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Leitsatz:
Zu dem Umfang der Verkehrssicherungspflicht für eine Schiffahrtsstraße, in deren Bereich Sprengungen an einem Bauwerk vorgenommen werden.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 10. Juli 1975
II ZR 32/74
(Schiffahrtsgericht Minden; Schiffahrtsobergericht Hamm)
Zum Tatbestand:
Die Beklagte hatte zur Verbreiterung des Mittellandkanals das südliche Widerlager einer früheren Brücke durch die Fa. L. abtragen lassen. Vom 10. bis 17. Januar 1969 waren Lockerungssprengungen vorgenommen worden, wobei am 10. Januar ein Betonbrocken (200 X 100 X 85 cm) in den
Kanal fiel. Das der Klägerin gehörende MS V fuhr am 19. Februar 1969 gegen den etwa 51/2 m vom Südufer entfernt im Kanal liegenden Brocken, erhielt ein Leck und sank.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten, der die Unterhaltungs- und Verkehrssicherungspflicht für den Kanal obliegt, Ersatz des Schadens von etwa 212000,- DM. Neben der beauftragten Baufirma hafte auch die Beklagte, weil sie nach Abschluß der Sprengarbeiten den Kanal nicht nach Sprengstücken abgesucht habe.
Die Beklagte meint, daß sie nicht habe damit rechnen müssen, daß Sprengstücke in den Kanal geraten würden. Hiervon sei ihr auch keine Mitteilung gemacht worden. Im übrigen habe sie sämtliche Arbeiten der Fa. M., einem äußerst angesehenen und erfahrenen Unternehmen, übertragen, von dem sie mit Recht angenommen habe, daß die Arbeiten sorgfältig ausgeführt würden. Die Baufirma habe die Verantwortung für die Beachtung aller Sicherheitsvorschriften getragen.
Das Schiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Schifffahrtsobergericht hat ihr dem Grunde nach stattgegeben. Die Revision blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Es ist eine Erfahrungstatsache, daß es beim Sprengen von Bauwerken oder Bauwerksteilen zum Wegfliegen von Sprengstücken kommen kann (vgl. auch § 46 Abs. 2 und § 104 Abs. 2 der Unfallverhütungsvorschriften für Sprengarbeiten - abgedruckt als Nr. 46 in der Sammlung der Einzel-Unfallverhütungsvorschriften der gewerblichen Berufsgenossenschaften, herausgegeben von deren Hauptverband). Werden daher derartige Sprengarbeiten innerhalb, an oder in der Nähe einer Schiffahrtsstraße vorgenommen und ist wegen der Streuwirkung der Sprengung damit zu rechnen, daß einzelne Sprengstücke in das Fahrwasser gelangen und dort die Schiffahrt gefährden können, so erfordert es die Sicherheit des Schiffsverkehrs, daß vor dessen Wiederaufnahme der hierfür Verantwortliche den im Sprengbereich liegende Teil des Fahrwassers mit geeigneten Mitteln nach Sprengstücken absucht und, sofern sich solche finden, sie aus dem Fahrwasser entfernt oder, wenn das nicht sogleich mögliche ist, sie hinreichend kennzeichnet. Unterläßt er das, so haftet er nach § 823 Abs. 1 BGB für alle Schäden, die an einem Fahrzeug oder dessen Ladung durch die Berührung mit einem Sprengstück entstehen. Das gilt auch, wenn bei einer Sprengung nicht bemerkt oder der Verkehrssicherungspflichtige nicht unterrichtet wird, daß Sprengstücke in das Fahrwasser geraten sind oder gelangt sein können. Denn auch dann ist es nicht ausgeschlossen, daß sich Sprengstücke im Fahrwasser befinden, weil es beim Sprengen von Bauwerken oder Bauwerksteilen im allgemeinen nicht möglich ist, den Verlauf der Sprengung bis in alle Einzelheiten genau zu beobachten. Insoweit hat bereits das Berufungsgericht darauf hingewiesen daß sich die Beteiligten beim Zünden einer Sprengladung durchweg in Deckung oder in größerer Entfernung von der Sprengstelle aufhalten, außerdem die Sprengwolke die Sicht auf diese zumindest nicht unwesentlich beeinträchtigt.
