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Leitsätze:
1) Ein Zwischenurteil gemäß § 304 ZPO über den Grund des Anspruchs darf erst ergehen, wenn ein hinreichender Anhaltspunkt dafür gegeben ist, daß hinsichtlich jedes Teilanspruchs ein erstattungsfähiger Schaden entstanden ist.
2) Die aus § 774 HGB folgende Einschränkung der persönlichen Haftung des Reeders ist bereits im Zwischenurteil , auszusprechen und auch ohne entsprechende Einwendung des Beklagten noch im Revisionsverfahren vorzunehmen.
3) Die im Verkehr erforderliche Sorgfalt zur Abwendung eigenen Schadens verlangt nicht, daß Uferanlagen so gebaut oder eingerichtet sind, daß sie keinen wesentlichen Schaden nehmen können, wenn Schiffe nicht richtig manövrieren und aufgrund dieses oder sonstigen Fehlverhaltens gegen die Einrichtungen stoßen und diese beschädigen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 10. April 1967
II ZR 47/65
(Landgericht Hamburg; Oberlandesgericht Hamburg)
Zum Tatbestand:
Das im Hafen von Brunsbüttelkoog festgemachte MS L der Beklagten geriet während eines Sturmes infolge Brechens der Stahldraht-Vorspring, von 4 Manila-Vorderleinen und der Achterspring sowie anschließendem Slippen der Achterleinen ins Treiben und sodann gegen die Pendelstütze der auf der gegenüberliegenden Hafenseite befindlichen, der Klägerin gehörenden Verladebrücke, die zusammenstürzte und schwer beschädigt wurde. Die Beklagte hat das Schiff nach dem Unfall auf neue Reisen ausgesandt.
Die Klägerin verlangt Ersatz ihres Schadens an der Anlage, aber auch wegen erlittener Verdiensteinbußen und eigener Schadensersatzleistungen, die wegen der Nichteinhaltung der gegenüber der Fa. K. übernommenen Verpflichtungen zur laufenden sofortigen Entlöschung bestimmter Schiffe und zur Gewährung eines Liegeplatzes an die Fa. D. für den Vertrieb von Schmierölen sowie an Nebenkosten zu erfüllen waren. Sie begründet diese An¬sprüche mit der Behauptung, daß das Schiff trotz Warnung vor Sturmböen bis zur Windstärke 12 nicht ausreichend vertäut und das Slippen der Achterleinen fehlerhaft gewesen sei.
Die Beklagten bestreiten jedes Verschulden. Die Verladebrücke sei auch schadensgeneigt, unzweckmäßig und besonders empfindlich errichtet worden.
Landgericht und Oberlandesgericht haben den Zahlungsanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Auf die Revision der Beklagten wurde das erstinstanzliche Urteil dahingehend abgeändert, daß der Zahlungsanspruch nur insoweit im Rahmen des § 774 HGB dem Grunde nach als gerechtfertigt erklärt wurde, als er nicht die Ansprüche auf Freihaltung von Forderungen der Fa. K. und der Fa. D. betrifft.
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Zahlungsantrag der Klage, den das Landgericht dem Grund nach für berechtigt erklärt hat, macht mehrere prozessuale Ansprüche geltend. Er verlangt Ersatz des Sachschadens an der Anlage, des Verdienstausfalls durch nicht ausgeführte Bunkerungen, Freihaltung von Ersatzansprüchen der Firma K. und der Firma D. wegen Nichterfüllung von Verträgen infolge Ausfalls der Anlage und Ersatz von Nebenkosten wie Kosten der Bauaufsicht, Versicherungsprämien und Kosten von Schadenstaxen. Hierbei handelt es sich nicht um bloße Rechnungsposten, sondern um Teilansprüche, die sich durch die Art der Entstehung des Schadens unterscheiden und zu ihrer Begründung einen selbständigen Tatsachenvortrag voraussetzen. Es ist anerkannt, daß ein Urteil nach § 304 ZPO über den Grund des Anspruchs erst ergehen darf, wenn ein hinreichender Anhaltspunkt dafür gegeben ist, daß hinsicht¬lich jedes Teilanspruchs ein erstattungsfähiger Schaden entstanden ist (RGZ 158, 34, 36; BGH NJW 1961, 1465). Soweit die Revision rügt, daß dieser Grundsatz beim Verdienstausfall wegen unterbliebener Bunkerungen nicht beachtet worden sei, ist ihr nicht zu folgen. Insoweit liegen Einzelposten eines Anspruchs vor, von dem mit hoher Wahrscheinlichkeit nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge anzunehmen ist, daß er in einer gewissen Höhe entstanden ist (BGH LM Nr. 19 zu § 304 ZPO). Jedoch ist der Revision zuzugeben, daß die Ansprüche auf Freihaltung von Schadensersatzansprüchen der Firma K. und der Firma D., die auf Nichterfüllung von Werk- oder Pachtverträgen beruhen sollen, nicht genügend dargelegt waren, um die Annahme zu rechtfertigen, daß insoweit ein ersatzfähiger Schaden in irgendeiner Höhe entstanden sei. Die Beklagte hatte bestritten, daß sich aus den Verträgen der Beklagten mit diesen Firmen überhaupt eine Verpflichtung der Beklagten zum Schadensersatz ergab. Das Zwischenurteil hat sich mit dieser Frage nicht befaßt, konnte sie aber, da ein selbständiger Anspruch vorliegt, nicht in das Betragsverfahren verweisen. Das Zwischenurteil ist also, soweit es die Ansprüche gemäß Nr. 4 und 5 der Schadensrechnung betrifft zu Unrecht ergangen.
