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Leitsatz:
Eine ungünstige Wettervorhersage für einen späteren Abschnitt der geplanten Reise begründet keine anfängliche Fahruntüchtigkeit des Schiffes und steht daher einer Freizeichnung von der Haftung für einen Ladungsschaden nicht entgegen.
Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20.2.1995
II ZR 60/94
(Schiffahrtsobergericht Köln, Urteil vom 18.2.1994 - 3 U 105/93 - veröffentlicht in der ZfB 1994, Heft Nr. 20, S. 23, Sammlung Seite 1496)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin beauftragte als Absenderin und vorgesehene Empfängerin die Beklagte zu 1 mit dem Schiffstransport einer Ladung Kohle von Rotterdam nach Emden. Dem Beklagten zu 2 wurde als Eigner des Binnenschiffes MS „Freedom" die Durchführung des Transports übertragen. Er übernahm am 14. Februar 1992 die Ladung. Am folgenden Tag gelangte bei stürmischem Wind auf dem Ijsselmeer Wasser über die offenen Luken in den Laderaum und brachte MS „F" zum sinken.
Die Klägerin nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner auf Ersatz des an der Ladung entstandenen Schadens in Anspruch. Die Beklagten berufen sich auf die Haftungsausschlüsse in den Konnossementsbedingungen.
Das Schiffahrtsgericht hat der Klage dem Grunde nach stattgegeben. Die Berufungen der Beklagten hatten keinen Erfolg. Mit der Revision verfolgen sie das Ziel der Klageabweisung weiter. Damit hatten sie Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Die Revisionen sind begründet. Die Beklagten beanstanden zu Recht die Begründung, mit der das Berufungsgericht die in den Konnossementsbedingungen enthaltene Haftungsfreizeichnung für Sturmschäden für unanwendbar erklärt hat.
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, auf die Freizeichnung von ihrer Haftung nach §§ 3, 4 Abs. 2, § 7 Abs. 2, § 8 Abs. 2 und 4, § 58 BinSchG und § 823 Abs. 1 BGB könnten sich die Beklagten nach Treu und Glauben nicht berufen, weil das Schiff anfänglich fahruntüchtig gewesen sei. Das Schiff sei nicht fähig gewesen, die Gefahren der Reise bei den zum Zeitpunkt der Abfahrt in Rotterdam vorhergesagten Wetterbedingungen auf dem Ijsselmeer mit offenem Laderaum zu bestehen.
2. Dies ist im Ausgangspunkt richtig.
Nach ständiger Rechtsprechung kann die Haftung für Ladungsschäden infolge anfänglicher Fahruntüchtigkeit eines Schiffes nicht abbedungen werden (vgl. BGHZ 71, 167, 171; 65, 364, 367 m.w.N.).
Nicht gefolgt werden kann jedoch der Begründung, mit der das Berufungsgericht im vorliegenden Fall eine anfängliche Fahruntüchtigkeit bejaht hat.
Anfängliche Fahruntüchtigkeit liegt vor, wenn ein Schiff bereits bei Antritt der Reise nicht fähig ist, deren gewöhnliche Gefahren zu bestehen (Sen.Urt. v. 21. April 1975 - II ZR 164/73, LM § 8 BinSchG Nr. 3; v. 15. Oktober 1979 - II ZR 80/77, VersR 1980, 65 = LM § 8 BinSchG Nr. 4). Sie ist also, wovon das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen ist, nach den konkreten Umständen der geplanten Reise zu beurteilen (relative Fahruntüchtigkeit; vgl. Vortisch/Bemm, Binnenschiffahrtsrecht 4. Aufl. § 8 Rdn. 6; zur Seetüchtigkeit Prüßmann/Rabe, Seehandelsrecht 3. Aufl. § 559 Anm. B 1 a). Davon, welche Wetterbedingungen für einen bestimmten Teil des Reisewegs zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhergesagt sind, kann die Beurteilung der anfänglichen Fahruntüchtigkeit jedoch nicht abhängig gemacht werden.
MS „F" erreichte erst am Tag nach der Abfahrt in Rotterdam das ungeschützte Revier des Ijsselmeers, in dem ihm als offenem Binnenschiff besondere witterungsbedingte Gefahren drohten. Ob es diesen Bereich sicher würde befahren können, hing von den dann tatsächlich herrschenden Wind- und Seegangsverhältnissen ab. Eine Rückbeziehung der zu diesem Zeitpunkt möglicherweise gegebenen Fahruntüchtigkeit auf den Beginn der Reise ist auch dann nicht möglich, wenn damals bereits entsprechende Wettervorhersagen bestanden. Anderenfalls würde die Annahme einer anfänglichen Fahruntüchtigkeit von der Reisedauer und der Zuverlässigkeit des Wetterberichts abhängig gemacht. Nach der Rechtsprechung kann zwar auch eine sich erst im Verlauf der Reise auswirkende Gefahranfälligkeit des Schiffes als anfängliche Fahruntüchtigkeit angesehen werden. Voraussetzung hierfür ist jedoch, daß sie bereits bei Reisebeginn „im Keime" vorhanden war (Prüßmann/Rabe, aaO § 559 Anm. B 3 a aa). So war z. B. in dem durch Senatsurteil vom 15. Oktober 1979 (aaO) entschiedenen Fall das Schiff so tief abgeladen, daß in einem erst im weiteren Verlauf der Reise zu befahrenden Streckenabschnitt die Gefahr der Grundberührung bestand. Im Urteil vom 17. Januar 1974 (I ZR 172/72, VersR 1974, 483) hat der Senat die anfängliche Seeuntüchtigkeit eines in Hamburg gestarteten Seeschiffs, das mit ungesicherten Lukendeckeln die winterliche Ostsee befahren sollte, nicht daran scheitern lassen, daß der Mangel auf der Elbe und dem Nord-Ostsee-Kanal noch keine Gefahr begründete. Entscheidend sei vielmehr, daß das Schiff in dem genannten Zustand von vornherein nicht in der Lage war, allen Gefahren einer Winterreise über Teile der Ostsee erfolgreich zu begegnen. Dem konkreten Wetterbericht wurde dagegen bereits in dieser Entscheidung keine Bedeutung beigemessen.
