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Leitsätze:
1) Zu der Pflicht eines selbständig tätigen Sprengmeisters, die Wasserschutzpolizei oder die Wasser- und Schiffahrtsverwaltung zu unterrichten, wenn Sprengstücke bei einer von ihm im Bereich einer Schiffahrtsstraße vorgenommenen Sprengung in das Fahrwasser gelangt sind oder sein können.
2) Übernimmt ein Unternehmen das Abtragen eines Brückenwiderlagers an einer Schiffahrtsstraße und ist es nicht ausgeschlossen, daß dabei Abbruchmaterial in das Fahrwasser geraten und dadurch den Schiffsverkehr gefährden kann, so muß es durch entsprechende Anweisungen an seine Beschäftigten sicherstellen, daß die Wasser- und Schiffahrtsverwaltung von einem solchen Vorfall unverzüglich Kenntnis erhält.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 10. Juli 1975
II ZR 47/74
(Schiffahrtsgericht Minden; Schiffahrtsobergericht Hamm)
Zum Tatbestand:
Im vorliegenden Rechtsstreit hatte die Klägerin als Eignerin des MS V außer der beklagten Bundesrepublik (Beklagte zu 1) auch den Sprengmeister (Beklagter zu 2) und dessen Auftraggeberin (Beklagte zu 3) auf Zahlung von etwa 212 000,- DM in Anspruch genommen. Die Beklagte zu 3 hatte ihrerseits als Subunternehmerin der Beklagten zu 4 die Aufgabe der Abtragung des Widerlagers übernommen.
Die Klägerin behauptet in dem nur gegen die Beklagten zu 2 und 3 gerichteten Revisionsverfahren, daß sie nicht die zuständigen Behörden unterrichtet hätten, daß bei der Sprengung am 10. Januar 1969 Betonbrocken in den Kanal geraten seien.
Der Beklagte zu 2 bestreitet, daß der Betonbrocken, auf den das Schiff der Klägerin aufgefahren sei, von der Sprengung herrühre. Nicht er, sondern die Beklagten zu 3 und 4 seien zur Meldung oder zu Sicherungsmaßnahmen verpflichtet gewesen. Außerdem sei die Beklagte zu 1 auch unterrichtet worden.
Die Beklagte zu 3 erhebt gleiche Einwendungen. Die Beklagte zu 1 sei aufgrund der ihr gegebenen Information zum Absuchen der Talsohle verpflichtet gewesen. Für ein etwaiges Fehlverhalten des Beklagten zu 2 habe sie nicht einzustehen, weil dieser stets zuverlässig gewesen sei.
Schiffahrts- und Schiffahrtsobergericht haben den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Revision der Beklagten zu 2 und 3 hatte Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, der Beklagte zu 2 sei nach der - aus dem Rahmen gefallenen - Sprengung vom 10. Januar 1969 verpflichtet gewesen, zumindest das Kanalneubauamt der Beklagten zu 1 in O. über diese zu unterrichten:
Nimmt, wie hier, ein selbständig tätiger Sprengmeister an einem Bauwerk in unmittelbarer Nähe einer Schiffahrtsstraße Sprengungen vor und muß er nach dem Verlauf einer Sprengung oder aufgrund sonstiger Umstände damit rechnen, daß einzelne Sprengstücke in das Fahrwasser gelangt sein und dort die Schiffahrt gefährden können, so ist er wegen der durch sein Verhalten möglicherweise geschaffenen Gefahrenlage gehalten, hiervon unverzüglich die Wasserschutzpolizei oder die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung zu benachrichtigen, damit diese alsbald die zum Schutz des Verkehrs erforderlichen Maßnahmen treffen können. Auch wird er, was vorliegend allerdings keine Rolle spielt, bis zum Eingreifen einer dieser Behörden den Schiffsverkehr in geeigneter und zumutbarer Weise auf die mögliche Gefahrenslage aufmerksam machen müssen. Kommt er diesen Verpflichtungen nicht nach, so haftet er nach § 823 Abs. 1 BGB für den Schaden, der den Interessenten eines Schiffes oder dessen Ladung dadurch entsteht, daß dieses durch ein in das Fahrwasser geratene Sprengstück beschädigt, insbesondere leck wird. Demgegenüber kann der Revision nicht gefolgt werden, soweit sie meint, hier habe der Beklagte zu 2 nach dem Vorfall vom 10. Januar 1969 nichts unternehmen müssen, weil es Sache der Beklagten zu 3 gewesen sei, die Abräumarbeiten nach den einzelnen Sprengungen durchzuführen und für einen ordnungsgemäßen Zustand der Baustelle zu sorgen. Damit trägt die Revision nicht dem Umstand Rechnung, daß der Beklagte zu 2 durch sein Verhalten eine mögliche Schiffahrtsgefahr geschaffen und es deshalb seine Pflicht war, der Gefahrenlage zu begegnen.
