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II ZR 282/93 - Landgericht (-)
Decision Date: 26.06.1995
File Reference: II ZR 282/93
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Landgericht Hamburg
Department: -

Leitsätze:

1) Ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG) ist von dem tragenden Gedanken genossenschaftlicher Selbsthilfe durch gegenseitige Gewährung von Versicherungsschutz geprägt. Der Betrieb des Versicherungsgeschäfts ist mit dem Wesen des VVaG untrennbar verbunden.

2) Eine Mitgliedschaft im WaG ohne gleichzeitige Versicherung kann es prinzipiell nicht geben. Ausnahmsweise kann die Mitgliedschaft im VVaG über die Beendigung des Versicherungsverhältnisses hinaus fortgesetzt werden. Aus § 20 Satz 3 VAG kann aber nicht darauf geschlossen werden, daß der Gesetzgeber den Status eines rechtsfähigen WaG auch einer Personenvereinigung zuerkennen wollte, die keinerlei Versicherungstätigkeit betreibt.

3) Es ist nicht möglich, einen VVaG ein Jahr lang ohne Geschäftstätigkeit aufrechtzuerhalten, wenn die Vereinsmitglieder nicht einmal für sich selbst einen Versicherungsschutz anstreben, sondern der Verein wie ein Mantel für die Übernahme durch andere Personen bereitgehalten werden soll.

Urteil des Landgerichts Hamburg

vom 2. November 2017

Zum Tatbestand:

Der Kläger betrieb als kleinerer Versiche­rungsverein auf Gegenseitigkeit das Fluß­kasko-Versicherungsgeschäft. Der Beklagte war von 1980 bis zum 31. Dezember 1991 Rückversicherer des Klägers. Die Mitgliederversammlung des Klägers beschloß am 27. Juli 1991, den Verein zum 31. Dezember 1991 aufzulösen. Der Auflö­sungsbeschluß wurde von der Aufsichtsbehör­de am 27. September 1991 genehmigt. Am 30. Dezember 1991 beschloß eine außeror­dentliche Mitgliederversammlung des Klägers die Rücknahme des Auflösungsbeschlusses und die Fortführung des Vereins ohne Ge­schäftstätigkeit. Die Mitgliedschaft der der­zeitigen Mitglieder sollte fortbestehen; deren Versicherungsverhältnisse wurden zum 31. Dezember 1991, 24.00 Uhr durch Einzel­vereinbarungen aufgehoben. Zugleich wurde die Satzung des Vereins dahingehend geän­dert, daß die Mitgliedschaft nicht mit dem Wegfall des versicherten Interesses erlischt. Die Aufsichtsbehörde genehmigte diese Be­schlüsse unter dem 13. August 1992. Am 19. August 1992 trat der Kläger an den Beklagten heran, um über den Neuabschluß eines Rückversicherungsvertrages zu verhan­deln, der ab 1. Januar 1993 gelten sollte. Der Beklagte erklärte sich bereit, die Rückversi­cherung zu den Bedingungen des am 31. De­zember 1991 erloschenen Vertrages zu über­nehmen. Mit einigen Änderungswünschen des Beklagten erklärte sich der Kläger am 2. De­zember 1992 einverstanden und bat um Über­sendung der Police. Am 19.Dezember 1992 beschloß die Generalversammlung des Klägers neben einigen Satzungsänderun­gen, die Gesamtrücklage aufzulösen und an die Mitglieder auszuzahlen. Während einer Unterbrechung der Versammlung beschloß der Vorstand, 14 neue Mitglie­der "bei sofortiger Mitgliedschaft mit Versicherungsbeginn 1. Januar 1993" aufzunehmen. Nach der Wahl eines neu­en Vorstands erklärten sodann sämtliche Altmitglieder ihren Austritt per 31. De­zember 1992. Nach der Übersendung einer Liste der nunmehr beim Kläger versicherten Schif­fe erklärte der Beklagte am 4. Januar 1993 die Kündigung seiner Deckungs­zusage und am 6. Januar 1993 die An­fechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung. Der Kläger habe absichtlich den unrichtigen Eindruck einer gleichar­tigen Fortführung der früheren Vertrags­beziehung erweckt; die nunmehr versi­cherten Schiffe stellten aber völlig anders geartete Risiken dar. Der Kläger begehrt die Feststellung, daß der Beklagte verpflichtet ist, Deck­ungsschutz für die angemeldeten Schif­fe zu gewähren, hilfsweise den Schaden zu ersetzen, den er durch das Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrages erlit­ten hat. Das Landgericht hat die Klage als unzu­lässig abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht die­ses Urteil aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte sein auf Klageabweisung gerichtetes Begeh­ren weiter. Die Revision des Beklagten führte zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Die Klage ist als unzulässig abzuwei­sen, weil der Kläger nicht mehr als rechts­fähiger Versicherungsverein auf Gegensei­tigkeit (VVaG) existiert.