Nun mag es möglich sein, Lockerungssprengungen an einem Bauwerk oder einem Bauwerksteil so vorzunehmen, daß das zu lockernde Material beim Sprengen nicht weggeschleudert wird, sondern in den bisherigen Grenzen des Bauwerks oder des Bauwerksteiles liegen bleibt. Allein aus einer solchen Möglichkeit folgt noch nicht, daß der Verkehrssicherungspflichtige bei Lockerungssprengungen im Bereich einer Schiffahrtsstraße davon absehen kann, das Fahrwasser im Sprengbereich vor der Wiederaufnahme des Schiffsverkehrs nach etwaigen Sprengstücken abzusuchen. Allerdings kann er das unterlassen, wenn er die Gewißheit besitzt, daß keine Sprengstücke in das Fahrwasser gelangt sein können, weil der Sprengende alle notwendigen Maßnahmen für eine Lockerungssprengung ohne jede Streuwirkung getroffen hatte und die Sprengung tatsächlich auch so verlaufen ist. Jedoch wird eine solche Gewißheit nicht schon dadurch begründet, daß der Verkehrssicherungspflichtige von dem Sprengenden bestimmte Angaben oder Zusicherungen über die Sprengung erhält. Vielmehr ist insoweit erforderlich, daß er dessen Vorbereitungen und das Ergebnis der Sprengung von einem Fachkundigen überprüfen lässt.
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Da die Beklagte die Tätigkeit des mit der Vornahme der Lockerungssprengungen beauftragten Sprengmeisters nicht in der vorstehend dargelegten Weise hat überprüfen lassen - nach ihrem Vorbringen hat sie sich auf eine zeitweilige Beaufsichtigung der Abtragungsarbeiten durch einzelne ihrer Bediensteten beschränkt, von denen überdies keiner mit Sprengarbeiten besonders vertraut war -, hätte sie das Fahrwasser im Sprengbereich jeweils vor Wiederaufnahme der Schiffahrt mit Hilfe einer Leinenpeilung oder anderer geeigneter Mittel nach etwaigen Sprengstücken absuchen müssen.
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Entgegen der Ansicht der Revision kann es die Beklagte nicht entlasten, daß sie mit dem Abbruch und Neubau der Brücke ein angesehenes und erfahrenes Unternehmen beauftragt und diesem bestimmte Pflichten auferlegt hatte. Dabei kann die von den Parteien in der Revisionsinstanz erstmals erörterte Frage offen bleiben, ob die Beklagte überhaupt die Pflicht, für die Sicherheit des Verkehrs auf einer Schiffahrtsstraße zu sorgen, wirksam auf private Dritte übertragen kann. Denn vorliegend fehlt es bereits an einer klaren und eindeutigen Absprache in dieser Richtung. Diese kann nicht darin gesehen werden, daß die M. nach der Bauvergabe gehalten war, eine über bestimmte Kenntnisse und Fähigkeiten verfügende Persönlichkeit mit der „verantwortlichen Aufsicht über die Bauausführungen auf der Baustelle der M., beauftragen". Sie folgt auch nicht aus der Verpflichtung der M., für alle Ansprüche aus Schiffsunfällen aufzukommen, die „auf Vernachlässigung der Vorschriften des Auftraggebers sowie der zuständigen Polizeibehörde oder auf ungeeignete Maßnahmen des Auftragnehmers zurückzuführen sind". Ebensowenig läßt sie sich aus der Vereinbarung herleiten, daß die M. „für die Befolgung aller Sicherheitsvorschriften die alleinige Verantwortung" zu tragen habe. Denn das Einhalten von Sicherheitsvorschriften hat mit der Frage, wer für die Sicherung des Verkehrs auf einer sich im Bereich einer Baustelle befindenden Schiffahrtsstraße verantwortlich ist, nichts zu tun.
...“