Die Wetterlage kann sich jederzeit ändern. Der Führer eines Binnenschiffes ist nicht verpflichtet, den Antritt einer Reise zu unterlassen, weil für einen erst am nächsten Tag zu befahrenden Streckenabschnitt unsicheres Wetter vorhergesagt ist. Von ihm ist vielmehr nur zu erwarten, daß er sich fortlaufend über die Entwicklung informiert und ggf. rechtzeitig die Fahrt unterbricht. Kommt es wegen Nichtbeachtung dieser Anforderungen zu einer Havarie, so verwirklicht sich eine der allgemeinen Schifffahrtsgefahren (für die ein Haftungsausschluß zulässig ist) und nicht eine anfängliche Fahruntüchtigkeit (für die in jedem Fall gehaftet werden muß).
Im übrigen führt nach der Rechtsprechung selbst ein echter Sicherheitsmangel dann nicht zu anfänglicher Fahruntüchtigkeit, wenn anzunehmen ist, daß er im regelmäßigen Schiffsbetrieb noch vor Eintritt der Gefahr entdeckt und beseitigt wird (BGHZ 60, 39, 44; Sen.Urt. v. 17. Januar 1974, aaO; Prüßmann/Rabe, § 559 Anm B 3 c bb). Daß sich ein Binnenschiffer vor der Einfahrt in das Ijsselmeer über die dort zu erwartenden Wind- und Wetterbedingungen informiert, kann jedoch im allgemeinen erwartet werden. Daraus, daß der Beklagte zu 2 dies im vorliegenden Fall möglicherweise nicht in ausreichendem Maße getan oder die drohenden Gefahren falsch eingeschätzt hat, kann kein gegenteiliger Schluß gezogen werden. Entschei- dend ist entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht, ob von dem im konkreten Fall beklagten Schiffsführer eine Fahrtunterbrechung zu erwarten war, sondern ob dies im regelmäßigen Schiffsbetrieb der Fall gewesen wäre.
3. Das Berufungsgericht hätte demnach bei der Beurteilung der anfänglichen Fahrtüchtigkeit zwar berücksichtigen müssen, daß es sich vorliegend um eine Winterreise gehandelt hat und daß diese über das ungeschützte Revier des Ijsselmeeres führen sollte; auf den konkreten Wetterbericht am Tage des Reiseantritts durfte es aber nicht abstellen. die zu entscheidende Frage geht vielmehr dahin, ob MS „F" als offenes, in der gegebenen Art und Weise beladenes Binnenschiff imstande war, die bei einer derartigen Reise gewöhnlich drohenden Gefahren zu bestehen. Zu dieser Frage hat sich das Berufungsgericht - entgegen der in der mündlichen Verhandlung von der Revisionsbeklagten vertretenen Ansicht - auch nicht auf S. 6 des angefochtenen Urteils geäußert. Das Berufungsgericht hat dort nur dargelegt, daß den Beklagten zu 2 der Vorwurf eines nautischen Fehlverhaltens trifft, weil er mit bei den gegebenen Bedingungen zu geringem Freibord das Ijsselmeer befuhr.. Abgesehen davon, daß das Berufungsgericht diese Feststellung - wie die Revision zu Recht rügt - ohne Erhebung der von den Beklagten angebotenen Beweise und ohne Darlegung eigener Sachkunde getroffen hat, reichte sie zur Begründung einer Haftung der Beklagten ohnehin nicht aus. Die Fol- gen eines solchen Fehlverhaltens würden nämlich unter die vereinbarte Freizeichnung fallen. Nur wenn anfängliche Fahruntüchtigkeit des Schiffes vorlag, entfiel der Haftungsausschluß. Diese somit entscheidungserhebliche Frage hat das Berufungsgericht - wie dargelegt rechtsfehlerhaft - erörtert.
Die Beklagten tragen die Beweislast dafür, daß der Schaden nicht durch anfängliche Fahruntüchtigkeit verursacht wurde (BGHZ 71, 167, 172; Sen.Urt. v. 25. Juni 1973 - II ZR 72/71, VersR 1973, 1060, 1062). Sie haben hierzu Beweis, u. a. durch Sachverständigengutachten, angetreten. Zur Durchführung der Beweisaufnahme und weiteren Verhandlung ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1999 - Nr. 1 (Sammlung Seite 1720 f.); ZfB 1999, 1720 f.