...
Von einer solchen Unterrichtung hätte er nur dann absehen können, wenn es nach einer Rücksprache mit der Beklagten zu 3 oder 4 gewiß gewesen wäre, daß diese den Vorfall vom 10. Januar 1969 der Wasserschutzpolizei oder der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung sofort mitteilen würden, oder wenn die Beklagte zu 1 ohnehin nach jeder Sprengung an dem Widerlager das Fahrwasser im Sprengbereich nach Sprengstücken hätte absuchen lassen.
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Mit Erfolg greift die Revision hingegen die Feststellung des Berufungsgerichts an, die Pflichtwidrigkeit des Beklagten zu 2 sei für die Havarie des MS V ursächlich gewesen.
Der Beklagte zu 2 hat in der Berufungsbegründungsschrift vom 3. August 1972 unter Berufung auf ein vom Gericht einzuholendes Sachverständigengutachten vorgetragen, der Betonbrocken, gegen den MS V gestoßen ist, könne aus keiner Sprengung stammen, weil er keine Spuren von Bohrlöchern für die Aufnahme der Sprengladung aufweise. Diesen Beweis hat das Berufungsgericht offenbar nicht erhoben, weil „nicht auszuschließen sei, daß das Verschwinden von Resten der Bohrlöcher auf die - bei der Sprengung am 10. Januar 1969 offenbar - zu starke Sprengladung zurückgeführt werden kann" oder „der Betonbrocken schon durch voraufgegangene Sprengungen oder durch sonstige Einflüsse, etwa Alters- oder Witterungserscheinungen, Risse gehabt hat, so daß er nicht dort gerissen zu sein braucht, wo die Bohrlöcher lagen, sondern infolge voraufgegangener Sprengungen auch an anderer Stelle". Damit hat das Berufungsgericht selbst über eine nicht einfache technische Frage entschieden. Das hätte es aber nur tun können, wenn es die hierfür notwendige Sachkunde besaß. Hierzu läßt sich jedoch dem angefochtenen Urteil nichts entnehmen. Infolgedessen ist nicht auszuschließen, daß dieses infolge Nichteinholens des von dem Beklagten zu 2 beantragten Sachverständigenbeweises auf einer Verletzung des § 286 ZPO beruht.
Die gleichen Bedenken bestehen dagegen, daß das Berufungsgericht ohne die - von dem Beklagten zu 2 in der Berufungsbegründungsschrift vom 3. August 1972 beantragte – Zuziehung eines Sachverständigen den Vortrag des Beklagten zu 2 für unzutreffend gehalten hat, der fragliche Betonbrocken habe aufgrund der von ihm vorgenommenen Sprengungen keinesfalls bis zu der Stelle gelangen können, wo MS V gegen ihn gestoßen sei.
Der Beklagte zu 2 hat ferner mit Schriftsatz vom 11. April 1972 unter Beweisantritt behauptet (und diesen Vortrag in der Berufungsbegründungsschrift vom 3. August 1972 wiederholt), daß dem beim Neubauamt O. der Beklagten zu 1 tätigen Dipl.-Ing. R. am 20. Januar 1969 mitgeteilt worden sei, bei einer Sprengung an dem Widerlager seien Betonbrocken in den Kanal gefallen. Mit diesem Vorbringen hat sich das Berufungsgericht in dem angefochtenen Urteil nicht befaßt, auch den Zeugen R. hierzu nicht vernommen. Darin ist ebenfalls ein Verstoß gegen § 286 ZPO zu sehen.
