 von dem Bergfahrer keine Antwort erhielt und damit nicht einmal sicher sein konnte, daß dieser seine Frage empfangen sowie verstanden hatte und sie ihn zu einer sofortigen Steuerbordkursänderung veranlassen werde.
Danach hat das Rheinschiffahrtsobergericht zu Unrecht ein schuldhaftes Verhalten des Beklagten zu 2 verneint. Infolgedessen kommt es auf die von ihm offen gelassene — auf tatsächlichem Gebiet liegende — Frage an, ob die Kollision durch ein Dreitonzeichen des Koppelverbands verhindert worden oder zumindest ihre Folgen wesentlich geringer gewesen wären. Damit es diese nunmehr prüft, war die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
...“
Anmerkung d. Redaktion:
1) s. BGH-Urteil v. 20.9. 1973 — II ZR 31/72 - ZfB 1974,15
2) s. BGH-Urteil v. 13.1. 1986 — II ZR 77/85 — ZfB 1986, 131
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1989 - Nr.3 (Sammlung Seite 1258); ZfB 1989, 1258