Das Berufungsgericht hat in Übereinstimmung mit dem Landgericht eine Haftung der Beklagten als Reeder gemäß § 485 HGB wegen eines Verschuldens der Schiffsführung angenommen (vgl. für das Anrennen des Schiffes an Hafenanlagen: BGHZ 22, 197, 198). Diese auf dem Gesetz beruhende Haf¬tung in der Form des Einstehens für fremdes Verschulden ist dinglich begrenzt auf Schiff und Fracht (§ 486 Abs. 1 Nr. 3 HGB) und gewährt ein Schiffsgläubigerrecht (§ 754 Nr. 9 HGB). Die Klägerin hat sich nicht, was möglich gewesen wäre (RGZ 151, 296), auf die unbeschränkte, aber dem Entlastungsbeweis unterliegende Haftung für die Verrichtungsgehilfen der Beklagten wegen vermuteten eigenen Verschuldens (§ 831 BGB) gestützt. Die vom Berufungsgericht für begründet erachtete Haftung der Beklagten nach §§ 485, 486 HGB als Reeder (sog. adjektizische Haftung neben dem schuldigen Besatzungsmitglied) konnte zu einem Zahlungsanspruch nur nach Maßgabe des § 774 HGB führen. Danach haftet der Reeder zugleich persönlich in Höhe des Schiffswertes, wenn er das Schiff zu einer neuen Reise in See sendet. Die Vorinstanzen erwähnten diesen Umstand nicht. Sein Eintritt ist aber offenkundig. Die aus § 774 HGB folgende Einschränkung der persönlichen Haftung ist bereits im Zwischenurteil auszusprechen (RGZ 61, 293, 294). Da der Umfang der Haftung die Schlüssigkeit des Klagevorbringens betrifft, ist auch ohne entsprechende Einwendung der Beklagten die Einschränkung noch im Revisionsverfahren vorzunehmen (RG JW 1908, 213 Nr. 36). Dem entspricht die ständige Praxis des Bundesgerichtshofes (z. B. 1. Zivilsenat, Urteil vom 18. November 1955 - 1 ZR 219/53 für § 114 BSchG; II. Zivilsenat, Urteil vom 6. Juli 1961 - II ZR 69/60). Auf die Prozeßzinsen bezieht sich die Einschränkung nicht, weil ein besonderer Haftungsgrund vorliegt (RGZ 153, 171).
Das Berufungsgericht hält ein Verschulden der Schiffsbesatzung (§§ 486 Abs. 1 Nr. 3 HGB, 823 BGB) für gegeben und führt aus, auf Grund der Beweisaufnahme stehe zweifelsfrei fest, daß MS L nicht so fest und sicher vertäut gewesen sei, wie es die obwaltenden Umstände erfordert hätten. Der Besatzung wäre eine sichere Vertäuung möglich und zuzumuten gewesen.
Die Revision vermag aber keinen Verfahrensfehler oder Rechtsirrtum des Berufungsgerichts darzutun.
Die Erwägungen des Berufungsgerichts, mit denen es ein Mitverschulden der Klägerin verneint, werden von der Revision vergeblich bekämpft.
Die im Verkehr erforderliche, zur Abwendung eigenen Schadens anzuwendende Sorgfalt verlangte nicht, daß die Uferanlage so eingerichtet oder geändert wurde, daß sie keinen wesentlichen Schaden nehmen konnte, wenn Schiffe nicht richtig manövrierten und derart gegen die Dalben stießen, daß die Pendelstütze der Krananlage aus der Schiene geriet. Der Umstand, daß derartige Anlagen dicht am Ufer stehen, muß vielmehr zu einer erhöhten Sorgfalt der Schiffsführungen Anlaß geben, die in ihrer Nähe manövrieren.
Das angefochtene Urteil war hiernach lediglich aufzuheben, soweit es die Berufung gegen das Zwischenurteil auch insoweit zurückweist, als der Anspruch auf Freihaltung von Forderungen der Firma K. und der Firma D. dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt worden ist. In diesem Umfang war die Sache gemäß § 539 ZPO an das Landgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (vgl. RGZ 90, 239). Im übrigen war die Revision gegen das Zwischenurteil als unbegründet mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß der Zahlungsanspruch nur im Rahmen des § 774 HGB dem Grunde nach gerechtfertigt ist."