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Das Berufungsgericht leitet die von ihm bejahte Haftung der Beklagten zu 3 aus § 823 Abs. 1, § 831 BGB her. Da sie die teilweise Beseitigung des Widerlagers übernommen gehabt habe, sei sie ebenfalls verpflichtet gewesen, den Schiffsverkehr vor den damit verbundenen Gefahren zu sichern. Hierzu hätte sie ihren Mitarbeitern auf der Baustelle entsprechende Anweisungen geben, ihnen insbesondere auftragen müssen, sie selbst oder die zuständige Behörde zu benachrichtigen, wenn abgesprengtes Material in den Kanal falle.
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Diesen Ausführungen ist jedenfalls dahin beizutreten, daß es zu den Pflichten der Beklagten zu 3 gehörte, ihren mit dem Abtragen des Widerlagers beauftragten Leuten von vornherein die Anweisung zu geben, daß sie die Wasserschutzpolizei oder das Kanalneubauamt der Beklagten zu 1 in O. oder wenigstens die eigene Geschäftsleitung benachrichtigen mußten, wenn Abbruchmaterial in das Fahrwasser des Mittellandkanals geraten war oder gelangt sein konnte. Darin ist entgegen der Ansicht der Revision keine Überspannung der Pflichten der Beklagten zu 3 zu sehen (wird ausgeführt).
Der danach bestehenden Pflicht der Beklagten zu 3, ihre Leute entsprechend anzuweisen, kann die Revision nicht entgegenhalten, daß diese die Sprengarbeiten einem selbständigen und erfahrenen Sprengmeisters übertragen gehabt habe, außerdem die Beklagte zu 4 die Abbrucharbeiten an dem Widerlager durch einen eigenen Bauingenieur habe beaufsichtigen und die Beklagte zu 1 die Arbeiten durch ihre Bediensteten habe überwachen lassen. Denn, abgesehen davon, daß Beaufsichtigung und Überwachung nur zeitweilig erfolgten, befreiten die von der Revision angeführten Umstände die Beklagte zu 3 nicht von der Pflicht, etwaigen Gefahren, welche durch den in ihrer Verantwortung stattfindenden Abbruch des Widerlagers für den Schiffsverkehr entstehen konnten, selbst in der gebotenen Weise entgegenzuwirken.
Mit Grund wendet sich die Revision hingegen gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, der Pflichtverstoß der Beklagten zu 3 habe die Havarie des MS V verursacht. Allerdings würde entgegen der Ansicht der Revision ein solcher Ursachenzusammenhang nicht schon dann entfallen, wenn es die Beklagte zu 1, wie die Revision meint, grob fahrlässig unterlassen haben sollte, das Fahrwasser im Sprengbereich nach Abschluß der Sprengarbeiten nach etwaigen Sprengstücken absuchen zu lassen. Denn ein derartiger Pflichtverstoß der Beklagten zu 1 hätte damit, daß diese von dem Vorfall vom 10. Januar 1969 infolge fehlender Anweisungen der Beklagten zu 3 an ihre Leute nichts erfahren und deshalb nicht sofort, wie es nach dem angefochtenen Urteil sonst der Fall gewesen wäre, das Fahrwasser abgepeilt hat, nichts zu tun. Jedoch beruht der festgestellte Ursachenzusammenhang auf einem Verstoß gegen § 286 ZPO. Insoweit kommt dieselbe Rüge zum Zuge, wie sie auch von dem Beklagten zu 2 erhoben worden ist.
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Deshalb war das angefochtene Urteil, soweit es zum Nachteil der Beklagten zu 2 und 3 ergangen ist, aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Schifffahrtsobergericht zurückzuverweisen."
...“