1. Dem Berufungsgericht ist darin bei­zutreten, daß der Beschluß, den Verein zum 31. Dezember 1991 aufzulösen, am 30. Dezember 1991, also vor dem Auflösungs­zeitpunkt, noch wirksam zurückgenommen werden konnte. Dieser Beschluß bedurfte nicht der Genehmigung durch die Auf­sichtsbehörde, weil durch ihn lediglich der vor dem Auflösungsbeschluß bestehende Zustand aufrechterhalten wurde. Zu Recht macht die Revision jedoch geltend, daß die­ser Beschluß nicht zum Fortbestand des Vereins über den genannten Zeitpunkt hin­aus führen konnte, weil mit ihm die voll­ständige Aufgabe der Versicherungs­tätigkeit des Vereins verbunden war.

2. Der V VaG ist ein Versicherungsunter­nehmen (§ 1 Abs. 1, § 7 VAG) in der Form eines rechtsfähigen Vereins, bei dem die Vereinsmitglieder die Versicherten sind (Prölss/Frey, VAG 10. Aufl., § 15 Rdn. 1). Der Betrieb des Versicherungsgeschäfts ist daher mit dem Wesen des VVaG untrenn­bar verbunden (v. Gierke, Die Versiche­rungsvereine auf Gegenseitigkeit nach deut­schem Recht (1942), S. 3). Im Gesetz (§ 20 VAG) findet dies durch die enge Ver­knüpfung von Mitgliedschafts- und Ver­sicherungsverhältnis Ausdruck: Wie der Erwerb der Mitgliedschaft die Begründung eines Versicherungsverhältnisses voraus­setzt, soll mit dessen Beendigung grund­sätzlich auch die Mitgliedschaft aufhören (Begründung zu § 20 des Gesetzentwurfs, RT-Drucks. Nr. 5 der 10. Legislaturperiode, 11. Session 1900/1902, S. 184; Kisch, Das Recht des V VaG (1951), S. 163 ff.; Gold­berg/Müller, VAG (1980) § 15 Rdn. 1, § 20 Rdn. 1 u. 9; Prölss/Frey aa0 § 20 Rdn. 2, 6; Emminghaus LZ 1908, 517, 519 f.). Eine Mitgliedschaft im V VaG ohne gleich­zeitige Versicherung kann es daher prinzi­piell nicht geben (Goldberg/Müller aa0 § 20 Rdn. 10; Kisch aa0 S. 11 f.). § 20 Satz 3 VAG läßt als Ausnahme von diesem Grundsatz zwar zu, in der Satzung zu bestimmen, daß die Mitgliedschaft über die Beendigung des Versicherungsver­hältnisses hinaus fortgesetzt werden kann. Durch diese Vorschrift sollte die Möglich­keit geschaffen werden, einem bisher Ver­sicherten "in Folge fortdauernder Pflichten gewisse Mitgliedschaftsrechte" einzuräu­men (so die Gesetzesbegründung aaO; vgl. auch Kisch aaO S. 166; Goldberg/Müller aa0 Rdn. 8). Sie ist also auf das einzelne Mitgliedschaftsverhältnis zugeschnitten. Keinesfalls kann ihr entnommen werden, daß der Gesetzgeber den Status eines rechtsfähigen VVaG auch einer Personen­vereinigung zuerkennen wollte, die keiner­lei Versicherungstätigkeit betreibt. Ob ein V VaG schon durch eine vorüber­gehende, kurzzeitige Nichtausübung des Versicherungsgeschäfts seinen rechtlichen Status verliert, kann offenbleiben. Jeden­falls ist es nicht möglich, einen VVaG - wie im vorliegenden Fall - ein Jahr lang ohne Geschäftstätigkeit aufrechtzuerhalten, wenn die Vereinsmitglieder nicht einmal für sich selbst einen Versicherungsschutz anstreben, sondern wenn der Verein wie ein Mantel für die Übernahme durch andere Personen bereitgehalten werden soll. Ein solches Vorgehen ist bereits mit der person­alistischen Prägung des VVaG und dem ihn tragenden Gedanken genossenschaftlicher Selbsthilfe durch gegenseitige Gewährung von Versicherungsschutz (K. Schmidt, Ge­sellschaftsrecht 2. Aufl. § 42 1 1) nicht ver­einbar.

