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Leitsätze:
1) Die von einem Überholer ausgehende Druck- und Sogwirkung ist für das Verfallen eines Kahnes im Zusammenhang mit dem Überholvorgang nicht adäquat ursächlich, wenn diese Kräfte erfahrungsgemäß nicht geeignet sind, das Verfallen des Kahnes herbeizuführen.
2) Erfahrungsgemäß kann es bei einem Schleppzug, der durch das Überholmanöver eines anderen Fahrzeuges oder Schleppzuges in eine gefährliche Lage gebracht wird, zu nautischen Fehlern, z. B. Steuerfehlern der Anhänge oder zu nicht rechtzeitigem Abziehen der Kähne durch das Schleppboot, kommen. Diese Fehler sind in solchen Fällen nicht von rechtserheblicher Bedeutung.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 29. September 1969
(Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort / Rheinschifffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Der beladene, bei der Klägerin versicherte Kahn „M" fuhr mit Kahn „Heinrich" auf seiner Backbordseite im Schlepp des Bootes „R" zu Tal. Der Schleppzug wurde oberhalb der Weseler Straßenbrücke (km 813,85) auf seiner Steuerbordseite von dem Beladenen, den Beklagten gehörenden MS „U", das den leeren Kahn „Karl" im Anhang hatte, überholt. Kurz danach geriet Kahn „M" mit dem Steuerbordhinterschiff gegen einen Pfeiler der Weseler Straßenbrücke.
Die Klägerin verlangt Ersatz des erstatteten oder ihr abgetretenen Schadens von ca. DM 21 700,- mit der Behauptung, dass der „U"-Schleppzug das Überholmanöver erst innerhalb der schon bei km 813,20 beginnen- den Überholverbotsstrecke beendet und in so geringem Abstand und mit so großer Geschwindigkeit überholt habe, dass die Kähne des „R"-Schleppzuges aus dem Ruder gelaufen seien.
Die Beklagten meinen, dass der Unfall allein auf Fehler bei der Führung des „R"-Schleppzuges und beim Steuern des SK „M" zurückzuführen sei.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat der Klage stattgegeben, das Rheinschifffahrtsobergericht hat sie abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin ist das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zuranderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen worden.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Allerdings ist ihnen in ihrem rechtlichen Ausgangspunkt insoweit beizutreten, als das Berufungsgericht meint, die von einem Überholer ausgehende Druck und Sogwirkung sei für das Verfallen eines Kahnes im Zusammenhang mit dem Überholvorgang dann adäquat ursächlich, wenn diese Kräfte erfahrungsgemäß nicht geeignet seien, das Verfallen des Kahnes herbeizuführen. Hingegen rügt die Revision zu Recht, dass das Berufungsgericht bei der Begründung seiner Auffassung, im Streitfall habe die Führung des SK „M" der Druck- und Sogwirkung des „U"-Schleppzuges ohne weiteres durch Rudermanöver begegnen können, nicht alle wesentlichen Umstände gewürdigt hat. So hat es den - an anderer Stelle des angefochtenen Urteils zutreffend dargelegten -Gründen, die den Gesetzgeber ein Überholverbot für den Bereich der Unfallstelle aussprechen ließen und die Gefahr zeigen, die eine Überholung in diesem Bereich für den Überholten, insbesondere für seine Steuerfähigkeit, im allgemeinen mit sich bringt, keine Beachtung geschenkt. Ferner hat das Berufungsgericht nicht erwogen, dass zur Unfallzeit hoher Wasserstand vorlag und deshalb der Strom oberhalb der Straßenbrücke besonders stark in den Hang fiel. Schließlich hat es dem Umstand keine Bedeutung beigemessen, dass die beiden großen Anhangkähne des „R"-Schleppzuges und das MS „U" tief abgeladen waren.
Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das Berufungsgericht Gelegenheit haben, seine Auffassung zu folgenden Punkten - gegebenenfalls - zu überprüfen:
1. Das Berufungsgericht kann sich für die Auffassung, dass derjenige, der einem inhaltlich genau bestimmten Verbot zuwiderhandle, zu beweisen habe, dass seine Handlungsweise für einen im Zusammenhang mit der Zuwiderhandlung eingetretenen Schaden nicht ursächlich gewesen sei, nicht auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes berufen. Dieser hat sich in derartigen Fällen auf den Ausspruch beschränkt, dass ein Anscheinsbeweis zugunsten des Geschädigten streiten könne.
2. Das Berufungsgericht hat seine Feststellung, das Ruder des SK „M" sei von Beginn des Überholvorgangs an falsch bedient worden, in erster Linie auf die Aussage des Zeugen 1. gestützt. Die Würdigung der Bekundungen des J. kann aber auch zu einem anderen Ergebnis führen, wenn man in Betracht zieht, dass J. keine Angaben über die Ruderführung auf SK „M" für die Zeit der Annäherung des „U"-Schleppzugs und zu Beginn der Vorbeifahrt des MS „U" gemacht hat, sowie ferner, dass Druck und Sog der beiden Fahrzeuge des „U"-Schleppzuges infolge der auf der Talfahrt üblichen kurzen Strangverbindung in ihrer Wirkung sich überschneiden konnten und diesen Kräften deshalb möglicherweise anders als dem Druck und Sog eines einzelnen Fahrzeugs zu begegnen war.
3. Nach dem Vorbringen der Klägerin in den Vorinstanzen verminderte SB „R" zunächst die Geschwindigkeit, um dem .,U"-Schleppzug Gelegenheit zu geben, das Überholmanöver vor der Brückendurchfahrt abzuschließen. Nach den weiteren Darlegungen der Klägerin begann SB „R" unmittelbar nach Beendigung der Vorbeifahrt des Anhangs von MS „U" mit voller Kraft die Köpfe seiner beiden Kähne backbord abzuziehen. War dem so, so kann dies zu einer anderen Beurteilung des Verhaltens der Führung des SB „R" führen, als sie das Berufungsgericht vorgenommen hat. Dies wird vor allem dann der Fall sein, wenn die Fahrweise des „U"-Schleppzuges eine gefährliche Lage für SB „R" und seine beiden Anhangkähne erst geschaffen und die Führung des Bootes in dieser Lage eine falsche Entscheidung getroffen hat.
4. Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen, SK „M" habe der von dem „U"-Schleppzug ausgehenden Druck- und Sogwirkung nicht ohne weiteres durch Rudermanöver begegnen können, so sind Steuerfehler auf SK „M" oder ein nicht rechtzeitiges Abziehen der Kähne durch SB „R" für die Frage eines adäquaten Ursachenzusammenhangs zwischen der Fahrweise des „U"-Schleppzugs und dem Unfall des SK „M" nicht von rechtserheblicher Bedeutung. Denn erfahrungsgemäß kann es zu derartigen Fehlern kommen, wenn ein Schleppzug durch das Überholmanöver eines anderen Fahrzeugs oder eines anderen Schleppzugs unter den im Streitfall gegebenen Umständen in eine gefährliche Lage gebracht wird."