3. Es bedarf keiner abschließenden Klä­rung, wie der Beschluß vom 30. Dezem­ber 1991, den Verein nicht aufzulösen, son­dern ohne Geschäftstätigkeit fortzuführen, rechtlich zu qualifizieren ist, denn zu ei­nem Fortbestand des Klägers als rechtsfä­higer VVaG kann es in keinem Fall gekom­men sein. Es kann dahinstehen, ob der Kläger durch die Einstellung seiner Geschäftstä­tigkeit sogleich seinen Status als rechtsfä­higer VVaG vollständig verloren oder ob er zunächst als rechtsfähiger Liquidations­verein fortbestanden hat. Im letzteren Fall wäre möglicherweise schon durch die am 19. Dezember 1992 beschlossene Vertei­lung der Gesamtrücklage an die "Alt­mitglieder", jedenfalls aber durch den Austritt sämtlicher Mitglieder zum 31. Dezember 1992 dessen Erlöschen herbei­geführt worden (RGRK-BGB/Steffen, 12. Aufl. § 49 Rdn. 6); die Aufnahme neuer Mitglieder konnte hieran nichts ändern, da eine solche beim Liquidationsverein nicht möglich ist (Soergel/Hadding aaO § 49 Rdn. 9; Reichert/Dannecker, Hand­buch des Vereins- und Verbandsrechts 5. Aufl., Rdn. 2124; vgl. auch § 46 Abs. 2 Satz 3 VAG für den großen V VaG). Ob es möglich wäre, ihn trotz des Be­schlusses über die Auflösung der Gesamt­rücklage und trotz des vollständigen Aus­tauschs des Mitgliederbestandes durch eine Genehmigung nach §§ 5, 15 VAG als VVaG wiederherzustellen oder ob nicht, wie die Revision meint, allenfalls ein neuer, mit dem Kläger nicht identi­scher VVaG zur Entstehung gebracht werden könnte, bedarf vorliegend schon deswegen keiner Entscheidung, weil es an der hierfür erforderlichen Genehmigung fehlt. Zudem ist die Klage, wie dies dem Klageziel entspricht, nicht für einen in Gründung befindlichen VVaG, sondern gerade mit der Behauptung erhoben wor­den, der Kläger sei nach wie vor als jener rechtsfähige VVaG existent, der schon bisher Vertragspartner des Beklagten war.

4. Da die Klage somit im Namen einer nicht existenten Partei erhoben worden ist, muß sie - im Ergebnis übereinstimmend mit dem landgerichtlichen Urteil - als un­zulässig abgewiesen werden (vgl. Zöller/ Vollkommer ZPO 19. Aufl. vor § 50 Rdn. 11; Wieczorek/Schütze/Hausmann ZPO 3. Aufl. vor § 50 Rdn. 24) Ihre Zulässigkeit läßt sich auch nicht aus an­deren rechtlichen Erwägungen ableiten.

a) Der Kläger kann sich nicht auf den in der Rechtsprechung anerkannten Grundsatz berufen, daß eine erloschene juristische Per­son solange noch als parteifähig anzusehen ist, als ihr nach dem Parteivortrag im betref­fenden Rechtsstreit noch vermögensrechtliche Ansprüche zustehen (vgl. BGHZ 48, 303, 307; 75, 178, 182 f.; Sen.Urt. v. 17. Oktober 1994 - II ZR 159/93, ZIP 1994, 1887). Die Ansprüche, deren der Kläger sich hier be­rühmt, stehen in keinem Zusammenhang mit seiner Liquidation, sondern werden aus einer Fortsetzung seiner werbenden Tätigkeit (neu­er Rückversicherungsvertrag mit dem Beklag­ten) hergeleitet. Für solche Rechtsstrei­tigkeiten muß sich eine erloschene juristische Person aber genauso behandeln lassen wie jedes andere nicht rechtsfähige Gebilde, für welches der Bestand von Forderungsrechten geltend gemacht wird.

b) Auch aus dem Senatsurteil vom 30. Sep­tember 1965 (II ZR 79/63, WM 1965, 1132) läßt sich für den vorliegenden Fall nichts her­leiten. Der Senat hat dort ausgesprochen, daß die Klärung der Frage, ob eine juristische Person noch besteht, auch dieser selbst ermöglicht werden muß. Diese Entscheidung bezog sich auf die Feststellungsklage eines Vereins, der seine Identität mit einem infolge der Kriegs­wirren handlungsunfähig gewordenen Verein festgestellt haben wollte. Im vorliegenden Fall ist die Feststellung der Identität dagegen nicht Hauptsache des Rechtsstreits, sondern es geht um die Durch­setzung von Versicherungsansprüchen. Die rechtliche Existenz des Klägers ist hier nur Vorfrage: ist sie zu verneinen, so muß die Klage als unzulässig abgewiesen werden...".